T-FLAC/PSI Vorwort Pflicht über Liebe, so wähltest du Von dir verschmäht, fand mein Herz keine Ruh Bestraft sollst du sein, kein Stolz dir gewährt Drei Söhne auf drei Söhne nur Schmerz sich vermehrt Zur Erinnerung an mich dir meine Kräfte ich gebe Die Freude der Liebe kein Sohn je erlebe Eine Gefährtin das Leben, von eines Sohnes Herz erwählt Ihr Schutz ist vergebens, die Tage zu meinem Siegs ind gezählt. Tief wird sein Schmerz sein, schnell ihr Tod, Sein Herz zerrissen in ewig währender Not. Nur aus freien Stücken gegeben, wird dieser Fluch enden Drei müssen eins werden, und das Blatt wird sich wenden. Eins SAN FRANCISCO MONTAG, l6. JANUAR I5 UHR 15 »Was spielt das denn verdammt noch mal für eine Rolle, wie sie aussieht? «, sagte Caleb Edge ins Telefon und hoffte inständig, dass die dunkle, tiefe Lust, die sein Blut erhitzte, sich nicht auf seine Stimme übertrug. Er runzelte die Stirn bei dieser merkwürdigen Frage seiner Vorgesetzten, schob das kompakte Satellitentelefon zwischen Schulter und Kinn und das Fernglas ein Stückchen nach links, um eine bessere Sicht zu bekommen. Riesige Nebelschwaden, die durch eine diesige Straße in San Francisco waberten, trennten die Fenster der beiden Wohnungen voneinander Die Lichter der Wohnung auf der anderen Straßenseite waren angeschaltet, die, in der er war, nicht. Sein Verlangen sorgte dafür, dass er sich verkrampfte, und schnürte seinen Hals zusammen. Sein Herz, das normalerweise wie ein Uhrwerk schlug, pochte auch nach sechzig Sekunden immer noch unangenehm, nachdem er sie das erste Mal durch das Fernglas erblickt hatte. Rums! Caleb fühlte sich, als ob ihm jemand in den Solarplexus geboxt, sein Herz gepackt und es zerquetscht hätte. Fest. So also sah Heather Shaw aus. Nicht dass er seine physische Reaktion mit seiner Vorgesetzten Lark Orela geteilt hätte. Sie konnte wie ein verdammter Hund mit ’nem Knochen sein, wenn sie glaubte, ihre Leute waren unkonzentriert. Dummerweise konzentrierte er sich gerade zu sehr. »Erde an Edge?« »Sie sieht aus ... ich weiß nicht. « Elegant. Schon. »Luxuriös, teuer«, erklärte er Lark. Sein Herz raste nur deshalb so sehr, versicherte er sich, weil sein Scheißknie so verflucht wehtat. Er verlagerte noch ein bisschen mehr Gewicht auf die Schulter, die er gegen die Wand gestützt hatte. Heather hatte sich die Ärmel ihres weich aussehenden violetten Pullovers über die Unterarme geschoben, während sie arbeitete. war groß und schlank. Der Pulli sah aus, als ob er maßgeschneidert worden Ware. War er wahrscheinlich auch. Heather Shaw besaß mehr Geld als viele Länder der Dritten Welt. »Interessanter Ort, um sich zu verstecken.« Caleb riss seinen Blick von den sanften Rundungen von Miss Shaws Brüsten los und fixierte ihren Kopf. Schau noch mal hoch, meine Süße, zeig noch einmal deine wunderschönen Augen. »Seit wann ist sie dort? « Waren ihre Augen grün? Braun? Schwer zu sagen aus der Entfernung. »Seit ungefähr sechs Monaten«, teilte Lark ihm mit. »Warum?« Nur ungern richtete Caleb sein Fernglas auf das Apartment. »Die Wohnung ist ziemlich kahl.mn Stuhl, ein Bett, ein Tisch. Persönliche Sachen kann ich nicht erkennen. « »Sie war mal hier, mal dort. « »Ja.« Laut Lark war es nicht einfach gewesen, sie ausfindig zu machen. Caleb dachte, es hatte die ganze Operation beschleunigt und sie um einiges interessanter gemacht, wenn sie zuerst Heathers Vater gefunden hätten. Leider wurde Brian Shaw seit fast einem Jahr vermisst. Er hatte seine Spur komplett verwischt, was nicht überraschte, sodass er dummerweise derzeit schwer zu finden war. Was seine reizende Tochter allein in den Fängen der Wölfe ließ. Caleb war wohl eindeutig zu lange in der Rehabilitation gewesen, wenn er allein vom Anblick der Tochter ihres Verdächtigen einen Ständer bekam. Lange, elegante Gliedmaßen. Blasse, schmale Finger. Seidiges Haar, das sich wie Sonnenlicht auf seiner Haut anfühlen würde. Er hatte Lark angefleht, ihn auf einen Einsatz zu schicken. Egal, wohin. Hauptsache raus aus dem Krankenhaus. Das war das Beste gewesen, was Lark ihm kurzfristig anbieten konnte. Blödsinn. Fakt war: Sie glaubte nicht, dass er schon wieder einsatzfähig war. Das hier war kein Einsatz. Eine simple Frage musste beantwortet werden. Herrje, dass hätte irgendjemand machen können. Aber jetzt war er nun mal hier. Und alles war besser, als noch monatelang in der Reha festzusitzen. Langeweile schien diese Woche ein Familienmerkmal zu sein. Sein älterer Bruder Gabriel hatte ihn vor ein paar Tagen auf seinem Weg nach Arizona besucht, um dort Informationen von irgendeinem Wissenschaftler zu beschaffen. Untypischerweise war er reizbar und nicht ganz auf dem Posten gewesen. Der benötigte eindeutig selbst ein wenig Action. Sein jüngerer Bruder Duncan warb unter der Hand dafür, Chef des Zauberrates zu werden, und war deshalb irgendwo unterwegs, total auf dieses Ziel fixiert. Und wenn Duncan sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, war er verdammt zielstrebig. Also hatte Caleb momentan nicht mal seine Brüder, um sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Was für ein Pech. Gegen eine richtig schweißtreibende Übung mit Gabriel und seinen Breitschwertern oder Duncan und seinen Messern - oder beiden 一 hätte er im Augenblick nichts einzuwenden gehabt. Stattdessen war er in San Francisco und beobachtete die Tochter eines Bankiers, der für einige der gefährlichsten Terroristen der Welt arbeitete. Überraschenderweise war Calebs Reaktion auf die Frau, die er ausfindig machen sollte, sehr emotional und spontan gewesen. Er mochte Frauen ziemlich gerne. Nein, er liebte Frauen. Aber er hatte noch nie zuvor beim Anblick einer Frau einen derartig spontanen, erregenden, chemischen ... Schock verspürt. Er war nun mal ein Adrenalin-Junkie, und seine körperliche Reaktion auf ihren Anblick - Blutdruck nach oben, Libido nach oben, Körpertemperatur nach oben - faszinierte ihn. Pheromone waren eine Sache, aber er war so weit weg, er konnte sie noch nicht einmal riechen. Seine Reaktion war so spontan, so primitiv, dass er über sich selbst schockiert war. Warum sie? Warum hier? Warum jetzt? »Okay, dann will ich dir eine leichte Frage stellen«, sagte Lark in sein Ohr Caleb riss sich zusammen. Lark war einfühlsam, und er wollte nicht, dass sie irgendwelche verräterischen Signale aufschnappte. »Wie geht's dem Bein? «, fragte sie und brachte ihn damit aus der Fassung. Ja. Konzentriere dich auf etwas Sinnvolles. Das neue Knie tat immer noch weh, was ihn verdammt ärgerte, Eine seiner besonderen Kräfte war die Fähigkeit zu heilen, aber die einzige Person, deren Wunden er nicht in Ordnung bringt konnte, war er selbst. Darüber war er richtig sauer. Caleb betrachtete seinen Körper als ein weiteres Werkzeug in seinem Arsenal gegen Terroristen. Er musste in Topkondition sein, um seinen Job gut zu machen, und er arbeitete daran, immer auf dem Höhepunkt seiner physischen Leistungsfähigkeit zu sein. Er war selten krank, und seine Knieverletzung hatte das erste Mal in seiner Karriere dafür gesorgt, dass er so lange im Krankenhaus festgesessen hatte. »Einhundert Prozent okay«, versicherte er Lark. Er war traurig erweise sogar dankbar gewesen, als er vor einer Stunde den Anruf erhalten hatte, während seiner hoffentlich letzten Physiotherapiesitzung in San Jose. Zur Hölle, ja, er war nur eine Stunde von San Francisco entfernt. Er würde mit Shaws Tochter reden. Alles würde er tun, um die langweiligen Behandlungen abzukürzen. Er war dort fast wahnsinnig geworden. Er hatte eine Wohnung auf der gegenüberliegenden Straßenseite requiriert, deren Fenster direkt auf ihre schauten. Es war ein typischer Wintertag in San Francisco. Feuchter, dunstiger Nebel zog in hauchdünnen Schleiern zwischen den hohen, schmalen Gebäuden hindurch. Dadurch entstand eine immer wieder neue Szenerie, die es schwierig machte, einen Blick auf Heathers Wohnung werfen zu können, trotz der Lichter, die dort brannten. Caleb hatte genug gesehen. »Lügner«, erwiderte Lark. »Dr. Long hat mir gerade erzählt, dass du das Knie immer noch schonst. « »Warum hast du mich dann gefragt? « Er hatte zwar ein neues Knie bekommen, aber einige Schäden an den Muskeln und Nerven davongetragen. Sie würden heilen. Irgendwann einmal. Das taten sie normalerweise immer. Er hatte schließlich genügend Narben, um das zu beweisen. Heather Shaw zu beobachten war aber eindeutig interessanter, als über sein Knie zu diskutieren. Das wiederum versetzte ihn in schlechte Laune und machte ihn noch kribbeliger, wieder zurück zur Arbeit zu können, damit er das endlich abhaken konnte. Den Fotos zufolge hatte sich Shaws Tochter im vergangenen Jahr ziemlich verändert. »Um zu sehen, ob du lügen würdest«, ließ Lark ihn wissen. Zu lügen war das Mindeste, was er tun würde, um wieder arbeiten gehen zu können. »Sowohl der Arzt als auch der Physiotherapeut haben mich aus medizinischer Sicht entlassen. Also hör auf, mich damit zu quälen, meine Süße. Finde etwas für mich. Irgendetwas. Ich flehe dich an. Dieses Herumhängen hat mich reif für die Klapsmühle gemacht. « »Du bist ein Workaholic, Edge Nummer zwei. « »Du sagst das, als sei das was Schlechtes. Jetzt mach schon, Lark. Hilf mir hier raus. Schick mich zu einem exotischen Höllenloch, um irgendeinem Terroristen in den Hintern zu treten. « »Kannst du rennen? « »Besser als die meisten.« Falsch, aber er wollte nicht, dass seine Chefin wusste, dass seine Ärzte Recht hatten. Er war noch nicht wieder ganz auf der Höhe, aber er würde während des Auftrags wieder fit werden. »Und außerdem, seit wann muss ein Edge rennen? Wir tauchen auf und nehmen uns die Leute ein bisschen vor. « »Das kann schon sein, aber du solltest dir trotzdem eine Auszeit gönnen, bis du wieder ganz gesund bist. Stell dir einfach vor, es sei ein Erholungsurlaub. « »Ich will keinen Urlaub. Ich brauche keinen Urlaub. « Lark hatte ein nettes Lachen, selbst wenn sie ihn verspot tete. »Du hörst dich an wie ein trotziger Fünfjähriger. Aber ich stimme dir zu, du kannst deinen Job auch prima hinkend erledigen. Der Finger, den du für den Abzug brauchst, funktioniert ja. Dein Hirn hat keine Schäden - zumindest keine großen - davongetragen bei den Schlägen, die du eingesteckt hast. « »Du bist herzlos, Lark. Ich bin fit wie ein Turnschuh. « Würde sie ihn wieder losschicken? Caleb stellte sich die junge Frau vor, die seine Vorgesetzte war. Mit ihren schwarz- pinkfarbenen Haaren, die sie als Igelfrisur trug, ihrem halben Dutzend Silberringe in jeder Augenbraue und, um Gottes willen, auch noch einem in der Nase, sah Lark Orela wie eine Mischung aus Motorradbraut und Rockerin aus, die auf Gruftimusik stand. Aber hinter diesem blassen Gesicht und dem schaurigen schwarzen Augen-Make-up verbarg sich eine brillante Taktikerin. »Sag mir, was du siehst. « Sie kam wieder auf Heather Shaw zurück. Dies war nur ein »Sich-mal-Umsehen«. Er wollte wieder richtig arbeiten. »Schickst du mich wieder raus? « »Deine Beobachtungen, Edge?« Lark hatte die Art eines freundlichen Pitbulls. Caleb drehte sich um, um die Einzimmerwohnung von Shaw zu scannen. »Wie die Mächtigen doch fallen können. Wie ich gesagt habe, sie ist fast leer. Die Wände sind blank. Keine Bilder. Kein Schnickschnack. Nicht die geringste Kleinigkeit, um ihre Umgebung etwas persönlicher zu gestalten.« Die Decken auf dem schmalen Einzelbett hinter ihr waren zerwühlt. Eine schlaflose Nacht oder ein Liebhaber? Es überraschte ihn, dass sich seine Eingeweide beim Gedanken an einen Liebhaber zusammenzogen. Es war gut, dass er innerhalb der nächsten Stunde bei Kris-Alice in Deutschland sein würde. Das war einer der Vorteile, der zu sein, der er war. Was er war Er konnte sich mit Leichtigkeit teleportieren. Caleb arbeitete für die T-FLAC/PSI-Abteilung. T-FLAC war eine privat finanzierte Antiterror-Organisation. PSI war die Abteilung für übernatürliche Phänomene. Dies hier war keine PSI-Operation. Er befand sich gerade im Silikon Valley und unterzog sich einer unumgänglichen Physiotherapie an seinem Knie - verflucht, es war nur ein kleines Einschussloch gewesen 一 als Shaws Fingerabdrücke identifiziert worden waren. Da er am nächsten war, hatte man ihn beauftragt, Informationen von der Frau zu besorgen. Informationen, die sie dringend benötigten, falls sie überhaupt eine Chance haben wollten, ihren Vater Brian Shaw zu finden. »Lebt sie allein? « »Sieht so aus. « Caleb fand Auszeiten überflüssig. Im Gegensatz zu seinem entspannten jüngeren Bruder Duncan mochte es Caleb, dauernd unterwegs zu sein. Aber sie hatten auf die Auszeit bestanden. Es war schon verdammt nervig, ins Knie geschossen zu werden. Genau genommen müsste er noch drei weitere Wochen pausieren. Doch etwas genau zu nehmen, war noch nie eine seiner Stärken gewesen. Alles, was er jetzt brauchte, war, zu einem Einsatz geschickt zu werden, bei dem er dem Team und seiner Chefin beweisen konnte, dass er wieder in Topform war. Das hier war kein Einsatz. Hier ging es bloß um eine verdammte Unterhaltung. Und noch dazu um eine kurze. Keiner weit und breit, dem er beweisen konnte, dass er die Besten im Laufen, Springen und Schießen immer noch toppen konnte. Selbst jetzt war das Beobachten einer Frau durch ein Fernglas noch besser, als irgendwo an einem sonnenbeschienenen Strand zu liegen und nichts zu tun. Hatte er etwas zu tun, war er glücklich. Ein Einsatz entspannte ihn. Teufel noch mal, nach einer rasanten Mission schlief er nachts wie ein Baby. Heather zu beobachten, hätte ein Schritt in diese Richtung sein sollen. Stattdessen wurde die Anspannung in seinem Körper nur noch größer. Er musste sich zusammenreißen. Und sollte nicht versuchen, sie zu kriegen, dachte er und gab sich in Gedanken eine Ohrfeige, oder ihren perfekten Körper. Dennoch, der bloße Gedanke, mit seinen Fingern durch ihr honigfarbenes Haar zu fahren und seine Hände über die sanfte Rundung ihrer Hüfte gleiten zu lassen, beeinträchtigte ihn bei der Erfüllung seines Auftrags. Es war an der Zeit, sich zu konzentrieren. Jawohl Das war es. Er hatte die Überprüfung von Heathers Wohnraum abgeschlossen. Die Küche nahm eine Ecke des Raumes ein, eine offene Tür führte ins Bad, eine andere Tür, so vermutete er, zum Treppenhaus. Ihr gesamtes Mobiliar bestand aus einem Bett und dem Klapptisch, an dem sie gerade saß. Diese enge, sterile Unterkunft musste jemandem, der im großen Stil gelebt und zur Schickeria gehört hatte, Bauchkrämpfe verursachen. Sie saß an dem Tisch und hielt etwas wie ein kleines Werkzeug in der Hand, mit dem sie einen Stein aus einem Schmuckstück herausholte oder wieder hineinsetzte. Sie produzierte und verkaufte ihre eigenen Schmuckstücke an die Händler vor Ort. So hatte man sie aufgespürt. Ihre Fingerabdrücke waren nach einem Raubüberfall aufgenommen worden, der gestern auf ein Juweliergeschäft stattgefunden hatte. Die örtlichen Polizisten hatten sie mit all den anderen Fingerabdrücken überprüft, die am Tatort gefunden worden waren. Ihre Abdrücke waren nicht in deren Datenbank gespeichert gewesen. Aber in der von T-FLAC. Nicht unter dem Namen Hannah Smith, sondern unter Heather Shaw. Das Juweliergeschäft hatte eine aktuelle Adresse von ihr gehabt. Sie war etwas runder geworden. Das letzte Foto, das man von ihr gemacht hatte 一 anlässlich irgendeiner High-Society Veranstaltung vor einem Jahr in Hongkong -,zeigte sie fast bis auf die Knochen abgemagert. Nun hatte sie mehr auf den Rippen. Nicht dass Caleb besonders viel von ihr hatte sehen können. Schließlich trug sie Jeans und Pullover. Aber ihr Gesicht sah jetzt weicher, anziehender aus. Sein Herz, das anfing, seltsam ungleichmäßig zu schlagen, als er sie zum ersten Mal gesehen hatte, wurde beim Anblick ihrer sanft gerundeten Wangen, ihres seidig flatternden Haars und ihres energisch hervorspringenden Kinns noch schneller. Seine Reaktion auf sie war ... seltsam. Das schnellere Klopfen seines Herzens fühlte sich an wie die Erregung, die der Angst vorausging. Oder der Aufregung? Oder einer Vorahnung? Verdammt, er wusste nicht, was. Und er wollte es auch nicht herausfinden. Lark war diejenige mit den hellseherischen Fähigkeiten, nicht er. Aber alle seine Instinkte signalisierten ihm in großen Leuchtbuchstaben, er solle sich verdammt noch mal von Heather Shaw fernhalten. Und bei seiner Arbeit verließ sich Caleb auf seine Instinkte. Sie hatten ihn noch nie im Stich gelassen. »Erde an Edge Nummer zwei? Lass mir meinen Willen«, sprach Lark sanft in sein Ohr und riss ihn aus seiner Träumerei heraus. »Teuer beschreibt mir nicht wirklich, wie sie aussieht. « Nach mehr. Nach Gefahr. Nach Ärger. »Sie ist nicht mehr blond. « Alle Bilder von Shaws Tochter hatten sie als typisch goldblond gelockte Kalifornierin gezeigt, wobei die Locken ein Gewicht von fünfzehn Pfund gehabt haben mussten. Nun hing das dicke, kerzengerade geschnittene, honigbraune Haar der Frau wie ein schimmernder Vorhang auf die Schultern herab. Eindeutig eine Verbesserung. »Hübsch?« »Nicht besonders.« Nein, nicht hübsch, dachte Caleb, atemberaubend. Verdammt attraktiv. Ihre gleichmäßigen Gesichtszüge ohne Make-up ließen sie jünger aussehen ... verletzlicher erscheinen als auf den Fotos. Er hatte nicht das Gefühl, dass sie vom gleichen Schlag wie ihre Eltern war, aber die reizende Miss Shaw hatte sich in den schnelllebigen, gesellschaftlichen Kreisen ihres Vaters bewegt. Damit war es naheliegend, dass sie nichts Unschuldiges und Verletzliches an sich hatte. »Wen juckt es«, murmelte er, abgelenkt von der Art, wie die Lampe über dem Tisch die karamellfarbenen Strähnchen in Heathers Haar hervorhob. Sie fertigte eine Art Halskette, stellte er fest. Etwas mit Spiralen aus Silber und lilafarbenen Steinen. Hübsch und zart. So hübsch und zart wie ihre schlanken Hände, die die Kette ans Licht hielten. Ihr Haar fiel über die Schulter, als sie den Kopf neigte, um sich ihre Arbeit anzusehen. »Wir haben sie. Schick jemanden vorbei, der sie vernehmen kann. Meine Arbeit hier ist erledigt. « Er ärgerte sich darüber, dass es ihm anscheinend unmöglich war, seine Augen von Shaws einzigem, nunmehr nicht länger vermisstem Kind abzuwenden. Sie zu überwachen, war eine Sache, sie anzugaffen, Herrgott noch mal, eine andere. Und doch, aus einem eigenartigen und vollkommen rätselhaften Grund zog ihn diese Frau in einer Weise an, die er seit Jahren nicht mehr verspürt hatte. Seit Jahren? Noch nie. »Nicht so schnell, Hopalong Cassidy. Das hier ist nun dein Auftrag. « Er runzelte die Stirn. Sosehr er sich einen Einsatz wünschte 一 sei es auch nur um ihn vor weiteren Wasserbehandlungen, Ultraschallmassagen und all dem anderen Mist zu retten 一 dieser hier war es nicht. Zu einfach, zu banal. »Für die Befragung von Shaws Tochter braucht man keinen PSI-Agenten. Ich habe sie gefunden, jetzt bin ich bereit, sie zu übergeben. Wen schicken sie." Ich bleib hier, bis sie oder er da ist. « Sie bedeutete normale Mitarbeiter der T-FLAC. Seine besonderen Begabungen wurden nicht weiter gebraucht werden. Er war nur gerade zufällig in San Francisco, als Heathers Fingerabdrücke in der T-FLAC -Datenbank für Fingerabdrücke auftauchten. Hab dich! »Hiermit ist Shaws Tochter jetzt dein Auftrag. Lass deinen berüchtigten Charme spielen, um so schnell wie möglich an die Informationen heranzukommen.« Für eine Frau, die wie jemand aus der Gothic-Szene aussah, klang Lark Orelas sachlicher Tonfall immer wieder überraschend. An diesem Nachmittag war Widerspruch nicht angebracht. Es ergab keinen Sinn, aber Caleb dachte sich, da er nun schon mal da war, könnte er jemand anderem die Reise ersparen. Fünfzehn Minuten und er hätte es hinter sich gebracht. Er würde mit den Ergebnissen in der Hand seinen Bericht abgeben und dann Lark Orela persönlich nachjagen, um einen Auftrag zu erhalten. Einen richtigen. »Ja, sicher«, sagte er locker. »Ich werde dir Bescheid geben, wenn ich den Aufenthaltsort ihres Vaters herausgefunden habe. « »Viel Glück.« Lark hörte sich ... merkwürdig an? Caleb runzelte die Stirn bei dem sonderbaren Klang in ihrer normalerweise wohlklingenden Stimme. »Habe ich was verpasst? « »Das Leben, die Liebe und die Suche nach Glück?« Nach dieser rätselhaften Botschaft war die Leitung tot. Caleb klappte das Telefon zu und starrte es an. Auf eines konnte man sich verlassen, nämlich dass Lark ein Rätsel war. Sie war eine Mischung aus Magierin, Mutter und einer Nervensäge für alle ihre Agenten, aber als Vorgesetzte gab es niemanden wie sie. Lark konnte gleichzeitig zwischen einem und einundzwanzig Einsätzen jonglieren. Caleb würde sein Leben darauf verwetten, dass Lark in die Zukunft blicken konnte. Sie sprach nie darüber Niemals. Aber diese Fähigkeit hatte zweifelsohne schon vielen Agenten den Hintern gerettet. Ihr Ratschlag und ihre Führung waren stets fundiert und genau richtig. Keiner bestritt das. Wenn Lark Orela sagte: »Spring«, fragten kluge Leute nur, wie hoch. Caleb machte sich nicht mal mehr die Mühe, die requirierte Wohnung noch mal durchzusehen, um sicherzugehen, nichts liegen gelassen zu haben. Hatte er nicht. Er war in die Wohnung hineingeglitten. Genauso würde er sie wieder verlassen. Unbemerkt. Zwei SAN FRANCISCO MONTAG, l6. JANUAR 15:22 Über ihre Arbeitsplatte gebeugt, registrierte Heather das ungewohnte Geräusch der Türglocke unten kaum. Der Nebel war während der letzten Stunden langsam immer dichter geworden, und nun schien sich das undurchdringliche Weiß gegen das Fenster zu pressen und versperrte freundlicherweise die langweilige Aussicht. Sie seufzte zufrieden und genoss den Moment. Sanfter Jazz drang aus dem Radiowecker, und der Becher mit dampfendem Kamillentee neben ihr war beinahe lange genug gezogen und fertig zum Trinken. Sie ignorierte das unbestimmte, merkwürdige Gefühl, das ihr die Nackenhaare aufstellte, und hielt die kompliziert gedrehte Weißgoldhalskette gegen das sanfte Licht, das durch das einsame Fenster in das Apartment fiel. Einen Moment hielt sie inne und bewunderte die handwerkliche Finesse des zarten Schmuckstücks, das sie gerade mit ihren eigenen Händen geschaffen hatte. »Hübsch, verdammt hübsch. « Die Edelsteine waren an zierlichen Drähten aufgehängt. Sie tanzten, reflektierten und warfen glitzernde Funken, die aussahen wie über das Wasser gleißendes Mondlicht und das tiefe Purpurrot eines edlen Weines. »Sehr poeti 一” Mit zusammengekniffenen Augen drehte sie sich um und starrte in den Nebel, der sich gegen das Fenster drängte. Niemand beobachtete sie. Dennoch verspürte sie ein Prickeln im Nacken, eine Art primitives Warnsignal, und fuhr mit ihrer freien Hand darüber. Ihr Herz schlug ein klein wenig schneller. Dieses Schmuckstück würde am nächsten Tag zu Kleins Schmuckgeschäft gehen, ein Spezialauftrag, aber für ein paar Stunden gehörte es ihr. Nun ja, irgendwie würde es immer ihr gehören. Alle ihre Designerstücke waren aus Edelsteinen gefertigt worden - kostbaren und weniger kostbaren 一, die sie direkt aus ihrem eigenen Schmuck herausgebrochen hatte. In diesem Fall waren die sechs runden, schachbrettartig geschnittenen Amethyste, die von drei Zacken gehalten wurden, aus einer Kette, die ihr Vater ihr zum dreizehnten Geburtstag geschenkt hatte. Wegen ihres sentimentalen Wertes betrübte es sie ein wenig, diese zu verlieren. Aber sie würde aus den zurückgebliebenen Steinen noch zwei Paar Ohrringe fertigen können. Die 0,34-karatigen Páve-Diamanten waren Teil eines Armbands gewesen, auf das ihre Mutter bei einem ihrer regelmäßigen Besuche auf dem Flohmarkt in Paris gestoßen war. Heathers Herz schmerzte, wenn sie an ihre Eltern dachte. Gott - wenn nur ... Im vergangenen Jahr war kein Tag vergangen, an dem sie nicht an sie gedacht hatte. Sie vermisste ihre Mutter verzweifelt. Ihr Tod hatte Heather zutiefst getroffen. Der Verlust ihrer Mutter und das Verhalten ihres Vaters, gepaart mit den darauffolgenden Ereignissen, hatten ihre Welt aus den Angeln gehoben und ihr Leben und sie selbst für immer unwiderruflich verändert. Sie hatte nie ganz sicher herausgefunden, ob der Tod ihrer Mutter wirklich ein Unfall gewesen war, wie ihr Vater behauptet hatte, oder Mord. Sie liebte ihren Vater immer noch und wollte verzweifelt an das glauben,was er ihr erzählt hatte. Ihr Verstand riet ihr eine Sache, ihr Herz eine andere. Sie vermisste ihren Vater ebenfalls. Sie hatte nicht die geringste Ahnung, wo er war. Schlimmer noch, sie wusste nicht einmal, ob er noch am Leben war oder schon tot. Er hatte ihr versprochen, eine Anzeige in eine Londoner Zeitung zu setzen, um ihr mitzuteilen, wann sie aus ihrem Versteck kommen konnte. Aber obwohl sie die Zeitung jeden Sonntag gewissenhaft durchschaute, war die erhoffte Nachricht bis jetzt ausgeblieben. Ihr Vater war ein großartiger Mann und hatte unbegrenzte Ressourcen. Sie musste daran glauben, dass er am Leben und gesund war und untergetaucht blieb, bis sich seine Situation geklärt hatte. Situation. Sie zitterte und rieb sich die Oberarme, doch trotz des warmen Kaschmirpullis fror sie. Sie hatte nicht genug Fakten, um herauszufinden, was tatsächlich an diesem Tag vor einem Jahr passiert war. Sie wusste nicht, was den heftigen Streit ihrer Eltern verursacht hatte. Und sie hatte bloß ein paar Gesprächsfetzen gehört. Nichts davon war ausreichend, um zu einer endgültigen Schlussfolgerung zu gelangen. Alles, was sie sicher wusste, war das, was ihr Vater ihr mitgeteilt hatte. Einer seiner Bankkunden glaubte, er habe Geld unterschlagen - eine beträchtliche Summe. Der Kunde war wütend, unberechenbar und bereit zu töten, was ihr Vater letztlich zugegeben hatte, als sie ihm vorschlug, gemeinsam eine Lösung zu suchen. So hatte sie herausgefunden, wer die Kunden ihres Vaters wirklich waren. Heather zitterte. Terroristen. Die hatten für ihren College-Abschluss bezahlt, für ihr Pferd, für ihre Kleider, für das Dach über ihrem Kopf. Terroristen. Mein Gott. Sie presste eine Hand auf ihren nervös hüpfenden Magen. »Wie konnte ich das nicht erkennen?« Die Punkte hatten sich wie zu einem heranrasenden Geschoss verbunden. Der Gedanke, mit wem sie und ihre Mutter all die Jahre verkehrt hatten, ohne die Spur aus Blut und Tod wahrzunehmen, die diese Leute in ihrem Kielwasser zurückgelassen hatten, verursachte immer noch Übelkeit bei ihr. Ihr Vater hatte seine Geschäftsfreunde nicht gerechtfertigt. Nachdem er ihr versichert hatte, die derzeitige Situation sei nichts weiter als ein Missverständnis, ein Buchhaltungsfehler, hatte er darauf bestanden, sie solle verschwinden, bis die Sache geklärt wäre. Was leichter gesagt als getan war. Der Unterschied war, dass er über eine ganze Armee von Sicherheitsleuten verfügte. Die zwei Männer, die er für sie abgestellt hatte, waren tot, und sie war allein. Ihr Vater wusste wenigstens, was los war, während sie im Dunkeln tappte. Trotz allem, sie liebte ihren Vater, aber Heather machte sich keinerlei Illusionen über ihn. Er würde seinen eigenen Hintern retten und erst einmal für seine eigene Sicherheit und sein Wohlbefinden sorgen, bevor er sich daran erinnerte, dass er überhaupt eine Tochter hatte. Trotzdem, egal, wie egozentrisch er war, sie zweifelte nicht an seiner Liebe zu ihr. Irgendwann einmal würde er sich erinnern, und er würde die Anzeige in der Londoner Times schalten. Bis dahin konnte sie es sich nicht leisten, ihr Leben einfach auf Eis zu legen. »Ich hab Dinge zu erledigen und Schmuck herzustellen. Und du bist, wenn ich das mal so sagen darf, ein wahres Prachtstück. « Mit entschlossener Fröhlichkeit polierte sie die Steine geschickt mit einem weichen Tuch. Ein Prachtstück, das mindestens zweitausend hübsche Dollar einbringen würde. »Nicht dass ich mir was aus der Kohle machen würde. Es ist nur so verdammt erstaunlich, dass ich tatsächlich fähig bin, etwas herzustellen, das jemand kaufen will. « Sie grinste. »Und ich rede schon wieder mit mir selbst. « Ohne das zweite Klingeln der Türglocke wahrzunehmen, wickelte sie die Kette vorsichtig in Seidenpapier und legte das Stück in einen kleinen silbernen Kasten. Erst als ihr Besucher einen Finger auf der Klingel hielt, hob sie den Kopf wegen des aufdringlichen Lärms. »Verdammt. Die Bullen sind wieder da. « Das Schmuckgeschäft eines ihrer Kunden war am Vortag ausgeraubt worden. Die Polizei war gestern Abend vorbeigekommen und hatte sie mit ihrem Klingeln zu Tode erschreckt. Gott. Sie presste die Hand auf ihr rasend schnell schlagendes Herz und versuchte, tief und ruhig durchzuatmen. Es war ihr gelungen ihre Fassung zurückzugewinnen, während sie befragt wurde, aber innerlich war sie ein nervliches Wrack gewesen. Ihr gefälschter Pass wäre gut genug gewesen, um selbst die Polizei zu täuschen, aber sie hatten gar nicht danach gefragt. Sie hatten sie nur verhört, weil sie am Tag zuvor in dem Schmuckgeschäft gewesen war. »Haben die gestern nicht genug Informationen bekommen? «, murmelte sie und trat zu dem Fenster, das auf die Straße hinausging. In den Monaten, in denen sie hier in dem Apartment lebte, hatte sie Wert darauf gelegt, sich die Autos aus der Nachbarschaft einzuprägen. Flüchtig überflog sie die geparkten Wagen auf beiden Seiten der nebligen Straße,wobei sie darauf achtete, von unten nicht gesehen zu werden. Keine unbekannten Fahrzeuge. Kein Polizeiauto. Freie Parkplätze waren eine Seltenheit in diesem Stadtteil von San Francisco. Gestern hatte das Polizeiauto in zweiter Reihe geparkt. Heute stand da kein Auto. So viel konnte sie jedenfalls sehen. Also irgendjemand zu Fuß? Das machte sie munter. »Pfadfinderinnen mit Plätzchen?« Sie hatte in den letzten elf Monaten keine Freunde kennengelernt, keine flüchtigen Bekannten, keine persönlichen Bindungen geschlossen. Sie hatte ganz bewusst keine Kontakte zu ihren Nachbarn geknüpft, die über das übliche Grüßen beim Kommen und Gehen hinausgingen. Aber sie hatte gestern im Lebensmittelladen Plätzchen von den kleinen Mädchen in ihren grünen Uniformen gekauft und wusste, dass nur ein paar Häuser weiter drei kleine Pfadfinderinnen wohnten. Nachdem die Polizei gestern Abend gegangen war, war sie so gestresst gewesen, dass sie die ganze Schachtel noch vor dem Abendessen leergefuttert hatte. Mehr Schokolade wäre jetzt prima. Sie hatte sich seit Stunden über ihren Arbeitstisch gebeugt. Plätzchen zum Tee klangen wunderbar an diesem kalten Nachmittag. Sie mochte die Gegend an der Bucht von San Francisco. Das und ihr neues Leben unterschied sie gewaltig von ihrem Jet-Set-Leben früher. Jetzt war alles anders. Zum einen war sie nie länger als ein paar Wochen an einem Ort gewesen. Selbst als sie noch ein Kind gewesen war, hatte sie einen Privatlehrer gehabt, weil ihre Familie so extrem viel reiste. Es war eine Art Nomadentum gewesen, und sie hatte erst bemerkt, wie sonderbar das war, als es vorüber war. Es klingelte wieder. »Ich komme ja schon. « Heather lächelte angesichts der Hartnäckigkeit der kleinen Verkäuferin, während sie ihren Geldbeutel schnappte und leichtfüßig die Treppe von ihrer Wohnung runter zur Haustür lief. Wegen des steilen Hügels auf dem das Apartmenthaus gebaut worden war, befand sich ihre Einzimmerwohnung im zweiten Stock, während ihre Haustür und ihr winziger Eingangsbereich auf Straßenniveau lagen. Fünf weitere Wohnungen waren drumherum angebaut worden wie die Teile eines Puzzles, darüber, darunter und direkt neben ihr. Ein allein stehender Lehrer, zwei junge Flugbegleiterinnen, ein Bankkassierer, eine Fitnesstrainerin und eine Kellnerin mit ihrer kleinen Tochter. Jeder mit seinem eigenen Hauseingang. Das war in etwa das, was sie über ihre Nachbarn wusste. Was sie zu wissen wagte. Sie musste sich ständig daran erinnern, dass die Isolation zwingend erforderlich war. Ihr Vater hatte sie gewarnt vor dem, was passieren könnte, wenn sie gefunden würde. Sie hatte es kapiert. Junge, sie hatte es wahrhaftig kapiert. Aber Herrgott - sie vermisste zwischenmenschliche Kontakte, die Wechselwirkung zwischen zwei Menschen, das Geben und Nehmen von Vertrauen. Sie musste ständig auf der Hut sein. Sie konnte es sich nicht leisten, jemanden an sich heranzulassen. Seit fast einem Jahr hatte sie niemanden mehr berührt, oder war mit jemandem im Bett gewesen. Es fühlte sich an, als hätte sie ewig keinen physischen Kontakt mehr gehabt, mit Ausnahme eines unpersönlichen Händeschüttelns. Sie fühlte sich ... unsichtbar. Natürlich war sie dankbar und glücklich darüber, am Leben zu sein, aber die ständige Angst, das ständige Über-die- Schulter-Schauen, das ständige Wissen, dass sie in ihrer Wachsamkeit nie nachlassen durfte, begannen sie aufzureiben. Und sie war einsam, verzweifelt einsam, zum ersten Mal in ihrem Leben. Die Einsamkeit war beinahe zu einer physischen Last geworden. Für eine normalerweise aufgeschlossene, gesellige Person war dies die Hölle. Als säße man auf unbestimmte Zeit in Einzelhaft. Elf Monate Isolation. Sie war weiß Gott kein negativer Mensch, war sie nie gewesen. Ihr Leben war angefüllt gewesen mit schönen Kleidern, Partys und Einkaufstrips. Niemand hatte ihr jemals Grenzen gesetzt. Sie hatte ein Leben voller Privilegien und Vergnügungen gelebt, ohne sich Gedanken über ihre Zukunft zu machen, oder wie sie sich fühlen würde, wenn dies alles nicht mehr existierte. Dann hatte sich ihr Leben im letzten März mit einem Wimpernschlag verändert. Sie hatte früher immer ewig gebraucht, um Entscheidungen zu treffen, ein lediglich amüsanter Charakterzug, wenn diese Entscheidung nur darum ging, welchen Designer man bevorzugte. Nicht so verdammt amüsant, wenn jede Entscheidung Leben oder Tod bedeuten konnte. Wenn die richtige Entscheidung möglicherweise im Bruchteil einer Sekunde gefällt werden musste. Allein der Gedanke, diesen Prozess noch einmal durchstehen zu müssen, ließ sie in nervösen Schweiß ausbrechen. Dieses vergangene Jahr war ein harter Lernprozess für sie gewesen. Aber sie hatte gelernt, sich auf sich selbst zu verlassen. Gelernt, schnellere Lebensentscheidungen zu treffen. Gelernt... sie alleine. Seit ihr nach San Francisco gezogen war, hatte sie sich beigebracht, wie man ein Scheckheft ausgeglichen führte, wie man kochte und seine Wäsche erledigte. Dinge, die andere Frauen für selbstverständlich erachteten, waren Meilensteine des Erfolges für sie. Sie war verdammt stolz darauf, was aus ihr geworden war. Nur leider gab es niemanden, der ihre Kleinen Triumphe mit ihr teilte, dachte sie ironisch. »Ha! Vielleicht geht es darum beim Erwachsensein. Gute Entscheidungen ohne jeglichen Beifall zu treffen.« Es war nun fast ein Jahr her, und die hatten sie nicht gefunden. Sie entschied sich, kein »noch« hinzuzufügen. Sie baute sich ein nettes kleines Geschäft auf. Sie lebte in einer schönen Stadt und war am Leben. Im Augenblick war das genug. Eines Tages würde ihr Vater die »Alles klar«-Anzeige in der Sonntagsausgabe der Londoner 1 imes platzieren, und sie würde wissen, dass es vorbei wan Bis dahin würde sie lernen und wachsen und ein vollwertiges Mitglied der Gesellschaft werden. O maman dachte Heather wehmütig. Schau mich an: Ich bin unabhängig. Wer hätte das gedacht? Sie lächelte. Zum Glück konnte sie sich auf ihre lebhafte Fantasie verlassen, um bei Laune zu bleiben. Diese Fantasie kam auch jetzt ins Spiel, als sie wieder das Prickeln spürte 一 irgendetwas, 一 eine unerwartete Welle der Aufregung, während sie sich der Haustür näherte. In der langen z-eit des Alleinseins hatte sie eine ziemlich blühende Vorstellungskraft entwickelt, die hauptsachlich auf den romantischen alten Filmen basierte, die sie oft anschaute, um den Überdruss ihrer Einsamkeit in den rruhen Morgenstunden zu durchbrechen. Sie stellte sich vor, dass sie die Tür öffnen und einen gut aussehenden, harmlosen Mann auf ihrer Türschwelle finden würde. Irgendeinen normalen Kerl, der einen gewöhnlichen, geregelten Arbeitstag hätte. Einen netten Typ, der angenehme Freunde und eine liebevolle Familie haben und sie - natürlich -bis zum Wahnsinn lieben würde. Ein Mann, der ihr direkt in die Augen schauen würde, wenn er mit ihr sprach. Ein integrer, rechtschaffener, ehrbarer Mann, grundsolide und zuverlässig. Oder, und sie grinste, er wäre umwerfend gut aussehend, oberflächlich und heiß im Bett. Hatten wir alles schon mal, aber das war bereits eine ganze Weile her. Eine höllisch lange Weile, wurde ihr klar. Hm. Er würde in ihre Augen schauen und sie ohne ein Wort in seine starken Arme reißen und sie forttragen. Nicht für »Und wenn sie nicht gestorben sind . . .«, einfach nur für eine heiße, schnelle, leidenschaftliche Begegnung. Das waren bloß Fantastereien. In Wirklichkeit würde sie die Tür öffnen, eine kleine Pfadfinderin vorfinden, ihr Plätzchen abkaufen und alle auf einmal essen. An diesem Punkt in ihrem Leben war ein Minz plätzchen sicherer als ein kurzes Abenteuer mit einem gut aussehenden Kerl. Bzzzz-bzz-bzzz. »Ich komme schon! « Heather lächelte als sie leichtfüßig die Treppe herunterlief. »Warte mit den Plätzchen, ja? Augenblick«, rief sie durch die Tür hindurch, während sie mehrere Sicherheitsschlösser öffnete, sowohl Zylinderschlösser als auch elektronische. Am Tag, als sie eingezogen war, hatte sie die Haustür durch ein metallenes Hochsicherheitsmodell ersetzt. Kein Guck loch. Die Tür war zu dick. Deshalb ließ sie fünf Schlösser installieren, außerdem eine verstärkte Platte auf jeder Seite, um daran die dickste Sicherheitskette zu befestigen, die sie finden konnte. »Sieg«, murmelte sie, als sich das letzte Schloss löste und sie die Türe einen Spaltbreit öffnete. Weil sie ein kleines Mädchen erwartet hatte, brauchte sie eine Sekunde lang, um sich auf den groß gewachsenen Mann einzustellen, der von weißem Nebel um wabert vor ihrer Eingangstür stand. Ihr Herzschlag beschleunigte sich heftig, und ihr Mund wurde staubtrocken. Dumm. Dumm, einfach so die Tür zu öffnen. Möglicherweise tödlich. Heather begegnete seinem Blick in dem schmalen Spalt zwischen Tür und Pfosten mit höflich ausdruckslosen Gesichtszügen. Seine Augen waren schwarz wie Tinte, eindringlich. Obwohl er Respekt einflößend aussah, war ihr sofort klar, dass dieser Kerl kein Polizist war. Er war beeindruckend groß und breitschultrig. Trotz des frostigen Januarwetters trug er nur Jeans und ein schwarzes T-Shirt. Er lächelte nicht. Seine Augenfarbe war eine Mischung zwischen dunkelblau und aquamarin, seine Nase war gerade, seine Lippen zusammen- gepresst, sein Kinn schimmerte dunkel dank eines Bartschattens. Und das um drei Uhr nachmittags. Er sah niederträchtig aus. Mehr war nicht notwendig. Ihr Herz begann heftig zu pochen, und ein eiskalter Angstschauer schwappte über sie hinweg. Lauf. Zu offensichtlich. Sie sog einen tiefen Atemzug kalter, nebliger Luft ein, vermischt mit einem schwachen Hauch Männlichkeit. Ihre Nackenhaare sträubten sich. »Kann ich Ihnen helfen? «, fragte sie höflich, während sie sich wünschte, sie hätte nach ihrer Waffe gegriffen, bevor sie die Treppe heruntergerannt war. Auf ihrer angsterfüllten Flucht war es ihre letzte Zuflucht, ihre Rücken-zur-Wand, Keine-andere-Wahl-mehr-Verteidigung, gewesen, sich eine Waffe anzuschaffen. Sie hatte diese in San Cristobal gekauft, wo sie sich auch ihre falschen Papiere besorgt hatte, nachdem jemand versucht hatte, ihr Auto von der Straße abzudrängen. Man hatte ihr garantiert, die Waffe würde beim Sicherheit Scheck am Flughafen nicht auffallen, und das war sie auch nie. Sie war kleiner als ihre Handfläche. Monatelang hatte sie immer und immer wieder trainiert, die kleinen Einzelteile zusammenzusetzen, was ihr mittlerweile selbst im Stockdunklen und unter widrigsten Umständen binnen weniger Sekunden gelang. Aber diese verdammte Übung nutzte ihr gar nichts, wenn sie hier war und das Ding im Schrank. »Heather Shaw?« Ihr Herz machte einen Sprung, und ihr drehte sich der Magen um. Gott! Es hatte eine Weile gedauert, aber nun hatten sie sie doch gefunden. Bloß wie? Sie war vorsichtig gewesen. Keine Panik, wies sie sich energisch zurecht, während ein bekanntes Gefühl von Furcht ihr Herz panisch schlagen und ihre Hände feucht werden ließ. Sie atmete tief ein, zwang sich, seinem Blick zu begegnen und antwortete höflich: »Entschuldigung. Nein.« Als sie versuchte, ihre Tür zu schließen bemerkte sie, dass der Kerl die Tür mit seinem gewaltigen Fuß blockierte. Röchelnd schnappte sie nach Luft. »He! Nimm den Fuß raus. Sofort•娘 Ihre Stimme zitterte vor Angst. Vergeblich versuchte sie, die Tür zu schließen. »Mein Name ist Caleb Edge, Miss Shaw. Ich will mit Ihnen über Ihren Vater sprechen. « »Mein Vater ist schon vor Jahren gestorben. Ich bin nicht die Person, die sie suchen. Verschwinden Sie, oder ich rufe die Polizei«, stammelte sie. Ja, sicher. Als ob sie dumm genug wäre, das zu tun. Es musste nur einer vermuten, sie wäre nicht diejenige, die zu sein sie behauptete, und sie würde ihre Siebensachen packen müssen. Schon wieder. Und da war er nun. Der Botenjunge des leibhaftigen Teufels. »Von mir haben Sie nichts zu befürchten, Miss Shaw. Sagen Sie mir bloß, wo Ihr Vater ist, und ich verschwinde. « »Ich bin Hannah Smith, wohnhaft 3249 Front Street«, drang ihre Stimme hinter der soliden Tür hervor. »Hier ist ein männlicher Eindringling. Können Sie bitte sofort jemanden herschicken? Ich fürchte um mein Leben. « »Sie haben kein Handy. « Doch, hatte sie. Dummerweise war es oben. »Wollen Sie darauf wetten? Ich hab auch ’ne Waffe. « Auch oben, verdammt. »Ich bin zwar ’ne miese Schützin, aber ich bin sicher, das macht nichts, wenn ich aus so kurzer Distanz auf Sie schieße. « Sie konnte sich zwar kaum vorstellen, tatsächlich auf jemanden zu schießen, aber wenn es um Leben oder Tod ginge, dann würde sie es tun. »Sie müssen mich nicht hereinbitten.« Sein Tonfall war sanft. Ruhig. Leidenschaftslos. All das, was sie nicht war. »Wie wäre es, wenn wir einfach durch die Tür reden würden? « Ihn hereinbitten? War er verrückt? »Wer sind Sie? Ein Irrer? Sie erschrecken mich zu Tode! Wenn Sie reden wollen, nahmen Sie den Fuß aus der Tür und hören Sie auf, mich einschüchtern zu wollen. « »In Ordnung. Nein, nicht 一 verdammt noch mal! « Im selben Augenblick, da er den Fuß wegzog, schlug Heather die Tür zu und ließ alle fünf Schlösser einrasten. Dann drehte sie sich um und rannte die Treppe rauf, als wäre der Leibhaftige hinter ihr her. Bzzzbzzbzzz. Gefunden, entdeckt und wahrscheinlich kurz davor umgebracht zu werden. Sie rannte schneller. »Verdammt. Verdammt. Verdammt! « Sie war in San Francisco nicht mehr sicher. Mit jedem Schlag ihres wie verrückt klopfenden Herzens erwartete sie, die Schritte des Fremden auf den blanken Treppenstufen hinter sich zu hören. Völlig außer Atem stürzte sie in ihre Wohnung, schlug die Tür hinter sich zu und verriegelte auch deren Schloss. Hau ab. Jetzt. Sonst bliebe ihr keine Alternative. Heather nahm die Waffe aus der obersten Schublade ihres ansonsten leeren Schranks und löste den Sicherungsbolzen. Falls es der Kerl irgendwie durch die Haustür schaffen sollte, und er sah weiß Gott so aus, als könnte er das schaffen, dann würde sie ihn erschießen. Würde ihn erschießen müssen. Weil der Mann den sie dieses Mal geschickt hatten, nicht so aussah, als könnte man ihn überrumpeln oder ihm davonlaufen. Dieses Mal hatten sie Erfolg gehabt. Dieser Kerl würde sie umbringen. Sie lauschte zum Treppenhaus hin und riss mit einer Hand ihren bereits gepackten Koffer aus dem großen, leeren Kleiderschrank heraus und warf ihn aufs Bett. Es dauerte nur ein paar Augenblicke, um die wenigen Habseligkeiten hineinzuschmeißen, die sie ausgepackt hatte. Und mit jedem Herzschlag erwartete sie, dass der Killer die Tür eintreten würde, die noch zwischen ihnen lag. Drei SAN FRANCISCO SONNTAG, I5. JANUAR 12:32:51 Er hatte sich bei ihrer ersten Begegnung wie ein Elefant im Porzellanladen aufgeführt, dachte Caleb, während er Heather am Tag vor dem vermasselten Treffen in ihrer Wohnung in den Lebensmittelladen hinterherhinkte. Der zweite Versuch war ebenfalls schiefgelaufen, erinnerte er sich verärgert, weshalb er diesen Trip zum Einkaufen nun »noch einmal« machte. Seine besondere und einzigartige Fähigkeit, die Zeit manipulieren oder zurückspulen zu können, war in der Regel ziemlich nützlich - besonders in lebensgefährlichen Situationen. Dieser Vorfall war aber schwerlich als solcher zu bezeichnen, und er war nicht eben begeistert, einen seiner Vorräte fürs ganze Leben zu verschwenden, in dem er diesen für die reizende Miss Shaw benutzte. Auch wenn die Nachwirkungen eines Zeitsprungs nicht lebensgefährlich waren, so waren sie dennoch ärgerlich. Noch Stunden danach empfand er Übelkeit und ein Schwindelgefühl, und seine Fähigkeit, sich teleportieren zu können, war beeinträchtigt. Er war zuerst um vierundzwanzig Stunden zurückgesprungen und dann noch einmal um zehn Minuten. Hier war er nun und fühlte sich wie ein Besoffener nach einem dreitägigen Besäufnis, während er Heather zum zweiten Mal an diesem tristen, regnerischen Sonntagmorgen in den Lebensmittelladen folgte. Sei künftig vorsichtiger mit dem, was du dir wünschst, dachte er verdrossen. Er hatte in den aktiven Dienst zurückkehren wollen. Und da war er nun. Verfolgte eine Frau in ein verdammtes Lebensmittelgeschäft. Mit dem kleinen roten Plastikkorb kam er sich wie ein Trottel vor. Wie kompliziert würde es sein, Shaws Tochter eine simple Fragen beantworten zu lassen? Frage: Wo ist dein Vater, der Drecksack? Antwort: Argentinien. Oder Irak. Oder Bumfuck, Indiana. Einfach. Kein Wirrwarr, kein Brimborium. Im Grunde genommen würde sein erster Versuch, ihr zu begegnen - das Mal, als sie ihm buchstäblich die Tür vors Gesicht geknallt hatte erst morgen stattfinden. Er hatte die Zeit zurückgedreht - hatte ein TiVo gemacht, wie sein Bruder Duncan immer zu sagen pflegte, um eine neue Chance zu bekommen. Idiot. Natürlich hatte er sie erschreckt. Er hatte es ihrer Stimme angehört und es deutlich in ihrem Gesicht geschrieben gesehen, als sie versucht hatte, die für zu schließen. Und in Anbetracht der Typen, die nach ihrem Vater suchten, hatte sie auch allen Grund zur Panik. Heather war aus gutem Grund untergetaucht, und trotzdem war er in ihr Leben hineingeplatzt, als ob er ein Recht hätte, dort zu sein. Seine Lippen verzogen sich zu einem Lächeln. Vermutlich war er wirklich der Idiot, als den sie ihn bezeichnet hatte. Nun, da er ihre Angst verstand, hatte Caleb sich entschlossen, vierundzwanzig Stunden zurückzuspringen. Er hoffte, er würde mehr Glück haben, wenn er auf neutralem Boden an sie herantrat. Das Lebensmittelgeschäft war ein geeigneter Ort. Aber dummerweise war ihm nach weniger als einer Minute Anmache klar geworden, dass Heather sich nicht für dumm verkaufen ließ. Sie hatte nichts mit ihm zu tun haben wollen. Sie hatte ihn kühl abblitzen lassen und den Laden verlassen, ohne einzukaufen. Wenn man beim ersten Mal kein Glück hatte, dachte er grimmig und beobachtete sie, geht man einfach zehn Minuten zurück und versucht es noch einmal. Aller guten Dinge sind drei. Es musste so sein. Ihm gingen die Alternativen aus. Abgesehen davon, hatten ihn die Zeitsprünge so kurz hintereinander ausgelaugt. Um ihn dieses Mal loszuwerden, brauchte sie nur feste zu pusten. Der Gedanke an Heather mit geschürzten Lippen irgendwo in seiner Nähe ließ ihn beinahe auf der Stelle ohnmächtig werden. Er schüttelte den Kopf. Sie war zu heftig für sein Blut. Ihr Marktwert rangierte völlig außerhalb seiner Reichweite. Sie war mit Prinzen und Herzögen und Industriemagnaten ausgegangen. Sie hatte mit Präsidenten und Königen zu Abend gegessen und vermutlich noch so einiges mehr. Natürlich, grübelte er, während er ihren sanften Hüftschwung beim Gehen beobachtete, wen kümmerte es schon, mit wem sie zu Abend gegessen hatte, wenn sie nackt unter ihm im Bett lag. Er stöhnte beinahe auf. Wird nicht passieren. Komm runter, Junge. Wenn er nicht hier wäre, um die Infos über ihren Vater aus ihr herauszuquetschen, hätte Caleb auf der Stelle kehrtgemacht. Schnell. Es gab Dutzende guter Gründe, dieser Frau aus dem Weg zu gehen. Abgesehen von ihrem High-Society-Umfeld. Abgesehen von den Verbindungen ihres Vaters zu einigen der mächtigsten und gefährlichsten Terroristen der Welt. Abgesehen von ihrem unvorstellbaren Reichtum. Neben all jenen nerv tötenden kleinen Hindernissen gab es noch ein viel größeres Problem. Er war verflucht, und hatte nicht die Absicht, irgendetwas zu beginnen, von dem er wusste, er würde es nie beenden. Niemandem war es bisher gelungen, den fünfhundert Jahre alten Familienfluch zu bezwingen, und er hatte nicht die Absicht, es zu versuchen. Dennoch, sie hatte einen erstaunlichen Effekt auf seine Libido. Ihre Anziehung auf ihn war heftiger und stärker als alles, was er bisher empfunden hatte. Er hatte Frauen verlassen, die ihn weniger in Versuchung gebracht hatten als Heather Shaw. Aber das hier war etwas Geschäftliches. Hier konnte er sich nicht einfach so aus dem Staub machen. Nicht solange er nicht das hatte, was er brauchte. Er hoffte verzweifelt, er würde die Informationen schnell bekommen. Sie griff nach einer Packung Erdbeeren aus dem Gewächshaus und drehte die Plastikbox um - einfach so 一, um am Boden nach verdorbenen Fruchten zu schauen, dann hob sie sie an ihre Nase und atmete ein - einfach so. Danach legte sie die Packung in ihren Korb. Auch einfach so. Haben wir alles schon mal erlebt. Caleb änderte die Richtung, während sie weiter durch die Obst- und Gemüseabteilung schlenderte 一 der Auswahlprozess würde etwas mehr als sieben Minuten dauern 一, und ging langsam den parallel verlaufenden Gang hinunter. Dieses Mal wurde er sie den ersten Zug machen lassen. Vier Heather ging um einen Turm mit Dosensuppen im Sonderangebot herum auf den Gang mit den Backwaren zu. Zur Hölle mit dem überhöhten Preis für die Erdbeeren, sie war in der Stimmung, heute Abend zu feiern. Die reifen roten Beeren lagen neben einer gewaltigen Backkartoffel am Boden ihres Korbes. Sie hatte ein weiteres Geschäft als Kunden für ihren Schmuck hinzugewonnen, und der hatte am Freitag eine umfangreiche Bestellung aufgegeben. Als sie abgehauen war, hatte sie ihren gesamten Schmuck und den ihrer Mutter mitgenommen. Der Schmuck war jedoch viel zu leicht wiederzuerkennen, als dass man ihn verkaufen konnte. Die Armbänder, Ketten und Ringe waren ein Vermögen wert, und alles war speziell für ihre Mutter und sie angefertigt worden. Ihre französischstämmige Mutter und sie waren für ihren Vater lebende Trophäen zum Angeben gewesen, um seinen »Bankkunden« seinen Reichtum und Erfolg vorzuführen. Jedes unverwechselbare Muck, das Heather zusammenschmolz und umarbeitete, bereitete ihr doppelter Nervenkitzel. Endlich benutzte sie ihre Geschicklichkeit als Künstlerin, um den einfachen, stilvollen Schmuck herzustellen, den sie bevorzugte, und verdiente so gleichzeitig ihr Geld. Es war ein erbärmlich kalter und regnerischer Tag, und es hielten sich am Sonntagnachmittag nicht viele Kunden im Lebensmittelladen auf. Eine Gruppe Pfadfinderinnen und ihre Mütter drängten sich an einem Tisch vor den Eingangstüren des Geschäftes zusammen, und Heather beschloss, auf ihrem Rückweg kurz bei ihnen haltzumachen und ein paar Packungen Minzplätzchen für ihre einsame Feier zu Hause zu kaufen. Ein gutes Buch, eine heiße Tasse Tee und eine Packung Plätzchen klangen perfekt. Und zum Abendessen ein schönes dickes Steak anstelle eines der ausgefallenen Rezepte, die ihre ganze Konzentration benötigten. Dazu ein oder zwei Gläser Champagner... »Wollen Sie darum kämpfen? « Die tiefe Stimme, die unerwartet direkt hinter ihr ertönte, ließ sie zusammenfahren. Mit der Hand auf ihrem wild pochenden Herzen wirbelte sie herum. Der Mann war breitschultrig und gut fünfzehn bis zwanzig Zentimeter größer als sie, und sie war schon eins siebzig groß. Groß, dachte sie atemlos. Grundgütiger, er riecht gut, war der nächste flüchtige Gedanke. Trotz des frostigen Wetters trug er nichts weiter als ein schwarzes T-Shirt, Jeans und Laufschuhe. Regentropfen schimmerten in seinem kurzen schwarzen Haar. Er hielt einen leeren roten Einkaufskorb in einer Hand, als würde dieser nicht zu ihm gehören. Als sich ihre Augen trafen, verschwand das Lächeln, das seine Lippen umspielte. Eine warme Woge schoss durch sie hindurch, und sie musste heftig schlucken. Sie verspürte ein befremdliches Gefühl der Verbundenheit und hatte die starke Empfindung eines Dejä- vu-Erlebnisses. Sie kannte ihn nicht, aber irgendetwas an seinem Gesicht kam ihr vage bekannt vor. Der Winkel seiner Nase, die kleine Narbe, die seine linke Augenbraue durchzog, schien ihr vertraut. Seine Augen waren von anziehendem Dunkelblau mit einem Hauch Aquamarin, sein schmales Gesicht war blass unter der Bräune. An seiner Haltung und seinem Gesichtsausdruck war nichts Bedrohliches. Gott sei Dank. Aber er sah auf andere Art gefährlich aus. Gefährlich für Frauen im Allgemeinen, vermutete sie. Da war diese Piraten-, Böse-Jungen-, Herzensbrecher-Aura um ihn herum, die ihr Herz in einer völlig normalen »Frau-trifft-attraktiven-Mann- Reaktion« doppelt so schnell schlagen ließ. Sie ließ ihre Hand mädchenhaft an ihre Brust sinken und trat einen Schritt zurück, obwohl sie das lächerliche Verlangen verspürte, ihre Hand auszustrecken und mit ihren Fingern durch sein nasses Haar zu streichen und ihm die nassen Tropfen von der Haut zu lecken. Stattdessen schlang sie ihre begierigen Finger um den Griff ihres Korbes und neigte den Kopf, um ihm ins Gesicht zu sehen. »Entschuldigung. Was haben Sie gesagt? « »Der letzte Laib Weizenbrot mit Honig?« Verblüfft blickte sie von seinen lächelnden blauen Augen hinüber zum Regal. Nur noch ein Laib ihres Lieblingsbrotes war übrig. »Sie haben eine Weile lang drauf gestarrt«, sagte er ernst, als sie ihm eine Antwort schuldig blieb. »Bitte, nehmen Sie es. « Er nahm es wie einen Football und reichte es ihr. »Ich würde nicht wollen, dass Ihre zwölf Kinder morgen früh ohne ihr Frühstück auskommen müssen, nur weil ich es für mein einsames Abendessen heute haben wollte. « »Sieben. « Als er verständnislos schaute, erklärte sie mit einem Lächeln: »Sieben Kinder. Nicht zwölf. Danke. « Sie nahm den Laib und legte ihn auf die Erdbeeren in ihrem Korb. »Ihr Ehemann kann sich glücklich schätzen. « »Das sag ich ihm jeden Abend, wenn er den Siebenlingen bei den Trigonometrie Hausaufgabene hilft.« Er unterdrückte ein Lachen. »Tapfere Frau.« Egal, wie groß die Versuchung war, stehen zu bleiben und weiterzuleben, Heather wusste, dass sie das Gespräch abwürgen musste. In ihrem Leben war derzeit kein Platz für einen Mann. Schon gar nicht für einen so verlockenden wie diesen hier. Noch vor nicht allzu langer Zeit hätte sie das interessierte Kribbeln in ihrem Bauch genossen, die Art, wie ihr Atem stockte und ihr Herz einen Schlag aussetzte. Einen Typen mit einem Lächeln zum Steinerweichen in einem Lebensmittelgeschäft zu treffen war nie eine ihrer Fantasien gewesen, aber sie könnte durchaus damit leben. Ein Schmerz, rein sexuell und absolut unerwartet, breitete sich in ihr aus, während in ihrem Kopf eine Diashow von Möglichkeiten ablief. Innerhalb weniger Sekunden stellte sie sich ihn in ihrem Bett vor, ihre Körper in den Laken ineinander verschlungen, während er zauberhafte und aufregende Dinge mit ihr anstellte. Die sie erwiderte. Ihre Finger krampften sich um den Griff ihres Einkaufskorbs. Wow. Das war ein erstes Mal. Normalerweise drehten sich ihre Gedanken beim Kennenlernen eines neuen Mannes um ein Abendessen, eventuell einen Showbesuch. Sie wäre die Erste, die zugeben würde, dass sie eine Weile brauchte, um mit einem Mann warm zu werden, und noch länger, bevor sie sich entschloss, mit ihm zu schlafen. Aber nicht mit diesem Mann. Nein, ihre Vorstellungskraft hatte die Vorspeise und das Hauptgericht übersprungen und war direkt zum Dessert übergegangen. Vergiss das Weizenfrüchtebrot, sie wollte Sex. Mit ihm. Jetzt. Aber das war ungefähr ebenso wahrscheinlich wie ihr erfundener Ehemann und die Kinder. Er hielt sie für tapfer? Beinahe hätte sie laut gelacht. »Sie haben keine Ahnung«, antwortete sie ehrlich und zwang sich, ihre Hand zum Gruß zu heben, bevor sie sich wegdrehte. Heather spürte die Hitze seines eindringlichen aquamarinblauen Blickes auf ihrem Rücken und überquerte den Gang, um ein Glas Aprikosenmarmelade zu holen. Sie wusste, dass er hinter ihr war. Er war ihr zur Marmelade gefolgt, obwohl er diese wahrscheinlich gar nicht brauchte. So verlockend es war, stehen zu bleiben und noch ein paar Minuten mit ihm zu flirten, war es doch besser, es zu lassen. Einsamkeit würde sie nicht umbringen. Und es würde nicht mehr lange dauern, bis sie zu einem Leben mit einem randvollen gesellschaftlichen Terminkalender und Dutzenden sexy Typen zurückkehren würde, die darum wetteiferten, mit ihr zu flirten und noch mehr. Das Gefühl, beobachtet zu werden, war zu stark, sie warf einen verstohlen Blick hinter sich. Er stand immer noch in der Mitte des breiten Ganges. »Hab Sie erwischt«, sagte er lächelnd. Heather konnte nicht anders, als zurückzulächeln. Nur ein Lächeln. Sie hätte wohl nervös sein sollen, aber er kam ihr nicht bedrohlich vor. Eigentlich löste seine Gegenwart sogar ein warmes und beinahe vertrautes Gefühl in ihr aus. Grundgütiger, es hatte Spaß gemacht, mal wieder zu flirten. Selbst wenn es nur für ein paar Sekunden gewesen war. Sie war früher mal gut darin gewesen. Das war noch so etwas, was sie vermisste und nicht haben konnte. Das Gefühl musste ihr genügen, ermahnte sie sich streng. Sie war nicht außer Gefahr. Noch nicht. Sie fand die Marmelade und ging, ohne sich umzudrehen, weiter den Gang hinunter, obwohl sie spürte, dass der Mann den Wink verstanden hatte und sich um seine Angelegenheiten kümmerte. Die Erkenntnis deprimierte sie und machte sie einsamer als je zuvor. Sich selbst im Zaum zu halten und etwas vorzugeben, was sie nicht war, zehrte mehr an ihr, als sie gedacht hatte. Obwohl sie vorher auch nicht besonders begeistert von ihrem Leben gewesen war. Vielleicht würde sie eines Tages etwas finden,das zwischen dem Leben als nutzloser Barbiepuppe, die von einer Party zur anderen um den Globus jettete, und dem einer Schmuck- Designerin lag, die sich ohne Privatleben in einem Einzimmerapartment verkroch. Es musste einen Mittelweg geben. Während sechsundzwanzig ihrer siebenundzwanzig Lebensjahre hatte sie den Weg des geringsten Widerstandes gewählt. Sie hatte Verkleiden gespielt, seit sie ein Plastikdiadem auf ihrem Kopf balancieren konnte, und nie zurückgeschaut. Alles, was sie tun musste, um die Leute glücklich zu machen, war lächeln, hübsch aussehen und aufmerksam zuhören. Sie war das einzige Kind reicher Eltern, die sie verhätschelten und nie irgendetwas von ihr erwartet hatten. Ihre Mutter und sie standen sich - hatten sich - nahegestanden. Aber Heather schämte sich ein wenig dafür, wie sehr sie immer versucht hatte, ihrem Vater zu gefallen. Sie hatte ihn angebetet und gewusst, dass er sie liebte. Aber er beurteilte sie auch. Und in ihrem Alter sollte es nicht mehr wichtig sein, genauso zu sein, wie er es von ihr erwartete. Denn was war sie letztendlich geworden - oberflächlich und nutzlos wie Zuckerwatte. Doch von einem Moment zum anderen hatte sich im vergangenen März alles geändert, als sie ihn über den leblosen Körper ihrer Mutter gebeugt stehen sah. Die Szene in ihrem Pariser Salon an jenem verhängnisvollen Samstagnachmittag war monatelang wie ein endloser Film in ihrem Kopf abgelaufen. Es sei ein Unfall gewesen, hatte ihr Vater beharrt. Natürlich war es das. Ihre Eltern hatten einander geliebt, und in dreißig Jahren Ehe war nie ein böses Wort zwischen ihnen gefallen. Sie war durch den Tod ihrer Mutter am Boden zerstört gewesen und hatte gleichzeitig große Angst gehabt, dass die französische Polizei ihrem Vater nicht glauben würde, wenn er ihnen erzählte, seine Frau sei während eines Streites hingefallen. Die Begebenheiten und Umstände hatten verdächtig ausgesehen, selbst für Heather, die nur Minuten nach dem Unfall die Treppe runtergekommen war. Zu Tode verängstigt, hatte Heather getan, was ihr Vater von ihr verlangt hatte. Sie war geflohen. Komm drüber hinweg, ermahnte sie sich streng. Du bist jetzt Hannah Smith. Du bist am Leben. Du wirst dein Leben zurückbekommen. Eines Tages. Grundgütiger, sie wurde rührselig. Sie brauchte Schokolade! Sie benötigte immer noch ein paar Sachen 一 zum Beispiel ein großes, saftiges Steak und eine kleine Flasche Champagner Dann die Pfadfinderplätzchen und ab nach Hause. Sie schnappte sich sogar ein paar Klatschblätter an der Kasse, damit sie über ein paar alte Freunde auf dem Laufenden blieb. Je mehr Zeit zwischen damals und jetzt verging, desto wohler fühlte sie sich in ihrer neuen Haut als Hannah Smith. Aber zu wissen, was außerhalb ihrer Inselwelt vorging, hatte immer noch den Reiz, ein wenig mit ihrem alten Leben als Heather Shaw verbunden zu sein. Manchmal vermisste sie ihr altes Leben. Meistens tat sie es nicht. Erst nachdem sie geflohen war, hatte sie bemerkt, wie unbefriedigend es gewesen war. Ihr war nie klar gewesen, welch enormer Gefahr sie ausgesetzt gewesen war wegen der Leute, mit denen sich ihr Vater umgab. Die Leute, die sie und ihre Mutter für Freunde hielten. Die Familien und Freunde der Bankkunden ihres Vaters. Wie hatte sie so blind sein können? So unglaublich leichtgläubig? So verdammt dumm? Sie hielt sich für halbwegs intelligent. Warum hatte sie sich nicht gefragt, wie die Bankkunden ihres Vaters die Vermögen angehäuft hatten, die sie ihm zur Verwaltung anvertrauten? Starke Hände griffen nach ihren Armen, als sie um eine Auslage mit Dosenbohnen bog und ihn beinahe umrannte. »Halt«, sagte er mit einem Lächeln. »Wo ist das Feuer? « Es war derselbe Kerl, der ihr das Brot gegeben hatte. »Es tut mir leid. Bin ich Ihnen -« Sie stieg von seinem Fuß. Hitze schoss ihr den Hals hinauf. »Entschuldigung. Ich habe nicht darauf geachtet, wohin ich gehe. « Dämonen davonzulaufen klappte selten. Seine blauen Augen blickten gut gelaunt, als er die Hände sinken ließ. »Nichts passiert. Nett, Sie wiederzusehen.« Gott sei Dank marschierte er ohne auf eine Antwort zu warten weiter zum Gang mit den Tiefkühlprodukten und öffnete einen der Gefrierschränke. Heather fühlte sich wie eine Idiotin, drehte sich um und stellte sich in die Schlange an der Fleischtheke im hinteren Teil des Ladens. Sie traf eine blitzschnelle Steak-Entscheidung und eilte dann in die Abteilung mit den Milchprodukten, um saure Sahne zu holen. Oh, nein - Er blickte hoch, ein Stück scharfen Cheddar-Käse in der Hand, und fragte mit vermeintlich finsterem Blick: »Verfolgen Sie mich? « Heathers Augen wurden groß. »Nein. Natürlich nicht - nein!« Sie unterdrückte ein Lachen. Mit einem theatralischen Seufzer schmiss er den Käse in seinen Einkaufskorb. »Verdammt. Ein Mann kann doch wenigstens hoffen. « Die festen Muskeln unter seinem eng anliegenden schwarzen T-Shirt ließen ihn ungeheuer sexy wirken. Wow, es war heiß hier drin. »Was ist mit meinem Ehemann und den Kindern? « »Haben Sie tatsächlich einen Ehemann? « »Nein.« Und selbst wenn, wäre er sicher ganz anders als dieser Kerl. Er war definitiv ein Traummann, dachte sie, während ihr Herz raste und ihre Handflächen feucht wurden, und ganz sicher nicht der Vater ihrer zukünftigen Kinder. »Alleinerziehende Mutter?« Sie lächelte. »Nein.« »Wollen Sie welche von mir? « Seine Augen blitzten spitzbübisch. Ihr Puls hüpfte. »Hm«, sage sie schelmisch und tat so, als ob sie darüber nachdachte. »Müsste ich dann sieben haben? « Unglaublich tiefblaue Augen betrachteten sie mit heißblütiger Bewunderung. »Wie wäre es mit dreien? « »Drei sind okay. « Ihr Herz flatterte vor Aufregung in der Brust bei seinen heißen Blicken. Sie leckte über ihre trockenen Lippen. Er starrte sie einen Augenblick lang an, die Augen auf ihrem Mund, und beobachtete die kleine Bewegung ihrer Zunge. Begehren loderte im aquamarinblauen Feuer und löste eine hitzige Reaktion in ihr aus. Zwei Frauen, die gemeinsam mit ein paar Kleinkindern einkauften, wollten vorbeigehen. Er warf ihnen ein charmantes Lächeln zu, das Heather weiche Knie verschaffte. Die beiden jungen Mütter dachten wohl ebenso. Eine errötete, die andere fummelte an ihren Haaren herum. Als sie sich dem Ende des Ganges näherten, begannen sie zu kichern. Als Heather sich wieder zu ihm herumdrehte, war seine Aufmerksamkeit ganz auf sie gerichtet. »Es würden natürlich Jungs sein. « War er näher gekommen? Sie umklammerte ihren Einkaufskorb und fühlte seinen warmen Atem an ihrer Wange entlangstreichen. »Weshalb, natürlich?« Anstatt zurückzuweichen neigte sie ihren Kopf ein wenig mehr, um ihn besser betrachten zu können. Trotz der eisigen Regentropfen, die immer noch an ihrem Mantel hingen, war ihr plötzlich warm 一 extrem warm. »Was wäre, wenn ich lieber sechs oder sieben Tochter hätte? « »Sosehr ich es schätzen würde, zehn wunderschöne Töchter zu bekommen mit Augen wie sonnenbeschienener Whiskey und honigfarbenen Haaren, die alle genauso aussehen wie ihre hinreißende Mutter, tut es mir leid. Wenn Sie auf Töchter bestehen, müssen wir adoptieren. In meiner Familie wurde seit fünf Jahrhunderten kein Mädchen geboren. « Sonnenbeschienene Whiskey und Honig? Heather unterdruckte ein Lächeln. »Tatsächlich?« »Tatsächlich.« Sein Lippen Kräuselten sich, und für einen Moment verschwand jeder rationale Gedanke aus ihrem Kopf. »Heißt das, Sie heiraten mich? « »Hm. « Albern, das war nur ein unschuldiger Flirt in der Öffentlichkeit, aber ihr Puls hüpfte wie verrückt beim Anblick des Verlangens in seinen Augen. »Ist das nicht ein bisschen schnell?«, fragte sie ein wenig atemlos und spürte, wie ihr Körper in einer Art auf ihn reagierte, die sie sofort wiedererkannte, die sie aber noch nie zuvor so schnell und so heftig empfunden hatte. Als sein Blick sanft über ihr Gesicht wanderte, hätte Heather schwören können, das interessierte Streicheln tatsächlich auf ihrer Haut zu spüren. Ein wohliger Schauer gespannter Erwartung wanderte ihr Rückgrat hinab. »Glauben Sie nicht an Liebe auf den ersten Blick? «, fragte er sanft. »Ist das hier so etwas? « Das Geplänkel war mit Erotik aufgeladen, und sie konnte wegen ihres zugeschnürten Halses kaum sprechen. »Ich dachte, es wäre bloß Hunger. « Er warf ihr ein geheimnisvolles Lächeln zu. »In gewisser Weise.« »Ja. In gewisser Weise.« Irgendetwas an diesem Gespräch hatte einen ernsten Unterton, und sie trat einen Schritt zurück. »Jetzt, wo wir verlobt sind, darf ich dich bei Starbucks nebenan auf eine Tasse Kaffee einladen? « »Ich —« »Sag ja. « Heather ignorierte das warme Flattern in ihrem Inneren, blickte forschend in seine Augen und sah in den aquamarinblauen Tiefen nichts Bedrohlicheres als einen zwanglosen Flirt. Warum nicht? Wie lange war es her, dass sie sich wie eine Frau gefühlt hatte? Es war ja nicht so, als ob sie sich die Kleider vom Leib reißen und auf dem Boden des Kaffee shop herumwälzen würden. Es würde nicht über eine Tasse Kaffee und einen kleinen Flirt hinausgehen. Bedauerlicherweise. Sie unterdrückte einen Seufzer, denn alles, woran sie denken konnte, war die Vorstellung, ihn nackt zu sehen und seine bloße Haut zu berühren. Sie räusperte sich und lächelte. »Wie wäre es, wenn ich fürs Erste ja zum Kaffee sagen würde. « »Das wäre in Ordnung. « Seine Lippen zuckten, und seine Augen blickten feurig. »Fürs Erste.« Fünf Caleb trug Heathers Einkaufstasche und begleitete sie beziehungsweise hinkte mit ihr, zum Café nebenan. Leider war der kurze Weg überdacht. Ein schneller Abstecher in den prasselnden Regen hätte möglicherweise eine kalte Dusche ersetzt. Meine. Der Gedanke knallte aus dem Nichts in sein Gehirn. Halt, Freund! Er trat auf die mentale Bremse. Woher zur Hölle war das denn gekommen? Er war viel zu pragmatisch, um besitzergreifend zu sein. Besonders wenn es um eine Frau ging. Wegen Nairnes Fluch war es seit jeher eine ausgemachte Sache gewesen, dass er nie lange genug in einer Beziehung bleiben würde, um sie kompliziert zu machen. Sex? Oh, ja sicher. Involviert? Besitzergreifend? Zur Hölle, nein. Bedauerlicherweise, kein Sex hier. So ein Pech. Er stand auf sie, aber Shaws Tochter war ein Auftrag. Und zwar ein kurzer Auftrag, was das betraf. Alles war besser, als sich zu Tode zu langweilen. Ein interessanter, aufreizender Auftrag. Aber das war auch alles. Denk an ´ne kalte Dusche. Noch ein paar Stunden und er würden sich nach Berlin zu Kris-Alice teleportieren. Irgendwie wurde der bedanke an die schone Deutsche mit jedem Mal, wenn er zu Heather sah, weniger anziehend. Hannah. Sobald er in Deutschland wäre, würde er wieder bei Lark herumnörgeln. Es juckte ihn, nach drei Monaten Untätigkeit wieder eingesetzt zu werden. Alles, was er jetzt herausfinden musste, war der Aufenthaltsort von Papa Shaw. Er würde sie zu einer Tasse Kaffee einladen, ein wenig flirten, die Frage subtil stellen und wäre fertig. Ungefähr ein halbes Dutzend Leute waren in dem kleinen Kaffee shop, als sie hineingingen, Einige saßen, einige standen an der Theke, aber Caleb entdeckte einen kleinen Tisch im hinteren Teil und steuerte darauf zu, Heather an seiner Seite. Der Laden roch nach Kaffee und regennassen Gästen. »Ist der in Ordnung? «,fragte er sie und deutete auf den kleinen Tisch in der Ecke. Er stellte ihre Einkaufstasche auf den freien Stuhl. Sie würde sich mit der Wand im Rücken sicher fühlen. Freie Sicht auf die Tür. Er ließ ihr genügend Platz, lullte sie in ein falsches Gefühl von Sicherheit ein. Der Feind hatte bereits ihre Mauern durchbrochen. Warum zum Teufel fühlte er sich nicht wie ihr Feind? Sein Körper fühlte sich ihr gegenüber sehr ... freundlich. »Großartig.« »Was darf es sein? «, fragte er ohne Umstände. »Irgendetwas Heißes mit Schokolade darin. Groß. Danke. « Er strich mit seinem Finger eine feuchte Haarsträhne aus ihrem Gesicht, ließ den Knöchel einen Augenblick auf ihrer weichen Wange verweilen. »Denk über die Namen unserer Kinder nach. « Bevor sie danach greifen konnte, ließ er die Hand sinken. »Bin gleich zurück. « Er kam ein paar Minuten später mit zwei großen Tassen Kaffee in Pappbechern wieder. »Ein Venti Mocha für die Dame mit den hübschen Augen.« Er stellte den Riesen Becher vor ihr ab. Als er näher kam, riss Heather ihre Aufmerksamkeit von den Schaufenstern, die auf die Straße hinausgingen, los. Ihre Lippen kräuselten sich, als sie ihn anschaute. »Danke. Frierst du nicht ohne Mantel? « »Warmblütig.« Heißblütig nur bei deinem Anblick. Alles an Heather Shaw gefiel ihm. Von ihrer Größe über ihre seidigen goldbraunen Haare bis hin zu ihren großen, hasel- nussbraunen Augen mit dem Kranz dichter Wimpern. Ihr Make-up war zart und unauffällig, bewies aber eine erfahrene Hand. Regentropfen perlten auf den Schultern ihres schwarzen Regenmantels und glitzerten wie ein edelsteinbesetztes Netz in ihrem Haar, in dem sich das Licht brach. Ihre Wangen waren immer noch von der Kälte gerötet. Er wusste nicht besonders viel über Kleidung, aber er nahm an, dass das, was sie gerade trug, von der Stange kam - einer preiswerten Stange, was das betraf - anstelle der Designersachen, die sie früher getragen hatte. Wo ist Papas Geld, Liebchen? Zur Hölle. Wo ist Papa? Hatten sie und Shaw sich zerstritten? War es ihr Vater, nach dem sie sich ständig umschaute, oder irgendein alter Freund, dem sie aus dem Weg gehen wollte und dessentwegen sie ihren Namen geändert hatte? »Du solltest wahrscheinlich den Namen des Vaters deiner Kinder wissen«, sagte er beiläufig. Er stellte seine Tasse ab und reichte ihr über den Tisch hinweg seine Hand. »Caleb Edge«. Automatisch ließ sie ihre Hand in seine gleiten. Sie war schlank, ihr Händedruck fest, die Handfläche leicht feucht. Wenn ihm das nicht bewies, dass sie nervös war, dann war es die Tatsache, dass sie auf der Kante ihres Stuhles hockte. Sie war wie ein Vogel, der bereit war loszufliegen. »Hannah Smith.« Sie zog ihre Hand beinahe sofort zurück und griff nach ihrem Becher, um vorsichtig einen Schluck durch das Loch im Plastikdeckel zu nehmen. Anscheinend war ihr Getränk zu heiß. Sie stellte es ab und legte die Hände darum. Caleb zog den gegenüberliegenden Stuhl zu sich, setzte sich, lehnte sich dann zurück, bewusst entspannt und nicht bedrohlich. Er riss seine Aufmerksamkeit von dem schnellen Pulsschlag am Ansatz ihres schlanken Halses los, um in ihre Augen zu blicken. Hübsch. Er konnte ihr Parfüm riechen, trotz des schweren, dunklen Kaffeegeruchs, der alles umgab. Irgendetwas Leichtes, Blumiges, das an den Sommer erinnerte. »Also, Hannah Smith, erzähl mir alles über dich. « Absichtlich unterbrach er den Augenkontakt mit ihr und zog den Deckel von seinem Kaffeebecher, schließlich wollte er bloß interessiert und nicht wie ein Raubtier erscheinen. Es war eine Sache, eine gegenseitige Anziehung vorzutäuschen, um zu bekommen, was man wollte, doch es war etwas völlig anderes, allein durch ihre Nähe eine Lawine der Gefühle in sich zu spüren. Seine Herzfrequenz war hoch, und er nahm alles an ihr außerordentlich deutlich wahr. Da konnte er sich nichts vormachen. Er musste diese Sache so schnell wie möglich hinter sich bringen. Sein ganzer Körper war vor Erregung bis in die Haarspitzen angespannt, was ebenso bizarr wie beunruhigend war. Sexuelle Begierde auf den ersten Blick war etwas völlig Neues. Er konnte sie nicht gebrauchen, besonders hier und jetzt nicht. Er vermischte nie Arbeit und Vergnügen. Auch wenn er schon ein- oder zweimal versucht gewesen war, diese Regel zu brechen, so hatte er es doch nie getan. Als T-FLAC Agent hatte er wenig Freizeit. Und wenn, dann hielt er seine Beziehungen bewusst oberflächlich. So dumm war er nicht, dass er versuchen würde, den Familienfluch zu durchbrechen. Caleb hatte nicht die Absicht, irgendwann einmal den Teil des Fluchs herauszufordern, der besagte: »Eine Gefährtin des Lebens, von eines Sohnes Herz erwählt; ihr Schutz ist vergebens, die Tage zu meinem Sieg sind gezählt, lief wird sein Schmerz sein, schnell ihr Tod, sein Herz zerrissen in ewig währender Not. « Fünfhundert Jahre Familiengeschichte Edge hatten bewiesen, dass der Fluch der Hexe nicht gebrochen werden konnte. Über die Jahrhunderte waren alle Frauen gestorben, die von Edge-Männern geliebt worden waren, Seine Brüder und er würden nicht zulassen, dass sich Nairnes Fluch fortsetzte. Der verdammte Fluch würde mit ihnen sterben. Zweimal war er kurz, verdammt kurz, davor gewesen zu versuchen, den Fluch zu durchbrechen. Und beide Male hatte er sich selbst gezwungen zu gehen, bevor mehr als ein Hauch an Gefühlen aufblitzen konnte. Er hatte es nie bereut. Christiana war inzwischen glücklich verheiratet mit einem anständigen Kerl, hatte eine süße Tochter und lebte glücklich und zufrieden in Maine. Donna hatte vier Mädchen bekommen und lebte mit ihrem Mann, einem Senator, in Washington. Beide Frauen waren glücklich. Beide waren am Leben. Es war irgendwie ironisch, dass Christiana und Donna Töchter bekommen hatten. Edge-Männer konnten nur Söhne zeugen. »Drei Söhne auf drei Söhne nur Schmerz sich vermehrt. « Ja, wie auch immer. Er würde es nie herausfinden. Wenn man von der Tatsache absah, dass er während seiner Operation und der Reha seit fast drei endlos lang erscheinenden Monaten aus dem Spiel genommen worden war, fühlte sich Caleb in seinem Leben rundum wohl. Und, sosehr sein Körper auch »Ja, ja, ja! Genau jetzt! «, schrie, die Antwort auf seine ungezügelte Libido war ein mitfühlendes Nein. Aber verdammt 一 ihre Haut war genauso weich, wie sie aussah. war von Natur aus blond, und ihre Haut wirkte glatt und makellos. Caleb verspürte den verrückten Wunsch, sich über den Tisch zu beugen und ihre Wange mit seinen Lippen zu streicheln. Er wollte sie küssen. Sie berühren. Überall. Er wollte ihr den unförmigen Regenmantel runterreißen und auch das dunkelrote Sweatshirt darunter, ihr die Jeans von den Beinen zerren und sein Gesicht in ihrem Bauch vergraben. Zur Hölle, er wollte sich tief in sie vergraben. Aber was er wollte, war unerheblich. Was er benötigte, war ein Schlag mit einem Kantholz auf den Hinterkopf. Dann Shaws Adresse. Nicht unbedingt in der Reihenfolge. Sie legte beide Hände so fest um den Pappbecher, dass der Plastikdeckel absprang. »Da gibt es nicht viel zu erzählen. « Sie konzentrierte sich darauf, den Deckel aufzuheben und auf die Seite zu legen. Dann platzierte sie ihn auf dem Deckel, den er vorher abgelegt hatte. war ordentlich. Nein, dachte Caleb, beim Beobachten ihrer Bewegungen. Sie empfand das Bedürfnis, ihre Umgebung zu kontrollieren. Sie wollte etwas mit ihren Händen machen. Interessant. Er konnte sich eine ganze Menge Dinge vorstellen, die diese Frau mit ihren Händen anstellen konnte. Alle hatten irgendwie mit seinem Körper zu tun. »Ich bin siebenundzwanzig, und ich entwerfe und verkaufe Schmuck, um damit meinen Lebensunterhalt zu verdienen. « Sie hat die hübschesten Augen, dachte Caleb, klar, groß, intelligent und interessiert. »Wie steht es mit dir? « »Dreiunddreißig, Single.« Er streckte die Beine unter dem Tisch aus, strich aus Versehen mit seinem Fuß über ihr Bein. Nur ihre Augen zuckten. Er ließ seinen Knöchel an ihren gelehnt liegen. Sie zog ihren nicht weg. »Ich bin geimpft und arbeite im Verkauf. « Er zog seine Brieftasche aus der Gesäßtasche der Jeans, grub eine Visitenkarte aus und reichte sie ihr. Caleb Edge, Vize-Präsident Verkauf und Marketing, Preda Enterprises. Eine Adresse in Portland, Oregon. Preda konnte für einen Agenten alles Mögliche darstellen. Es funktionierte gut als Tarnung. Die Adresse war echt. T-FLAC unterhielt ähnliche Büros auf der ganzen Welt. Sie schaute flüchtig auf die Karte: »Was verkaufst du? « »Ersatzteile für Traktoren. Nicht besonders interessant, aber lukrativ genug. Ich bin seit fast acht Jahren bei denen. « »Lebst du hier in der Nähe oder in Oregon? «, fragte sie und steckte die Visitenkarte in ihre Manteltasche. Ihre Augen wanderten kurz zur Tür, dann zurück zu seinem Gesicht. Auf wen wartet sie? fragte sich Caleb. »Ich bin zwar recht oft hier, aber nein. Die Bank und ich besitzen ein Haus in Portland. « Nicht wahr. Er hatte eine Eigentumswohnung in New York, Eine, die er selten aufsuchte. »Ich wohne immer im Indigo Hotel um die Ecke, wenn ich in der Stadt bin. « Die Tarnung wäre ausreichend für sie. Er war sesshaft genug, um ein eigenes Haus zu besitzen, wohnte nahe genug 一 beinahe -,um ein Einheimischer zu sein, und stellte deshalb sicher keine Bedrohung dar. Der Schatten der Angst in ihren Augen lichtete sich ein klein wenig. Dennoch bemerkte er, dass sie sich noch nicht völlig wohlfühlte. Sie begann, an der Seitennaht ihres Pappbechers he- rumzufingern. Die Nerven, die Anspannung, das gleiche sexuelle Bewusstsein, das er fühlte? Es war interessant, wie ihr Tonfall Vertrauen ausdrückte, während ihre ganze Körpersprache das genaue Gegenteil anzeigte. Caleb war kein Händchenhalter,aber er ergriff die Gelegenheit, zog ihre Hand beiläufig vom Becher, verschränkte ihre Finger miteinander auf der Tischplatte. So von seinen umschlungen, sahen ihre Finger lächerlich Klein aus. Ihre Hände waren weich, deuteten gewissermaßen auf ihren früheren privilegierten Lebensstil hin, aber ihre Nägel waren kurz und unlackiert, und sie trug keinen Schmuck, nicht mal eine Uhr »Es ist nur ein Kaffee. « Er meinte ihr Treffen. Aber es war nicht »nur ein Kaffee«. Er spürte die messerscharfe gegenseitige Anziehung, die in ihm aufloderte und den Wunsch in ihm weckte, sie zu packen und in seine Höhle zu verschleppen. Sie schien ein wenig überrascht zu sein, ihre Hand in seiner wiederzufinden, aber sie entzog sie ihm nicht. »Richtig, nur ein Kaffee. Das Indigo ist nett. « Straßensperre. »Ja, nehme ich mal an. « Er zeichnete die Rückseite ihrer Finger mit seinem Daumen nach und fühlte, wie sein eigener Körper das leichte Zittern erwiderte, das von ihrer Hand auf seine übertragen wurde. Er bemerkte, wie sich seine Aufmerksamkeit auf ihren Mund konzentrierte, der sanft und seidig und ganz besonders küssenswert aussah. Er wollte sich vorbeugen, um sie zu schmecken. Würde ihm das reichen? Er befürchtete die Antwort darauf wäre ein überwältigendes »Nein«. »Nach einer Weile wird Hotelessen langweilig«, meinte er und versuchte mit Mühe, seine Gedanken auf dem richtigen Weg zu halten. »Tja, schau mich nicht an. « Sie hatte wirklich die hübschesten Augen, trotz der Vorsicht, die er darin sah. Wenn sie lächelte, wechselte die Farbe von haselnussbraun zu einem warmen Bernstein. Es war zwar kein vollständiges Lächeln, aber es löste etwas von der Anspannung um ihren üppigen Mund. »Ich bin keine sehr gute Köchin. « Er glitt wieder mit dem Daumen über die weiche Haut auf ihrem Handrücken, sah ihre Augenlider abermals flattern. Sie war immer noch ein wenig vorsichtig, aber sie hatte keine Angst. Während er sie berührte, versuchte er, seine eigene physische Reaktion zu ignorieren. Die erhöhte Herzfrequenz, das plötzliche euphorische Gefühl waren bloß eine körperliche Reaktion auf die Nähe einer schönen Frau. »Dann müssen wir wohl jemanden engagieren«, erwiderte er unbekümmert und rückte noch näher an sie heran. »Allerdings«, antwortete sie ernsthaft, und ihre Augen blitzten vor Vergnügen. »Wir beide essen gerne, und die Kinder müssen auch ernährt werden. « »Kein Problem.« Er wollte ihre Hand umdrehen und den Mund auf ihre Handfläche drücken. Er wollte den schnellen Puls fühlen, der dicht unter ihrer Haut schlug. Er wollte ihre blassen weichen Hände auf seinem Körper spüren. »Meine Eltern werden begeistert sein, wenn Michael, Matt und Mark eintrudeln. Was ist mit deinen Leuten? Stehst du ihnen nahe? « »Bedaure, die Kinder werden nur ein Großelternpaar haben. Meine sind vor langer Zeit gestorben. « Sie war eine gute Lügnerin, geschickt genug, wenn man nicht auf Augen achtete. Sie stellte gerade genügend Augen kontakt her. Sie zappelte nicht. Und falls er sie nicht so genau beobachtet hätte, dann hätte er das verräterische Zucken ihrer Pupillen übersehen. »Das tut mir leid. Habt ihr euch nahegestanden? « »Ich rede nicht gerne über sie, es macht dir doch nichts aus? « Hm. Nicht einmal der Versuch, ihm irgendein Blödsinn zu erzählen. Interessant. Faszinierend. »Okay«, sagte er locker, nahm noch einen Schluck von seinem immer noch heißen Kaffee und rutschte noch ein paar Zentimeter zu ihr herüber, sodass sich ihre Knie unter dem Tisch berührten. »Werden wir nicht. « Nun ja, verdammt. Was hatte er erwartet? Dass sie einem Fremden die Adresse ihres Vaters geben würde, eine Stunde nachdem sie ihn getroffen hatte? Caleb wünschte sich, er hätte die Fähigkeit, Gedanken zu lesen wie sein Bruder Gabriel. Das wäre jetzt echt praktisch. Er war versucht, zu dem Augenblick zurückzuspringen, als ihr Vater und sie sich getrennt hatten. Leider kannte er weder das exakte Datum noch den genauen Ort, und ohne diese würde er nur nutzlos herumraten und versuchen, den richtigen Zeitpunkt zu treffen. Eine Verschwendung wertvoller Zeit und Energie. Er konnte ihre Seife oder ihr Shampoo riechen. Frisch. Sauber. Weiblich. Kein teures Parfüm, nur Seife und der natürliche Duft ihrer Haut. So nahe bei ihr zu sein, war wie ein Aphrodisiakum. Gut auf eine qualvolle Art und Weise. Er war noch nie so erregt worden von einer Frau, die nur einen Meter entfernt saß. Und verdammt sicher nicht an einem öffentlichen Ort. Er wollte sich herüberlehnen und sie küssen. Es war lächerlich, dass er auch nur daran dachte, ganz abgesehen von dieser verdammten Versuchung, alle Vorsicht in den Wind zu blasen, dem Verlangen nachzugeben und es einfach zu tun. Bei keiner anderen Frau auf der Welt hätte er so lange gezögert. Aber sie war Heather Shaw, und Caleb war gewillt, so weit wie nötig zu gehen, um die Informationen, die er brauchte, zu bekommen. Leider bezweifelte er, dass er mit ihr würde schlafen müssen, um zu bekommen, was er brauchte. Er zwang sich, sich nicht vorzustellen, wie er sie direkt in sein Bett im Hotel teleportierte. Zwang sich, sich nicht vorzustellen, wie er sein Gesicht in ihrer weichen Haut vergrub. Zwang sich, sich nicht die überwältigende Erleichterung vorzustellen, sich tief in ihr zu versenken. Caleb redete sich ein, er litte zum Wohle von T-FLAC und seinem Land, und nahm noch einen Schluck Kaffee, bevor er fragte: »Wie steht es mit Geschwistern? « Die leichte Anspannung in ihren Schultern ließ nach. »Nein, du?« »Zwei Brüder. Einer älter, einer jünger.« »Steht ihr euch nahe? « Caleb hob seine gekreuzten Finger. »So etwa.« »Du Glücklicher.« »Ja, aber nicht mehr Glück, als eine wunderschöne Frau kennenzulernen, die vor einer Stunde mit einem Laib Brot geliebäugelt hat.« »Wir sind Fremde. « Wen erinnerte sie gerade? Sich selbst? »Empfindest du wirklich so? « Sie biss sich auf die Oberlippe, während ihre Augen ineinander versanken. »Nein.« »Ich ebenfalls nicht. Fisch oder Fleisch?« Sie lächelte bei dem Gedankensprung, doch sie verstand schon. Und entspannte sich noch ein wenig mehr. »Beides. Du?« »Ich bin eher der Fleisch- und Kartoffel-Typ. Hunde oder Katzen?« »Katzen.« »Du magst keine Hunde?« Sie schüttelte den Kopf. »Ein gebranntes Kind scheut das Feuer. « »Wo bist du gebissen worden? « »In der Küche.« »Witzig. Nicht witzig. Zeig's min« »Oh. Ich denk nicht dran. « »Ich küsse es wieder gesund. « »Es passierte, als ich acht war. Es ist wieder völlig in Ordnung. Aber danke für das Angebot. « »Okay, die Kinder können eine Katze haben. « »Vielen Dank.« Sie nahm einen Schluck Kaffee und schaute ihn über den Rand hinweg an. »Roh oder gekocht?« »Die Katze}« Er warf ihr einen übertrieben entsetzten Blick zu. Sie unterdrückte ein Lachen. »Das Essen!« »Ah. Eindeutig gekocht.« Gott, sie war so süß. Sexy und lustig und auch verdammt nett. Da war eine Verwundbarkeit an ihr, die er nicht erwartet hatte. Er hatte keinen besonderen Frauentyp, ihm gefielen die meisten Frauen. Aber wenn er einen Typ hätte, passte Heather Shaw nicht dazu, dachte Caleb, während er mit ihren schlanken Fingern spielte und noch näher heranrückte. Zu blöd, dass sein Körper diese Botschaft nicht verstand. »Ja, ich auch. Fliegen oder fahren? « »Je schneller, desto besser.« Weshalb ihn dieser langsame Kennenlerntanz, egal, wie notwendig er war, auch verrückt vor Ungeduld machte. Trotzdem ließ sich Caleb seine Gedanken nicht anmerken. »Beatles oder Elvis?« »Beatles.« »Elvis.« Er musste die Sache beschleunigen. Mussten die Antworten erhalten, die er brauchte, damit er zurückkehren konnte zu 一 was? Einem verfluchten Urlaub? Verdammt, er musste wieder da raus und einem Terroristen in den Hintern treten. Mann gegen Mann würde ihm im Augenblick ganz gut passen, um etwas von dem überschüssigen Adrenalin abzubauen, welches beim Anblick dieser Frau durch seine Adern schoss. »Ferien?« »Oft«, antwortete sie. Er konzentrierte sich auf ihre Worte, forschte nach Hinweisen und versuchte, seine körperliche Reaktion auf sie zu ignorieren. Anstatt durch die Nähe nachzulassen, stieg der Lustfaktor mit jeder Sekunde, die er mit ihr zusammen war, an. »Strand oder Berge?« Ihre Augenbrauen zogen sich zusammen. »Berge. Ich habe das Strand-Ding ausgereizt. « Er lächelte. »Du hast die üblichen Familienurlaube an die Küste ertragen, nicht wahr? « Sie zuckte die Schultern. »Wir sind während meiner Kindheit viel gereist. « Brian Shaw war der Bankier du jour von einigen der größten Terroristengruppen der Welt. Er nahm seine Frau und seine hübsche Tochter mit, wenn er seine Kunden besuchte. Die Familie reiste ausgiebig und oft. »Lieblingsort?« »Nach einer Weile sehen sie alle gleich aus. « »Du machst dich über mich lustig. Ich habe beinahe alle Sommerferien in Schottland verbracht. Mir hätte Abwechslung gefallen. « Beinahe ebenso sehr,wie ich dich nackt sehen möchte. »Ich liebe Paris«, sagte sie nachdenklich. »Großartige Einkaufsmöglichkeiten und Restaurants.« Ihre Mutter war Französin gewesen, und sie hatten ein Haus in der Nähe von Paris besessen. Soweit sie wussten, war Shaw seit dem Tod seiner Frau vor einem Jahr nicht nach Frankreich zurückgekehrt. Laut ihren Informationen war Babette Shaw bei einem bewaffneten Überfall auf ihr Haus getötet worden. Sowohl Shaw als auch Heather waren zu dem Zeitpunkt außer Landes gewesen, Shaw in Südamerika, Heather bei einem engen Freund in London. »Aber kein Strand«, zog Caleb sie auf. Sie erzählte ihm nichts, was seine Leute nicht bereits wussten. »Wo sonst?« »Honduras 一 großartig zum Tauchen. « »Ich liebe Tauchen. Wir bringen es den Jungs bei. « Honduras - zur Hölle, ganz Südamerika 一 wurde überprüft, während sie sprachen. Sein Kommentar brachte ein kleines Lächeln auf ihre hübschen Lippen. Als er sich vorstellte, an ihrer Unterlippe zu knabbern, war Caleb wieder abgelenkt. »Ja, wir wollen ja, dass die Kinder gute Schwimmer werden. « Es forderte seine Vorstellungskraft nicht besonders heraus, sie sich in einem winzigen Badeanzug vorzustellen. Sie würde in einem knappen Tanga großartig aussehen, ihre Haut eingeölt und 一 er schüttelte den Kopf, um die abseitigen Gedanken zu verbannen. »Das Wasser in der Karibik ist auch nett«, meinte sie. »Bermuda hat schöne rosafarbene Sandstrände. Dann gibt es noch das Mittelmeer, viele Privatinseln, die man mieten kann. « Shaw war nicht an einem seiner üblichen Lieblingsplätze irgendwo in der Karibik, auf Bermuda und trieb sich auch nirgendwo an seinen bekannten Treffpunkten entlang des Mittelmeers herum, wie sie wiederholt überprüft hatten. Aber der Mann hätte nicht derartigen Reichtum anhäufen können, wenn er dumm wäre. T-FLAC war nicht die einzige Gruppe, die nach dem Hurensohn suchte. »Hast du eine Lieblingsinsel? « Shaws Tochter -ja, erinnere dich daran, wer diese Frau ist, Klugscheißer - zuckte mit den Schultern. »Ich hatte eine, aber das ist schon lange her. « Zeit,das Thema zu wechseln. Vorzugsweise zu einer Aktivität, bei der er sie sich völlig bekleidet vorstellen konnte. Er musste diese Anziehung drosseln - verdammter Mist. Anziehung war ungefähr so untertrieben, als würde man einen Buschbrand ein schlappes Feuerchen nennen. Er musste die Funken austreten, bevor er verbrannte. »Oper?« Heather lachte über seinen Gesichtsausdruck, genau wie er es beabsichtigt hatte. Leider schoss ihr Lachen wie eine Wärme suchende Rakete in seine Leistengegend, machte seine Hose zu eng und das Sitzen verdammt unbequem. Verflucht. SOS. Er war hier in ernsten Schwierigkeiten. »Wenn du diese Schnute ziehst, siehst du aus wie ein Kind, das Spinat essen soll. « Sie nippte an ihrem Getränk, leckte sich automatisch die Schlagsahne aus dem Mundwinkel. »Ich liebe die Oper«, erklärte sie ihm fröhlich. »Wie steht es mit Ballett? « Er drehte ihre Hand um und streichelte die Handfläche mit seinen Fingern. Sie hatte eine lange Lebenslinie und frische Hornhaut auf den Fingern. Musste von den Werkzeugen herstammen, die sie benutzte, wenn sie ihre Schmuckstücke anfertigte. »Mag ich genauso sehr wie die Oper. « Ihr Duft schnürte seinen Brustkorb zusammen. »Dann also Frauenabend.« »Kein Problem. Ich bleib mit den Kindern zu Hause. Wir essen Junk-Food und bleiben lang auf 一” Auf dem Tisch schlössen sich seine Finger noch enger um ihre. »Weißt du, was ich noch lieber möchte als meinen nächsten Atemzug? « Ihr Blick glitt von seinem Mund zurück zu den Augen. Sie schüttelte den Kopf. Er beugte sich vor, nahe genug, dass sein Atem ihr Haar bewegte. »Dich küssen. « Ihr Mund öffnete sich sanft. Der Puls hüpfte an ihrem Halsansatz, und ihre Pupillen flackerten nervös und gleichzeitig erregt. »Fragst -« Sie schluckte heftig, dann fuhr sie sich mit der Zunge über die Unterlippe. »Fragst du mich um Erlaubnis? « Er schüttelte den Kopf, »Ein Kuss verliert den Reiz der Spontaneität wenn man fragen muss. « Ihre Pupillen weiteten sich. »Versuchst du, mich zu verlocken, Caleb Edge? « Er zog ihre Hand an den Mund und presste seine geschlossenen Lippen auf ihre leicht feuchte Handfläche. Hast du Angst, Rotkäppchen? »Nicht zu verlocken, zu verführen. « Vertrau mir. Ihre Finger krümmten sich um seine. Ihre Augen trafen sich und verharrten so, Heathers Lider halb geschlossen. Sie hatte die nervöse Angewohnheit, sich in die Unterlippe zu beißen, was ihn vor Verlangen wahnsinnig machte. Gerade jetzt tat sie es wieder. Caleb stöhnte beinahe laut auf. Er senkte den Kopf, verweilte dann kurz, sein Mund war nur einen Atemzug von ihrem entfernt. Während er mit seinen Fingern die Wölbung ihres Kinns entlangstrich, beobachtete er, wie sich ihre Augen vor Erwartung zur Farbe von altem Whiskey verdunkelten. Sie schnappte kurz nach Luft. Nicht vor Angst, vor Erregung. Er wollte sie so dringend küssen, dass es ihn schüttelte. Er war mit seinen eigenen Waffen geschlagen worden. Wie sein alter Freund Jake gerne sagte: »Es ist gut, Dinge zu wollen. « Sechs Verfluchte gute Vorsätze. Als er die Lücke überbrückte, verschwamm Calebs Sehvermögen, ohne dass er es verhindern konnte. Als sein Mund den ihren berührte, schloss er die Augen. Er ließ ihr keine Zeit nachzudenken. Ließ sich selbst keinen Augenblick Zeit, Widerstand aufzubauen. Er wollte ihr gar nicht widerstehen, verdammt noch mal. Das würde schon klappen, versicherte er sich. Alles diente nur dazu, ihr Vertrauen zu gewinnen. Ja, sicher. Weich und ohne Zwang strich er mit seinem Mund über ihren, bis sich ihre Lippen mit einem Seufzen öffneten. Er wollte den Kuss kurz halten, wollte nur sein Interesse zeigen, nicht mehr. Als sie darauf einging, fand er sich stattdessen in unerwartete Tiefen gesogen. Das Blut schoss in seinen Unterleib, als ihn die feuchte Hitze ihrer Zunge begrüßte. Sie schmeckte fantastisch, ihre Reaktion weckte in ihm den Wunsch sie ganz zu besitzen. Er spürte ihre Hand auf seiner Schulter, ihre Finger gruben sich in den Stoff seines T-Shirts. Er erforschte langsam die warme Höhle ihres Mundes und spürte ein überwältigendes, verrücktes Gefühl der Heimkehr. Meine, dachte er. Meine. Er barg ihren Hinterkopf in seiner Handfläche, zog sie näher und ließ ihr langes Haar über seinen Handrücken gleiten. Langsam vertiefte er den Kuss, erforschte sie mit langen, trägen Streicheleinheiten seiner Zunge. Als sich ihre Zungen trafen, feucht und lebendig, hatte sie keine Scheu, ihn ebenfalls zu erschmecken. Der Geschmack und das Gefühl ihres Mundes waren berauschend. Sie roch nach Seife und schmeckte nach Kaffee mit Schokoladenaroma. Köstlich. Berauschend. Gott, dachte er, als er in ihre Süße eintauchte, ihrem schweren Atem lauschte, den zarten Druck ihrer Finger auf seiner Schulter verspürte. Sie schmeckte wie erfüllte Versprechungen, wahr gewordene Hoffnung und empfangene Freude. Sein Gehirn fühlte sich völlig leer an, während ihr Geschmack ihn bis zum Rand anfüllte. Gott 一 konzentrier dich, sagte er sich, vermasselt das nicht Erschreck sie nicht. Aber es war nicht Heather, die erschrocken war. Wie hatte dies so plötzlich mehr werden können als eine zwanglose Verführung, um an Informationen zu gelangen? Gewaltiger, heftiger - einfach mehr von allem. Allein der Duft ihrer Haut schoss ihm wie ein Aphrodisiakum ins Hirn. Begierde brodelte in ihm auf. Heiß. Hartnäckig. Seine Berührung blieb sanft, aber sein Puls hämmerte wie wahnsinnig. Er wollte ihre Haut schmecken, wollte ihr die Kleider runterreißen, wollte sie einfach hier in der Öffentlichkeit nehmen, Herrgott noch mal! Genau hier, genau jetzt. Hier auf dem kleinen runden Tisch, auf dem ihre Kaffeebecher standen. Er wollte sie vom Kopf bis zu den Zehenspitzen mit seinem Mund streicheln. Und dann noch einmal. Seine Hände glitten herab. Indem er sanften Druck auf ihr Kreuz ausübte, zog er ihren Oberkörper noch näher heran. Seine andere Hand durchkämmte ihr regennasses Haar. Es gab die Wohlgerüche sonnenbestrahlter Blumen frei. Die Strähnen fühlten sich seidig und kühl an, als er die Finger tief genug in ihnen vergrub, um die Wärme ihrer Kopfhaut spüren zu können. Scharfe, weiß glühende Begierde jagte durch sein Blut. Er begehrte sie auf tausendfache Art und Weise. Vorzugsweise nackt, dahingestreckt und unter vier Augen. Er wollte ihren ganzen Körper an seinen gepresst spüren. Er wollte seine Arme um ihren nackten Körper schlingen. Er wollte, er wollte, er wollte... Wollte alles an ihr. Ohne die anderen Kunden wahrzunehmen, zog Caleb sie auf die Füße und schlang seine Arme eng um sie. Gott, ja. Sie passte perfekt zu ihm. Ein sinnliches Feuer flackerte durch seine Adern, als sich ihre sanften Kurven an ihn pressten und sich ihre Arme um seinen Hals schlangen. Er zog sie fester an sich und fühlte ein blendendes, sengendes Gefühl der Verbundenheit, das ihn in seiner Heftigkeit verblüffte. Er vergaß, dass er nur so tat als ob, und beugte seinen Kopf nach vorn, um sie wieder zu küssen. Er konnte nicht mehr klar denken, da alles an ihr ihn verzehrte. Sein Bedürfnis, sich tief in ihr zu versenken, ließ seine Hände zittern und brachte sein Blut zum Kochen. Der Kuss raubte Heather den Atem, und sie fand sich auf den Füßen stehend wieder, ohne zu wissen, wie sie dorthin gekommen war. Seine Zunge war feucht, sinnlich und sehr selbst- bewusst, und sie glitt zwischen ihre Zähne, um sie zu schmecken und zu erforschen. Hitze durchströmte ihren Körper. Ihre Knie wurden weich, und sie lehnte sich Halt suchend an ihn. Seine Arme schlössen sich um sie, pressten sie gegen seinen festen Körper. Seine Finger spielten mit ihren Haaren, während er ihren Mund bearbeitete, als wäre er am Verhungern und sie ein Festmahl. Ein lang anhaltender wohliger Schauer durchfuhr sie, während er mit offensichtlichem Genuss von ihrem Mund Besitz ergriff. Er benutzte seine Zähne und die Zunge und den festen Druck seines Körpers, um das schlafende Begehren tief in ihr aufzuwecken. Leidenschaft breitete sich aus. Nicht wie ein Lämmchen, sondern wie ein Löwe. Mit einem tiefen Brüllen und einem Hunger, der sie hätte schockieren sollen. Stattdessen stöhnte sie tief unten in ihrer Kehle, als sie sich ihm entgegenbeugte und seine Leidenschaft mit ihrem eigenen Brennen beantwortete. Seine warme, samtige Zunge streichelte, neckte, spielte mit ihrer einen erotischen Tanz, der ihren Widerstand mit jedem Zungenschlag ein wenig mehr schwinden ließ. Sein Verlangen zu spüren, fachte ihr eigenes weiter an. Der Kaffee shop und alle darin verschwanden. Auf Zehenspitzen stehend presste sie sich noch näher an diesen wundervollen Mund heran. Eine fiebrige Welle des Genusses brach über sie herein, während sich seine Zunge in langsamen, unnachgiebigen Streicheleinheiten bewegte und seine Hände sie noch fester in seine Umarmung zogen. Sein harter Unterleib drängte sich vertraut an ihren, und die festen Muskeln seiner Brust ließen ihre Brüste darauf brennen, von seinen Händen, seinem Mund berührt zu werden. Sein Haar fühlte sich wie feuchte Seide zwischen ihren Fingern an. Das hier war anders als alles, was sie früher erlebt hatte, dachte sie, schwindelig vor Sehnsucht. Das hier war irgendwie ... mehr. Heftiger. Erotischer. Unwiderstehlicher. So von ihm gehalten zu werden, löste etwas, das in ihrem Inneren seit Ewigkeiten verschnürt gewesen war. Ihr Bauch tanzte, und ihr Herz flatterte. Die Enge in ihrem Inneren entfaltete sich wie eine Rose, die ihre Blütenblätter zur Sonne hin öffnet. Wenn sie auch nur einen Funken Verstand im Kopf hätte, würde sie ihn von sich stoßen und davonlaufen. Dies war nichts für sie. Nicht hier. Nicht jetzt. Aber, Gott. Die Gefahr, ihm zu vertrauen, war nicht vergleichbar mit der Kraft der Versuchung, die in seinem Kuss lag. Hatte sie sich je zuvor so gefühlt? So heiter. So überglücklich. So euphorisch. Nein. Niemals. Ihr war nie bewusst gewesen, dass das simple Zusammenkommen von Lippen derart erotisch sein konnte. Caleb verwandelte das Küssen in eine Kunstform. Als ob der Kuss, und nur der Kuss allein, die Belohnung am Ende der Reise wäre. Sie genoss die Begierde seines Mundes auf ihrem, die Sicherheit und Stärke seiner Arme, die sie umschlangen. Sein Körper fühlte sich herrlich groß und fest an. Ihre Haut saugte seine Berührung auf. Sie gab seinen warmen Lippen nach, der Stärke seiner fordernden und gleichzeitig schützenden Umarmung. Der Kuss dauerte an, tief und unersättlich, und ließ ihre innere Temperatur ansteigen bis sie zu brennen schien. Die harte Länge seiner Erektion drängte sich gegen ihren Bauch, und Heather hatte das verrückte Bedürfnis, sich ihm so weit entgegenstrecken, dass er dorthin gelangte, wo es am meisten schmerzte. Nein, so hatte sie noch nie zuvor empfunden. Irgendjemand im Kaffee shop begann zu klatschen. Andere fielen ein. Eine männliche Stimme rief: »Sucht euch ein Zimmer, Alter! « Sie seufzte beinahe laut auf, als Caleb sich zurückzog. Wie hatte er es geschafft, wieder zu Verstand zu kommen, während sie immer noch erschüttert und schwindelig vor Verlangen war? Sie schürzte die Lippen, schlang die Arme fest um seinen Nacken und wollte sich nicht von seiner Wärme trennen. Nur noch eine Kostprobe. Noch ein weiterer Kuss. Sehnte er sich nicht auch danach? »Mein Gott.« Als er den Kopf hob, klang seine Stimme belegt. Seine Augenfarbe hatte sich verdunkelt und war nun beinahe schwarz. Er sah ebenso aus der Bahn geworfen aus, wie sie sich fühlte. Die Haut über seinen schrägen Wangenknochen war straff gespannt, und seine Augen loderten, als hätte er hohes Fieber. »Noch mehr hiervon, und sie werden die Sittenpolizei rufen. Ich möchte 一 Hölle 一 muss allein mit dir sein. Jetzt.« Sie war daran gewöhnt, dass gut aussehende Männer sie anmachten, aber noch nie hatte sie jemanden wie Caleb getroffen. In ihrem sozialen Umfeld versuchten viele Männer, sexy und gefährlich auszusehen. Caleb war es ... einfach. Diese übermutige öffentliche Zurschaustellung sah ihr überhaupt nicht ähnlich. Ihre Wangen wurden vor Verlegenheit heiß, als ihr klar wurde, dass alle im Lokal sie beobachtet hatten. Aber, Herrgott nochmal, sie war es so leid, allein zu sein. Bis er sie berührt hatte, war ihr gar nicht bewusst gewesen, wie sehr sie sich nach menschlicher Nähe gesehnt hatte. Sie sehnte sich danach. Sie sehnte sich nach ihm. Sollte sie es wagen? Er glitt mit seiner flachen Hand ihren Arm hinauf, ergriff dann ihre Hände und loste sanft den Griff um seinen Nacken. Also hatte er mehr Verstand als sie, dachte sie und war erleichtert, dass er die Initiative ergriffen hatte und aufhörte, sie zu Küssen. war sich nicht sicher, ob sie genügend Verstand und Zurückhaltung gehabt hatte, sich zurückzuziehen. Nicht wenn ihr ganzer Körper vor Verlangen pochte und ihr Herz immer noch wie verrückt raste. Caleb zog ihre Hände an seinen Mund, sein Blick hielt ihrem stand, während er mit den Lippen über ihre Fingerknöchel strich. »Lass uns hier abhauen«, sagte er atemlos. »Vergiss die Sitte. Sie müssen die Feuerwehr rufen, wenn wir das noch mal machen. Zu dir oder zu mir?« Mit geschwollenen Lippen und heißen Wangen blinzelte Heather benommen und verwirrt. Sie warf ihm nicht vor, dass er sich seiner selbst so sicher war. Sie hatte ihm keinen Grund gegeben zu glauben, sie sei nicht für ihn entbrannt. »Dein Hotel ist näher. « Sie hörte, wie der Vorschlag ihrem Mund entschlüpfte, und war nur ein klein wenig schockiert. »Wie schnell kannst du sein? « Er beugte sich herüber, um ihre Handtasche vom Tisch zu nehmen, und schob ihr diese in die Hand, während er sie bereits zur Tür zog. Sie stopfte die kleine Handtasche in die Tasche ihres Regenmantels, dann lächelte sie zu ihm hinauf. Schwindelig und lächerlich glücklich ging sie mehr als bereitwillig mit ihm, während sie sich ihren Weg zwischen den Tischen amüsierter Gäste hindurchbahnten. »Schauen wir mal«, erklärte sie Caleb mit belegter Stimme und nahm die Kommentare kaum wahr, die ihnen folgten. Ohne ihre Einkäufe rannten sie Hand in Hand hinaus in den andauernden Wolkenbruch. Der Regen prasselte jetzt noch härter nieder und verwischte die Straßen und Gebäude zu einem sich surreal bewegenden Laken in Grau und Schwarz. Dagegen schien Caleb neben ihr in Farbe gezeichnet zu sein. Seine blauen Augen versengten sie jedes Mal, wenn sich ihre Augen trafen. Und das war oft. Heather wusste nicht, wie sie es schafften, mit niemandem auf der Straße zusammenzustoßen. Sie lachte und hob ihr Gesicht in den Regen, während er sie eilig weiterzog. Sie wichen Leuten und deren Regenschirmen aus, Zeitungsständern und Gullys, aus denen Dampf quoll. Die Straße glänzte und war rutschig vom Wasser. Die Luft roch nach feuchter Wolle und dem süßen Geruch der Blumen beim Kiosk an der Ecke. Als sie vorbeikamen, produzierten die Kübel voller hellgelber Narzissen strahlende Kreise wie Sonnenlicht auf die Kulisse eines düsteren Graus. Dies war verrückt. Wahnsinnig. Und so notwendig wie ihr nächster Atemzug. Sie ging mit ihm, ohne ihre Umgebung wahrzunehmen. Auf nichts konzentriert, als irgendwohin zu gelangen, wo sie mit diesem Mann allein sein konnte. Es war, als hätte er einen Zauber über sie geworfen, der die Folgen ihres Tun's gleichgültig werden ließ. Sie konnte sich nicht einmal mehr daran erinnern, zu Calebs Hotel gelangt zu sein und wie sie es geschafft hatten, den Gang vor seinem Zimmer zu erreichen, ohne sich beim Rennen gegenseitig die Kleider vom Leib zu reißen. Ihr Arm lag um seine Taille, seiner um ihre Schultern. Die Seite, die seinen harten Körper berührte, brannte, als sie dort ankamen, wo hoffentlich die Tür zu seinem Zimmer war. Hinter dieser Tür stand ein Bett. Sie wollte hinein. Jetzt. Sie wollte ihn in sich spüren. Jetzt. Caleb zog sie mit dem Arm fester an sich, und drehte ihr Gesicht zu sich, damit er sie küssen konnte. »Mach die Tür auf. Schnell«,raunte sie ihm zu und biss ihn leicht in die Oberlippe, bevor sie ihre Zunge zwischen seine Zahne schob, um mit seiner zu spielen. Sein Arm spannte sich, er zog sie flach gegen seine Brust und küsste sie mit ungebremster Heftigkeit. Sie berührten sich, die Körper eng aneinander, von den Lippen bis zum Unterleib. Seine Erektion drängte sich ihr hart und nachdrücklich entgegen. Heather schob die Hand zwischen ihre Körper, um ihn durch die Jeans hindurch zu streicheln. Mit kehliger Stimme stöhnte er: »Herrgott. « »Beeil dich! «, mahnte sie eindringlich. Das Verlangen, seine nackte Haut auf ihrer zu spüren, wurde schier unerträglich. Sie riss ihren Mund los, griff nach seinem T-Shirt und begann, den Stoff aus der Jeans zu zerren, ohne darauf zu achten, dass ihr in einem öffentlichen Korridor nur wenige Schritte vom Aufzug entfernt standen. Beeil dich Beeil dich Beeil dich. Sie entblößte seinen gebräunten Oberkörper und ließ die Hände gierig über die samtweiche Haut auf den harten Muskeln seines Sixpacks gleiten, dann hinauf, um durch die festen dunklen Haare auf seiner Brust zu kämmen. Der Duft seiner Haut stieg ihr zu Kopf. Sie presste ihr Gesicht gegen sein Brustbein, atmete tief ein, dann berührte sie ihn mit der Zunge, um seine heiße, salzige Haut zu probieren. »Du schmeckst wie die Sünde«, murmelte sie, während ihre Lippen über seine Brust wanderten. »Besser als Schokolade. Besser als 一” Es gab nichts, mit dem man es vergleichen konnte. Nichts, was sie mehr begehrte. Caleb griff nach der Schlüsselkarte, seine Finger drückten fest genug in ihre Schulter, um Abdrücke zu hinterlassen. Es war ihr egal. Als das grüne Licht aufleuchtete, murmelte er: »Ich danke dir, Gott! « Als das Schloss aufging, riss er die Tür auf, zog sie hinein und druckte sie dann mit dem Rücken gegen die für, die hinter ihrem Rücken zuschlug. Dann vergrub er ihren Mund unter seinem. Regen hämmerte gegen die Fenster und gab dem Raum ein flüssiges Unterwassergefühl, als Caleb mit einer Hand zielsicher den Verschluss ihres Regenmantels fand und an den Knöpfen zu reißen begann. Ungeduldig versuchte sie, ihm zu helfen. Es gelang ihr, die Arme aus den Ärmeln zu ziehen, doch da presste Caleb sie mit seinem Körper wieder gegen die Tür. Sie liebte es, ihn zu spüren. Sein Gewicht. Seine Größe, die harte Wölbung seines Penis, mit der er sich ihr entgegendrängte. Heathers Verlangen explodierte. Caleb glitt mit den Händen unter ihr Sweatshirt, und sein geschickter Mund wanderte gierig ihren Hals entlang, während die kühlen Finger die Form ihres Brustkorbes ertasteten, eine verlockende Rippe nach der anderen. »Dein Lachen schmeckt wie der Sommer. « Es fühlte sich auch in ihrem Inneren wie Sommer an, dachte sie. Heiß und wundervoll. Fröhlich. Aber sie wollte ihn nicht durch Geplapper ablenken. Stattdessen schloss sie die Augen und lehnte den Kopf gegen die Tür, als er ihren Hals küsste. Sie stöhnte auf. Irgendwie schaffte sie es, sein T-Shirt herunterzuziehen. Er zog ihr das Sweatshirt hoch, wartete dann einen Moment, um eine Spur heißer Küsse am Rande ihres BHs entlangzuziehen. Ihr setzte einen Augenblick das Herz aus und hämmerte dann so schnell, dass sie glaubte, vor Genuss und Erwartung sterben zu müssen. Tastend schob sie ihre Finger unter den Bund seiner Jeans und fühlte, wie er darin wartete, heiß und hart und vor Lebendigkeit pulsierend. Er zog sich gerade lange genug zurück, um ihr das Sweatshirt über den Kopf zu ziehen, dann fackelte er nicht lange mit dem Verschluss auf der Vorderseite ihres BHs. »Wunderschön«, murmelte er ehrfürchtig, als ihre Brüste befreit wurden. »Die Jeans! «, trieb sie ihn eilig an. Sie bemühten sich hektisch, einander die Kleider herunterzureißen, um den anderen nackt zu spüren. Seine Hände waren groß, schlank, stark, mit sauberen, kurz geschnittenen Fingernägeln. Erfahrene Hände. Sanfte Hände. Hände, die jeden Teil ihres Körpers berühren sollten. Jetzt! »Das Bett 一« Sie öffnete seine Jeans mit bebenden Händen, und es gelang ihr, sich gleichzeitig die Tennisschuhe auszuziehen. »Hier. Jetzt.« Sie wollte ihn überall berühren. »Beeil dich! « »Heb den Fuß hoch. Hier. Jetzt den - super Jetzt.« Caleb benutzte beide Hände, um ihr die Jeans und das Höschen die Beine herunterzuziehen. kickte beides zur Seite, hüpfte hoch und schlang dann die Arme um seinen Hals und die Beine fest um seine nackte Taille. Er war hart und drängte vollständig erregt gegen ihre Pforte. »Ich will dich in mir spüren 一 jetzt«, drängte sie und spürte ihn dort pulsieren, wo sie ihn am nötigsten brauchte. Ohne weitere Umstände versenkte sie sein steil aufragendes Schwert in sich. Er stöhnte rau. Gut. Sie bog sich zurück und schlang ihre Knöchel mit einem ersten tiefen Stoß noch fester um seinen Rücken. Das durchbohrende, süße Gefühl, ihn in sich zu spüren, nahm ihr den Atem. Vor ihren Augen verschwamm alles für sie. Dein Körper schien sie zu umhüllen. hatte sich noch nie so sicher gefühlt, so geborgen. Das allein war schon verführerisch. Sie versank in diesen Zauber. Heather bedeckte Calebs Gesicht mit Küssen, während sie ihre Arme und Beine enger um seinen Hals und seine Taille schlang. »Nicht«, presste er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, die Arme wie Stahlbänder um sie gelegt, um sie ruhig zu halten, »bewegen. « Wie könnte sie das nicht tun? Sie straffte die Beine, dann hob sie sich leicht an und glitt seinen langen Schaft hinauf. Und dann wieder runter. »Ich hab ges- Jesus. Du bringst mich um! « Er streichelte ihren Po, seine Handflächen waren warm und fest. Auf und ab. Auf. Ab. Ihre nackten Oberkörper rieben aneinander, während sie sich bewegten. Schneller und schneller. Auf. Ab. Aufundabaufundabaufundabaufundab. Sie vergrub die Zähne in seiner Schulter, um ihre Schreie zu ersticken, als ihre Körper gemeinsam pulsierten und verbrannten. Es war schnell, kraftvoll und fantastisch, und nachdem sie sich gegenseitig ausgelaugt hatte, glitten sie die Tür hinab, um sich eng umschlungen auf dem Boden auszustrecken. Völlig entkräftet, empfand sie das absolut lächerliche Bedürfnis zu heulen. Sie berührte sein Gesicht, ihr Lächeln war sanft. »Das war fantastisch. « Fantastisch? Es hatte sich wie eine Wiedergeburt angefühlt. Als ob sie zum allerersten Mal geliebt worden wäre. Heather fühlte sich 一 wie Madonna es gesungen hatte 一wie eine Jungfrau, berührte zum ersten Mal. »O ja, mein Gott. Ich bin gestorben und direkt in den Himmel gelangt. « Er starrte zur Decke Hinauf und atmete heftig. »Heirate mich. Bekomme meine Kinder. Wie schnell kannst du ein weißes Kleid und einen Pfarrer auftreiben? « Heathers Lachen war atemlos. »Ist morgen schnell genug? « Das Spiel war so wunderbar real, dass sie sich erlaubte, noch ein kleines bisschen länger daran zu glauben. Es konnte ja nicht schaden, sich noch ein bisschen länger sicher und glücklich zu fühlen, oder? Die Hand, die er benutzt hatte, um ihren Po zu streicheln, glitt in einer langsamen, wohligen Liebkosung ihren Rücken hinauf. »Wir müssen irgendetwas finden, um uns bis dahin die Zeit zu vertreiben. « »Ins Koma fallen? « Sie legte einen schlaffen Arm über seinen Bauch. »Den Notarzt rufen? Vom Boden aufstehen? « Er strich mit seiner großen Hand über ihren Hinterkopf, ließ ihr Haar durch seine Finger gleiten und die Haarsträhnen auf ihre nackten Schultern fallen. »Habe ich dich ermüdet, Liebling? « Das Kosewort ging ihm leicht von den Lippen. Die Empfindung seiner Hand, die sie streichelte, fühlte sich merkwürdig vertraut an. Als ob er sie schon hundertmal so zärtlich gestreichelt hätte. »Es war der Endspurt. « Mit geschlossenen Augen lächelte Heather an seiner Brust. Sie kuschelte sich an ihn, murmelte irgendetwas Unverständliches und lauschte dem unregelmäßigen Rhythmus seines Herzschlages unter ihrem Ohr. Warum war dieser Mann nicht vor einem Jahr in ihr Leben spaziert? Vor zwei Jahren? fragte sie sich leise. Hätte sie ihn damals gewürdigt? Hätte sie dieselbe Sehnsucht empfunden, sich einfach sicher fühlen zu wollen? Wäre sie wenige Minuten nach ihrem ersten Kennenlernen mit ihm ins Bett gehüpft? Ja- Das Gefühl, das sie allein dadurch empfand, in seiner Nähe zu sein, ging über alles hinaus, was sie vorher erlebt hatte. Der physische Aspekt war stark, aber da gab es noch etwas, das sie nicht erklären konnte. Irgendetwas, das sie zu diesem Mann hinzog, wie sie noch nie zuvor von einem anderen angezogen worden war. Das Gefühl, dass er ihre andere Hälfte war. Das Yang zu ihrem Yin. Aber die Wahrheit war: Falls Heather ihn ein Jahr zuvor getroffen hätte, hätte sie immer noch fliehen müssen. Und Hannah konnte nicht das Risiko eingehen, dass ihm irgendetwas passierte, wenn die Leute, die nach ihrem Vater suchten, sie schließlich doch noch finden würden. Die Welt war dafür nicht groß genug. Und die Partner ihres Vaters waren hoch motiviert. Plötzlich sog Caleb scharf den Atem durch seine Zähne und versteifte sich neben ihr. Seine Hand, die ihren Rücken hinabgeglitten war, um ihren Po zu streicheln, verharrte. Heathers Herz dröhnte. »Was ist -« »Verdammt«, sagte er zur gleichen Zeit. »Ich habe nichts benutzt. Es tut mir leid. Gott 一 ich bin in meinem ganzen Leben noch nie so abgegangen. Nicht mal bei meinem allerersten Mal.« Sie hob ihr Gesicht, um ihm in die Augen zu schauen. »Ist schon in Ordnung. « Natürlich war es das nicht. Sie kannte diesen Mann nicht. »Also, nein, es ist nicht okay. Aber ich bin gesund, und ich hoffe mal,du auch...« Es hatte ein paar Jahre während ihrer Teenagerzeit gegeben, da hatte sie als Zeichen von Rebellion häufiger den Partner gewechselt. Als ihr klar geworden war, dass die einzige Person, die sie damit verletzte, sie selbst war, hatte sie schlagartig aufgehört, unverbindlichen Sex zu haben. Er lehnte seine Stirn gegen ihre. »Ich habe mich erst kürzlich checken lassen, aber dennoch - falls irgendetwas passiert, schwör, es mir zu sagen. « Das klang so, als ob er erwarten würde, eine Rolle in ihrem Leben zu spielen. Wenn es doch nur so wäre. Die Klammer um ihre Brust zog sich noch ein Stückchen enger, und sie vergrub ihr Gesicht an seinem Brustkorb. »Nichts wird passieren. « »Schwör es trotzdem. « »Ich schwöre es. Aber da passiert nichts. « »Aus deinem Mund ...« Seine Finger fuhren die wulstige Schramme an ihrem Hintern entlang. »Sind das die Narben von dem Hundebiss? « »Wow. Du hast sensible Fingerspitzen. « »Ich bin ein sensibler Typ. « In einer fließenden Bewegung richtete er sie beide auf. »Ich möchte sie sehen. « Seine körperliche Kraft war eindrucksvoll. Sie war nicht mehr so dünn wie früher und sicher fünfzehn Pfund über ihrem Idealgewicht. Aber sie fühlte sich wohl so, wie sie war. Gott sei Dank. Sie war froh, dass sie Caleb Kurven zeigen konnte statt Knochen. Als er sie hinüber zum Bett trug, legte sie die Arme um seinen Nacken und lehnte den Kopf an seine Brust. »Meinen Po?« »Ich muss ihn doch wieder gesund küssen. « Er legte sie auf die Matratze und sank ebenfalls darauf nieder. »Ich wäre dir unheimlich dankbar«, antwortete sie, ohne die Miene zu verziehen. »Die Narbe tut selbst nach achtzehn Jahren immer noch weh, wenn es regnet. « »Tatsächlich?« Sie lachte leise. »Nein, aber ich möchte diesen Kuss, den du mir versprochen hast. « Sie drehte sich auf den Bauch, legte den Kopf auf ihren Arm und schloss die Augen. »Ein Mann, ein Wort«, murmelte er und glitt mit seinen Fingern sacht über ihren Rücken. Sieben Ja, er war ein Mann, der sein Wort hielt. Und das hatte er T-FLAC gegeben, dachte Caleb, während er seinen Instinkt ignorierte, diese Verführung sofort zu stoppen. Die süße, zarte Frau war schließlich nur ein Mittel zum Zweck. Daran musste er denken. Als er ihren Po streichelte, lief ein Zittern über ihre Haut, und ein zarter Schweißfilm ließ sie rosa schimmern. Grundgütiger, hörst du mir zu, dachte Caleb, während er sie liebkoste und das Spiel ihrer Muskeln bewunderte, als ihr Körper auf seine sanfte Berührung reagierte. Ich klinge wie ein Dichter zwar wie ein ziemlich schlechter. »Deine Haut fühlt sich an wie Seide«, flüsterte er mit belegter Stimme. »Ich liebe es, dich unter meiner Hand zu fühlen. Weich, aber fest mit diesen herrlich langen, eleganten Muskeln und den reizenden Senken. Wie für meine Hand geschaffen.« »Ich war früher dünner. « Ihre gedämpfte Stimme klang schläfrig. Ja, das wusste er. Er hatte die Fotos gesehen. »Nun ja, was auch immer du gemacht hast, jetzt bist du absolut perfekt. « Er blickte kurz hoch und sah, wie ihn ihre hübschen, haselnussbraunen Augen über den abgewinkelten Arm hinweg beobachteten. »Wirklich?« Wie konnte sie ihre Anziehungskraft bezweifeln? Ein Blick auf Hannah Smith, und jeder Mann würde sich sofort Hals über Kopf in sie verlieben. Er natürlich nicht. Sie war nur ein Mittel zum Zweck. Aber er war ja nicht blind. »O ja. Sicher.« Wieso hatte er geglaubt, er hätte keine Zeit,um ihr Vertrauen zu gewinnen? fragte sich Caleb. Wie hätten sie beide nicht hier sein und genau das hier tun sollen? Plötzlich war es nicht mehr nur ein einfaches Frage-und-Antwort-Spiel. Wann hatte sich das Flachlegen von Shaws Tochter zum Liebe machen mit Hannah Smith gewandelt? Es war dumm und extrem gefährlich, sie so zu berühren, während die Hitze der Erregung noch immer in ihm zischte und brannte. Caleb wollte sie auf sich ziehen und sie in sich aufnehmen. Er wollte - es war gleichgültig, was er wollte. Der einzige Grund, hier zu sein, war, den Aufenthaltsort ihres Vaters herauszubekommen. Leider wurden ihr Reiz und seine Reaktion auf ihre Anziehungskraft immer stärker, je länger er mit ihr zusammen war. Sie wurde in seinen Augen immer attraktiver, verdammt noch mal. Sie war eine gefährliche Frau. Was ihn am meisten ärgerte, war, dass er Schuldgefühle empfand, weil er sie benutzte. Er war eigentlich kein Mann, der wegen irgendetwas Schuldgefühle entwickelte. Warum nun bei ihr? Warum jetzt? Wenn das alles vorbei wäre, würde er dafür sorgen, dass Vater und Tochter sich treffen könnten, selbst wenn es nur ganz kurz wäre, bevor Shaw lebenslang hinter Gitter gesteckt würde. So konnte er wiedergutmachen, dass er sie benutzt hatte um an ihren Vater heranzukommen. Dennoch, sie würde ihn dafür hassen. Caleb zuckte in Gedanken die Schultern. Das war nicht zu ändern. Er hatte früher schon Schlimmeres getan, als mit einer Frau zu schlafen, um zu bekommen, was er wollte. Obwohl er sich inständig wünschte, es wäre bloß Sex gewesen, hatte es sich unglücklicherweise ziemlich genau wie richtige Liebe angefühlt. Verdammt. Er geriet viel zu tief in die Sache hinein. Besorg dir die Informationen. Lass sie gehen. Aus dem Auge, aus dem Sinn. Je schneller, desto besser. So viel bezüglich seines sorgsam erstellten Plans, die Informationen aus ihr heraus zu schmeicheln. Er hatte nicht vorgehabt, mit ihr zu schlafen. Nicht im Geringsten. Tatsächlich? fragte er sich und lehnte sich über den Rand des Bettes, um die hingeworfene Jeans aufzuheben. Er zog drei kleine Päckchen heraus, schob zwei unter das Kissen und riss das dritte mit den Zähnen auf. Nein, er hatte nicht die Absicht gehabt, Sex mit ihr zu haben. Deshalb hatte er auch einen Geldbeutel voller Kondome dabei. Während sie neben ihm vor sich hin döste, rollte er eines über seinen immer noch steinharten Schwanz. Besser spät als nie. Es ärgerte ihn, dass sein Knie so höllisch weh tat. Das Titanimplantat sollte eigentlich schweren Belastungen standhalten, deshalb störte es ihn mehr, als er den Ärzten gegenüber zugeben würde, dass er solche Schmerzen hatte, nur weil er eine fünfundsechzig Kilo schwere Frau hochgehoben hatte. Er würde es nicht zugeben, falls er noch jemals wieder zu einem Check-up ging, was er nicht vorhatte. Sein Bein würde schon irgendwie wieder in Ordnung kommen. Ein T-FLAC Agent - selbst jemand im PSI-Bereich - brauchte völlige Mobilität. Es würde heilen, versicherte er sich, während er versuchte, den Schmerz zu ignorieren. Irgendwann einmal. Er tätschelte die helle Kugel von Hannahs Po, streichelte mit seinem Daumen über die Narben, die ihre zarte Haut verunzierten. Narben, die er sofort verschwinden lassen könnte, wenn er wollte. Er konnte nicht nur ihre Narben verschwinden lassen, aber er hatte nicht die Absicht, ihr eine Erklärung liefern zu müssen, denn er konnte sie ja nicht einfach in ihre Kleider stecken und aus dem Hotelzimmer schmeißen - zur Hölle, aus seinem Leben. Rums, bums, vielen Dank, gnädige Frau. Jedenfalls jetzt noch nicht. Er strich mit einem Finger über die größte Narbe. »Du musst furchtbare Angst gehabt haben. « Die Löcher waren tief und lagen weit auseinander. Das war kein Hundebiss. »Es war nicht angenehm. « Eine Untertreibung, wie Caleb wusste. Er hatte schon Leute gesehen, die von Schrapnellen getroffen worden waren. Das hier war schon ziemlich übel, aber es hätte noch um einiges schlimmer kommen können. Er beugte sich vor und strich mit den Lippen über die leicht hervorstehende Wulst auf ihrer linken Pobacke. Während sein Mund ihre Haut abtastete, spürte er ihr genüssliches Stöhnen mehr, als dass er es hörte. »Wo hast du diese Bestie getroffen? « »In meinem Schlafzimmer.« Wie war die wahre Geschichte? Warum in Gottes Namen hatte eine Dame der Gesellschaft Schrapnell wunden ? »Wie ist denn ein bösartiger Hund in dein Kinderzimmer gekommen? « Wo waren deine Bodyguards? Wer hat das getan? Und warum? Er konnte diese Fragen nicht nur nicht stellen, sie gingen ihn auch nichts an, ermahnte er sich. Dennoch fragte er sich, weshalb sie sich von ihrem Vater entfremdet hatte und Tausende von Meilen von ihren Freunden entfernt lebte. Und da er gesehen hatte, wo sie lebte, wusste er, dass sie auch ohne Daddys Geld auskam. Schön für sie. Was war zwischen ihr und ihrem Vater passiert, dass es sie um die halbe Welt trieb? »Es war ein Wachhund. « Hannah zappelte, als er ihr Kreuz küsste und dann mit den Lippen die Erhebungen ihrer Wirbelsäule nachfuhr. »Wen zum Teufel hätte er bewachen sollen? « »Mich.« Ihre Stimme klang vor Müdigkeit belegt. Caleb hob den Kopf. »Dich? Wovor?« Er konnte es sich ziemlich gut vorstellen. Kidnapper, Auftragskiller, die Möglichkeiten wären zahlreich. Gott allein kannte die Art der Feinde, die ein Mann wie Brian Shaw über die Jahre gesammelt hatte. Nicht nur wegen seines unglaublichen Reichtums, sondern wegen der Leute, mit denen er Geschäfte machte. Genau die Art Leute, die zu finden und zu eliminieren Calebs Job war. »Ich habe ein privilegiertes Leben geführt«, erklärte sie nüchtern. »Diese Art Reichtum zieht die Verrückten an. Ich hatte mehrere Leibwächter und zwei Hunde, die nachts in meinem Raum schliefen. Ich - ich wollte rausschlüpfen und das Feuerwerk sehen. Fang hatte andere Vorstellungen. « »Sie haben den Hund eingeschläfert, nehme ich an? « »Natürlich nicht. Er hat seinen Job erledigt. « Indem er in den Hintern seiner Schutzbefohlenen biss? Egal, wie die wahren Umstände waren, Caleb spürte eine Welle des Zorns auf Hannahs Vater. Ein Vater sollte seine Kinder beschützen, statt sie in Gefahr zu bringen. Sein eigener Vater war meist abwesend gewesen, da er die meiste Zeit seines Lebens in Schottland gelebt hatte. Caleb und seine Brüder hatten Magnus geliebt. Aber sie hatten ihn selten gesehen, und wenn sie ihn gesehen hatten, war ihr Vater völlig damit beschäftigt gewesen, auf ihre Mutter zu achten. Auf seine eigene Art konnte auch Calebs Vater seine drei Söhne nicht beschützen. Gabriel hatte sein Bestes gegeben, der Mann im Hause zu sein, obwohl er nur ein Jahr älter war als Caleb und zwei Jahre älter als Duncan. MacBain, ihr Faktotum, war zwar eine Vaterfigur gewesen, aber eben nicht ihr Vater. Keiner der Edge- Jungen hatte die blinde, wahnsinnige Leidenschaft verstanden, die ihre Eltern dazu trieb, alles andere auszublenden. Sein älterer Bruder hatte akzeptiert, dass sein Vater von ihnen getrennt in Schottland lebte, aber Caleb hatte immer gedacht, das sei Mist. Magnus hatte ihre Mutter geheiratet und war dann wie ein verdammter Feigling mit eingeklemmtem Schwanz davongelaufen, anstatt nach einem Weg zu suchen, Nairnes Fluch zu umgehen. Magnus hätte überhaupt nicht heiraten sollen. Ja, Caleb und seine Brüder wären dann zwar nicht auf der Welt, aber der Fluch wäre mit seinem Vater beendet gewesen. Caleb, Gabriel und Duncan hatten sich als Teenager gegenseitig ein Versprechen gegeben. Keiner von ihnen würde heiraten. Sie würden die Liebe meiden wie die Pest. Und Nairnes Fluch würde mit ihnen definitiv enden. Bis heute Nachmittag um drei war es ein Leichtes gewesen, dieses Versprechen zu halten. Caleb fühlte sich, als ob er langsam und geschickt in das klebrige Seidennetz einer schönen Spinne eingewickelt wurde, während er neben dieser Frau lag, die seinen Puls beschleunigte und dafür sorgte, dass sein Hirn das unbedeutende Detail des Fluches vergaß. Das Überleben eines T- FLAC Agenten hing von seiner geistiges Fitness ebenso stark ab wie von seiner körperlichen. Er hatte ein kaputtes Knie und hatte Heather 一 Hannah 一 kennengelernt. »Was hast du in dem Lebensmittelgeschäft gemacht, obwohl du im Hotel wohnst? «, fragte Hannah, ohne die Augen zu öffnen. Er dachte, sie wäre eingeschlafen. »Vielleicht bin ich dir nachgegangen. « Ihre Augen öffneten sich, und ihr Körper verkrampfte sich leicht. »Bist du das? « »Nein, natürlich nicht«, log Caleb. »Du hast mich verfolgt, erinnerst du dich? « Sie schloss die Augen und lächelte. »Du denkst, du bist ein heißer Typ, nicht wahr? « »Heiß genug, um dein Feuer zu entzünden - he, wo gehst du hin? «, fragte er, als sie von ihm abrückte. Mit rosafarbenen Wangen und teuflisch glitzernden Augen antwortete sie: »Bitte, gnädiger Herr, ich möchte noch mehr davon. « Caleb lachte. »Oh, das willst du wirklich, nicht wahr? « Er drehte sich auf den Rücken und zog sie mit sich. »Dann musst du die ganze Arbeit erledigen. Mein Knie tut weh. « Hannah schlang ein Bein um seine Hüfte und legte die Hände auf seine Brust. »Ach, armes Baby. Soll ich es gesund küssen? « Sie hob ein Knie, als ob sie sich anders hinsetzen wollte. Er zog ihren Mund zu seinem runter, »später. « Er schmeckte ihr Lächeln, als sie begierig seinem Mund begegnete. Er streichelte ihre Brust, erfühlte sie mit seiner Hand, erkundete sie so langsam, dass sie atemlos und er wieder total scharf wurde. Sie schloss die Finger um seinen langen Penis und bewegte ihre Hand auf und ab. Als sie mit dem Daumen über die Eichel strich, überlief ihn ein krampfartiger Schauer. »Du bringst mich um. « »Hm. « Sie führte ihn zu sich hin und glitt mit einem Stöhnen auf ihn. Ihre Scheide umschloss ihn. Ihre Hände lagen auf seinem Bauch, und sie erstarrte, als sich ihre inneren Muskeln um ihn verkrampften. Caleb wusste, was sie fühlte. Die Empfindung war so schneidend, so außerordentlich heftig, dass er sich ebenfalls nicht bewegen konnte. Ihre Blicke versanken im wässrigen Halbdunkel der nackten Fenster ineinander. Er wagte nicht, sich zu bewegen. Beim nächsten Herzschlag würde er kommen. An der Anspannung in ihrem Gesicht konnte er erkennen, dass sie auch kurz davor war und einen Moment Pause brauchte. Langsam glitt seine Hand über ihre Hüften und hielt sie ruhig. Sie atmete ein, seufzte auf, und ihr Inneres zog sich zusammen. Das verzweifelte Verlangen baute sich mehr und mehr auf, während ihre Augen ineinander verschränkt blieben. Sein Kiefer tat schon weh, weil er die Zähne zusammenbiss, um wenigstens eine Spur von Kontrolle zu behalten. Das spitze Stechen ihrer kurzen Fingernägel, die sich in seinen Bauch hineinkrallten, sagte ihm, dass sie ebenfalls buchstäblich in der Luft hing. »Ich kann nicht - ich kann nicht -« Er konnte sich auch nicht länger zurückhalten. Heftig zitternd bäumte er sich auf und stieß tief in sie hinein. Sie bog ihren Rücken zurück und drückte ihn mit einem Aufschrei noch tiefer, unmöglich tief. Seine Augen trübten sich, als ihn ihr ganzer Körper umschloss. Der Genuss war scharf und blendend. Seine Ohren rauschten. Ja, ja, ja. Mit zusammengebissenen Zähnen drängte er nach oben und stieß hart und tief in sie hinein, während er spürte, wie sich ihr Höhepunkt ankündigte. Caleb ritt sie unbändig, führte ihren Orgasmus zu immer höheren Gipfeln, während er sich im Zaum hielt, um auf sie zu warten. Schweiß lief ihm den Körper herab, und seine Muskeln zitterten vor Erregung. Er fasste zwischen ihre beiden Körper, fand ihre angeschwollene Klitoris und rieb sie. Seine Hüfte zuckte heftig in zitternden, krampfartigen Kontraktionen blind machender Lust, während sie gemeinsam kamen. Schweißnass brach sie auf seiner Brust zusammen, ihr schlaffer Körper war glutheiß wie ein Ofen. »O. Mein. Gott.« »Ja «,gelang es ihm hervorzustoßen, völlig verausgabt und kaum mehr fähig zu atmen. »Genau.« Sein Herz schlug wie ein Schmiedehammer, und es war mehr als erschöpfte Lust, die dafür verantwortlich war. Er war noch nie so zum Höhepunkt gekommen, so außer Kontrolle geraten. Diese Art Kontrollverlust konnte einen Mann umbringen und machte ihm deutlich bewusst, wie gefährlich diese Frau für ihn war. Der Zustand der Entspannung dauerte nur etwa zehn Minuten, ehe Caleb spürte, wie er wieder hart wurde. Mein Gott. Er war doch kein Jugendlicher mehr. Normalerweise dauerte es länger als zehn Minuten, bevor man wieder loslegen konnte. »Hm? «, murmelte sie und drückte einen Kuss auf seine Brust, als er sich zu bewegen begann. »Man kann viel darüber sagen, es langsam angehen zu lassen. « Sie setzte sich langsam auf. »Ich hatte gerade einen wunderschönen Traum. « »Schauen wir mal, ob wir ihn wahr werden lassen können. « Er hielt ihre Hüften, bestimmte den Rhythmus, dann ließ er sie los und glitt mit beiden Händen über ihre Brüste, genoss die Kurven und Täler ihres Körpers, während sie sich bewegte. »Dies-hier-ist-harte-Arbeit-weißt-du.« Sie genoss jedes Streicheln eindeutig ebenso wie er. »Ja-ah. Beug dich noch ein wenig tiefer. Mehr. Dort. Hm. « Er schloss seine Zähne sanft um ihre Nippel. Sie bog den Rücken, was ihn nur noch tiefer in sie hineinführte. Er biss leicht in ihre feste Brustspitze. Zur Vergeltung bewegte sie sich schneller und schnellen Caleb mussten ihr die Hände wieder auf die Hüften legen, damit sie auf Kurs blieb und nicht ohne ihn abhob. Ein Beben lief über seine Haut, und sein Herz hüpfte rhythmisch, als sich ihre Scheide um ihn herum zusammenzog und ihn auslaugte. Schweiß überzog seine Haut und trübte seine Sicht. Dieses Mal war es ebenso heftig wie beim letzten Mal. Noch immer eng ineinander verschlungen, legte er sie neben sich auf die Matratze, strich ihr dann über den Oberschenkel und zog ihr Knie über seines. Sie hob ihr Gesicht. »Küss mich«, befahl sie. Caleb gab nach und vergrub ihren Mund unter seinem. Sie gab tief in ihrem Hals ein leises, verzweifeltes Geräusch von sich und schlang dann die Arme um seinen Hals. Trotz des stundenlangen Liebesspiels durchfuhr es Heather wie ein Stromschlag, als er von ihrem Mund Besitz ergriff. Wer braucht schon Luft, dachte sie. Sie wollte, dass er nie damit aufhörte. Schließlich lösten sie sich voneinander und rangen nach Luft. »Wow«, war alles, was sie mit geschlossenen Augen hervorstoßen konnte. Caleb stöhnte theatralisch, als er sich auf den Rücken rollte. Heather lachte, bewegte sich aber nicht. »Wasser«, bettelte sie. Nach den paar Minuten, die er brauchte, um wieder zu Atem zu kommen, stand er auf, um das Kondom wegzuwerfen, und brachte ein Glas Wasser und ein warmes feuchtes Handtuch aus dem Badezimmer mit. Er wartete, bis sie getrunken hatte, kletterte ins Bett zurück, nahm das Glas und stellte es zur Seite. »Leg dich wieder hin. « Seine Stimme klang heiser. Heather fügte sich, lächelte und strich ihm das Haar aus der Stirn, als er sich über sie beugte. »Und denk an England? « Er strich mit dem warmen Tuch über ihren Bauch und folgte seiner Spur mit dem Mund. »Lass mich mal sehen, ob ich dir etwas Interessanteres zum Nachdenken geben kann. « Was dann folgte, trieb ihr jedes Fünkchen Verstand aus. Schließlich nahm er sie fest in die Arme. »Mach halt ein Nickerchen. « Er drückte ihr einen Kuss auf die Stirn. »Komm wieder zu Kräften. « Er schlief auf der Stelle ein. Heathers Lippen verzogen sich vor Belustigung, als ihr Blick den Umrissen seines Gesichts folgte. Da gab es nichts Weiches, nicht mal im Schlaf. Ein harter Mann. Aber zärtlich zu ihr. Gott, es tat ihr nicht leid. Die sexuelle Befreiung 一 sexuellen Befreiungen - war phänomenal gewesen. Fantastisch. Mehr noch, sie hatte die intime Nähe gebraucht. Dass jemand sie wahrgenommen hatte, nach ihr verlangt hatte, dem es nicht egal war, ob sie lebte oder, selbst starb wenn es nur für ein paar Stunden war. Caleb Edge hatte Hannah Smith ... wirklich werden lassen. Sie schaute ihre helle Hand an, die auf seiner gebräunten, behaarten Brust lag. Diese Hand kam ihr immer vertrauter vor. Der kurze, unlackierte Fingernagel. Die Finger ohne Ringe daran. Ihr ganzer Schmuck war entweder schon eingeschmolzen oder wurde es bald werden. So schmucklos waren ihre Hände ein Symbol für ihr neues Leben. mochte sie so. Sie liebte es, Caleb damit zu berühren. Aber der Traum war nun vorbei. Vorsichtig glitt sie aus seiner Umarmung, hielt kurz inne, als er im Schlaf grummelte, während sie den Schutz seines Körpers verließ. Sie wartete stocksteif und suchte in seinem Gesicht nach Zeichen, dass er dabei war aufzuwachen. Zum Glück schlief er weiten Ohne ihn aus den Augen zu lassen, hob sie ihre herumliegenden Kleider auf und zog ihre Jeans und das Sweatshirt über die nackte Haut. Ihr Höschen, den BH und die Socken steckte sie in die Handtasche. Sie verweilte mit der Hand auf dem Türgriff. war versucht, o ja, so versucht, zu dem großen, zerwühlten Bett und dem großen, zerwühlten Mann darin zurückzugehen. Nicht nur ihr Körper brannte darauf, zu ihm zurückzukehren, auch ihr Herz schmerzte wegen der Trennung. Genieße es, und schau nach vorn, ermahnte sie sich streng, als sie leise die Tür öffnete. Wie ein Dieb in der Nacht schlich sie mit den Schuhen und der Tasche in der Hand aus dem Zimmer. In dem Augenblick, als die Tür mit einem Schnappen hinter ihr zufiel, öffnete Caleb die Augen und setzte sich aufrecht. Voller Abscheu strich er sich mit den Fingern durchs Haar. »Arschloch.« Er hatte sie benutzt, schlicht und ergreifend. Und während das in seiner Branche nicht unüblich war, hasste er es, eine Frau auszunutzen, die nicht direkt betroffen - Was in Gottes Namen dachte er da? Heather Shaw war direkt betroffen. Sie war die Tochter ihres Vaters. Gott sei Dank war sie abgeklärt genug, erfahren genug, einen One- Night-Stand zu verstehen. Und obwohl ihr Sex aufwühlend gewesen war, war es doch nicht mehr gewesen. Nur ein One- Night-Stand, um Informationen zu bekommen. Sie hatte ihm nichts gegeben. Keine Informationen, um genau zu sein. Ihren Körper hatte sie ihm in mancher Hinsicht dargeboten, sodass sein Mund selbst jetzt noch wässrig wurde. Sein Körper hatte so darauf geantwortet, wie er noch nie zuvor reagiert hatte. Es gab eine Ebene bei ihrem Liebesspiel, die er sich nicht einmal hatte vorstellen können. Sie mit Heather Shaw zu erleben, jagte ihm höllische Angst ein. Nicht nur, weil sie die Tochter des Mannes war, den er suchte, sondern weil diese Art emotionaler Verstrickung nichts für einen Edge war. Sex war nur Sex. Gott sei Dank, dachte er ironisch und stieg aus dem Bett, um eine kalte Dusche zu nehmen. Noch einmal, und sie wären auf den Laken zu Asche verbrannt. Abwesend rieb er eine Faust gegen den Schmerz in seiner Brust, als er die Dusehe aufdrehte, und wunderte sich über das sonderbare unbekannte Gefühl. Schwer und leer. Liebeskummer? Blödsinn. Sodbrennen. Als er wenige Minuten später wieder aus dem Bad kam, wusste er, dass er sie nie mehr wiedersehen durfte. Sie mussten einfach einen anderen Weg finden, ihren Vater aufzuspüren. Aus den Augen, aus dem Sinn, dachte Caleb und legte seine Uhr an, nachdem er sich angezogen hatte. Sein Telefon klingelte nur wenige Sekunden bevor er sich nach Deutschland teleportieren wollte. Und er hätte Larks Anruf verpasst, wenn er nicht gezögert hätte, weil er plötzlich unsicher war, ob die Reise zu Kris-Alice die richtige Antwort auf sein Problem war. »Das war eine Sackgasse. Sie weiß nicht, wo er ist, oder sie sagt es nicht. Egal wie, wir müssen das ohne sie machen«, sagte er anstelle einer Begrüßung. »So viel zum Thema deiner legendären Überredungskünste«, erwiderte Lark und klang dabei ärgerlicherweise fröhlich. »Nicht genug Zeit gehabt? Nicht genug Charme? Was?« Zeit genug, mit Shaws Tochter zu schlafen. Zeit genug 一 zur Hölle. »Ich kann kein Blut aus einem Stein herausquetschen«, erklärte er ihr knapp. Er presste eine Faust auf die Brust. Sie gab einen unverbindlichen Ton von sich. »Hast du früher schon gemacht. « »Los, sag schon. « Sie wartete drei Sekunden, bevor sie sagte: »Wir haben ihn gefunden. « Verdammt noch mal. »Warum hast du das nicht gleich gesagt? « »Ich wollte nur hören, wie es mit Heather gelaufen ist. « »Ihr Name« 一 Calebs Kinn tat weh 一 »ist Hannah.« »Ist er das jetzt? « Sie wusste, dass es so war. Die verdammte Frau zog nur anseiner Kette. Seine Eingeweide fühlten sich an wie eine ver-dämmte Brezel. »Warte mal kurz, Lark. « »Du klingst ziemlich gereizt, mein Lieber. « »Sag mir bloß, wo zum Teufel er ist«, knurrte Caleb. »Ichhol ihn und werde die Sache hier abschließen. « Acht MATERA, ITALIEN FREITAG, 14. APRIL 02 UHR 00 Shaw hatte eine hervorragende Wahl getroffen. Der Hurensohn hatte sich bei einer Ausgrabungsstätte, einem Weltkulturerbe der UNESCO, im sassi-Distrikt von Matera in der südlichen Provinz Basilika in Italien verkrochen. Die Gegend war bis vor ein paar Jahren ein ziemlicher Saustall gewesen. Shaw hatte seine Spuren verwischt, indem er sich einen Ort als Versteck ausgesucht hatte, der renoviert wurde, anstatt einen seiner bekannten und üblichen Jetset- Urlaubsorte. Verdammt gerissen, gab Caleb wieder einmal zu, als er in die Nacht starrte. Nicht dass irgendjemand bestritten hätte, dass Brian Shaw, internationaler Bankier einiger der größten Terroristengruppen der Welt, einen hoch entwickelten Verstand besaß. Ursprünglich war die Eine-Million-Dollar-Frage gewesen, weshalb er sich vor einem Jahr überhaupt eine riesige Zielscheibe auf die Stirn geklebt hatte, als er untergetaucht war. Dann hatte T-FLAC einige interessante Informationen entdeckt. Mehrere Milliarden Dollar aus den Anlagefonds der Terroristen waren verschwunden. Shaw war mit dem Geld seiner Klienten getürmt. Schlechter Plan. Ganz, ganz schlechter Plan. Nunmehr war die Frage: Weshalb? Warum sollte man den sicheren Tod riskieren und Leute bestehlen, deren Geschäft das Morden war? Wenn man Shaws Klientel berücksichtigte, war das ein dummer Schachzug. Verdammt dumm. Besonders für einen gerissenen Kerl wie Shaw. Caleb zog die Augen zusammen und ignorierte das Jucken im Kreuz, um sich ganz auf seine versteckte Beute zu konzentrieren. Alle suchten nach Shaw und dem Geld. Die Guten genau wie die Bösen. Weshalb? Warum hatte er sein sorgsam aufgebautes, bequemes Leben fortgeworfen? Kriminelle Köpfe handelten selten impulsiv, denn wenn sie es taten, machten sie regelmäßig Fehler. Wie etwa den Fehler, der T-FLAC als Erste auf seine Spur gebracht hatte. Aber Caleb wusste, dass die diversen Terrorgruppen extrem motiviert waren, sowohl aus Rache als auch der Notwendigkeit ihr Geld zurückzukriegen. Shaw hatte ihnen Millionen exzellenter Gründe geliefert, ihn zu jagen. Und wenn sie das taten, würden sie den Hurensohn nur so lange am Leben lassen, bis sie wussten, wo ihr Geld war. Dann würden sie ihn umbringen. Langsam und schmerzhaft. Und obwohl das sicher kein Verlust wäre und dem amerikanischen Steuerzahler eine Stange Geld für den Prozess sparen würde, konnte T-FLAC nicht zulassen,dass das Geld wieder in die Hände der Terroristen gelangte. Bald würde es hier vor Bösen nur so wimmeln. Alle waren entschlossen, den Preis zu ergattern. Die Guten mussten gewinnen. Die sassi waren die fantastische Version eines menschlichen Ameisenhaufens, eine komplette Höhlenstadt, die aus dem weichen Tuffstein gegraben worden war, erhob sich aus einem alten Flussbett. Die Gegend war von der Geschichte durchdrungen und das bedeutendste intakte Beispiel für eine Siedlung von Höhlenmenschen im Mittelmeerraum. Perfekt an das Gelände und das Ökosystem angepasst. Der älteste bewohnte Bereich datierte aus dem Paläolithikum. Die halb verlassenen sassi waren ein beliebtes Revier für Filmemacher, die auf der Suche nach einer biblisch anmutenden Landschaft waren. Nicht dass sich Caleb und seine Männer auch nur die Bohne aus der Geschichte der Gegend machten oder aus der Tatsache, dass Mel Gibson hier einen Film gedreht hatte. Es lief alles darauf hinaus, dass dies hier ein hervorragendes Versteck für Shaw war. Komm raus, komm raus, wo auch immer du bist. Der Mond schien nicht, und der Sternenhimmel war von dichten Reihen langsam dahinziehender Wolken verdeckt. Eine hervorragend geeignete Nacht, um sich einen Terroristen-Bankier zu schnappen, der Geld veruntreut hat. Caleb, Rook, Farris und Dekker blieben weiter unsichtbar und beschränkten ihre Gespräche auf ein Minimum, während sie gut hundert Meter vom Haus entfernt standen. Bis jetzt hatten sie weder von Shaw noch von seinen Männer auch nur das geringste Zeichen entdeckt, aber laut T-FLAC-Informationen war der Feind innerhalb jener Mauern. Ein Hund kam den gepflasterten Weg entlang in ihre Richtung. Er hielt kurz an, schnupperte und rannte dann mit einem Jaulen dahin zurück, woher er gekommen war. Dekker schnaubte. »Schlauer Köter.« Caleb erlaubte sich ein schwaches Lächeln. Es war bekannt, dass Tiere Zauberer riechen konnten, unsichtbar oder nicht, und dass sie ihnen gewöhnlich aus dem Weg gingen. Drei Männer und eine Frau gingen nur knapp an den vier Zauberern vorbei und sprachen auf Deutsch über das Essen, das sie soeben im nahe gelegenen Restaurant gegessen hatten. Caleb hätte nur die Hand ausstrecken müssen, um sie zu berühren, dennoch setzten sie ihren Weg fort, ohne ihn wahrzunehmen. Er fragte sich, ob das die Tiere wohl klüger erscheinen ließ. Die Stadt Matera war auf einem Felsplateau erbaut worden, das durch die Gravina-Schlucht getrennt wurde. Shaws Haus befand sich in der Mitte des steilsten Teils. Umringt von ähnlichen Häusern, lag es gegenüber den Original höhlen, die in den cremefarbenen Tuffstein gegraben waren. Der Mistkerl war wie eine Ratte in einem besonders undurchdringlichen Loch. Shaw hatte zusätzlich eine Vogelperspektive auf das Tal darunter. Keiner konnte sich dieser merkwürdig geformten Festung unbeobachtet nähern. Keiner, außer einem unsichtbaren Zauberer. Matera war jahrhundertelang bitterarm gewesen, aber nun kehrten die gebildeten Söhne und Töchter der Bewohner zurück, eröffneten Restaurants und Geschäfte für Touristen und Einheimische gleichermaßen. Der Wohlstand war bei den sassi angekommen. Bei Fachleuten, Familien, Geschäften. Shaw hatte sein Schlupfloch clever mit Unschuldigen gepolstert. Über ihm, darunter und auf jeder Seite lebten und arbeiteten Hunderte von Leuten, die nicht wussten, wen sie in ihrer Mitte beherbergten. T-FLAC berücksichtigte alle Aspekte bei einem Einsatz, einschließlich Kollateralschäden. Calebs Magen zog sich zusammen, weil er wusste, dass sie ihr Ziel erreichen und dann abhauen mussten, bevor jemand verletzt wurde. Die Terroristen waren andere Kaliber. Ihnen würden die fünfjährigen Zwillinge im Haus nebenan scheißegal sein. Oder der blinde Achtzigjährige eine Straße darüber. Caleb verharrte bewegungslos, während sie beobachteten und warteten. Überwachungsarbeit gab einem Mann genügend Zeit zum Nachdenken. Positiv betrachtet, musste jeder Neuankömmling an vier Paar wachsamen Augen vorbeigehen, um hineinzugelangen. Während oberhalb von Matera auf dem Plateau Fahrzeuge erlaubt waren, gab es hier in den sassi nur Fußgänger Verkehr. Zum Glück hatten sie anderen Transport Möglichkeiten, dachte Caleb, während sie darauf warteten, dass die letzte Handvoll Restaurantgäste nach Hause ging. Meist waren es Touristen, die zurück zum Hotel Sassi auf der anderen Seite der Schlucht unterwegs waren. Die warme, ruhige Luft speicherte die appetitlichen Gerüche Hunderter Abendessen. Caleb rieb gedankenverloren mit der Hand über seinen schmerzenden Bauch. Er verspürte seit Monaten einen unerklärbaren Hunger in seinem Magen. Nicht auf Essen. Er brauchte ... Aktivitäten. Schießereien. Herumgerenne. Hannah. Das irgendetwas passierte. Ja. All dieses. Und er brauchte es bald. Er war traurigerweise sogar dankbar gewesen für Larks Anruf in San Francisco, nachdem Hannah ihn verlassen hatte. Mann, er war so froh gewesen, zur Arbeit zurückzukehren. Nach drei Monaten Zwangspause wieder mitten hineinzukommen ... Warum zum Teufel hatte sie sich so einfach davonschleichen müssen? Sie hätte zumindest »Danke für den tollen Fi -, äh Nachmittag« sagen können. Sich den Bauch zu reiben vertrieb den Schmerz nicht. Das tat es nie. Caleb ließ die Hand sinken. Macht schon, Leute. Geht endlich heim. »Rook«, sagte er leise. »Geh und check das Restaurant. « Es war zwei Uhr morgens, mussten diese Leute nicht bereits in ein paar Stunden aufstehen und zur Arbeit gehen? Man konnte den Klang rastloser Tiere und das Geflüster der Stimmen die ganze Felsschlucht rauf und runter hören, als sich die Leute für die Nacht fertigmachten, aber die Lichter im nahe gelegenen Restaurant waren immer noch an, und der Klang lachender Menschen 一 verdammt noch mal 一 einer lachenden Frau raubte Caleb den letzten Nerv. Hannahs Lachen war heller. Weshalb dachte er immer noch daran? Sie waren Erwachsene. Ein One-Night-Stand war doch heutzutage keine große Sache mehr - aber verdammt noch mal, sie hatte sich nicht mal mehr vorgebeugt und ihn zum Abschied geküsst. war, die Schuhe und den Mantel in der Hand, aus dem Zimmer geschlichen wie ein verdammter Dieb in der Nacht. Sie hatte eindeutig nicht dasselbe heftige, durch Mark und Bein gehende befühl empfunden wie er. War okay so, wie es gelaufen war. Ja. Verdammt okay. Ein One-Night-Stand sollte ja genau so sein. Eine Nacht. Oder genauer gesagt ein verdammter, heftiger, unglaublicher, überirdischer Nachmittag. Was auch immer. Er war dankbar, dass sie die Gelegenheit gehabt hatte, zuerst zu verschwinden. Die Alternative wäre viel schlimmer gewesen. Der Knoten in seiner Brust zog sich enger zusammen, als er sich das entgegengesetzte Szenarium vorstellte. Was, wenn er derjenige gewesen wäre, der sich aus dem Bett schlich? Schließlich wollte er sie nicht mit einem Gefühl schmerzender Leere verlassen, die niemand füllen konnte. Er wollte der Frau nicht das Herz brechen. Nein, ihre Trennung war prima gelaufen. Großartig. Hervorragend. Er hatte seine Beute und das Mädchen verloren. Zu dem Zeitpunkt, als er und seine Männer vor drei Monaten in San Cristobal angekommen waren, war Shaw weg gewesen. Natürlich war er das. Lark hatte Caleb von der Suche nach Shaw abgezogen und behauptet, sie sei es leid, ihm in sein blasses Gesicht zu schauen und seinem Gemecker zuzuhören. Er habe Schmerzen und solle verdammt noch mal diese Auszeit nehmen, oder sie würde ihn feuern. Sie hatte ein Verfolgerteam losgeschickt, um der fast unsichtbaren Spur des Bankiers zu folgen, jedem Hinweis nachzugehen, den sie finden konnten, und hatte Caleb angewiesen, sich für mindestens zwei Wochen zu verdrücken. Also hatte er diesen verdammten Urlaub genommen. Er war nicht nach Deutschland zu Kris-Alice gefahren. Sie verdiente etwas Besseres als Caleb Edge in einer seiner »Launen«, wie Lark es nannte. Stattdessen war er nach Paradise Island gereist, einem T-FLAC Trainingslager mitten in den französisch-polynesischen Marquesa-Inseln. Sonne, Strand und ein paar Anfänger, die man zur Schnecke machen konnte. Ein guter Urlaub. Außerdem hatte er keine verdammte »Laune« gehabt. Er hatte sich aufgeregt und geärgert, dass Shaw so schwer zu fassen war. Wie wird sie sich fühlen, wenn er ihren Vater umbrachte? Was denkst du denn, wie sie sich fühlen wird? Verflucht. Denk einfach gar nicht daran. Nach einer Woche auf Paradise Island hatte er Lark angebettelt, ihn irgendwohin zu schicken. Ganz egal, wohin. Sie hatte ihn mit einem kleinen Team in die saudische Wüste geschickt. Dort gab es Sonne und noch mal Sonne. Das T-FLAC PSI-Team brauchte drei Wochen, um die Zielfiguren in ihrem Versteck aufzustöbern, aber sie hatten die Terroristen gefunden und sich mit ihnen befasst. Es wurde eine Menge geschossen, gerannt und Kugeln ausgewichen. Sie waren sieben zu eins unterlegen gewesen. Es hatte Spaß gemacht. O zur Hölle, dachte Caleb plötzlich. Was, wenn sich Hannah und ihr Vater ausgesöhnt hatten und sie gerade jetzt innerhalb dieser Tuffsteinwände war? Sein Herz überschlug sich beinahe, und sein Mund wurde trocken. Was wäre, wenn? Es war neunundachtzig Tage her, seit er die Frau das letzte Mal gesehen hatte. War sie da drinnen bei ihrem Vater? Alles war möglich ... Aber wenn Hannah so nahe wäre, würde er es nicht spüren? Würde er es nicht wissen} Ein Paar ging vorbei. Besorgt euch ein Zimmer, Leute, dachte Caleb genervt, als sie sich knapp einen Meter von ihm entfernt intensiv küssten. Er presste die Faust auf die Brust und schloss die Augen. »Ich hab dir doch gesagt, bleib weg von den Lammkoteletts«, flüsterte Farris. Er wünschte sich, der verdammte Schmerz könnte durch ein Magenmittel erleichtert werden. Caleb ignorierte seinen Partner und kehrte zu seinen Erinnerungen an Hannah zurück, seinem beliebten, aber quälenden Zeitvertreib. Er hatte ihren Duft geliebt, reif und saftig. Sie hatte nach Hoffnung gerochen und nach Versprechen, von denen er wusste, er würde sie nie hören. Sie roch nach Hannah. Seiner Hannah. Nein, nicht seine. Niemals seine. Und auch nicht Hannah. Heather. Heather Shaw. Es gab ein Dutzend guter Gründe, weshalb Hannah nie die Seine sein konnte. Vergiss die letzten acht. Nummer zwei war, dass ihr Vater so schmutzig war, wie es nur ging, und tief in die Finanzen seiner Kunden - etwa einem Dutzend Terroristengruppen, Drogenbaronen, Waffenhändlern, Kinderpornohändlern 一 verstrickt war. Hannah würde sicher nicht Calebs größter Fan werden, wenn er ihren Vater umbrachte. Und wenn es ihm durch ein seltsames Wunder gelänge, an Grund Nummer zwei vorbeizukommen, dann würde Grund Nummer eins der Sache den Rest geben. Es gab da ja noch das winzige Problem von Nairnes Fluch. Pflicht über Liebe, so wähltest du Was bewies, was für ein Schlappschwanz sein Gott-weiß-wievielter Ur-, Ur-, Urgroßvater gewesen war. Der ursprüngliche Magnus, damals noch Edridge, hatte sich in ein Dorfmädchen namens Nairne verliebt. Aber er hatte die Pflicht über die Liebe gestellt, als er Janet, die unscheinbare Tochter der Gutsherren geheiratet hatte, so wie seine Familie es wollte. Von dir verschmäht, fand mein Herz keine Ruh Einzig - das schöne Dorfmädchen war in Wahrheit eine Hexe, und wenn schon ein verschmähtes Weibsstück die wahre Hölle ist, dann ist der Groll einer verschmähten Hexe wohl zehnmal schlimmer. Bestraft sollst du sein, kein Stolz dir gewährt Drei Söhne auf drei Söhne nur Schmerz sich vermehrt Seit fünfhundert Jahren immer drei Söhne, nicht eine Tochter war dabei. Was bewies, dass sich die Edges prima vermehrten. Zum Problem wurde es, wenn sie ihre Bräute liebten. Zur Erinnerung an mich dir meine Kräfte ich gebe Seine Brüder und er hatten sich oft gefragt, ob sie immer noch Zauberer sein würden oder, wenn der Fluch gebrochen wurde, ihre Kräfte verschwinden würden. Da die Edges aber seit fünfhundert Jahren versucht hatten, Nairnes Fluch zu brechen, und stets gescheitert waren, nahmen sie an, die Antwort wäre lediglich rein rhetorisch. Die Freude der Liebe kein Sohn je erlebe Ja, was auch immer. Keiner von ihnen war bereit, eine emotionale Bindung einzugehen. Nicht, wenn man mit den Konsequenzen aufgewachsen war. Eine Gefährtin des Lebens, von eines Sohnes Herz gewählt Ihr Schutz ist vergebens, die Tage zu meinem Sieg sind gezählt. Nicht mal mit einer Gefährtin fürs Leben, wenn es so jemanden überhaupt gab. Seine Brüder und er hatten dieses Feld ausgiebig beackert, eine Stelle intensiver als andere, aber am Ende hatte es keine emotionalen Fesseln gegeben. Auf diese Art war es auch sicherer. Das Bild einer satt geküssten und zufriedenen Hannah ließ ihn scharf einatmen. Tief wird sein Schmerz sein, schnell ihr Tod, Sein Herz zerrissen in ewig währender Not. Glücklicherweise würde das ohne Bindungen nicht passieren. Caleb presste die Faust auf die Brust. Das Paar küsste sich, als würde es sterben, wenn es voneinander ließe. Um es auszublenden, schloss er wieder die Augen. Leider konnte er die beiden immer noch hören. Nur aus freien Stücken gegeben, wird dieser Fluch enden Drei müssen eins werden, und das Blatt wird sich wenden. Seine Brüder und er hatten kein Problem damit, wie einer zu arbeiten, aber sie hatten keine Ahnung, was zum Teufel aus freien Stücken gegeben werden musste. Die Liebe? In diesem Fall wären Gabriel, Duncan und er aufgeschmissen. Das würde nicht passieren. Die Frau seufzte, ihr Seidenrock raschelte, als der Mann sie enger in seine Arme zog. Hannah hatte auch so ein süßes Geräusch gemacht als er 一 Komm über sie hinweg. Gib die Hoffnung auf. Caleb rieb sich das Gesicht. Vielleicht konnte er Hannah mit einer Gehirnwäsche aus seinem Kopf kriegen? Eine Lobotomie am Gehirn. Irgendeine Art bewusstseinsverändernde Droge. Er würde der Sache auf den Grund gehen, wenn das hier vorbei wäre. Endlich, endlich, trennten sich die Liebenden voneinander und gingen weiter, Gott sei Dank. Sie gingen eng umschlungen und warfen nur einen gemeinsamen Schatten, als sie den holprigen Weg hinunter verschwanden. Ihre Schuhe klapperten auf dem harten Stein. Ihr leises, vertrautes Lachen verstärkte Calebs Grad der Verärgerung noch. Das enge, gepflasterte Labyrinth von Wegen schlängelte sich in unregelmäßigen Absätzen zwischen den Häusern hindurch und reflektierte trügerisch den Schall. Eines nach dem anderen gingen die Lichter innerhalb der Felsschlucht wie Leuchtkäfer aus. Hannah würde denken, dass - verdammt noch mal. Caleb sog scharf die Luft ein. Warum konnte er sie nicht vergessen? Warum hatte er nach all diesen Monaten immer noch so ein klares, deutliches Bild von ihr vor Augen? Er fürchtete, er wusste weshalb. »Alles klar? «, fragte Tony Rook leise aus der Dunkelheit. »Ging mir verflucht noch mal noch nie besser« »Unsinn«, flüsterte Rook. Caleb ignorierte ihn. Was, wenn er einfach mal nach ihr schaute? Nicht reden. Nur nachschauen. Sichergehen, dass es ihr gut ging. Sie würde gar nicht wissen, dass er da war. »Bleibt draußen. « Dekker tauchte auf und unterbrach Calebs inneren Monolog. »Was ist passiert? « Caleb hörte etwas in der Stimme des anderen Mannes. »Bin steckengeblieben. Passt auf. « Ja. Zurück zum Auftrag. Besser. »Der Plan wurde geändert. « Keir Farris konnte leiser flüstern als alle, die Caleb je kennengelernt hatte. Seine Stimme war beinahe so leise wie ein Gedanke. Das war vor einiger Zeit ziemlich praktisch gewesen bei ihrer Mission in Gofuckistan,als der Unterschlupf der Terroristen absolut ohne Schallschutz gewesen war. Die gute Nachricht war, dass sie keinen anderen Zauberer in Shaws Bollwerk hier in den sassi gespürt hatten, der ihre Anwesenheit aufdeckte. Die schlechte Nachricht war, dass Shaws Schlupfloch aus einer Reihe von kleinen, miteinander verbundenen Höhlen bestand und jede davon voller schwer bewaffneter Muskelprotze war. Nicht dass Shaws Feuerkraft ihnen etwas ausgemacht hätte, im Gegenteil: Sie hätten ein wenig Action derzeit sogar begrüßt. Aber ein Schusswechsel war nicht das, weshalb sie hergeschickt worden waren. Sie brauchten Shaw lebendig. Er war der Einzige, der wusste, wo das Geld versteckt war. Um ihren Auftrag zu erledigen, mussten sie sich an seinen exakten Aufenthaltsort teleportieren und mit ihm verschwinden, ohne dass irgendjemand etwas davon mitbekam. Das klang nicht extrem schwierig. Jetzt, da sie die grundsätzliche Position des Mannes kannten, war es bloß eine einfache Rückholaktion. Aber obwohl Caleb in der Zeit zurückspringen konnte, falls sie gesehen würden, wollte er seine TiVo- Fähigkeit nicht verschwenden. Er konnte nur dreimal zur selben Zeit an den gleichen Ort zurückspringen. Jeder Versuch zählte. Das Problem war, Shaws exakten Standort ausfindig zu machen. Er war dort drin. Aber wo genau? Sie mussten ihn sehen können, um ihn zu teleportieren. »Ich nehme an, du hast ihn nicht gefunden? «, fragte Caleb Dekker. »Nein.« »Hast du ihn gesehen? « »Leider nein.« »Ich werde fünf Minuten zurückspringen. Alles klar. Keiner wird sich daran erinnern, dass du da warst. « Und aus seinem Team würde sich ebenfalls keiner an die Wiederholung erinnern. Niemand außer ihm selbst würde jemals wissen, dass die Zeit manipuliert worden war. Neun »Ich nehme an, du hast ihn nicht gefunden? «, fragte Caleb Dekker, als er zum zweiten Mal neben ihm auftauchte. »Nein. Ich habe Mist gebaut. Eine kleine Fehlberechnung. Ich wäre beinahe für immer in einem Felsen steckengeblieben. Und du?« »Negativ.« Caleb spürte Rooks Auftauchen Sekunden bevor der Mann ihn leise ansprach. »Das Restaurant schließt. Nur noch der Besitzer und seine Frau sind da. Ich vermute mal, noch etwa zehn Minuten. « »Lange genug«, sagte Caleb. »Also los. « Sie waren früher bereits in einige der Häuser neben ihrem Zielobjekt geschlüpft, um zu sehen, wie tief diese in den Berg hineinreichten. Aber das war nicht notwendigerweise ein Indiz für die Tiefe von Shaws Haus. Dort hatte es in den letzten fünf Jahren gewaltige Ausgrabungen gegeben, denn Shaw wusste, dass er eines Tages ein sicheres Versteck brauchen würde. Keiner der Einheimischen wusste sicher, wie tief man eine neue Höhle in den weichen Tuffstein graben konnte. Er war dort drinnen. Irgendwo. Caleb war sich sicher, dass einer von ihnen ihn finden würde. Wenn er an Hannah dachte, hoffte er, dass einer aus seinem Team vor ihm bei dem Mistkerl ankam. Er teleportierte sich zu seiner geschätzten Eingangsstelle etwa achthundert Meter tief im Fels und landete beinahe auf dem kahlen Kopf eines Mannes, der wie ein Football-Abwehrspieler gebaut war. Es war ein Wunder, dass sich der Kerl in diesen engen Unterkünften mit weiteren zwanzig Mann im Raum überhaupt am Hintern kratzen konnte. Sofern Shaw ihn nicht als reine Muskelmasse brauchte, konnte sich Caleb keine sinnvolle Aufgabe für ihn vorstellen. Caleb ignorierte Riesen-Mann und checkte schnell den Raum. Betten säumten die grob behauenen Wände aus cremefarbenem Gestein. Keine Bequemlichkeit für die Männer. Steinwände, Steinboden. Nackte Glühbirnen mit offenen Kabeln hingen gefährlich von einer abbröckelnden Gipsdecke herab. Betten. Spinde. Waffenschränke. Der Raum war möglicherweise etwas mager ausgestattet, aber das Waffenmagazin machte den Mangel an Dekor mehr als wett. Eine Öffnung an jedem Ende des Raums deutete an, dass der Ort wie ein Schießstand konzipiert war, mit einem Durchgang, der jede Höhle mit der nächsten verband. Dies war eindeutig ein Schlafsaal, und er roch auch wie einer. Der Gestank von abgestandenem Schweiß, dreckigen Socken und Essensresten hing in der Luft. Die Männer machten sich zum Schlafen fertig. Caleb ignorierte sie und ging durch den Raum zu den aufgestapelten Waffen. Das Übliche: AK-47, XM8, G3A4 - die zusammenklappbare Taschenversion des G3. Ein paar halbautomatische Pistolen und eine Riesenmenge Munition. Es war laut genug, um die Geräusche zu überdecken, die er machte, als er die gefundenen Waffen lahmlegte, indem er sie blockierte oder die Schlagbolzen entfernte. Als das erledigt war, schlich er in den nächsten Raum. Noch ein Schlafsaal. großer. In diesem waren fünfundsiebzig Mann. Wieder machte er die Waffen unbrauchbar und beschleunigte seine Bewegungen, um Zeit zu sparen. Er war zwar unsichtbar, aber die Waffen, mit denen er hantierte, waren es nicht. Wenn irgendjemand zufällig eine Bewegung mitbekam, wäre sie so kurz, dass er glauben würde, er hätte sie sich nur eingebildet. Mann, er liebte diesen Teil des Jobs. Das Einzige, das besser war, als ein T-FLAC-Agent zu sein, war zu T-FLAC-PSI zu gehören und ungesehen zwischen den Feinden herumzuspazieren. Was für ein Pech, dass er nicht die Zeit hatte, sie mit den Köpfen zusammenzuschlagen. Er grinste, während er unbemerkt zum nächsten Raum ging. Eine große Küche. Leer und sauber. Sie hatten frisches Brot zum Abendessen gehabt, und der warme, intensive Duft ließ seinen Magen knurren. Shaw verhungerte nicht hier drin, dachte Caleb trocken und sah sich nach ein paar Nüssen um. Er hatte in den letzten paar Monaten ein unstillbares Verlangen nach Paranüssen, aber im Moment wäre ihm jede Sorte recht gewesen. Ein Londoner Spitzenkoch arbeitete für Shaw. Es war klug von ihm, seine Männer gut zu ernähren. Ein voller Bauch und gute Bezahlung, sehr gute Bezahlung, würden garantieren, dass die Männer an Ort und Stelle blieben. Aber für wie lange? fragte sich Caleb und öffnete die Tür zu einer weiteren Speisekammer. Mein Gott. Vergiss die verdammten Nüsse! Er schüttelte den Kopf und schloss die Tür. Tische und Stühle für hundert Mann. Anstatt der salzigen Nüsse, die er eigentlich wollte, nahm sich Caleb einen Haferkeks mit Rosinen aus einer riesigen Dose von einem der Tresen. Kühlschränke, Spülmaschinen, eine voll ausgestattete Großküche. Ja, Shaw ernährte seine Männer wirklich gut. Das musste er auch, damit zweihundertfünfzig Mann mit ihm in diesen Höhlen eingeschlossen blieben. Der Mann war gut vorbereitet, aber das hatte T-FLAC bereits über Brian Shaw gewusst. Sie wussten, dass er anspruchsvoll war, gut organisiert - einige nannten es pingelig - und hochintelligent. War der Tod von Babette Shaw letztes Jahr der Auslöser für Brians ungewöhnliches Verhalten gewesen? Wie hatte sich Heather gefühlt, als sie erfahren hatte, dass ihre Mutter ermordet worden war? Hannah. Er - T-FLAC 一 wusste, wo sich Heather Shaw aufhielt. Immer noch in San Francisco. Und falls sie irgendeinen Zugang zu den Milliarden besaß, die ihr Vater unterschlagen hatte, dann hatte sich dies eindeutig nicht in ihrem Lebensstil niedergeschlagen. Und laut verlässlichen Quellen hatte irgendjemand seit fast fünf Jahren in diesem Berg gegraben, dachte Caleb und wandte seine Aufmerksamkeit statt Shaws Tochter wieder Shaw selbst zu. Was bedeutete, dass die Unterschlagung nicht spontan geschehen war. Caleb schnappte sich noch ein paar Kekse. Vielleicht nicht spontan, aber immer noch verdammt dämlich. Er trank etwas kalte Milch und stellte den Krug wieder in den Kühlschrank zurück. Laut T-FLAC-Quellen war Shaw in seinem Job zunächst hervorragend gewesen. Er hatte das Geld seiner Kunden gehütet, hatte es investiert und gewaschen. Seine Provisionen hatten ihm pro Jahr ein paar Millionen Dollar eingebracht, das meiste davon steuerfrei. Es war ja nicht so, dass er Einnahmen angeben konnte, die aus der Teilnahme an einer kriminellen Verschwörung stammten. Also weshalb stahl er das Geld seiner Kunden? Er hatte bereits ein Leben voller Überfluss und Privilegien geführt. Er hatte alles besessen, was sich ein Mann nur kaufen konnte, und etliches, was man nicht kaufen konnte. Also weshalb stehlen? Von Terroristen?! Dumm war gar nicht das richtige Wort. Nirgendwo auf der Welt konnte er das Geld ausgeben. Nirgends würde er jemals sicher sein. Verdammt. Das Verhalten des Mannes war unlogisch. Caleb nahm sich ein paar fette Oliven und wischte sich die Hände an einem gefalteten Handtuch ab, während er kaute und weiterging. Weshalb würde ein vernünftiger Mann die goldene Gans rauben? Es stand fest, dass Shaws Erkunden, sollten sie ihn einholen, die Information über den Aufenthaltsort ihrer Gelder auf jede erdenkliche Art aus ihm herausquetschen würden. Caleb kam zu einem Freizeitraum. Es gab alles, was ein Mann brauchte. Außer einer Frau natürlich. Er fragte sich flüchtig, wie Shaw dieses Bedürfnis seiner zweihundertfünf- zig Männer befriedigen mochte. Männer hatten schon für weniger getötet als den Mangel an Sex. Es gab Liegesessel, einen riesigen Fernsehbildschirm und Hunderte aktueller Kinofilme. Wo zur Hölle bist du, Shaw? Und bitte, lieber Gott, lass nicht Heather bei ihm sein. Caleb war so sicher gewesen, dass Shaw hier war, aber jetzt fragte er sich, ob die Information falsch war und sie einen Fehler gemacht hatten. Er war bereits mehr als einen Kilometer von seiner Einstiegsstelle entfernt, und immer noch gab es keine Spur von dem Mann. Und auch kein Anzeichen, dass dieses Labyrinth, das Shaw sein Zuhause nannte, jemals enden würde. Satellitenfotos hatten gezeigt, dass es auf der anderen Seite des Berges keine Höhlenöffnungen gab. Und falls dort welche wären, hatte Caleb ein weiteres Team positioniert, das nur darauf wartete, den Ruhm einzuheimsen. Shaw war beim Reingehen beobachtet worden. Es gab keinen anderen Ausgang. Er war immer noch hier. Irgendwo. Als Nächstes die Latrine. Caleb überprüfte, dass niemand dort war, und pinkelte dann. Der Gedanke, jemand könnte reinkommen und mitten in der Luft einen Urinstrahl sehen, ließ ihn grinsen. Er ging weiter. Ah. Nun, dies sah vielversprechend aus. Die nächste Öffnung war eine Art Korridor mit drei engen, sich kreuzenden Tunneln. Anders als im anderen Teil, gab es in den Tunneln kein Licht. Ohne zu zögern, ging Caleb nach links. Der naturgemäße Hang wäre es gewesen, nach rechts zu gehen. Er hatte genug Licht von hinten, um ihm den Weg für ein paar Hundert Schritte zu weisen. Danach war es schwärzer als im Herzen einer Hexe. Das Nachtsichtgerät setzte er nicht auf. Er sah ziemlich gut im Dunkeln, und nach ein paar Augenblicken hatten sich seine Augen gut genug angepasst, um die Ecken und Winkel in den hellen Wänden zu erkennen. Er bemerkte ihre Anwesenheit, erahnte sie mehr, als dass er sie spürte, Sekunden, bevor er das dunkle Knurren hörte. Caleb verharrte, die Haare an seinen Armen stellten sich auf. Es knurrte aus mehreren Kehlen. Ein Rudel schwarzer Hunde rannte mit glänzenden Augen und gefletschten Zähnen aus der Dunkelheit auf ihn zu. Zehn SAN FRANCISCO FREITAG, 14. APRIL 10 UHR I5 Sie war schwanger. Natürlich war sie das, dachte Heather, während sie in ihrer viel zu kleinen Wohnung auf und ab ging. Gott hatte einen perversen Sinn für Humor. Jener Tag mit Caleb war magisch gewesen, daher musste es wohl eine Buße dafür geben. Sie war immer schon verrückt nach Kindern gewesen und hatte nie daran gezweifelt, eines Tages zu heiraten und welche zu bekommen. Aber nicht jetzt. Nicht solange ihr eigenes Leben zum Erliegen gekommen war. Nicht solange einer der Geschäftspartner ihres Vaters sie wie ein Bluthund verfolgte. Heather schlang sich die Arme um die Brust und rieb ihre Oberarme, während sie durchs Zimmer kreiste. »Klingel, verdammt noch mal«, knurrte sie das stumme Telefon an, als sie sicher zum neunhundert neunundneunzig Mal während der letzten zwei Stunden an ihm vorbeiging. Nachdem sich die Schwangerschaft bestätigt hatte, brauchte sie noch gut eine Woche, bis sie genug Mut aufbrachte, die Nummer auf Calebs Visitenkarte anzurufen und ihm eine Nachricht zu hinterlassen. Aber jetzt, da die Entscheidung gefallen war, es ihm zu sagen, wollte sie sofort mit ihm sprechen. Obwohl sie gewusst hatte, dass er sie gar nicht hätte anrufen können, war Heather während der vergangenen achtzig Tage perverserweise sauer gewesen, dass er es nicht getan hatte. »Und wie hätte er das tun sollen? «, fragte sie sich laut. »Er weiß nicht, wo ich wohne. Er kennt meine Telefonnummer nicht. Er kennt mich nicht. « Schlimmer noch, anders als sie hatte er jenen Tag wahrscheinlich längst vergessen. Was hoffte sie, dass Caleb tun würde? Ihr die schwierigste Entscheidung ihres Lebens auszureden? »Erwarte nicht, dass er begeistert sein wird«, sagte sie sich. Während der gemeinsam verbrachten Stunden hatte Caleb sie nie nach ihrer Telefonnummer oder Adresse gefragt. Nicht dass sie ihm diese gegeben hätte, aber verdammt noch mal, er hatte nicht mal gefragt. Was bedeutete, dass er keine Absicht gehabt hatte, sie wiederzusehen. Egal, was er ihr zu verstehen gegeben hatte. »Er wird nicht begeistert sein, wenn ich es ihm sage. « Welcher Mann wäre das? Sie war ebenso verantwortlich wie er. Sie war erwachsen. Sie hätte jederzeit Nein sagen können. Wie verantwortungsbewusst war sie gewesen, dass sie die Sache nicht unterbrochen hatte, als ihr klar wurde, dass sie keine Verhütung benutzten? O ja. Als ihr Verstand endlich ihren Körper eingeholt hatte, war es ein wenig zu spät gewesen, das Pferd wieder in den Stall zu bringen. Und sosehr sie es auch hasste, es ihm sagen zu müssen, so hatte er doch ein Recht zu erfahren, dass sie gemeinsam ein Kind gezeugt hatten. Falls er ihr dazu je die Gelegenheit gab, konnte er ihre Nachricht ebensogut ignorieren. Oder sie könnte verloren gehen. Oder - Er würde anrufen. Sie war sich ziemlich sicher, dass er anrufen würde. »Also werde ich es ihm sagen. Ohne E-Emotion.« Der Aussetzer in ihrer Stimme verhieß nichts Gutes, und sie räusperte sich, als würde er plötzlich direkt vor ihr stehen. Sie würde ihm sagen, dass es ihr Körper war und dass sie, das war ihr am wichtigsten, nichts von ihm wollte. »Es ist meine Entscheidung. « Tränen füllten ihre Augen. Sie wischte sie weg. Die Hormone. Sie tat sich selbst leid. Sie sehnte sich verzweifelt nach ihrer Mutter, was die Tränen noch heftiger fließen ließ. Sie biss sich auf die Unterlippe, wischte die Tränen mit beiden Händen fort und wünschte, sie würde sich nicht so verdammt traurig, einsam und verängstigt fühlen. In der Tat war sie bereits ziemlich einsam und ängstlich gewesen, bevor sie herausgefunden hatte, dass sie schwanger war. Sie vertrieb das Bila eines Babys mit rosa Bäckchen und großen Augen mit Gewalt aus ihren Gedanken. Dasselbe süße Gesicht, das ihr nun noch mehr Grund für Albträume und schlaflose Nächte gab. Überall, wo sie hinschaute, sah sie schwangere Frauen und Babys. Als sie heute Morgen aufgewacht war, war sie sich sicher gewesen, ihr Baby weinen zu hören. Und dann war ihr klar geworden, dass ihr eigenes Schluchzen sie geweckt hatte. Sie hatte keine moralischen oder religiösen Gründe, die gegen eine Abtreibung sprachen. Aber, o Gott, ihre Arme waren leer, und ihr Herz sehnte sich danach, dem winzigen Leben in ihrem Innern die Liebe zu schenken, die sie in sich trug. Sie konnte sich keinen sicheren, logischen Weg vorstellen, diese Schwangerschaft durchzuziehen und das Baby zu behalten. Oder auch nur die nächsten sechs Monate zu überstehen und das Kind dann zur Adoption freizugeben. Sie konnte kein anderes Leben riskieren, sie konnte es einfach nicht. Also war die Entscheidung gefallen. Und sie würde dabei bleiben. »Morgen um zwei Uhr wird alles vorbei sein. « Sie hatten ihr gesagt, sie solle jemanden mitbringen, der sie danach heimfahren konnte, aber da gab es niemanden. Indem sie Emotion durch Effizienz ersetzte, hatte Heather sich einen Fahrdienst organisiert, der sie von der Klinik abholen würde. Trotz ihres engen Budgets hatte sie keine andere Wahl gehabt. Ein Taxi war nicht zuverlässig. Sie hatte gestern eingekauft und ausreichend praktische Lebensmittel eingelagert, hatte das Bett frisch bezogen und neue Zeitschriften auf den Nachttisch gelegt. Sie war bereit. Es war ja nicht so, als ob sie tage- oder gar wochenlang außer Gefecht gesetzt sein würde. Es war eine einfache Prozedur ... Gott. Ihr Hals schmerzte wegen all der ungeweinten Tränen, und ihre Brust fühlte sich unerträglich eng und zusammengeschnürt an. Sie war bereits außer Gefecht gesetzt. »Klingel, verdammt noch mal! « Menschlicher Kontakt, eine Stimme, selbst eine wütende Stimme würde jetzt wenigstens etwas von ihrem Selbstmitleid und der furchtbaren Stille durchtrennen, die mit dem Klang zweier Herzschläge zu klopfen schien. »Caleb Edge, wo bist du? « Elf DIE SASSI, MATERA FREITAG, 14. APRIL 19 UHR 00 Caleb vermied es nur um Haaresbreite, zwei Sekunden und dankt seiner Fähigkeit, sich teleportieren zu können, nicht zerfleischt zu werden. Er haute verdammt schnell ab, aber nicht schnell genug, dass einer der Killerhunde nicht versuchte, ein Muck aus seinem Bein zu beißen. Er fühlte immer noch den heißen tierischen Atem auf seiner ungeschützten Haut und schlug mit dem Rücken hart gegen eine Stuckwand, während er darauf wartete, dass sein Herz sich wieder aus seinem Hals zurückzog. Verdammte Scheiße. Das war knapp. Hunde. Shaw hatte ein verdammtes Rudel Hunde da drin. Rottweiler? Deutsche Schäferhunde? Dobermänner? Caleb hatte sich nicht damit aufgehalten es herauszufinden. Sie waren wütend und schnell auf ihn losgegangen, und ihr Gebell war laut genug gewesen, um die schlafenden Männer aufzuwecken und die Wachen zu alarmieren. Es herrschte ein wildes Durcheinander. Männer konnten ihn nicht sehen, aber Hunde spürten definitiv, dass etwas dort war. Irgendetwas Gefährliches, Bedrohliches. Wegen des kleinen Zwischenfalls sprang er nicht in der Zeit zurück. Es war unbedeutend. Keiner hatte ihn gesehen, und Hunde kläfften häufig ohne Grund. Der Gedanke amüsierte ihn, dass nun alle aufsprangen und durcheinanderliefen, um dann nichts zu finden. »Hi«, begrüßte er Dekker, als dieser draußen bei Caleb auftauchte. »Warst du das? « Dek bezog sich auf den Grund, weshalb die Hunde tief unten in der Höhle immer noch bellten. »Ja.« »Bist du gebissen worden? « »Der Anzug hat einen Riss. « Etwas, wovon man so gut wie noch nie gehört hatte. Der vom T-FLAC-Wissenschaftler Jake Dolan erfundene Lock-Out-Anzug war ein modernes Wunderwerk der Technik. Er war praktisch unzerstörbar. Caleb hatte gar nicht bemerkt, dass er gebissen worden war, aber andererseits waren die Hundezähne verdammt scharf gewesen. Besser der Anzug als ich’ dachte er, als er spürte, wie sein warmes Blut den Oberschenkel hinuntertropfte. Verdammt. Sobald der Adrenalinschub nachließ, würde es verdammt weh tun. »Zum Arzt?« »Nö, ist nur ein Kratzer. « Er hatte schon Schlimmeres gehabt. Viel Schlimmeres. Vor sechs Monaten war er mit zerschmetterter Kniescheibe aus diesem Feuersturm in Madrid rausgehinkt. Ja, er hatte schon Schlimmeres erlebt. Eine Kugel ins Knie schlug ein Hundeknabbern zweifellos. »Ich nehme nicht an, dass du Shaw erwischt hast, bevor du mit den lieben Hundchen gespielt hast? « »Negativ.« »Verdammt«, murmelte Dekker. »Wo steckt dieses Arschloch? Kann er sich an uns vorbeiverdrückt haben? « »Nie im Leben. Sofern er keinen heimlichen Fluchtweg hat. « Sein Magen verkrampfte sich. Welches Superhirn hatte wohl nur einen Ausgang aus einem Wurmloch? Aber sie hatten nichts gefunden. »Okay, es wäre möglich, aber unwahrscheinlich 一 irgendwas gefunden? «, fragte er Rook, der nun neben ihnen auftauchte. »Nix.« Ein Hund jaulte in der Ferne, wahrscheinlich als Antwort auf den Krawall da drinnen. Ein Krach, den kein Mensch durch die schalldichten Wände hören würde. Leise spielte ein Radio ein Liebeslied. Calebs Laune, seit Monaten miserabel, wurde eine Winzigkeit besser. »Scheiße. « Caleb erkannte Farris leises Fluchen ohne Mühe. Der Trupp war komplett. Da sie alle unsichtbar blieben, konnte er nur erahnen, wo jeder einzelne stand. »Neu gruppieren«, wies er sie an. Wie zur Hölle sollten sie Shaw herausholen? Draufhauen und sein Haus plattmachen? Alle vier teleportierten sich sofort zu einem Haus auf der anderen Seite der Stadt, das sie beschlagnahmt hatten. »Scheiß drauf«, murrte Dekker, als sie sich im Wohnzimmer des sicheren Hauses materialisierten. »Lasst uns den Hurensohn ausräuchern. « Hannah könnte da drinnen sein. »Geht nicht«, erinnerte ihn Caleb und griff nach einer großen Dose Paranüsse, die er auf dem Tisch stehen gelassen hatte, als sie gegangen waren. Er zog den Deckel ab. »Zu eng besiedelt. « Er schüttete mehrere Nüsse direkt in den Mund und kaute. Besser. Als er wieder hochblickte weil es plötzlich still war, sah er, wie die anderen ihn anstarrten. »Was?« »Weshalb zum Teufel bist du so versessen auf diese Dinger? «, fragte Farris und zeigte auf die Dose in Calebs Hand. »Du musst in den letzten paar Wochen zehn Pfund von dem Zeug gegessen haben. « Caleb warf sich noch eine fette Nuss in den Mund. »Wer bist du? Meine Mutter? Magst du keine Nüsse? « »Ich mag Nüsse schon, aber ich würde kotzen, wenn ich so viele essen würde. « Caleb blickte in die Runde und schüttelte sich weitere Nüsse in die Hand. »Will sich noch irgendjemand wegen meiner verdammten Essgewohnheiten beschweren? « Als Antwort erhielt er mehrfaches Kopfschütteln. Caleb streifte den Kopfschutz seines Lock-Out-Anzugs ab und strich sich mit den Händen durch das plattgedrückte Haar. Sein Kopf juckte, die Brust schmerzte, das Bein brannte wie Feuer, und er war so sauer und frustriert, dass er Glas kauen wollte. Wenigstens hatten die Paranüsse die leichte Übelkeit gebessert, die er seit Neuestem verspürte. Er ignorierte die Tatsache, dass sein Ärger und seine Frustration in keinem Verhältnis zu seinem derzeitigen Auftrag standen, denn normalerweise war er ein geduldiger Kerl und abzuwarten, dass etwas passierte, war nun einmal ein Teil seines Jobs. Es war nicht der Auftrag. Es war ... zur Hölle. Er wusste es nicht. Es war, als ob sein Leben irgendwie unscharf geworden wäre. Als ob da etwas fehlte. Irgendetwas aus dem Gleichgewicht geraten wäre. Und er hatte keine Ahnung was er dagegen machen sollte. Hatte er sich nur deshalb vorgestellt, dass diese Bisse von Schrapnell herrührten, weil er sich tagtäglich mit Terroristen abgeben musste? Oder hatte sie ihm die Wahrheit gesagt? War sie tatsächlich als Kind gebissen worden? Hatte Brian Shaw diese verdammten Hunde wirklich besessen, als Hannah acht war? Er verstand das Bedürfnis nach Wachhunden, aber das war nicht die Sorte Hund, die irgendjemand auch nur in die Nähe eines Kindes lassen sollte. Caleb blickte kurz auf das geronnene Blut, das von seinem Oberschenkel tropfte, und dachte an die Narben auf Hannahs wohlgeformtem Hinterteil. Keine Hundebisse. Etwas Schlimmeres. Er zwinkerte, um das Bild zu vertreiben. Er griff nach dem Erste-Hilfe-Kasten. Mit Gewalt vertrieb er die Gedanken an Hannah, ihren Po und ihre blasse cremefarbene Haut, damit er sich konzentrieren konnte. Abwesend fuhr er mit der Hand über seine Brust. Weil er den anderen gegenüber seine wahre Angst nicht zugeben wollte, sagte er bloß: »Wir müssen uns was Besseres überlegen. Es sind zu viele Zivilisten hier. « Er hatte sie zwar nicht im Innern des Hauses gespürt, hatte sie nicht gesehen, aber er war nicht bereit, dieses Risiko einzugehen. Nicht einmal für T-FLAC. Pflicht vor Liebe 一 Ja. Das stimmt, dachte er sauer. »Er muss doch irgendwann mal da rauskommen«, betonte Keir Farris, während er seinen Körper aus dem enganliegenden schwarzen Material des Lock-Out-Anzug herausschälte. Es sah aus, als ob er seinen Schatten abstreifte. »Warum?« Caleb stellte die Dose mit den Nüssen auf den Tisch und öffnete den Verschluss einer Flasche Wasser mit mehr Gewalt als nötig, Sei verdammt vorsichtig mit dem, was du dir wünschst, dachte er grimmig. Verdammt, er sollte mittlerweile daran gewöhnt sein. Er fühlte sich nun schon seit Monaten so. Er war eigentlich kein gefühlsduseliger Kerl. Er war nie der Typ gewesen, der seine Emotionen analysiert hatte. Verdammt. Jetzt machte er nichts mehr anderes. Gefühle! Er verlor die Kontrolle. Reiß dich zusammen. Reiß dich einfach zusammen. Er wollte wieder mittendrin sein. Nun, du Trottel, da bist du nun. Mittendrin. Und wie gefällt dir das?! Scheiße. »Glaubst du etwa, Shaw geht selbst zum Einkaufen? «, fragte er und kippte das Wasser runter, bevor er sich um die Wunde an seinem Bein kümmerte. Er war versucht, nur ein Pflaster über die Bisse zu kleben und es dabei zu belassen, aber er wollte nicht mit Schaum vor dem Maul enden oder im Delirium den Namen einer bestimmten Frau herausheulen. »Diese beiden alten Frauen ziehen jeden Morgen ihre Handkarren voll mit Lebensmitteln und Vorräten den Weg hinauf. In den zwei Tagen, seit wir hier sind, ist niemand herausgekommen. « »Was du nicht sagst, Rook, das wissen wir. Wir alle haben sie zusammen gesehen, erinnerst du dich? Also noch einmal von vorne.« Farris stand da, mit nacktem Hintern, den Anzug wie eine schwarze Pfütze um die Füße herum. Er war ein großer Mann mit lockigen schwarzen Haaren, den Augen eines Dichters und einer schiefen Nase. Der Mann war ein Streithammel. Er hatte einen äußerst reizbaren Charakter, und eine Riesenbeherrschung. Er war ein ziemlich angsteinflößender Typ. Caleb betrachtete Keir als guten Freund, aber er musste ihn nicht nackt sehen. Farris stieg aus dem Anzug, schleuderte ihn mit dem Fuß durch die Luft, fing ihn und ging auf eines der Schlafzimmer zu. Hoffentlich, um sich anzuziehen. »Der einzige Weg in diese Festung ist der durch die Eingangstür, richtig? « Seine Stimme drang, so leise sie auch war, durch den Raum hindurch zu den anderen. Bemerkenswert. »Haben wir alles schon versucht«, betonte Caleb, setzte sich an den Küchentisch, der nun ihre Kommando Zentrale war, und öffnete den Erste-Hilfe-Kasten. Er musste sich ebenfalls ausziehen. Es war sinnlos, in den Anzug zu schneiden, egal, wie scharf die Schere war. Die Hundezähne hatten ihn dennoch aufgeschlitzt. Das musste er Jake sagen, damit der Anzug verbessert wurde. Wenn er das Bein hier draußen behandeln wollte, musste er aus dem Anzug raus. Wann hatte sich sein Leben zu Scheiße verwandelt? Etwa um die Zeit, als Hannah gegangen war. Caleb stand auf und entschied, dass es in Shorts bequemer für ihn wäre. Das Bein pochte und pulsierte. Es musste natürlich ausgerechnet sein kaputtes Bein sein. »Bin gleich zurück. « Er marschierte in das andere Schlafzimmer, um sich umzuziehen. Ein paar Sekunden später kam er in Shorts wieder raus, setzte sich hin und versorgte den Biss fachmännisch. Da er seine eigenen Verletzungen nicht heilen konnte, musste er es auf die altmodische Art machen. Die Schnittwunde war zehn Zentimeter lang, und die Haut drumherum lief bereits blau an. Nicht schlimm. Er säuberte sie konzentriert und klebte einige Schmetterlingspflaster drauf, die er seinen wohl nicht ganz so ordentlichen Stichen vorzog. »Kommt alle her, Kinder. « Sein Satellitentelefon vibrierte auf dem Tisch. »Lark«, sagte er zu den anderen, während er abhob. »He, Schöne. Was gibt's? Ja, ich wusste von denen - okay. Warte kurz, ich stell den Lautsprecher an. « Er drückte auf den Knopf und legte das Telefon in die Mitte des Tisches. »Willst du auf den Bildschirm? «, fragte er und griff nach dem Anschluss zum Computer. »Nein danke, ich liege in der Badewanne. « Ohne abzuwarten, wie diese Bemerkung angekommen war, fuhr sie fort. »Hört zu, Jungs und Mädels«, Lark klang, als ob sie direkt bei ihnen im Raum stünde, was die Agenten ein wenig aus der Fassung brachte. »Unsere Analysten haben mir soeben die, wie sie hoch und heilig schwören, vollständige Liste von Shaws Bankkunden gegeben. « »Für diejenigen unter euch, die geheult haben, weil ihnen dieser Einsatz zu zahm war«, meinte sie trocken, »gibt's hier gute Neuigkeiten. Wir wussten bereits über den Sechsten März, die Algeti Nationalarmee und die Blauen Wölfe Bescheid. Shaw hat das Who's who der Terroristen auf seiner Kundenliste. Aber es gibt auch ein paar Überraschungen. Ihr werdet begeistert sein. Schlimmer noch als die Sharks und die Jets«, teilte sie ihnen beinahe lustvoll mit. Die Sharks und die Jets aus der Westside Story waren Larks Barometer auf der Terroristenskala. Ihr Tonfall wurde wieder professionell. »Hört zu. Weil ich euch am liebsten mag, gebe ich euch eine besondere Belohnung. Wir haben gerade noch ein paar böse Jungs zu Shaws Kundenliste hinzugefügt: Fazuk AI-Adel und auch Saif und Mushins El-Hoorie. Was sagt ihr zu diesen drei widerlichen Kerlen? « Was Caleb anbetraf, kamen ihm diese Typen gerade recht. Alle drei hatten ihren moralischen Kompass schon vor Jahren herausgerissen. Die El-Hoorie-Brüder hatten ihr Geld mit allem Möglichen verdient, von Drogen bis zum Mädchenhandel. Wenn es profitabel und illegal war, dann hatten sie ihre Hände drin. Sie jagten gerne Sachen in die Luft und waren verdammt gut darin. »Vielleicht wäre es die Sache wert, Shaw ein paar Minuten AI-Adel zu überlassen«, bemerkte Farris grinsend. AI-Adels Freizeitbeschäftigung war ausgedehnte Folter. Er nahm sein Hobby sehr ernst. »Gebt auf euch Acht, Jungs«, sagte Lark, bevor sie die Verbindung unterbrach. »Das macht die Party doch erst interessant«, bemerkte Caleb. Er warf das Telefon zur Seite und begann in den Karten, Fotos, Wärmebildaufnahmen, in den Boden eindringenden Radarrastern und verschiedenartigen Papieren herumzuwühlen, um die Satellitenaufnahmen des Gebietes zu finden. Die Jungs gingen durch die Küche, um sich ein paar Getränke und ein paar Snacks zu holen, dann gingen sie die Informationen noch ein weiteres Mal genauestes durch. »Ideen?« Caleb rieb zerstreut sein Knie, während seine Männer den Tisch umringten. Christus. Er war vierunddreißig Jahre alt und fiel schon auseinander. »Wir müssen ihn rauslocken«, schlug Dekker vor und stürzte eine Zitronenlimonade herunter. »Wie? Indem wir ihm eine magische Karotte hinhängen? «, fragte Farris, wischte mit einer Hand über die topografische Karte der Gegend und benutzte seine Fähigkeiten, um das eindimensionale Papier in eine 3-D-Darstellung der Landschaft umzuwandeln. Er deutete auf etwas. »Überprüft, wie tief er in den Berg vordringen kann. « Er schaute zu Caleb rüber. »Du bist reingegangen - wie tief? Zweieinhalb Kilometer? Mehr? Können wir überhaupt so tief in blanken Felsen teleportieren? « »Das ist der springende Punkt, nicht wahr? «, fragte Caleb tonlos. »Wir sind aufgeschmissen, wenn wir uns im festen Gestein materialisieren. Wir müssen exakt herausfinden, was genau tief genug ist, um reinzugehen, ihn zu schnappen 一 lebend 一 und wieder rauszukommen. Alles genau zum richtigen Zeitpunkt.« »Äh - haben wir nicht genau das schon versucht? «, fragte Rook und riss mit den Zähnen eine Tüte Kartoffelchips auf. Die Chips flogen durch die Küche. »Entschuldigt bitte. « Er begann, sie aufzuheben und aufzuessen und hinterließ dabei Fettflecken auf dem Papier. Dekker reichte Rook ein Papierhandtuch, bevor er die Fettspuren auf ihren Dokumenten wegwischte. »Hat dir deine Mama keine Manieren beigebracht? « »Waisenkind.« Rooks bauernbubenhaftes, offenes Gesicht nahm einen bemitleidenswerten Ausdruck an. Mit diesem Gesicht hatte der Zweiundzwanzig jährige schon mehr Frauen rumgekriegt als Caleb in seinem ganzen Leben. Die Frauen flogen auf Tonys blonden, attraktiven Surfer-Look und dieses Grübchen, das aussah, als hatte jemand eine Bleistiftspitze in seine kantige Wange gesteckt. Nur auf einer Seite. Caleb mochte, dass der Junge geschickt und flink war und schnell reagierte. »Blödsinn. Ich habe vor zwei Monaten mit dir und deinen Leuten zu Abend gegessen. « Rooks Eltern waren seit über dreißig Jahren miteinander verheiratet, und sie waren immer noch schwer ineinander verliebt. Rook grinste. »Sie waren perfekt oder etwa nicht? « »Ja.« Möglicherweise hatte dieser ärgerliche Schmerz in seiner Brust da begonnen. Ein Paar so glücklich, so zufrieden zu sehen, Sie mussten jedenfalls mit keinem beschissenen mittelalterlichen Fluch klarkommen. Tony Rooks hübsche, mollige Mutter würde nicht an einer mysteriösen Krankheit oder einem unwahrscheinlichen Unfall sterben, weil sie ihren Ehemann liebte. »Weißt du, warum?« »Nein, Anthony«, sagte Caleb geduldig. »Warum?« »Perfekt geplant. Ich hab sie angeheuert, um dich zu beeindrucken. « Er zeigte sein Chorknabenlächeln. Interessante Idee, aber natürlich falsch. »Idiot.« Caleb schlug ihm auf den Hinterkopf. »Gentlemen, lasst uns unsere Notizen vergleichen. Wo ein T-FLAC/PSI-Wille, da ist auch ein Weg. « Er begann, auf dem Computer die Räume zu skizzieren, die jeder von ihnen gesehen hatte, und was darin war. »Hier.« Er markierte die Gruppen von Shaws Männern mit Nummern, Aufenthaltsorten und Funktionen. »Hier und hier. Dekker?« Dekker legte die Füße auf den Stuhl neben ihm. Er kratzte sich mit dem Pfannenwender, den er aus der Küche mitgebracht hatte, und deutete auf die Bereiche, die er abgedeckt hatte. »Latrine, Schlafraum, Schlafraum, Fitnessraum.« Normalerweise trug Anthony Dekker braune Kontaktlinsen, um seine Augen zu tarnen, die einen beinahe unwirklich blassen, karibikblauen Farbton hatten und die sehr charakteristisch im Vergleich zu seinem finsteren, dunklen Äußeren waren. Bei dieser Mission hatte er sich nicht darum gekümmert. Caleb bevorzugte ihn mit braunen Augen. Er sah wie ein Zigeuner aus, also sollte er braune Augen haben. Wenn Dekker jemanden mit diesem blassen, suchenden Blick ansah, war es, als ob er Gedanken lesen könnte. Sehr beunruhigend. Caleb wollte nicht, dass seine Gedanken gelesen wurden, besonders nicht von einem Mann, bei dem er nicht sicher war, ob er ihm traute. Was würde Dekker denken, wenn er eine Ladung von all den erotischen Bildern von Hannah in seinem Kopf mitbekäme? Hannahs Augen waren haselnussbraun. Die Farbe eines Süßwasserstroms, der um Felsen und moosbewachsene Tümpel -gütiger Gott. Er hatte das bisschen Verstand verloren, das er noch übrig hatte. Moosbewachsene Tümpel! Caleb trank den Rest seines Wassers und drückte die Flasche gegen die Schulter, während er zu den anderen sprach. Oh, er vertraute Dekkers Fähigkeiten und seinem Engagement für T-FLAC und die Terrorismusbekämpfung. Aber in vier Jahren hatte Dekker seine Fähigkeiten nicht völlig offenbart. Er bestritt, dass Gedankenlesen eine davon war. Wa- rum sollte er lügen? Nein, das letzte Wort über Anton Dekker war noch nicht gesprochen. »Zweihundertfünfzig Mann plus ein Rudel Hunde, die hungrig auf Zauberer sind«, fügte er trocken hinzu und rieb die feuchte, kühle Flasche über seine Haut. Hannahs Mund hatte - Halt den Mund! sagte er zu sich selbst. Halt verdammt noch mal die Klappe. Vergiss Hannah. Er würde sie nie wiedersehen. Würde es so sein, bis er alt und krumm war und auf der Veranda des T-FLAC-Altersheims saß? Schrott. War es etwa das, worauf er sich freuen konnte? Er schüttelte den Kopf. Er könnte es vielleicht mit Hypnose probieren. Oder mit einer Gehirnwäsche, oder ... damit, seinen Job zu erledigen. Ja, das war es. »Alle in sehr engen Unterkünften«, berichtete er den anderen. »Mit Lager koller und bereit loszuschlagen. « Er schaute jeden von ihnen an. »Ein TiVo-Einsatz ist übrig, Ladys. « »Lasst uns reinteleportieren. « Dekker ließ seinen Fuß sinken und gestikulierte mit dem Griff seines Pfannenwenders. »Wir alle vier, hierhin, wo der Gang sich verzweigt. Zwei halten die plündernden Horden auf, die anderen beiden gehen, spüren Shaw auf und teleportieren ihn heraus. « Caleb schmiss die Flasche, die er gehalten hatte, in den Müll. Er warf Dek einen strengen Blick zu. »Wir sollen zweihundertfünfzig Zeugen umbringen, mit denen wir kein Problem haben? Diese Kerle da drin sind keine Terroristen. Das sind Soldaten, Leibwächter, Köche und Arsch Scheibenwischer. « »Du hast nicht ganz unrecht«, sagte Dekker tonlos und kratzte sich den Rücken, was bei Caleb den Wunsch weckte, seinen ebenfalls zu kratzen. Der Lock-Out-Anzug leistete hervorragende Arbeit, sie zu beschützen, aber er war eng, und wenn man ihn auszog, juckte die Haut noch eine Stunde. »Okay, dann ist es die beste Lösung, Shaw nach draußen zu locken. « Rook dachte darüber nach. »Oder einen anderen Weg hineinzufinden.« »Pizza-Lieferung? «, schlug Farris mit der Zunge in der Backe vor. »Zweihundertfünfzig Nutten? Was sonst noch?« Caleb stand auf und traf die härteste Entscheidung seiner beruflichen Laufbahn. »Ich kenne einen Weg, wie ich ganz einfach durch diese Eingangstür hindurchspazieren und dem Hurensohn die Hand schütteln kann. « »Zur Hölle also!« Dekker sah auf. »Warum hast du das nicht gleich gesagt! « Zwölf SAN FRANCISCO FREITAG, 14. APRIL 10 UHR 45 Der Trick war es, dachte Caleb und wechselte die Blumen von der linken in die rechte Hand, Hannah - Heather, ermahnte er sich, zu überzeugen. Heather Shaw. Brian Shaws Tochter Hab s verstanden. Der Trick war es, Heather davon zu überzeugen, dass er in sie verliebt war. Es würde härter werden, sich selbst davon zu überzeugen, dass er es nicht war. Es gab keinen Platz für Gefühle. Er brauchte sie. Sie war seine Eintrittskarte zu Shaws Schlupfloch. Die Zeit lief ihnen davon. Je länger Shaw nicht in die Hände von T-FLAC fiel, desto mehr Zeit hatten seine Kunden, um ihn aufzuspüren, und desto mehr Zeit hatte Shaw, um abzuhauen. Wer auch immer Shaw als Erster fand, würde die Kontrolle über Millionen und Abermillionen Dollar haben. Geld war Macht, besonders in der Welt der Terroristen. Falls eine Gruppe plötzlich Zugang zu einem solch riesigen Vermögen hätte, wäre sie nicht aufzuhalten. Der Gedanke von so viel Macht in den Händen eines Terroristen war unheimlich. T-FLAC musste das Geld zuerst finden. Sie mussten. Caleb ließ die anderen in Matera zurück, die dort mit Argusaugen nach Neuankömmlingen Ausschau hielten. Jeder dieser Neuankömmlinge konnte einer der etwa ein Dutzend Kunden sein, deren Geld Shaw unterschlagen hatte. Es war logisch, dass keiner von denen dumm genug wäre, da reinzugehen und um sich zu ballern. Ohne Shaw würden sie nicht wissen, wo das Geld versteckt war. Keiner würde dort hineingehen. Nicht, ohne den Ort in Stücke zu blasen. Nein. Der einzige Weg da rein war mit der goldenen Eintrittskarte für einen Sitzplatz in der ersten Reihe. Caleb hatte diese Karte. Hannah. Er musste anfangen, sie Hannah zu nennen, damit er keinen Mist baute und seine Tarnung aufflog. Doch wenn er sie »Heather« nannte, hielt er sie auf wirksame Weise auf professioneller Distanz. Was für ein gottverdammtes Durcheinander. Er wollte sie nicht wiedersehen. Sie war eine zu große Ablenkung. Er fühlte wieder den vertrauten Schmerz dort, wo eigentlich sein Herz sein sollte. Ein Herz, das vor langer Zeit eingesehen hatte, dass jegliche sinnvolle Beziehung aussichtslos und zum Scheitern verurteilt war. Es war in Ordnung für ihn, absolut in Ordnung verdammt noch mal, dass es niemals eine feste Beziehung in seinem Leben geben würde. Mit den flüchtigen Bekanntschaften klappte es doch ganz prima. Eigentlich noch besser, es war perfekt. Frauen wie Kris-Alice wussten Bescheid und luden ihn in ihr Bett ein, ohne Bedingungen daran zu knüpfen. O ja? Weshalb habe ich ihre Großzügigkeit dann in letzter Zeit nicht ausgenutzt? Gute Frage. Auf die Caleb verdammt noch mal keine Antwort hatte. Er hatte Hannahs Nachricht vor zwanzig Minuten erhalten. Er hatte sie nicht zurückgerufen. Er hatte diese Zeit gebraucht, um sein Gleichgewicht wiederzufinden, seine Gedanken zu ordnen und sich unter Kontrolle zu bringen, damit er ihr gelassen gegenübertreten konnte. Er konnte es sich nicht leisten, in dieser Sache anfällig zu sein, nicht einmal für einen winzigen Moment lang. Er durfte nicht zulassen, dass ihm ein Anflug echter Gefühle die Wahrnehmung trübte. Jetzt war nicht der Augenblick, um Mist zu bauen. Er stand dort wie ein pickeliger Teenager, der darauf wartete, dass seine erste Verabredung die Tür öffnete. Zuallererst bist du ein T-FLA C/Psi-Agent9 versuch, dich an dieses kleine Detail zu erinnern. Er durfte nicht zulassen, dass seine Verstörung wegen Shaws Tochter eine Rolle bei der Sache spielte, die er tun musste. Er war verflucht, die Pflicht vor der Liebe zu wählen. Unglücklicherweise waren diese beiden nunmehr so eng miteinander verflochten, dass er nicht sicher war, wo die eine endete und die andere begann. Hannahs Anruf war über mehrere Telefonzentralen zu ihm durchgestellt worden. Lark hatte ihn in Italien kontaktiert, nur wenige Minuten, bevor er sich sowieso nach San Francisco teleportieren wollte, um Hannah zu sehen. Er hatte ein komisches Gefühl im Bauch wegen ihres Anrufs. Was für ein furchtbarer Schlamassel. Egal, was er tat,er war verdammt. Um an Shaw heranzukommen, brauchte er die lang verlorene, entfremdete Tochter, aber Caleb wusste, er würde wieder dieselbe unausweichliche Anziehungskraft spüren, wenn er sie wiedersah und wieder in ihrer Nähe war. Diesen verhängnisvollen Reiz. Er hatte in den letzten Monaten viel Energie darauf verschwendet, nicht an sie zu denken. Das hatte ihm nichts gebracht. Alles an ihr hatte sich unauslöschlich in seine Synapsen eingebrannt. Er klopfte energisch an ihre Eingangstür und betete, dass er sich nicht mehr so stark zu ihr hingezogen fühlen würde wie vor drei Monaten. Er betete, dass sie genauso hübsch, sexy und lustig war, wie er sie in Erinnerung hatte. Er hoffte, dass ... Die Tür öffnete sich einige Zentimeter. »Caleb!« Er sog ihren Geruch ein, wie ein Abhängiger sein Kokain schnupfte, schnell. Ihr Anblick schoss ihm sofort ins Hirn und dann direkt durch den Blutkreislauf in seine Leistengegend. Das Leuchten in ihrem Gesicht und die unverstellte Freude in ihrer Stimme ließ seinen Atem stocken. Ihr honigbraunes Haar hing halb herunter, halb war es in einem Pferdeschwanz zusammengefasst. Es sah aus, als ob sie gerade aufgestanden war. Das Auge, das er über der Kette sehen konnte, glitzerte, und ihre Lippen -lieber Gott. Ihre sanften rosa Lippen, die leicht geöffnet waren, verzogen sich zu einem erfreuten Lächeln. »Hi.« Sie bewegte sich nicht. Er ebenfalls nicht. Caleb konnte nur die Hälfte ihres Gesichts sehen, eine Hüfte in Jeans und ihre leicht gebräunte Schulter. Sein Verstand setzte aus. Sie war mehr als das, woran er sich erinnerte. Mehr von allem. Er wusste, dass er bis an sein Lebensende vergeblich auf einen schöneren Anblick warten würde. Selbst eine halbe Hannah war eine Augenweide. O Mann. Er schluckte die Angst runter. Der Schmerz in seiner Brust fühlte sich durch ihre Schönheit an, als wäre ihm das Herz mit einem Taschenmesser herausgeschnitten worden. Zum ersten Mal in seinem Leben hatte er den überwältigenden Drang davonzulaufen. So schnell er konnte davonzulaufen. »Hallo, Schöne.« Es war schwierig, die Worte über seine trockenen Lippen zu bringen. Ich steck so tief in der Tinte, dachte er, wie ein Ertrinkender, der zum dritten Mal untergeht. »Warte kurz. Lass mich -« Die Kette rasselte, während sie sich abmühte, sie zu öffnen. »Nur ’ne Sekunde 一 o verdammt. « »Mach erst die Tür zu«, schlug er lächelnd vor. Zum ersten Mal seit Monaten lächelte er wirklich. Wann hatte er das letzte Mal jemanden getroffen, der so offen und ehrlich war? Heather schloss die Tür. O Gott. Er ist gekommen. Er ist hier. Das ist es nun. Showtime. Er trug eine lange schwarze Hose, ein T-Shirt und ein cremefarbenes Jackett und sah so noch größer aus als in ihrer Erinnerung. Größer, breiter, noch massiver. Sie hatte dieses Treffen die ganze Woche über einstudiert, aber nun, da er da war, war sie total nervös und schwindelig vor Freude. Euphorisch und in Panik. Die widerspenstige Kette kooperierte nicht. Es half auch nicht gerade, dass ihre Finger leicht zitterten, ihre Hände feucht waren und das Herz in ihrer Brust galoppierte. Es wird alles gut laufen. Sie wiederholte ihr Mantra. Sie würde es ihm sagen. Er würde ihr sagen, dass er froh war, dass sie es ihm gesagt hatte, aber dass er ihr zustimmte bei dem, was sie tun musste, und dann ... Dann wusste sie nicht mehr weiter. Ihre Vorstellungskraft hatte ihr nicht erlaubt, weiter als bis dahin zu gehen. Als sie es endlich schaffte, die Tür ganz aufzumachen, hatte sie ihre Gefühle und die spontane Freude, ihn wiederzusehen, ein klein wenig mehr unter Kontrolle. Es war ein bisschen schwieriger, die nervöse Erwartung auf das vor ihnen liegende Gespräch in den Griff zu bekommen. »Hallo.« Sie fummelte verlegen an ihren Haaren, die sie zu einem unordentlichen Pferdeschwanz gebunden hatte, damit sie sie nicht bei der Arbeit behinderten. Sie trug ausgeblichene Jeans und ein rosa Unterhemd ohne BH und verspürte den flüchtigen Wunsch, sie hätte etwas Attraktiveres angezogen. Aber vielleicht war es auch ganz gut so, wie es war. Ihre Körpertemperatur schoss allein durch seinen Anblick in die Höhe, und der Blick, den er ihr zuwarf, war heiß genug, um Glas zum Schmelzen zu bringen. All ihre Körpersäfte begannen in ihr zu blubbern und zu köcheln, bis sie kaum mehr atmen konnte. Ihre Augen saugten hungrig jedes Detail auf. Er brauchte einen Haarschnitt und definitiv eine Rasur. Sein heißer Blick glitt von ihrem Gesicht zu ihren Brüsten und kehrte dann zu ihren nunmehr hochroten Wangen zurück. Wann war sie das letzte Mal errötet? Nur bei Caleb. Sie hatte den Blick gespürt, als ob er sie körperlich berührt hätte. Es gab keinen Weg, die Spitzen ihrer Nippel zu verbergen, die durch den dünnen Stoff ihres Oberteils drückten, und sie versuchte es erst gar nicht. Hungrig musterte sie ihn und vergrub ihre Finger in ihren Handflächen, damit sie sie nicht ausstreckte und ihn berührte. Ihn berühren? Sie wollte ihn packen und ihr Gesicht an seinem Hals vergraben, um seine Hitze zu spüren. Sie wollte diesen zauberhaften Nachmittag zurückhaben. »Bittest du mich hinein? «, fragte er und lächelte nicht mehr. »O entschuldige. « Sie trat zurück. »Komm rein. « Außer der Polizei, die vor einigen Monaten kurz da gewesen war, hatte sie, seit sie hier lebte, keine Besucher gehabt. Als Caleb eintrat, war das winzige Vestibül umgehend proppenvoll. Sein Geruch, frische Luft, durchzogen von Kaffeeduft und dem unverwechselbaren Duft seiner Haut, ließ ihr Herz rasen. »Wenn du Sie deutete auf die Treppe direkt hinter ihr, damit sie die Tür schließen und absperren konnte. Als sie aneinander vorbeigingen, streifte ihre Brust die seine. Ihr stockte der Atem. Mit seiner freien Hand griff er nach ihrem Oberarm, drehte sie zu sich herum, drängte sie gegen die Wand und presste seinen Mund auf ihren. Um das Gleichgewicht zu halten, ergriff sie seine Oberarme, aber sie hätte sich nicht bemühen müssen. Caleb hatte sie zwischen der Wand und seinem kompakten Körper eingezwängt. Sie würde nirgend- wohin gehen. Jeder einzelne Gedanke entwich aus ihrem Gehirn, als er ihre Zunge in die dunkle, schwere Höhle seines Mundes sog. Sie küsste ihn und hielt sich nicht zurück, als er ihr Gesicht in seine Hände nahm. Sein raues Stöhnen schoss durch sie hindurch und antwortete auf ihre eigenes schmerzendes Verlangen. Gott, sie hatte ihn vermisst, dachte sie und strich mit den Händen seine Arme bis zu den breiten Schultern hinauf. Sie hatte das vermisst. Sie legte ihre Arme um seinen Hals und stellte sich auf die Zehenspitzen, um sich noch näher an ihn zu drücken. Sie hatte seinen aufregenden Geschmack vermisst. Ihre Brustspitzen fühlten sich an seiner glatten Brust unerträglich empfindlich, fest und hart an. Sie hatte seinen einmaligen Duft vermisst. Sauber und männlich. Sie hatte es vermisst, seine Haut an ihrer zu spüren, und das überwältigende Gefühl, dorthin zu gehören, das sie in seinen Armen empfunden hatte. Was eigentlich lächerlich war, da sie ihn lediglich einen wahnsinnig erotischen Nachmittag lang kannte. Caleb hob den Kopf, seine Pupillen waren erweitert, sein Mund war feucht von ihrem. »Heirate mich. « Heather blinzelte und versuchte, den sinnlichen Nebel aus ihrem Hirn zu vertreiben. Sie lachte beinahe. »Was?« Ihr Herz machte einen Sprung. »Nein. Du kannst 一 wir können. Es ist unmöglich - wir kennen uns doch erst fünf Min-« Sie stöhnte sanft auf vor Genuss, als er ihren Mund wieder mit Küssen verschloss. Als sie endlich wieder die Augen öffnete, fand sie sich auf dem Rücken liegend mitten auf ihrem Bett wieder, Caleb lag halb auf ihr, und sie hatte nicht die geringste Ahnung, wie sie dahin gekommen war. »O Gott«, murmelte sie benommen, als er schließlich aufhörte, sie zu küssen, und seinen Kopf hob. Ihre Augen waren verschwommen, ihre Lippen feucht und leicht geöffnet. Bereit für mehr. Seine Augen waren flammendes Aquamarin. Sein wendiger Mund verzog sich, und der erhitzte Ausdruck in seinem Blick wurde zu einem amüsierten Glänzen. »Das hat sich für mich nicht wie ein >Nein< angefühlt. « Sie legte ihm eine Hand auf die Schulter, konnte sich aber nicht wirklich dazu durchringen, ihn wegzustoßen. Stattdessen schlang sie ihre Hand um seinen Nacken. »Nicht fair«, sagte sie schwach und bewunderte seine Haare, wobei sie mit ihren Fingern durch die kurzen dunklen Strähnen an seinem Genick strich. Er schnüffelte an ihrem Hals. Sie bog ihren Nacken, damit er besser herankam. Ihre Finger verkrampften sich unwillkürlich an seinem Hinterkopf, als sein geöffneter Mund den rasend schlagenden Puls an ihrem Halsansatz unterhalb des Kiefers fand. »Warum nicht?« Hm? »Weil... weil ich nicht denken kann, wenn du mich so küsst. « Sie zwang sich, ihre Finger zu lösen. Jeweils. Einen. Auf. Ein. Mal. Ohne ihre Hilfe fanden seine Lippen den magischen Punkt direkt unterhalb ihres Ohres. Sie zitterte, als die Empfindung seiner Berührung wie ein Blitz durch ihren Körper schoss. »Hm …” Sein Kichern vibrierte gegen ihren Hals und ließ ihre Nervenenden vor Lust hüpfen und tanzen. Die würde ihn in einer Minute stoppen ... vielleicht in fünf. Seine Zähne schlössen sich sacht über der empfindlichen Haut an ihrem Hals. Das samtige Streichen seiner Zunge hallte tief in ihr nach und setzte ihren Schoß in Flammen. »Caleb ... O Gott...« 5ie drehte ihr Kinn ein wenig, um ihm Zugang zu einem weiteren magischen Punkt zu gewähren. »Das fühlt sich so...« »O ja.« Seine Stimme klang belegt, sein Atem war warm, und seine Zunge wanderte langsam, unerbittlich forschend, während er »Fantastisch, nicht wahr? « murmelte. Fantastisch war nicht der richtige Ausdruck. Sie schmolz dahin. Implodierte. Löste sich auf in Lust und Begehren. Ihre Finger ergriffen die Schulter seines gut geschnittenen Jacketts, wollten ihn wegschieben ... nein ... hielten ihn fest. Wenn er in diesem Augenblick in sie eingedrungen wäre, dann wäre sie in weniger als einer Sekunde gekommen, so nahe dran war sie. »Ich habe dies hier vermisst. « Er hob den Kopf. »Ich habe dich vermisst -« Sein Atem ging stoßweise. »Verdammt. Hast du es verstanden ? Ich kann dich einfach nicht mehr aus meinem Kopf kriegen. Ich fühle dich auf meiner Haut und in meinem Blut. Ich schmecke dich auf der Zunge. Ich habe deinen gesamten Duft in mein Gehirn eingegraben, bis ich an nichts anderes mehr denken kann, als bei dir zu sein, dich zu halten, dich zu lieben. « Er streichelte sacht ihre Wange und strich mit seinem Daumen über ihre erhitzte Haut. »Heirate mich. « Seine Worte ließen ihr Herz erzittern und dann doppelt so schnell schlagen. O Herr. Er war die reine Versuchung, ein ein Meter neunzig großes Paket voller Sexappeal. Seine Erklärung riss die Schutzschichten weg, mit denen sie ihr einsames Herz ummantelt hatte. Ihr Verstand warnte sie, vorsichtig zu sein, aber ihr Herz schmolz dahin, als wäre sie Wachs und er die Flamme. Sie hatte sich vor drei Monaten im Kaffee shop in ihn verliebt. Er hatte ihre Hand ergriffen, sie angeschaut, sie gesehen, und sie hatte sich Hals über Kopf in die Liebe gestürzt. Während der darauffolgenden Monate hatte sie versucht, sich selbst davon zu überzeugen, dass dem nicht so war. Dass das, was sie gefühlt hatte, nur Lust war. Schlicht und ergreifend. Aber selbst, als sie versucht hatte, es laut auszusprechen und dabei ihre eigene Stimme hörte, hatte sie der völlige Mangel an Überzeugung darin deprimiert. Dann war sie in Tränen ausgebrochen, denn natürlich war Liebe für sie derzeit unmöglich. Egal, wie dringend sie diese wollte, und egal wie sehr sie diese empfand - ihre Gefühle waren unwichtig. Sie schluckte den schmerzenden Knoten der Enttäuschung herunter, der in ihrem Hals steckte. Sie war sich nicht sicher, ob sie das Glück haben würde, noch einmal zu lieben. Er hatte sie Hannah genannt. O Gott. Hannah. Sie rieb sich die Schläfen und verspürte einen Anflug von Kopfschmerzen. Natürlich hatte er das. So hieß sie nun mal jetzt. Hannah Smith. Für ein paar glückselige Minuten hatte sie Heather Shaw vergessen können. Sie konnte nicht klar denken, wenn er ihren Hals küsste, und versuchte, ihn fortzuschieben. Aus dem Märchen musste sie wieder in die kalte, harte Wirklichkeit zurückkehren. Irgendjemand da draußen wollte sie umbringen. Sie hatten sie bislang noch nicht gefunden, aber das würden sie. Sie könnte über einen von denen stolpern und wüsste es nicht einmal. Die würden sie finden und sie und alle in ihrer Nähe töten. Caleb und das Baby eingeschlossen. Sie würde das Richtige tun. »Lass mich bitte los«, sagte sie leise, als er sie nicht sofort freigab. Er zog sich zurück und hob die Hände, während sie von ihm herabrollte, vom Bett aufstand und wegging. Heather schlang die Arme um ihre Taille, ging zu ihrem Arbeitstisch, drehte sich dann um, um ihn anzusehen. Wie ein Pflaster, schnell abreißen, sagte sie zu sich. Sag es einfach, und bring es hinter dich. »M-möchtest du etwas zu trinken?« Er runzelte die Stirn. »Du bist aus dem Bett katapultiert, um mir was zu trinken anzubieten? « Er wühlte mit einer Hand durch seine Haare, offensichtlich verwirrt von ihrem seltsamen Verhalten. »Hast du irgendwelche Nüsse? « Sie schaute ihn verständnislos an. »Nüsse?« »Paranüsse, Cashews, was auch immer.« Wie hatte sie die Kontrolle über das Gespräch verloren? Wie in Gottes Namen waren sie von einem Heiratsantrag zu Nüssen gelangt? Sie traf seinen Blick und sagte leise und ohne Luft zu holen: »Ich bin schwanger, Caleb, oder wenigstens werde ich es bis morgen Nachmittag um zwei sein. Ich werde die Schwangerschaft abbrechen. « Dreizehn Caleb schoss von der Bettkante hoch, seine Augen zeigten nunmehr eine andere Art funkelnder Hitze. Die zusammen- gepressten Züge um seinen Mund herum hoben sich weiß von seiner gebräunten Haut ab. Er strich sich mit beiden Händen durch die Haare, seine Halsmuskeln arbeiteten. »Du hast eine Abtreibung in Erwägung gezogen? « »Nicht gezogen und auch nicht in Erwägung. Ich habe morgen einen Termin. « Seine Lippen zogen sich zusammen, und er holte verärgert Luft. »Blödsinn«, antwortete er grimmig. »Bekomme ich in dieser Sache kein Stimmrecht? « Heathers Herz schlug ihr bis zum Hals, aber sie warf ihm einen festen Blick zu. »Die Abstimmung ist beendet. « Sein Kiefer war so angespannt, dass ein Muskel in seiner Wange zuckte. »Dann schlage ich vor, dass du sie wieder eröffnest«, sagte er mit leiser, sanfter Stimme, die sie wegen ihrer Selbstbeherrschung noch mehr nervte. Obwohl es so aussah, als bliebe er, wo er war, trat sie einen Schritt zurück, um etwas mehr Raum zwischen ihnen beiden zu schaffen. Während eines Wimpernschlages war Caleb vom aufmerksamen Liebhaber zum Widersacher geworden. Für den Bruchteil einer Sekunde hatte sie ein Deja-vu-Erlebnis. Calebs unbewegliche Gesichtszüge und die Art, wie er sie mit den Augen eines Raubtiers beobachtete, schienen ihr seltsam vertraut. Aber während ihrer kurzen Bekanntschaft... sehr kurzen Bekanntschaft hatte sie diesen Ausdruck nie an ihm gesehen. Gott wusste, das war ein Blick,den sie nie vergessen würde. Caleb, der Mann, den sie sich inständig gewünscht hatte, sah wie ein Wolf aus, der einen geeigneten Platz zum Zubeißen suchte. Mit dem Po stieß sie gegen den Tisch hinter ihr. Sie legte die Hände um die Tischkante und kniff warnend die Augen zusammen. »Ich mach das nicht als verspätete Verhütungsmethode, wenn es das ist, was du denkst.« »Versuch nicht vorauszusagen, was ich denke. Ich weiß im Augenblick selbst nicht so genau, was ich denke.« Wenigstens war er ehrlich. Ihr Magen zog sich zusammen, als er seine Fäuste ballte und begann, auf sie zu zugehen -sich anzupirschen. Ihr Herzschlag beschleunigte sich. Sie stellte sich ein wenig aufrechter hin. »Schlag mich, und du wirst es bereuen, Freundchen«, warnte sie und tastete hinter sich auf dem Tisch nach etwas, das sie zur Selbstverteidigung benutzen konnte. Er hielt abrupt inne, als wäre er gegen eine Backsteinmauer gelaufen, und starrte sie ein paar Sekunden an. Die Zeit schien stillzustehen. »Mein Gott. Dich schlagen}« Seine Wangenknochen röteten sich, als er versuchte, seine Gefühle mit deutlich sichtbarer Mühe unter Kontrolle zu bringen. Eine Mühe, die sie sehr zu schätzen wusste. »Ich habe in meinem ganzen Leben noch keine Frau geschlagen, und ich werde bestimmt nicht mit dir anfangen. « Er knirschte hörbar mit seinen hinteren Backenzähnen und scheuerte mit einer Hand über seinen Bartschatten. »Verflucht. Ich habe dir Angst eingejagt! « Eindeutig außer Fassung geraten, begann er, im Raum auf und ab zu gehen. Sie hätte ihm sagen können, was das für eine Zeitverschwendung war. »Es tut mir leid. Ich bin nicht wütend auf dich. Ich bin wütend auf mich selbst. « »Ich nehme dich beim Wort, aber schau dich lieber nicht im Spiegel an«, erwiderte Heather tonlos. »Du würdest dich selbst zu Tode erschrecken. « Blitzschnell überschlug sie in Gedanken, wo sie sich in ihrer Vorstellung geirrt hatte. Offensichtlich war ihr erster Fehler gewesen anzunehmen, er würde das Baby nicht wollen. Wenn sie ihm das sagte, so hatte sie angenommen, würde er sie einfach als One-Night- Stand abschreiben. Sie war davon ausgegangen, dass er ein Mann war, der keine Bindungen wollte. Er hatte einen Job und ein Leben, das sich nicht um sie drehte. Sie hatte in den letzten drei Monaten ihr Bestes gegeben, jeglichen Wunsch Gedanken zu ignorieren. Sie atmete tief ein, hielt die Luft an und ließ sie dann langsam entweichen. »Bist du im Augenblick überhaupt in der Lage, Vater zu sein? Willst du denn Vater werden? « Sie blickte ihm unerschrocken in die Augen. Ganz gleich, wie verärgert er sich fühlte, war sie dennoch davon überzeugt, dass er ihr nicht weh tun wurde. Sie war sich aber nicht sicher, worauf er eigentlich so heftig reagierte. Darauf, dass sie schwanger war? Auf die Tatsache, dass sie sich für eine Abtreibung entschieden hatte? Oder auf den Umstand, dass sie diese Entscheidung getroffen hatte, ohne ihn zu fragen? Sie wusste es nicht. Sie hatte in den letzten paar Monaten so viele Emotionen durchlebt, dass sie die von jemand anderem kaum beurteilen konnte. Ihre Augen füllten sich mit Tränen, und sie beobachtete ihn durch einen wässrigen Schleier und mit einem Knoten im Hals. Sie hatte nie an Liebe auf den ersten Blick geglaubt, hatte niemals gedacht, sie könnte einem Mann genug vertrauen, um ihr Herz ohne Einschränkung zu verschenken. Bis Caleb gekommen war. Er war in ihr Leben hereinspaziert und hatte verlangt, dass sie ihn heiratete. Bevor sie auch nur irgendein Wort über die Schwangerschaft verloren hatte. Zum ersten Mal in ihrem Leben war sie hundertprozentig sicher, dass ein Mann sie, die Frau, wollte und sie nicht als das einzige Kind des einflussreichen Börsenmanagers Brian Shaw sah. Caleb wusste nichts über ihre Vergangenheit, nichts über ihren Vater. Und so musste es auch bleiben, dachte sie schmerzerfüllt. Sei vorsichtig, bei dem, was du dir wünschst, du könntest es bekommen. Sie hoffte beinahe, dass er wütend bliebe. Alles nur um die vorwurfsvolle Stille zu durchbrechen, die schwer zwischen ihnen hing. Vielleicht würde er ihre Entscheidung nachvollziehen können, wenn sie ihm erklärte, dass dies ihre einzige wirkliche Wahl war. Wie sollte sie ein Baby beschützen, wenn sie sich selbst nur knapp am Leben halten konnte? »Blödsinnige Frage.« Caleb rieb seinen Nacken mit einer Hand. »Ich habe keine Ahnung, ob ich bereit bin, Vater zu sein«, antwortete er mit entwaffnender Ehrlichkeit. Er neigte den Kopf und betrachtete sie prüfend. »Du hattest Zeit, darüber nachzudenken. Ich nicht. Tatsache ist, du bist schwanger mit meinem Kind. Vielleicht ist eine bessere Frage, ein wie guter Vater ich sein werde. Ich verstehe ja das Recht einer Frau zu wählen, aber ... du hast mich in jener Nacht verlassen, nicht ich dich. Ich dachte, wir hätten eine besondere Verbindung …« Sein einseitiges Schulterzucken durchbohrte ihr schuldbeladenes Herz. Sie dachte, indem sie ging, hatte sie ihn und sich selbst beschützt, bevor sie sich in einem emotionalen Knoten verhedderten. Das Schicksal hatte einen besonderen Sinn für Humor. Sie krampfte ihre Finger um die Tischkante. »Die Entscheidung ist bereits getroffen. Ich werde meine Meinung nicht ändern. Vertrau mir, so ist es am besten. Du hast keine Ahnung, wie kompliziert mein Leben im Augenblick ist. 2h kompliziert. « Er zog seine linke Augenbraue hoch und verschränkte die Arme über der Brust. Hatte er die Unsicherheit in ihrer Stimme gehört? Verdammt noch mal, er würde das als Zeichen von Schwäche deuten und sich darauf stürzen. Ihr Magen kribbelte, als sie sich an die Art erinnerte, wie er »besondere Verbindung« gesagt hatte. War es möglich, dass er tatsächlich ebenso empfand? Hatte er in den drei Monaten, seit sie sich zum letzten Mal gesehen hatten, auch nur einen Gedanken an sie verschwendet? Wäre er jetzt hier, wenn sie ihn nicht angerufen hätte? Hatte sie den größten Fehler ihres Lebens begangen, als sie ihn verlassen hatte? Sie atmete langsam aus und beobachtete, wie er ruhelos in ihrer kleinen Wohnung auf und ab ging. Er war ein Mann der Tat, ein Mann der kontrollierten Kraft, und dieser Ort war zu beengend, als dass er seine Energie freisetzen konnte. Sie wusste das, weil sie während der vergangenen Woche dasselbe versucht hatte. Man konnte einfach nicht die Geschwindigkeit aufnehmen, die man brauchte, um den Dämonen davonzulaufen. Er ging zum Fenster, das aufs Meer herausging, und hob den dünnen Vorhang hoch, um auf die Straße hinunterzuschauen. Suchte er nach einer einfachen Antwort? Heather wollte ihm mitteilen, dass es diese nicht gab. Er drehte sich um und zwängte eine Hand in seine Hosentasche. Sein Blick war nicht zu deuten. »Möchtest du denn keine Mutter sein? « Doch! »Nein.« Ihre Hand streichelte dabei abwesend die leichte Beule auf ihrem Bauch. Sie blinzelte ein paar Tränen der Schwäche weg, bevor er diese sah. Die Entscheidung war gefallen. Sie hatte gedacht, er würde sie, nachdem sie ihm von dem Baby erzählt hatte, möglicherweise unterstützen, ja ihr vielleicht sogar anbieten, sie zu dem Termin zu fahren und ihre Hand zu halten. Sie hatte nicht erwartet, dass er sie den schmerzhaften Entscheidungsprozess noch einmal durchstehen lassen würde. Der Schmerz in ihrem Herzen würde irgendwann einmal verblassen, sagte sich zum x-ten Male. Sie tat das Richtige. Sie wusste, dass sie das tat. »Lügnerin.« Sie blinzelte. »Was?« Heather verlagerte ihr Gewicht sacht von einem Fuß auf den anderen und biss dann fest genug auf ihre Lippe, damit der Schmerz in ihrer Brust an eine leichter überschaubare Stelle wechselte. Sie musste diese Situation unter Kontrolle halten, bevor sie in einer kraftlosen Pfütze landete. »Ich sagte, du bist eine Lügnerin. « Calebs Blick traf ihren und hielt ihn fest. »Ich glaube, du liebst Kinder. Sag mir - wann hast du zum ersten Mal übers Heiraten fantasiert, und wie viele Babynamen hast du dir überlegt? « Sie starrte ihn an. »Schön, ich liebe Kinder wirklich. Bist du nun zufrieden? Ich habe mir immer eine große Familie gewünscht 一” Sie hatte denselben Traum gehabt, den die meisten Frauen träumten, bis sie gesehen hatte, wie dieser Traum enden konnte. Ein liebevoller Ehemann wurde zum Mörder, eine Familie auseinandergerissen... »Bist du gesund? « »Natürlich!« »Verheiratet? « »Du weißt, dass ich das nicht bin. « Sie warf ihm einen wütenden Blick zu. Er hatte den Nerv, darauf zu grinsen. »Großartig, also ist das abgemacht. « »Was ist abgemacht? « Ihre Nerven zuckten ihr Rückgrat hinauf. »Wir können heute Nachmittag unten im Rathaus heiraten. « Der Mann war ein menschlicher Bulldozer. »Ich werde dich nicht heiraten. « Er trat auf sie zu, und sie sorgte schnell dafür, dass der Tisch zwischen ihnen lag. »Ich bin ein guter Fang«, versicherte er ihr mit äußerstem Ernst. »Nein!« Egal, wie verlockend das Angebot war, sie musste daran denken, dass sie um ihr Leben kämpfte, etwas, was sie mit einer Familie nicht tun könnte. Ihr Bauch hüpfte, als sie an dieses Wort dachte. Er zupfte mit glitzernden Augen an seinem Ohrläppchen. Sie starrte ihn an. Die Anspannung in der Luft war so dick, dass man sie hatte schneiden können. Und obwohl Calebs Schultern ein wenig angespannt wirkten, konnte man an der Art, wie er dastand, erkennen, dass er immer noch 一 ja, was eigentlich - war. war sich nicht ganz sicher. Stinksauer? Völlig perplex? Fühlte er sich gefangen? Sein Gesicht war verschlossen und der Ausdruck nicht interpretierbar. Ein Mann wie eine Sphinx. Sie wurde überhaupt nicht schlau aus ihm. Natürlich war sie sich nicht sicher, welche Signale Caleb aussandte. Sie kannte den Mann nicht. Sie liebte ihn, erwartete sein Kind, aber sie kannte ihn überhaupt nicht. Etwa drei Meter trennten sie voneinander. Eine Kluft. Sie vermutete, Caleb würde sich sofort einklinken und die Führung übernehmen, falls sie ihm auch nur einen kleinen Hinweis darauf gab, wie verängstigt und unsicher sie war. Und obwohl es verlockend war, die unmögliche Entscheidung auf ihn abzuschieben, war es doch immer noch ihr Körper und ihr Leben. Er kannte die Konsequenzen nicht. »Warum nicht? «, fragte er und klang ärgerlicherweise vernünftig. Seine Stimme klang näher und ließ sie aufblicken. Er erinnerte sie ein wenig an James Bond. Ein schön geschnittenes, grob gewebtes, cremefarbenes Jackett spannte sich über seine breiten Schultern, sein fester, durchtrainierter Körper steckte in einem schwarzen T-Shirt aus Mikrofaser und einer lässigen, aber teuren schwarzen Hose. Er wirkte so kontrolliert, während sie sich fühlte wie Wile E. Coyote, der auf eine Klippe zuhielt. »Deshalb.« Sie raffte das lose Haar in ihrem Nacken zusammen und schob es zurück in den schiefen Pferdeschwanz, den sie vorher gebunden hatte. Wem machte sie etwas vor? Ihr Leben hatte sich bereits aufgelöst, bevor sie ihn getroffen hatte. Noch ein Baby und eine Scheinehe hinzuzufügen, würde ihr Leben nicht verbessern, sondern verschlimmern. Sie würde ihre neue Familie in Gefahr bringen. »Weil?« Weil nur Gott allein wusste, wer da draußen darauf wartete, dass sie einen Fehler machte, damit sie geschnappt werden konnte. Sie war es so leid, ständig Angst zu haben. Und sie hatte Angst, dass sie noch endlos darauf warten würde, bis sich alles klärte. Sie hatte die vergangenen drei Monate damit verbracht, eine reizende Fantasie über Caleb zu ersinnen, um ihre Angst und ihre Einsamkeit im Zaum zu halten, aber die Realität war nun einmal-die Realität. Und die war echt beschissen. »Wir kriegen das schon hin«, sagte er leise und wartete nicht auf ihre Antwort. Er reichte ihr die Hand. »Keine Chance.« Mit Mühe gelang es ihr, ihre Stimme zu beherrschen. Wenn sie jetzt zu ihm schauen würde, wäre sie verloren. Sie hatte gewusst, wenn sie sich entschließen würde die Schwangerschaft abzubrechen, dann würde diese Entscheidung sie ihr Leben lang verfolgen. Ihr war nicht klar gewesen, dass es für Caleb möglicherweise ebenso war. Sie ignorierte seine Hand und versuchte noch einmal, zum Fenster zu gehen. »Wir hatten einen One-Night-Stand, wohl kaum eine solide Basis für eine Ehe. « »Willst du mir weismachen, du empfindest nichts für mich? « Der Zweifel in seiner Stimme besänftigte ihren Stolz. Wenigstens glaubte er nicht, dass sie umherspazierte und mit jedem dahergelaufenen heißen Typen schlief, der in der Gemüseabteilung mit ihr flirtete. »Das habe ich nicht gesagt«, wand sie sich. Verdammt noch mal. Sie hätte ihn gar nicht erst anrufen sollen. Also, warum hatte sie es getan? Hatte sie ihm unbewusst die Möglichkeit geben wollen, ihr Alternativen anzubieten? Zu was für einem Menschen machte sie das? Sie drehte sich zu ihm um. »Ich hätte es dir nicht erzählen sollen. « »Ich bin froh, dass du es getan hast«, antwortete er mit seiner rauen Stimme. Gott! Warum konnte er sich nicht so verhalten, wie sie gedacht hatte? Wenn überhaupt, hatte sie sich vorgestellt, dass er erleichtert sein würde, dass sie die Entscheidung bereits getroffen hatte. Sie zog den Vorhang zurück, wie er es wenige Augenblicke zuvor getan hatte. Er war direkt hinter ihr und daher schwer zu ignorieren. Irgendwie war er aus der sicheren Distanz auf der anderen Seite des Raumes direkt neben sie getreten, ohne dass sie dies bemerkt hatte. Verdammt, dieser Mann konnte sich anschleichen. Es fiel ihr noch schwerer, unnachgiebig zu sein, da sie nun den schwachen Geruch seiner Seife und den schmerzhaft vertrauten, moschusartigen Duft seiner Haut riechen konnte. Bilder seines nackten Körpers schössen ihr durch den Kopf. Von seinen Brusthaaren, die sich griffig unter ihren Händen anfühlten und von seinem schwer in ihrer Hand liegenden Glied. Er ergriff ihre Schultern, drehte sie um und starrte mit einem so intensiven Blick zu ihr herab, dass ihre Knie zitterten. »Wir haben gemeinsam ein Baby gemacht. Das ist unglaublich. « »Es war ein Fehler. « »Das ist etwas, was unser Sohn nie wissen wird«, erklärte er rau. Er hob ihr Kinn mit dem Finger an, seine Augen waren eher aquamarin als blau. Forschend betrachtete er ihr Gesicht. »Unser Sohn.« Er schüttelte den Kopf leicht vor Verwunderung. »Geht es dir gut? Warst du beim Arzt? « »Mir geht's gut. « Sie wollte ihren Kopf verzweifelt gerne an seine Brust legen und dort ausruhen, nur für eine Minute. Nur ein, zwei Minuten, um zu Atem zu kommen und etwas von seiner verlockenden Stärke in sich aufzunehmen. »Ich war letzte Woche in der Klinik. Alles ist in Ordnung. « Mein Leben wurde nur auf den Kopf gestellt. Aber ihrem Körper war das egal. Ihr Baby war gesund und gedieh prächtig. Ein Muskel in seinem Kiefer zuckte, als er ihre Haare mit sanften Fingern hinter ihr Ohr strich. »Keine Übelkeit am Morgen?« »Ich glaube nicht. Wenn ja, war es ziemlich leicht. Eigentlich nicht. Ich hatte eine Weile die Grippe und ich 一 und als ich dann letzte Woche endlich zum Arzt gegangen bin und -und ich bin schwanger - und Gott, Caleb! « Tränen flössen über ihr unteres Lid, bevor sie diese aufhalten konnte. Sie legte ihre Finger auf die Wangen, als ob sie sie damit stoppen könnte. In den letzten paar Monaten hatte sie wahrscheinlich mehr geweint als in ihrem ganzen Leben zusammen. Ich will,dass das alles aufhört! Ich will meine Mutter und meinen Vater. Verdammt noch mal, ich will mein Leben zurück. »Ich kann jetzt kein Baby bekommen. « Gott sei Dank merkte man ihrer Stimme den inneren Monolog nicht an. »Ich kann einfach nicht. « Vierzehn Heather sog den Atem hörbar ein. »Komm her, Liebling. « Er zog sie in den Schutz seiner Arme. »Na bitte! « O Herr, er fühlte sich wunderbar an. Stabil, groß und unverwüstlich. Er strich ihr mit der Hand besänftigend über den Rücken. »Du weißt es erst seit einer Woche? Dann hast du dir nicht besonders viel Zeit gegeben, die Dinge gründlich zu durchdenken. « Aus dieser Nähe konnte sie jedes einzelne Härchen seines Stoppelbarts sehen und den Schwung seiner kurzen dunklen Wimpern auf seinen Wangen, als er zu ihr herunterschaute. Sie benutzte beide Hände, um seine Arme von ihrer Taille zu lösen und trat zurück. »Es ist nicht fair. « Sie zog das Haarband aus dem Pferdeschwanz, schob es über das Handgelenk und strich sich mit beiden Händen durch die Haare. Caleb zögerte einen Augenblick lang, bevor er den Blick von ihren Brüsten losriss und wieder auf ihr Gesicht richtete. »Ich musste eine Entscheidung treffen. Glaub mir, das war kein vorschnelles Urteil. Ich bin die Königin der schwerfälligen Entscheidungsfindung. Ich habe alles berücksichtigt. Die Dinge sind kompliziert. Ich treffe die richtige Wahl, für uns alle. « »Ich kann hervorragend mit komplizierten Dingen umgehen. Gib mir eine Chance. « Sie schüttelte den Kopf und schlang sich die Arme um die Taille, um zu verhindern, sie um Calebs Hals zu legen. Er sah überlebensgroß aus. Vitaler, kräftiger, männlicher als in ihrer Erinnerung. Er trat vor. »Kannst du ihn hier spüren? « Er stupste ihre verschränkten Arme aus dem Weg und legte die Hand behutsam auf ihren Bauch. Er schob mit dem Daumen den Rand ihres Oberteils zur Seite und spreizte die Finger über ihrem Bäuchlein. Die Hitze seiner Handfläche strahlte durch sie hindurch und wärmte ihre Seele. Er starrte auf seine Hand auf ihrem Körper, als ob er Röntgenaugen hätte. »Wie groß ist er? « Seine Stimme klang gedämpft. Er war unnachgiebig und charmant und sexy und - bleib hart. Nimm dich zusammen, warnte sie sich. Es geht nicht nur um mich. Ich bin die Einzige hier,die alle Fakten kennt. Ich muss für uns alle drei denken. Caleb streichelte ihr Bäuchlein, als ob er mit dem kleinen Leben unter seinen Fingerspitzen kommunizieren würde. Ihr Hals wurde trocken, und ihre Augen wurden wieder feucht. Diese verdammten Hormone. »Ich war in der Bibliothek -ungefähr sieben Zentimeter. « Sie hätte nichts über das Wachstum ihres Kindes lesen sollen. Es hatte das Baby real gemacht und ließ das, was sie tun musste, noch schrecklicher werden. Ihr Hals tat beim Schlucken weh. »Er kann sich bewegen. Ich hab den Ultraschall gesehen 一 er sieht wie eine kleine Bohne - O Gott, Caleb -« Sie hätte nicht er sagen sollen. Oder sie. Es musste ein es bleiben. Er zog sie fest in seine Arme, und sie ließ zu, dass er sie hielt. War es so falsch, einen Moment des Trostes in Anspruch zu nehmen, bevor ihr Leben völlig den Bach runterging? »Schsch. Nicht weinen, Liebling, nicht weinen.« Er schaukelte sie sanft. »Alles wird gut werden. « Nein, würde es nicht. »Wir kennen uns noch nicht einmal. « »Wir werden alles Notwendige auf unserer Hochzeitsreise herausfinden, wie wäre das? « Nicht alles, dachte sie und spürte, wie ihre Angst wieder aufflackerte. »Genug, um Böhnchen zwei Eltern zu geben, die ihn lieben werden.« Heather unterdrückte ein weinerliches Lachen und schob ihre Arme unter sein Jackett, um seine Taille zu umschlingen. Sie ballte ihre Fäuste in den weichen Stoff seines T-Shirts an seinem Rücken und presste ihr Gesicht gegen seine feste Brust. Die Tränen kamen wie eine Flut, egal,wie sehr sie auch versuchte, den Strom einzudämmen. Wer hätte geahnt, dass Caleb genau die richtigen Dinge sagen würde? Und konnte sie es ihm vorwerfen, wenn eine kleine Spur Anstrengung in seinen Worten lag? »Ich b-bedaure 一 ich bin -« Bedaure,schwanger zu sein. Bedaure zu weinen. Bedaure, nicht damit aufhören zu können. Bedaure, dass mein Leben so völlig vermasselt und außer Kontrolle ist. Bedaure, dass ich glaube, dich zu lieben, und dich in wenigen Augenblick wegschicken werde. Caleb hob ihr Gesicht und zwang sie, seinem angestrengten Blick zu begegnen. »Da gibt es verdammt noch mal nichts zu bedauern. « Er wischte mit dem Daumen über ihre Wange. »Du warst das nicht allein. Wir haben dieses Baby gemeinsam gemacht. Ein Wunder, wenn man es genau nimmt.« Er beugte den Kopf und fuhr mit dem Mund über ihre nassen Wangen. »Wir werden ein Baby haben. Nicht zu fassen.« Verdammt noch mal. Sie biss sich auf die Unterlippe, damit ihr Mund aufhörte zu zittern und fragte: »Du f-freust dich? « Er nahm ihr Gesicht in beide Hände und wischte mit den Daumen die Tränen von ihren Wangen. »Ja, verdammt. Das tue ich. « Er hielt inne und sagte es noch einmal langsam: »Das tue ich. « »Ich weiß. « Ein Lachen entfuhr ihr zwischen ihren Tränen. »Es ist verrückt. O Gott, manchmal trifft es mich immer noch unvermittelt und ich frage mich, wie es wohl sein würde. « Ihr Lachen verebbte, als sie sich daran erinnerte, weshalb sie ihren Traum nicht leben konnte. Sie trat zurück, ohne sich aus seiner Umarmung zu lösen. Sie sah sich in der kleinen Wohnung um. »Ich habe nicht mal zwei Stühle, aber du kannst hier sitzen, und ich werde 一” Sie rollte ihre Unterlippe zwischen den Zähnen zusammen und fragte leise: »Was möchtest du wirklich, Caleb? Nicht, was du denkst, dass ich will, sondern was du ehrlich glaubst, was mit uns passieren wird? « »Ich möchte heiraten und das Richtige für unseren Sohn tun. Wir empfinden genügend Zuneigung füreinander und Baby Böhnchen da drinnen« - wieder streichelte er ihren Bauch 一,»damit das hier klappt. « Er küsste eine Seite ihres Halses, und sie beugte ihm den Kopf entgegen, damit er besser an diesen herankam. »Das ist es, was ich denke. « O Gott 一 wenn er diesen Punkt an ihrem Nacken küsste, vollführte ihr Inneres einen Tanz, und ihr Gehirn wurde ganz benommen. »Ich kann nicht denken, wenn du das machst. « »Das ist der Sinn der Übung. Sag Ja. « Sag Nein. Sei standhaft, warnte sie sich 一 aber diese kleine Stimme wurde schwacher und schwacher, während er ihren Halsansatz küsste. Sag. Einfach. Nein 一 Ihre Lippen formten das Wort, aber sie konnte sich nicht dazu bringen, es nochmals auszusprechen. Sie atmete hörbar aus. Sie wollte das hier, wollte ihn. Wollte mit jeder Faser ihres Seins, dass diese Sache zwischen ihnen klappte. atmete heftig ein, hielt den Atem an und ließ ihn dann langsam entweichen. »Bevor ich antwortete: Es gibt da ein paar Dinge, die ich dir sagen muss. « Halt den Mund! O Herr, dachte sie verzweifelt, weil ihr Körper und ihr Verstand so gar nicht zusammenarbeiteten, halt einfach den Mund. Zieh Caleb nicht da rein. Lass deine Bedürfnisse, deine Wünsche, deine Hoffnungen 一 deine Begierde für diesen Mann nicht die Wirklichkeit trüben. »Du musst einfach nur >Ja< sagen. « Was sie tun musste, verdammt noch mal, war nachdenken. Für uns alle drei denken, ermahnte sie sich erneut. Nicht nur für sich selbst, sondern für Caleb und für das Baby, und das konnte sie nicht, wenn Caleb sie berührte. Sie wand sich aus seinen Armen heraus. »Fass mich bitte mal kurz nicht an, okay? Ich weiß nicht einmal, wo ich anfangen soll. « Man musste Caleb zugute halten, dass er sie sofort losließ -widerwillig zwar, aber er stopfte seine Hände in die Hosentaschen und stand mit zurückhaltendem Gesichtsausdruck da. »Irgendwo.« Sie biss sich auf die Unterlippe. Ihr Vater hatte immer so dagestanden und sie mit liebevoller Verzweiflung betrachtet, ganz genau so, wie Caleb es jetzt tat. Er hatte sein Hände - natürlich sehr elegant 一 in die Hosentaschen gesteckt und mit seinem Wechselgeld geklimpert, was sie wahnsinnig zu machen pflegte. Jetzt würde sie beinahe alles dafür geben, wenn sie diesen nervigen Ton noch einmal hören könnte. Wo bist du, Papa?, fragte sie sich voller Schmerz. Wann wird das hier vorbei sein? Wie viel war gerade genug? Sie wollte Caleb keine Informationen geben, die, sollten sie in die falschen Hände fallen, ihn ebenso wie ihren Vater in Lebensgefahr brachten. Und er musste auch ganz gewiss nicht wissen, dass es ihr eigener Vater gewesen war, der sie zunächst in den ganzen Schlamassel verwickelt hatte. Egal, was er getan hatte, er war immer noch ihr Vater, und sosehr sie ihn auch hasste, liebte Heather ihn doch auch. Sie konnte nicht glauben, dass sie ihr gesamtes Leben in Unkenntnis seiner Tätigkeit verbracht hatte, und sie hasste ihn dafür, dass er sie und ihre Mutter den größten Teil ihres Lebens belogen hatte. Sie hasste ihn, weil er absichtlich gefährliche Kriminelle in ihr Heim gebracht hatte. Und sie hasste ihn, weil er ihre Mutter umgebracht hatte. Unfall oder Mord, ihre Mutter war tot, von seiner Hand getötet. Aber dieser Hass war mit ihrer lebenslangen Liebe für ihn durchmischt. Die zwei Emotionen waren in ihrem Innern eng miteinander verflochten. Ihre Gefühle für ihren Vater waren schwer in einem klar abgegrenzten Schwarz oder Weiß zu definieren. Aber egal, ob sie ihn liebte oder hasste, er war immer noch ihr Vater. Sie beide hatten sich eine Geschichte ausgedacht, und sie würde daran festhalten. Soweit es irgendjemand wusste, hatten sie sich letztes Jahr miteinander verkracht und waren danach getrennte Wege gegangen. Die Wahrheit war, dass Heather wirklich nicht wusste, wo er war. Und sie hatte unglaubliche Angst, dass man ihn vielleicht ohne ihr Wissen gefunden und getötet hatte. Mein Gott, Papa, dachte Heather. Wie konntest du nur so verdammt dumm sein? Und wie konnte ich nur so wahnsinnig unaufmerksam sein? Es gab noch so vieles, was sie über die Machenschaften ihres Vaters nicht wusste. Aber selbst wenn sie alle Fakten kennen würde, würde sie diese nicht einmal Caleb gegenüber offenbaren. Es waren nicht ihre Geheimnisse, die sie enthüllen würde, und sie hatte ihrem Vater ihr Wort gegeben. Völlige Verschwiegenheit war der einzige Weg, bei dem sie hoffen konnten, lange genug zu überleben, damit ihr Vater alles aufklären konnte. Bis dahin war es sicherer, ein Zerwürfnis in der Familie vorzutäuschen. Dieser Vorwand war nicht besonders schwierig. Sie war sich nicht sicher, ob sie schon bereit war, ihren Vater zu sehen. Nicht, wenn sie immer noch so wütend auf ihn war. Aber konnte sie für die Aussicht auf ein wenig Glück nicht wenigstens etwas Wahrheit riskieren? Calebs Stärke machte den Eindruck, als könne er damit umgehen. Sie stützte die Hände gegen das Fenster und schaute zur Straße. Sie erkannte Calebs verzerrtes Spiegelbild in der Glasscheibe, als er hinter ihr stand. »Irgendjemand versucht, mich zu entführen, möglicherweise auch zu töten. « Man musste ihm zugute halten, dass er nicht lachte oder ihr sagte, sie sei verrückt. Er wartete ganz einfach, dass sie fortfuhr. »Ich bin seit beinahe einem Jahr auf der Flucht. « »Vor wem? Weshalb?« Heather drehte sich um und begegnete seinem unergründlichen Blick, ohne zurückzuweichen. »Ich weiß es nicht. « »Schon gut. Wow. Du hast ein paar ziemliche Bomben auf mich fallen gelassen, Liebling, weißt du das? Komm her, setz dich und erzähl mir, worum es geht.« Er setzte sich auf eine Seite des Bettes und streckte die Hand aus. Sie schüttelte den Kopf und zog den einzigen Stuhl vom Tisch heran, um lieber ein wenig Abstand zwischen ihnen beiden zu lassen. »Du bist ein bisschen blass. Möchtest du dich hinlegen? « Wenn er sie vorgewarnt hätte, dann hätte sie Zeit gehabt, sich ein wenig zu schminken. Herrje, sie hätte sich vielleicht sogar die Haare kämmen können, bevor ihr Leben wieder eine abrupte Kehrtwendung machte. »Es geht mir gut. « Ungefähr ein Sonnensystem von »gut« entfernt, aber das war nicht sein Problem. Das konnte nicht sein Problem sein. Da ihre Hände nichts zu tun hatten, setzte sie sich auf sie drauf. »Erzähl mir davon. Wie ist es möglich, dass du nicht weißt, wer dich terrorisiert? Oder weshalb?« »Zunächst solltest du wissen, dass mein Vater ein reicher Mann ist. Ein extrem reicher Mann. Dass ich entführt werden könnte, war immer schon eine Möglichkeit. Ich bin sein einziges Kind, und meine Familie ist sehr bekannt. In Europa mehr als hier, aber wenn irgendjemand Hannah Smith in Zusammenhang mit Brian Shaw bringt, würden sie mich sofort erkennen. Mein Name ist Heather Shaw, nicht Hannah Smith. « »Es ist mir egal, ob dein Name Mata Hari ist, und es ist mir auch wurscht, wer oder was dein Vater ist, außer es hat etwas mit dir zu tun. Es ist sinnvoll, deinen Namen zu ändern, wenn du nicht auffallen wolltest - Brian Shaw? Der internationale Bankier?« »Ja.« Der internationale Terroristenbankier, dachte Heather bitter. Ein kleines Detail über die Geschäfte ihres Vaters,das er den Großteil ihres Lebens vor ihr geheim gehalten hatte und auch beinahe die gesamte Ehe lang vor ihrer Mutter. Es war die Entdeckung ihrer Mutter gewesen, die all dies ausgelöst hatte. Heather wusste nicht, welches Gefühl sie zu einem bestimmten Zeitpunkt stärker empfunden hatte: Verrat, Wut, Angst oder alle drei zusammen. Und während des vergangenen Jahres immer öfter auch einen mächtigen Hass. Alles vermischte sich mit der Liebe, die sie für einen Mann empfand, von dem sie immer geglaubt hatte, er sei ihr Held. Sie hatte verdammt schnell lernen müssen, dass es so etwas nicht gab. Sie nahm an, es war ihr Fehler gewesen, an einen Mann mit tönernen Füßen zu glauben. Er hatte ihr die beiden Menschen weggenommen, die sie am liebsten hatte auf der Welt: ihre Mutter und ihn selbst. Das Loch, das sein Verhalten in ihrem Herzen hinterlassen hatte, war zu gewaltig, um es darstellen zu können. Sie legte ihre blutleeren Hände in den Schoß, verschränkte sie fest ineinander und presste die Augen kurz zusammen. Erinnerte sich 一 sah 一 »Heather?« »Entschuldige. Mir geht es gut. Es ist oft genug veröffentlicht worden, dass kein Lösegeld bezahlt werden wird, nicht für die wichtigsten Mitarbeiter meines Vaters und auch nicht für seine Familie. Aber möglicherweise hat der Kidnapper diese Nachricht nicht bekommen«, sagte sie und zwang eine Leichtigkeit in ihre Stimme, die sie gar nicht empfand. »Mein Vater warnte mich vor Jahren, dass er oder seine Firma einer Erpressung nicht nachgeben würden, falls ich jemals entführt würde. Er würde sich weigern, das Lösegeld zu zahlen. Ich glaube ihm. Außerdem ist er furchtbar geizig. Wir sind nie gut miteinander ausgekommen. Und offen gesagt, ich glaube nicht, dass er es bemerken oder sich den Teufel darum scheren würde, wenn mich jemand entführen würde oder Schlimmeres. « Das war eine solch ungeheuerliche Lüge, dass sie beinahe erwartete, ihre Nase würde wachsen. Ihr Vater würde bis ans Ende der Welt und darüber hinausgehen, um sie zu beschützen. Oder etwa nicht? Das Fundament ihres gesamten Lebens war auf Treibsand gebaut. Sie wusste nicht mehr, wem sie vertrauen, wem sie glauben konnte, was sie weiterhin noch glauben konnte. »Also wurde ein Versuch unternommen, dich zu entführen. Wann? Wo? Und wo zum Teufel waren deine Leibwächter? « »Mike wurde in Barcelona getötet, einen Monat nachdem wir Paris im letzten März verlassen hatten. Er war losgegangen, um den Wagen zu holen, während Seth und ich warteten -eine ferngezündete Autobombe. « Es war verblüffend, dass sie die schrecklichen Worte so ruhig aussprechen konnte. Das Zittern dagegen konnte sie nicht kontrollieren, und sie rieb sich rasch die Arme, als sie sich an die Wucht der Druckwelle und die unglaubliche Hitze der Explosion erinnerte. »Vier Männer haben mich ergriffen, versuchten, mich in einen Lieferwagen zu stoßen. Seth tötete drei von ihnen und verwundete den vierten. Er wurde drei Wochen später in San Cristobal umgebracht. « »Keine Hundebisse auf deinem Hintern. Schrapnelle von der Explosion.« Sie nickte und atmete in tiefen Zügen ein. »Verdammt, du beginnst zu hyperventilieren. « Ohne Vorwarnung nahm er sie in seine Arme und trug sie rüber zum Bett. »Ich möchte das alles hören, aber lass mich dich dabei festhalten, okay? « Er ließ sie am Kopfende des Bettes nieder. »Niemand wird dir je wieder wehtun. Ich schwöre es. « Heather rutschte zurück, um sich an die Wand zu lehnen. Sie deutete energisch auf das Fußendes des Bettes. Caleb warf ihr einen amüsierten Blick zu und zog sich zurück. Doch er legte sich ihre nackten Füße in den Schoß. »Lass mich das abschließen, bevor du verrückte Versprechen abgibst. « Wie konnte sie Caleb die Situation erklären, wenn sie selbst nicht alle Auswirkungen völlig verstand? »Es könnte jeder sein, nehme ich an. Mein, äh, Vater hat sich mit einigen zwielichtigen Leuten abgegeben. « »Etwa mit Drogen?« Er tätschelte eine ihrer Fersen und begann, mit dem Daumen die Sohle auf und ab zu streichen. »Glücksspiel? Warum sollte ein Geschäftspartner deines Vaters dich umbringen wollen? « »Ich weiß es nicht«, antwortete sie und gab ihrer Stimme ein wenig Biss. Was nun? Er würde nicht glauben, dass sie keine Ahnung hatte. Sie konnte es an seinem geduldigen Gesichtsausdruck erkennen. »Du musst doch eine Ahnung haben - eine Vorstellung, wer seine Feinde sein könnten. Leute geben ohne Grund keinen Mord in Auftrag, besonders nicht an einer Frau. « Herr, er sagte das so ... ruhig. Geben einen Mord in Auftrag. Schlug ihr Herz überhaupt noch? Sie legte die Hand an den Hals, um es zu überprüfen. Das Klopfen war so schnell, dass es unmöglich zu zählen war. Ein Mordauftrag. Das war es, was ihr Vater ihr angetan hatte. Da sie ihn nicht finden konnten, suchten sie nach ihr. Sie wollte sich irgendwie selbst weismachen, die Kerle wollten lediglich Informationen. Doch daran hatte sie nie geglaubt, nicht eine Sekunde. Sie atmete stoßweise. »Wenn das nächste Mal jemand aus nächster Nähe auf mich schießt, werde ich hinrennen und ihn fragen. Glaubst du, das klappt? « Er massierte ihre Zehen mit beiden Händen. Am liebsten hätte sie geschnurrt. »Jemand hat versucht, auf dich zu schießen? Wann war das? « »Direkt nachdem ich Paris verlassen hatte. In Hongkong.« Ihr war gar nicht klar gewesen, wie schrecklich die Situation damals gewesen war. »Eine der sichersten Städte der Welt, und bevor du fragst, ob es ein Unfall war, kann ich dir versichern, es war keiner. Ich war gemeinsam mit Seth und Mike beim Einkaufen. Ich hatte im Pacific-Place-Einkaufszentrum eine Pause gemacht, um zu Mittag zu essen. Das Einkaufszentrum war überfüllt. Wir hatten gerade in einem der Restaurants Platz genommen, als offensichtlich ein Scharfschütze quer durch die Ladenstraße auf mich geschossen hat. « In seinen Augenwinkeln bildeten sich kleine Fältchen, als er diese zusammenzog, und es waren keine Lachfältchen. Er war nun todernst. Seine Finger kamen auf ihrem Fuß zur Ruhe. »Wurdest du getroffen? « Sie schüttelte den Kopf. »Nur zu Tode erschreckt und von Glassplittern bedeckt. « Erschrecken war eigentlich eine Untertreibung, sie war wohl eher absolut in Panik geraten. »Er hätte auf irgendjemanden zielen können. « »Tat er nicht. Dieser Schuss galt mir. « Sie war stundenlang von der örtlichen Polizei verhört worden, während Seth seine eigenen Ermittlungen anstellte. Die Kugel hatte sie nur um wenige Zentimeter verfehlt. Die Polizei hatte ebenfalls nicht daran gezweifelt, dass der Schütze sie im Visier gehabt hatte, aber sie hatte denen versichert, es gäbe niemanden, der versuchte, sie zu töten, und keinen Grund, weshalb jemand sie tot sehen wollte. Sie war damals so überzeugend gewesen, weil sie zu dem Zeitpunkt selbst noch daran glaubte. Als sie wieder geflohen war, tat sie das auf unauffällige, ja beinahe unsichtbare Art. Sie war ein Idiot gewesen, als sie am Abend vor der Schießerei zu Sonjas Party gegangen war. Ihre beiden Leibwächter hatten ihr sehr davon abgeraten. Zu ihrer Verteidigung konnte man vorbringen, sie habe sich damals nicht vorstellen können, dass der oder die Feinde ihres Vaters ihr jemanden hinterherschicken würden, schon gar nicht jemanden mit einer automatischen Waffe. Als sie Paris verließ, war ihrem Vater all dies offensichtlich völlig egal gewesen. Er war kälter und unnahbarer denn je gewesen. Aber sie hatte sich über ihre eigene Sicherheit auch keine Gedanken gemacht. Sonja Chins Party war eine größere Veranstaltung gewesen, als Heather erwartet hatte, und die Presse war ebenfalls anwesend gewesen. Ihr Foto, das immer lächerlich viel Geld wert war, da sie die Tochter eines schwerreichen Mannes war, hatte die Titelseiten der Klatschblätter auf der ganzen Welt geschmückt. Kaum vierundzwanzig Stunden später hatte jemand versucht, sie umzubringen. »Dann, weniger als eine Stunde danach, hörte ich Schreie vor meinem Hotelfenster. « Mit klopfendem Herzen und schwitzend vor Angst, hatte sie verzweifelt und wie eine Wahnsinnige ihre Kleider in den Koffer geschmissen. Sie erinnerte sich, dass sie die Vorhänge gerade weit genug zurückgezogen hatte, um hinauszuspähen, ohne selbst gesehen zu werden, und eine weitere scheußliche Überraschung zu erleben. Sie rieb ihre nackten Arme und spürte wieder dieselbe Furcht, die sie damals empfunden hatte. »Eine Menschenmenge versammelte sich gerade um eine Blondine in einem blauen Regenmantel, der genauso aussah wie der, den ich zuvor beim Einkaufen getragen hatte. Die Frau lag in einer Blutlache auf dem Bordstein. Tot. Sie war erschossen worden, als sie aus einem Taxi vor dem Hotel ausstieg, in dem ich wohnte. Wenn es mich nicht gegeben hätte, würde diese arme Frau heute noch leben. Seitdem verfolgt mich ihr Tod. Dieses Mal haben mich meine Jungs überzeugt. Ich habe nicht auf die Polizei gewartet. Wir sind durch den Seiteneingang raus und haben dann fünf verschiedene Taxis zum Flughafen genommen. Wir sind nach Barcelona geflogen, wo Mike Freunde hatte, die helfen würden, mich verschwinden zu lassen. Er wurde getötet, bevor wir zu ihnen gelangten. Von da brachte mich Seth nach San Cristobal, fast auf der anderen Seite der Welt! Trotzdem hat irgendjemand die Bremsen an meinem Mietwagen manipuliert, wahrscheinlich während er vor meinem Hotel geparkt war. Ich bin am nächsten Tag beinahe über eine Böschung gerast. « »San Cristobal? Liebling, diese Straßenkinder dort würden alles tun, um an einen gut gewarteten Mietwagen ranzukommen. Du hattest Glück, wenn du immer noch Reifen hattest. Ich glaube dir, dass du tatsächlich all das glaubst, was du mir erzählst. Wenn das der Fall ist, werden wir diesbezüglich etwas unternehmen. Das verspreche ich. Aber zieh mal kurz dieses in Erwägung: Falls dich jemand hätte töten wollen -nein, lass es mich anders formulieren. Falls dich ein Profi, hätte umbringen wollen, dann hätte er nicht deine Bremsen manipuliert. Das Auto wäre in Flammen aufgegangen und du ebenfalls. « Heather warf ihm einen kühlen Blick zu, obwohl sie sich innerlich erhitzt und aufgewühlt fühlte. Er glaubte ihr nicht. »Ich schätze, du musst dich einfach auf mein Wort verlassen, dass es ein vorsätzlicher Anschlag auf mein Leben war. Ein weiteres Mal.« Sie zitterte. Der einzige Grund, weshalb sie nicht direkt über jene Böschung geschossen waren, war, weil Seth wegen seiner Allergien niesen musste und deshalb langsam fuhr. Eine weitere Kurve, noch zwei Meilen mehr, und das Gelände hätte sich von einer ziemlich flachen zu einer steilen Strecke bergab verändert, mit einer Brücke, die sich über eine Schlucht spannte. Dann hätten sie so langsam fahren können, wie sie wollten, es hätte nichts genützt. »Ich glaube dir, dass du es glaubst, und das genügt mir. Was hast du in San Cristobal gemacht? « »Neue Papiere besorgt. « Neue Pässe 一 mehrere, ebenso wie die passenden Führerscheine für die USA, Europa und Japan. Sie hatte nicht sehr viele Klamotten bei sich gehabt. Ihren Koffer hatte sie mit dem Bargeld, das sie aus dem Safe ihres Vaters in Paris genommen hatte, und dazu noch mit all ihrem Schmuck und dem ihrer Mutter gefüllt. »Aha. Ein geeigneter Ort dafür. Kluger Schachzug. Danach bist du hierhergekommen nach San Francisco? « Ein flüchtiger Gedanke kam ihr in den Sinn: Wie konnte ein Ersatzteilhandler aus Oregon etwas über die Schattenseiten von San Cristobal wissen? »Äh - von da bin ich nach Utah gereist, dann nach Arizona, Las Vegas, dann Portland, Florida, New Jersey, wieder Arizona und schließlich Kalifornien. Erst Los Angeles, dann Santa Barbara, danach Sacramento und dann hierher.« »Ausgezeichnete Ausweichtechnik. Haben sie es wieder versucht? « »Ich habe sie abgeschüttelt. « »Nicht, wenn das Profis waren. « Das war auch der Grund, weshalb sie wusste, dass die sie letzten Endes doch wiederfinden würden. Es war bloß eine Frage der Zeit. »Danke, als ob mich das nicht dazu bringt, mir vor Angst in die Hose zu machen. « »Liebling, ist es möglich, dass du ein klein wenig paranoid bist? Die Autobombe war an einem Mietwagen. Die hätte auch für jemand anderen gebastelt sein können. Ein Autounfall an einem Ort wie San Cristobal? Zwei Schießereien, so kurz hintereinander? Ich mach dir keinen Vorwurf, wenn du glaubst, das alles wäre dir zugedacht gewesen. « »Falls wirklich jemand hinter mir her ist, dann bin ich wohl kaum paranoid. « Fünfzehn »Die Polizei in Hongkong glaubt, der Schütze war ein Auftragskiller«, erwiderte Heather gepresst. »Und das glaube ich auch. « Caleb sah, dass sie wirklich an das glaubte, was sie ihm erzählte. Der Unterschied war, sie glaubte, irgendjemand versuche, sie umzubringen. Und obwohl er nicht daran zweifelte, dass die Schüsse ihr gegolten hatten, vermutete er, jemand versuchte, sie zu Tode zu erschrecken. Vermutlich als Anreiz für sie, den Aufenthaltsort ihres Vaters zu verraten, nachdem man sie geschnappt hatte. Das jedenfalls würde er machen, wenn er ein Terrorist wäre, der versuchte, Brian Shaw aufzustöbern, weil der all sein Geld gestohlen hatte. Verdammt. Das war es, was er getan hatte. Er hatte sie aufgespürt, damit er Shaw finden konnte. Verdammt noch mal. Bis das hier vorbei war, würde er sie nicht aus den Augen lassen. Es war schon ironisch: Wenn sie und ihr Vater nicht dieses Zerwürfnis gehabt hätten, dann säße sie jetzt sicher wie eine Laus im Pelz bei dem Mistkerl in dessen Zufluchtsort in Matera. Egal, wie er die Sache auch betrachtete, es war ihm lieber, Heather war hier bei ihm. Caleb stand auf und ging zu ihr rüber. Überrascht riss sie die Augen auf. »Was machst d-« Er beugte sich nach unten und hob sie vom Bett hoch. »Ich muss dich ganz einfach festhalten. « Es war die Wahrheit. Er musste sie im Arm halten. Er wollte zwar, dass seine Worte Teil der Verführung war, aber es war dennoch die absolute Wahrheit. Seine Arme hatten sich seit Monaten, sogar seit Jahren leer angefühlt. Ihr Gewicht, die vertraute Weichheit ihres Körpers in seinen Armen zu wiegen, ließ ihn sich ... besser fühlen. Nein - gut, zur Hölle, großartig fühlen. Mit Heather zusammen zu sein, fühlte sich an, als ob das fehlende Puzzlestück seiner Gefühle endlich wieder an seinem Platz war. Und er war ein Narr, wenn er an seine eigene Propaganda zu glauben begann. Er brauchte sie als Köder, ermahnte er sich. Das war alles. Was er für sie empfand, war nur Lust. Keine Liebe. Wollust. Überzeug sie, dass du sie liebst, brachte er sich selbst grimmig in Erinnerung, während er seinen Mund zu ihrem herabneigte. Überzeug dich selbst, dass du das nicht tust. »Dies wird gar nichts klären«, murmelte sie und wandte ihren Mund etwas ab. »Lass mich bitte runter. « Er ließ sie an seinem Körper hinabgleiten und hielt weiterhin ihre Hand fest, während er sich auf den Stuhl setzte, auf dem sie vorher gesessen hatte. Sie kam zwischen seinen gespreizten Knien zu stehen. Mit einer Hand auf ihrem Po lockerte er den Reißverschluss ihrer Jeans. »Ich möchte dich sehen. « »Da gibt es nicht viel zu sehen. Es ist nicht, als ob es ein Fenster zu Böhnchens Raum da unten gäbe - oder soll ich Gebärmutter sagen? « Sie klang amüsiert, als sie mit ihren Fingern durch sein Haar fuhr und er das seidige Stückchen Haut nachzeichnete, das er entblößt hatte. »Er ist noch nicht bereit für seine große Enthüllung«, teilte Caleb ihr mit und versuchte, sich ein Kind vorzustellen, das sich unter seiner Hand zusammenrollte. Sein Kind. Ihr Kind. Mein Gott. Er konnte ihren weiblichen Duft riechen, schwer und moschusartig. Mit beiden Händen streifte er die Jeans über ihre Hüften und enthüllte ein Dreieck aus blauer Spitze und die glatte, seidige Haut ihres Bauches. Mit seinen Daumen fuhr er die Verbindung zu ihren Schenkel nach, dann die leicht vorgewölbte Rundung ihres Bauches und machte sich wieder mit der Form und dem Gefühl ihres Körpers vertraut. Er beugte sich vor und legte den Mund auf ihre kühle Haut, musste dann aber innehalten, als der aufregende Duft ihrer Erregung seine Sinne einhüllte und ihn so hart werden ließ, dass es wehtat. »Ich habe dich vermisst. « Ihre Stimme klang heiser, und ihre Finger verkrampften sich in seinem Haar. »Ich habe das hier vermisst. « O ja. Das hatte er auch. Er glitt vom Bett herab, kniete zu ihren Füßen nieder und legte eine Spur von Küssen von ihrem Nabel über den Rand der himmelblauen Spitze, die tief auf ihrer Hüfte saß. Mit beiden Händen zog er die Jeans ihre schönen, langen Beine hinab, während er seinen leicht geöffneten Mund auf ihre verhüllte Erhebung presste. Heather legte ihre Hände auf seine Schultern, um das Gleichgewicht zu halten, während sie die Jeans wegkickte. »Caleb -« Ihre Stimme verlor sich, als sich sein Mund an ihren Intimbereich schmiegte. Er packte ihre Hüften und versenkte seine Zunge tief in dem kleinen ^tuck Spitze, berührte sie, neckte sie dort ganz vertraut. Dann schob er den Stoff beiseite. Ihr Geschmack war reichhaltiger, exotischer als zuvor, und das machte ihn schärfer, als er jemals gewesen war. Er wollte sie verschlingen. Während er ihren Kitzler zwischen seine Zähne saugte, fühlte er, wie sich ihre kurzen Fingernägel in seinen Schultern vergruben. Sie schrie kurz vor Genuss auf, und ihr Körper erzitterte und verriet ihm, dass ihr Höhepunkt sich langsam näherte. Caleb benutzte seine Finger um sie zu öffnen, streichelte sie so tief mit seiner Zunge, änderte den Rhythmus, bis sie laut aufschrie. Während ihr Körper in seinen Armen erbebte, brachte Caleb sie zum Bett. Er streckte sie der Länge nach aus, zog sie an seine Seite, lauschte ihrer unregelmäßigen Atmung und beobachtete den Pulsschlag an ihrem Halsansatz. Er streichelte ihr Haar so lange, bis ihr Atem etwas ruhiger wurde. Er wollte sich in ihren Körper versenken und sie hart reiten. Er war verzweifelt und wollte schnell mit ihr schlafen. Und auch langsam. Und in jeder Geschwindigkeit dazwischen. Aber hier ging es nicht um ihn. Ihre langen, dunklen Wimpern zuckten, ihre schläfrigen, haselnussfarbenen Augen schienen mehr moosgrün als braun zu sein, als Heather ihn anschaute. »Ich muss 一” Caleb presste ihren zwei Fingern auf den Mund. »In einer Minute. Schließ die Augen, und genieß den Moment. « Mit geschlossenen Augen kuschelte sie ihre Wange an seine Brust. Während er ihr mit den Fingern den Rücken streichelte, spürte er, wie ihr Körper sich allmählich entspannte. Er drückte ihr einen Kuss auf den Kopf und atmete den blumigen Dutt ihrer Haare und den erregenden Geruch ihres Orgasmus ein. Er brauchte einen Augenblick, um seine eigene Erregung in den Griff zu kriegen. Und als ob er nicht schon wahnsinnig genug war, ließ er das knappe rosa Oberteil, das sie trug, still und heimlich verschwinden, sodass sie ihre nackten Brüste gegen seine Flanke drückte. Er liebte ihre Brüste. Schon immer hatte er seine Frauen gut bestückt bevorzugt, aber Heathers kleine, pralle Brüste waren perfekt. Er hätte sich beinahe 一 beinahe sein Shirt weggewünscht, damit er ihre zarten Kurven auf seiner Haut spuren konnte. Er nahm sich zusammen. Es war schon schlimm genug, ihre warme Haut durch eine dünne Stoffschicht zu spüren. Haut an Haut zu spüren, würde ihn losschießen lassen wie eine Rakete. Herrgott. Er war anscheinend ganz versessen auf Bestrafung. Er schloss die Augen, dann öffnete er sie wieder. Er redete sich ein, er tue es für einen guten Zweck. Konzentrier dich. Verdammt hart, mit einer nackten Heather in den Armen. In ihrer Nähe war er ständig erregt, auch dann, wenn sie es nicht war, dachte er reumütig. Er musste nur versehentlich an sie denken, und rums, hatte er einen Ständer. Er gewöhnte sich bereits an das Problem. Er betrachtete es als Lernprozess. Die Schwangerschaft warf ein völlig anderes Licht auf die Dinge. Er hatte sich nie vorgestellt, irgendwann einmal Kinder zu haben. Nairnes Fluch sollte mit ihnen enden, mit Gabriel, Duncan und ihm selbst. Sie hatten alle zugestimmt. Pflicht über Liebe, so wähltest du 一 Seine Pflicht war der Auftrag, Shaw zu finden. Und nun die Sicherheit seines ungeborenen Sohnes zu gewährleisten. Und als ob die Sache mit Heather nicht kompliziert genug wäre, musste er einen verdammt heiklen Drahtseilakt vollführen, bis ihr Vater festgenommen war. Er schob sein altes Versprechen beiseite und stellte sich ein Bild seines Sohnes vor. Würde er wie ein Edge aussehen? Oder würde sein Haar heller sein, so wie Heathers? Sie regte sich, legte ihr nacktes Bein über seins und schlang den Arm um seine Taille. Es war, als ob er in eine Kaschmirdecke gehüllt würde. Er liebte es, sie in seinen Armen zu spüren, liebte die Art, wie sich ihr Körper an seinem entspannte, liebte ... seinen Sohn. Ein Schwall der Gefühle zog Calebs Hals zusammen. Er legte seine Hand auf Heathers Bauch. Ein Sohn. Jetzt, bei Weitem nicht entschlossen, sie zu heiraten, sich dann scheiden zu lassen und wegzugehen, würde er mit ihr verheiratet bleiben müssen. Aber er durfte sie nie mehr wiedersehen. Er hatte nicht gelogen, als er ihr gesagt hatte, dass bei anderen Leuten Ehen wie ihre funktionierten. Seine Eltern hatten es versucht. Nicht glücklich. Nicht erfolgreich und auf verschiedenen Kontinenten. Mit einem Ozean und einem Fluch zwischen ihnen. Obwohl er wusste, wie das ausgehen würde, ausgehen musste, war er immer noch wild entschlossen, sie zur Heirat zu überreden. Es war der einzige Weg, wie er es schaffen konnte, Zugang zu Shaws Bollwerk in Matera zu erlangen. Der einzige Weg, sich wie ein Ehrenmann gegenüber der Mutter seines Kindes zu verhalten. Pflicht über Liebe. Ja, er hatte es kapiert, dachte er verbittert. Mann, er hatte es kapiert, aber es war verdammt mühsam zu versuchen, sein Verlangen nach ihr zu bekämpfen. Seit sie voneinander getrennt waren, war kein Tag vergangen, an dem er nicht an sie gedacht hatte, sie begehrt hatte, sich nach ihr gesehnt hatte. Sie war seine Nahrung, und er war verdammt noch mal am Verhungern. Sie nicht zu begehren war, als ob er versuchen würde, nicht zu atmen. Ein Bedürfnis, so stark und dringlich, dass er ihm nicht widerstehen konnte. Wenigstens musste er diesen Teil ihrer Beziehung nicht vortäuschen. Das war der eigentliche Handel. Tausendfach. Er war ein Glückspilz. »Okay? «, fragte er in ihr nach Blumen duftendes Haar. Sie sah hoch, etwas von der Anspannung um ihre hübschen Augen war verschwunden. »Wesentlich besser.« Er strich mit seinem Mund über ihren und sehnte sich nach mehr, aber er wusste, dass sie sich verpflichtet fühlte, ihm auch noch den Rest zu erzählen. Er konnte ja nicht zugeben, mehr über ihren Vater zu wissen als sie. Er streichelte mit der Hand über ihr Bäuchlein, und sein Mund wurde plötzlich ganz trocken, als ihn die Wirklichkeit wieder mit voller Wucht traf. Herrgott. Dort war ein Kind drin. Sein Kind. Obschon aus keinem anderen Grund als der Pflicht, so musste er Heather doch heiraten. Er musste Vater werden. Eine Rolle, mit der er sich niemals identifiziert hatte, da es, wie jeder Edge wusste, so etwas wie ein Happy End nicht gab. Kein Gartenzaun, keine Sonntagsessen, nur Herzensleid. Ein komplizierter Haufen Mist, den ein Mann da schlucken musste. Weder brutale Gewalt noch Einsteins Genie konnte den Fluch durchbrechen. Keiner wusste genau, was getan werden musste, um die verdammten Worte zu beenden, die verhinderten, dass die Edges normale Männer waren, fähig, ihre Liebe frei zu geben, ohne den Empfänger dieser Zuneigung zu töten. Die seidigen Fäden, die ihn mit Heather verbanden, zogen sich unerbittlich zusammen. Pflicht über Liebe, so wähltest du. Und es sah ganz so aus, als würde noch eine weitere Generation von Edges dazu verdammt sein, dasselbe zu tun. »Also, dein Vater war ein gepriesener Bankier. Für wen? «, drängte er sie und fragte sich, ob sie es ihm sagen würde. Er war ohnehin überrascht, dass sie ihm schon so viel offenbart hatte. »Die Mafia? Das würde für die Auftragskiller- Theorie sprechen. « Heather zögerte, dann zuckte sie leicht mit der Schulter. »Vielleicht.« Caleb spürte ihre Unschuld und dass sie tatsächlich nicht wusste, welcher Organisation oder wem ihr Vater gedient hatte. Der Mafia? Nicht dass T-FLAC es wüsste. Shaws Kunden waren beträchtlich größer und noch gefährlicher gewesen als der Mob. Aber Caleb war sich verdammt sicher, dass keiner von denen einen Grund hatte, hinter Heather her zu sein. Es sei denn, sie wusste mehr über die Geschäfte ihres Vaters als T-FLAC vermutete. Das Analyse-Team glaubte es nicht und offen gesagt, er ebenso wenig. Heather würde nie eine gute Pokerspielerin werden, da man ihre Gefühle auf ihrem hübschen Gesicht ablesen konnte. Deshalb hatte er auch die Ehe-Karte spielen können. Nachdem es ihm gelungen war, nach ihrer Ankündigung der Schwangerschaft nicht die erwartete negative, männlich egoistische Antwort zu geben, hatte er unter die Oberfläche schauen können. Heather war verängstigt und hatte das gewählt, was sie als den sichersten Weg ansah, ihr ungeborenes Kind zu »schützen«, nämlich dieses nicht auszutragen. In diesem Augenblick hatte Caleb seinen Schwur erneuert, Shaw zur Strecke zu bringen und den Mistkerl umzubringen, weil er seine eigene Tochter terrorisiert hatte. Er hatte keine übersinnliche Wahrnehmung gebraucht, um herauszufinden, dass sie dieses Baby bereits liebte und es sie bis ins Mark treffen würde, wenn sie es abtreiben ließ. Er hatte sie gar nicht sonderlich überzeugen müssen, und dennoch war sie hier neben ihm auf dem Bett und schüttete ihm ihr Herz aus. Schuldgefühle keimten in ihm auf. Er drängte sie zurück. Shaw war ein gefährlicher Mann. Anders als Heather würde er einen gemeinen Pokerspieler abgeben, einen, der seine Karten nahe an der Brust hielt. Es war höchst unwahrscheinlich, dass sowohl seiner Frau als auch seiner Tochter je bewusst gewesen war, was er tat und mit welchen Leuten. Der Wunsch, sie zu beschützen, ließ Caleb Heather noch näher an sich heranziehen. »Nun, jetzt müssen diese Mistkerle erst mal an mir vorbeikommen, wenn sie dich kriegen wollen«, versicherte er ihr. Anstatt sich zu entspannen, wurde sie in seinen Armen steif wie ein Brett und legte ihren Kopf in den Nacken, damit sie seinem Blick geradeheraus begegnen konnte. Ihre braunen Augen waren wild vor Panik. »Gott nein! Das hat nichts mit dir zu tun! Ich hätte nicht... verdammt noch mal, ich brauche keinen Helden, verstehst du? Deshalb kann ich dieses Baby nicht bekommen. Ich kann niemanden zusätzlich in meinem Leben haben! Ich bin auf der Flucht, Caleb. « Sie biss sich auf die zitternde Unterlippe. Ihre Augen füllten sich mit Tränen. »Ich muss dir etwas sagen ... mein, mein Vater ist nicht tot. « Sie nahm einen bebenden Atemzug und fuhr fort, ohne aufzuschauen: »Er und ich - wir hatten einen riesigen Streit, und ich habe ihn seit mehr als einem Jahr weder gesehen noch etwas von ihm gehört. Ich denke, er hat irgendjemanden so stinksauer gemacht, dass die als Vergeltung mir schaden wollen. « Endlich hob sie ihre Augen. »Ich will nicht, dass du meinetwegen verletzt wirst, Caleb. Ich würde mir das nie vergeben. « Ihre Miene war so ehrlich und aufrichtig, dass er ihr beinahe, aber nur beinahe, die Wahrheit gesagt hätte über seinen Job, seine übernatürlichen Fähigkeiten und den Fluch. Er konnte sich gerade noch rechtzeitig zur Räson rufen, bevor er die Dinge unnötig komplizierte. Sein Herz verkrampfte sich, aber seine Stimme war ruhig und überzeugend, als er ihr ins Haar flüsterte: »Niemand wird verletzt werden, Liebling. Vertrau mir. « Das Einzige, das ich vorhabe zu brechen, ist dein Herz. Sechzehn Zwei Stunden später waren sie verheiratet und auf Hochzeitsreise auf dem Weg nach Italien. »Es ist ein langer Flug«, erklärte ihr Caleb leise, obwohl es keine anderen Passagiere in der ersten Klasse gab, die ihn hören konnten. »Versuch, ein wenig zu schlafen. Du brauchst all deine Kraft, wenn wir dort sind, Mrs. Edge. « Mrs. Edge. Schwer zu glauben. Es war alles so schnell gegangen. Caleb legte ihr eine Decke über den Schoß, obwohl sie die gar nicht brauchte. Als ob sie in einer klimatisierten Kabine frieren könnte. Dennoch, es war süß. Für jemanden, der kleinere Entscheidungen über Tage, wenn nicht Monate erörterte, war Heather ganz schwindelig geworden, als sie sich von Caleb mitreißen ließ, der jetzt die Führung übernommen hatte. Herrgott, der Mann traf binnen Sekundenbruchteilen Entscheidungen, die er blitzschnell in die Tat umsetzte. Er hatte ihr nur ein paar Minuten gegeben, um eine Tasche zu packen und die Wohnung abzuschließen, bevor er sie in ein Taxi zog und zum Rathaus brachte. Ihre Hochzeit hatte ganze vier Minuten gedauert, von denen zwei für das Unterschreiben irgendwelcher Formulare drauf- gegangen waren. Sie hoffte bei Gott, dass sie keinen Fehler machte, wenn sie die relative Sicherheit und Anonymität von San Francisco aufgab, um nach Europa zu reisen. Würden diese Leute nicht erwarten, dass sie irgendwann nach Hause fuhr? Europa war nicht so groß. Es war allgemein bekannt, dass ihre Familie eine Wohnung in Paris hatte und der Landsitz ihrer Eltern sechzig Meilen außerhalb der Stadt lag. Viele der Bankkunden ihres Vaters waren dort zu Besuch gewesen. Sorge nagte an ihr. Was wäre, wenn sie in Europa zufällig jemandem begegneten, den sie kannte? Was, wenn die Paparazzi sie am Flughafen entdeckten? Und was, wenn ... was, wenn ... »Entspann dich«, riet er ihr mit einem Lächeln. »Wir fliegen nach Italien, nicht zu den Salzbergwerken in Sibirien. « »Ich bin entspannt. « Sozusagen, dachte sie reumütig. Sie fühlte sich, als würde sie in einen Strudel hineingesogen. Dennoch versuchte sie die Besorgnis aus ihrem Gesicht zu verbannen, und zwang sich, langsam und tief zu atmen. »Vielleicht können dein Vater und du eure Probleme eines Tages lösen«, schlug er vor und beugte sich über sie, um ein kleines Kissen zwischen sie und das Fenster zu stopfen. >Es wäre schön für unseren Sohn, wenn er auch seinen Großvater kennen würde. Gibt es eine Chance auf Versöhnung? Jetzt, wo wir ihm ein Baby vorstellen können?« Calebs Tonfall war locker, aber sie spürte alle Anspannung in seiner Stimme. »Er ist kein warmherziger und freundlicher Typ, glaub mir«, meinte sie trocken. Sie konnte sich ihren eleganten Vater beim besten Willen nicht mit einem Kleinen Kind vorstellen, aber es würde sicherlich interessant werden, das zu beobachten. Es war ziemlich überwältigend für sie, Caleb so sehr und so schnell zu lieben. »Hat dich schon mal irgendjemand als menschlichen Bulldozer bezeichnet? «, fragte sie und war ganz fasziniert von der Art, wie sich seine Augen zusammenzogen, wenn er lächelte. »Nur mein Bruder Gabriel, und nur, wenn ich mich MacPains Kochkunst widme.« »Mac wer?« »Sein Name ist MacBain. Er ist der 一 hm, ich bin mir gar nicht sicher, wie man MacPain heutzutage nennt. Butler? Faktotum? Nervensäge? Jedenfalls führt er Gabriels Haushalt. « »Du meine Gute! Dein Bruder hat einen Haushalt, der groß genug ist, um einen Butler zu brauchen? « Also hatte seine Familie Geld. Das erklärte die Erster-Klasse-Tickets, die er im letzten Moment gegen einen Aufpreis gekauft hatte, und den erstklassigen Diamantring an ihrem Ringfinger. Dinge, die er sich wahrscheinlich von seinem Einkommen als Verkäufer von Traktorenersatzteilen nicht hätte leisten können. Nicht dass sie auch nur die geringste Ahnung davon gehabt hätte, wie viel oder wie wenig man als Ersatzteil Verkäufer verdiente. »Eigentlich ist Gabriels Haus ein Schloss. « »Im wahrsten Sinne des Wortes?« »Ja. Es war mal unser Familiensitz in Schottland. Er hat es in die USA bringen und in Montana Stein für Stein wieder zusammensetzen lassen. « »Da hatten die dortigen Kühe ja etwas zu muhen. « Heather lächelte. »Hat er viele Kinder? « »Nein. Er ist Single. « Das eine hatte zwar nichts mit dem anderen zu tun, aber sie überging es. »Und anscheinend exzentrisch, wenn er allein mit seinem Butler in einem Schloss in Montana lebt.« »Sie sind nur Freunde«, erklärte Caleb, ohne eine Miene zu verziehen. »Ich bin mit einem Komiker verheiratet«, neckte sie. Die Diamanten an ihrem Finger glitzerten und warfen im Lichtstrahl der kleinen Leselampe winzige Funken. Sie hatte gespürt, wie ihr Tränen in die Augen stiegen, als er während der Zeremonie den Ring für sie hervorgeholt hatte. Es war alles so schnell gegangen, und doch hatte er es geschafft, ihr einen Trauring zu kaufen. Bevor er zu ihr gekommen war. Bevor er gewusst hatte, dass sie schwanger war. Hatte er seine Familie angerufen? Seinen Brüder mitgeteilt, dass er heiratet würde? Oder wenigstens, dass er Vater werden würde? Herrgott, es gab noch so vieles, was sie über die Familie Edge in Erfahrung bringen musste. »Erzähl mir von diesem Schloss in Montana. « »Vor langer, langer Zeit 一 leg deinen Kopf hin 一 ja, so ist es gut. Schließ die Augen, Liebling. « Sie gähnte und schob ihren Arm um seine Taille, während sie seiner dunklen Stimme lauschte, die durch die Wand seiner Brust hindurchvibrierte und in ihrem Inneren widerhallte. »Vor langer, langer Zeit in einem weit entfernten Land«, murmelte sie und war plötzlich so müde, dass sie ihre Augen kaum noch offen halten konnte. Sein Lachen erschütterte seine Brust. »Damals war es weit entfernt, aber heutzutage ist es dank der Düsenflugzeuge nur ein Katzensprung nach Schottland. Wie auch immer, vor etwa fünfhundert Jahren verliebte sich Magnus Edridge, unser Gott-weiß-wievielter-Ururgroßvater in ein wunderschönes Dorfmädchen namens Nairne.« Caleb strich Heather das Haar aus dem Gesicht und redete leise weiter. »Zunächst ignorierte er die Forderungen seiner Familie, dass er die unattraktive Tochter des Gutsherren heiraten sollte, damit er die leeren Truhen der Familie auffüllen konnte. Die Heiligen Kriege waren Gift für das alte Bankkonto gewesen. Stattdessen überhäufte er die schöne Nairne - die Frau, die er aufrichtig liebte 一 mit teuren Geschenken und stolzierte mit ihr vor seinem Vater und den Leuten im Dorf herum. « »Soso.« »O ja. Schlimmer noch, er gab seiner Geliebten den Verlobungsschmuck der Familie Edrige. « »Schockierend. Dieser Mistkerl.« »Aber sein Vater bearbeitete ihn weiter. Er sei zu alt, um weiterhin die Dorfmädchen zu beackern, so als ob es kein Morgen gäbe. Es sei Zeit zu heiraten. Magnus, der wahrscheinlich noch ein Teenager war, erwiderte vermutlich: In Ordnung, Paps. Ich bin mit diesem prächtigen Schätzchen unten aus dem Dorf verlobt. Wir heiraten einfach, und alles passt wieder! « Calebs leise Stimme und der regelmäßige Schlag seines Herzen unter ihrem Ohr, gepaart mit dem monotonen Dröhnen der Flugzeugmotoren entspannten sie mehr, als dies die überteuerten Massagen getan hatten, auf die sie sich früher verlassen hatte. »Beackern?« »In der Umgangssprache. Letztendlich verstand Magnus die Nachricht, dass er, falls er Nairne weiterhin sähe, ohne eine Sau verbannt werden würde 一” Heather grinste. »Ich denke, das war ein Sou. « »— und er musste Janet aus der großen Burg heiraten und mit ihr das noch größere Vermögen. « »Arme Nairne.« »Ja. Ab da nahm das Glück der Familie Edrige eine besondere Wendung«, fuhr Caleb trocken fort und spielte beim Reden mit einer ihrer Haarsträhnen. »Magnus trottete runter ins Dorf, um Nairne zu sagen, dass er Janet heiraten müsse. Er forderte sie auf, den Verlobungsschmuck der Edridges zurückzugeben. « »Offensichtlich und überraschenderweise lebte er noch, um von der Geschichte zu berichten. « »Nairne hat ihn verflucht. Habe ich erwähnt, dass sie eine Hexe war? « »Eine schottische Hexe. Cool. Hat sie seine Eier schrumpfen und sie schwarz werden lassen? « Caleb schüttelte sich. »Blutrünstig. Nein. Diese Juwelen hat sie ganz gelassen, aber verfluchte die anderen, die sie ihm zurückgab. « »Er hatte Glück, mit dem Leben davonzukommen. « »Jedenfalls heiratete er Janet, änderte den Familiennamen auf Edge, um den Fluch zu umgehen und hatte drei Söhne. « »Und lebte glücklich und zufrieden bis an sein Lebensende? « »Dem Blick der alten Janet auf ihrem Familienporträt nach zu schließen, würde ich Nein sagen. « »Wie lautete der Fluch? « Heather setzte sich auf, um ihn anzuschauen. »Das war als Gutenachtgeschichte gedacht, Mrs. Edge. Wenn du nicht schlafen möchtest, hätte ich noch etwas anderes im Sinn. « »Träum weiter, großer Junge. Der Fluch?« Er streckte seine Hand aus und schob eine Haarsträhne sanft hinter ihr Ohr. Seine Finger strichen an dessen äußerem Rand entlang und ließen sie erzittern, als er zitierte: »Pflicht über Liebe, so wähltest du, von dir verschmäht fand mein Herz keine Ruh. « Er streichelte sacht ihr Ohrläppchen. Heather hielt die Luft an, als sein Daumen ihren Kiefer streichelte. »Und?« »Bestraft sollst du sein, kein Stolz dir gewährt, drei Söhne auf drei Söhne nur Schmerz sich vermehrt. « »Herrje«, flüsterte sie leise und versuchte, sich auf seine Worte zu konzentrieren, obwohl ihre ganze Aufmerksamkeit bei seinen Taten lag. »Sie 一” Herrgott, worüber sprachen sie gerade? O ja. »Sie hat auch seine Kinder verflucht? Das war hartherzig. « »Gilt nun schon seit fünfhundert Jahren«, bestätigte ihr Caleb trocken und öffnete mit der freien Hand seinen Sicherheitsgurt. »Aha, jetzt verstehe ich es. Das ist der Grund, weshalb du glaubst, wir Kriegen einen Jungen. Wegen des Fluches.« »Seit fünfhundert Jahren nur Jungs ... Deine Haut fühlt sich an wie Satin«, murmelte er. »Was hatten wir - o ja, und immer nur drei pro Familie. Wir Edges nehmen Nairnes Fluch sehr ernst. Nur aus freien Stücken gegeben, wird dieser Fluch enden, drei müssen eins werden, und das Blatt wird sich wenden«, beendete er seine Erläuterungen. Sie runzelte die Stirn und versuchte, ihr erwartungsvolles Schaudern in den Griff zu kriegen, als seine Hand ihren Hals hinabstrich. »Es reimt sich nicht völlig. « Zwei Finger verweilten auf dem rasend schnell pochenden Puls an ihrem Halsansatz. Er lächelte. »He, sie war eine Hexe, keine Dichterin. « »Was muss aus freien stucken gegeben werden? « Caleb zuckte die Schultern. »Keine Ahnung.« »Mach schon. In fünf Jahrhunderten hat keiner der drei Söhne auf drei Söhne herausgefunden, womit man den Fluch brechen kann? « »Nö.« »Vielleicht kriegen wir es raus. « Er setzte sich aufrechter in seinem Sitz hin und zog eine Augenbraue hoch. »In unseren Flitterwochen?« »Warum nicht? Was sonst 一” Er glitt mit der Hand an ihren Rippen hinab, dass sie in ihrem Sitz zappelte. »Lass das - Caleb, ich bin so kitzelig! Pst, die Leute können uns hören. « »Ich lach ja gar nicht«, raunte er und zog sie mitsamt der Decke auf seinen Schoß. Sie konnte ihn unter ihren Schenkeln spüren, hart und bereit. Begierde durchfuhr sie. Das sprudelnde Lachen erstarb auf ihren Lippen, als er sie sanft küsste. Seine Lippen waren fest und weich und schmeckten vertraut, als er seinen Mund in einem unerträglichen erotischen Tanz an ihrem rieb, der ihr das Paradies verhieß. »Du weißt schon, geliebter Gatte«, flüsterte sie mit belegter Stimme, während ihr Hitze den Rücken hinaufjagte, »dass du hier falsche Versprechen abgibst? « Gott, sie hatte Glück. Glück, einen Mann wie Caleb gefunden zu haben in dem ganzen Schlamassel, zu dem ihr Leben geworden war. »Entspann dich, Liebling. « Ihr neuer Ehemann legte sein Kinn auf ihren Kopf und rieb ihre nackten Arme mit einer Zärtlichkeit, die alles andere als beruhigend war. Ihre Herzfrequenz schoss nach oben, und sie wünschte sich, sie wären nicht in der Öffentlichkeit. Egal, wie abgesondert sie sich fühlten: Hinter dem Vorhang, nur ein paar Schritte entfernt, saß ein ganzes Flugzeug voller anderer Reisender. Mit geschlossenen Augen spurte sie, wie er mit seiner freien Hand nach oben griff. Sekunden später gingen die Oberlichter aus, und sie saßen im Halbdunkel. Er schlupfte mit der Hand unter die Decke und spreizte die Finger über ihrem Bäuchlein. »Hi, kleiner Mann, hier ist dein Papa. Wie geht's dir da drin? Mach jetzt ein kleines Nickerchen. Mama und ich wollen ein persönliches Gespräch führen. « »Was für ein persönliches Gespräch? «, flüsterte Heather. Caleb warf ihr einen strengen Blick zu. »Pst, er ist zu jung, um schon was über die Vögel und die Bienen zu lernen. « Er war überzeugt, dass sie einen Sohn erwartete, nur wegen eines Märchens, das seit Generationen weitergegeben worden war. Ihr war es egal, ob das Baby ein Junge oder ein Mädchen war. Solange es nur gesund war. Sie würde dafür sorgen, dass ihr Baby sein ganzes Leben nichts als Liebe und Sicherheit kennenlernen würde. »Es schläft fest«, flüsterte sie und legte ihre Hand für einen Augenblick über seine. Die Flugzeugmotoren dröhnten. Den Kopf an Calebs Brust gelehnt, lauschte sie dem regelmäßigen Schlag seines Herzens. Ja, sie hatte Glück, verdammtes Glück. Deshalb würde sie den ersten Tag ihres gemeinsamen Lebens nicht damit verschwenden, ihre Vergangenheit anzusprechen. Die Sitzplätze in der ersten Klasse waren breit und bequem. Caleb klappte seinen Sitz zurück und hielt sie eng an sich gedrückt. Sie spürte seine Lippen auf ihrem Haar. Gott, sie fühlte sich lächerlich glücklich und benommen. Er fuhr mit seiner Hand wieder unter die Decke. Ihr Herz setzte buchstäblich einen Schlag lang aus. »Lass das«, sagte sie und lachte leise, während sie mit seinen emsigen Fingern rang. »Irgendjemand wird vorbeikommen und uns sehen. Erzähl mir lieber, wie es so war, mit zwei Brüdern in einem schottischen Schloss in Montana aufzuwachsen. « Sie konnte sich kaum noch konzentrieren, denn jetzt streichelte er ihre Schenkel. Ihr Verlangen für diesen Mann durchdrang sie. Sie gab sich keine Mühe, ihn aufzuhalten, hielt ihn lediglich am Handgelenk fest, was absolut keine Abschreckung für seine herumstreunenden Finger war. Seine Hand wanderte unter den Saum ihres Kleides und streichelte die Innenseite ihrer Schenkel. Sie schüttelte den Kopf und las die Absicht in seinen dunklen Augen, bevor er seine Hand höher schob. »Bist du Mitglied im Mile-High- Club? «’ fragte sie mit zögernder Stimme. Er drehte sich zu ihr hin und warf ihr ein träges, schelmisches Lächeln zu. »Möchtest du Mitglied werden? « Seine Finger glitten noch ein wenig höher, und seine Berührung ließ ihre Haut erglühen. Sie biss sich auf die Unterlippe. »Nicht mit weiteren dreihundert Passagieren oder mehr an Bord.« Aber das war eine Lüge. Sie würde sich mit diesem Mann überall einlassen, egal, wo, egal, wann, egal, wie. Zwischen ihren Beinen wurde es heiß und feucht, und ihr Herz setzte einen Augenblick aus, als er sie bedächtig durch ihr dünnes Höschen liebkoste. Sie strich ihm mit den Fingern durchs Haar und zog ihn zu sich hinab. Der Kuss war langsam und süß und brachte ihr Blut zum Kochen. »Soll ich aufhören? « »Natürlich«, antwortete sie geziert und spreizte dabei die Beine ein wenig, um ihm dort besseren Zugang zu gewähren, wo sie von ihm berührt werden wollte, berührt werden musste. Er kicherte und glitt mit seiner Hand unter ihrem Kleid ihre Taille hinauf, bis er ihre schweren, spitzenbedeckten Brüste spürte und ihre bereits harten Nippel zwischen seinen Fingern rieb. Er schob ihr seine Zunge in den Mund, dann schob er ihren Spitzen-BH zur Seite und berührte ihre nackte Brust. Mit flatterndem Herzen und schwindenden Sinnen murmelte sie: »Jemand wird kommen ...« Calebs Augen fingen das Licht auf. »Ja.« Seine Stimme war heiser und voller Zärtlichkeit. Sie spürte sein schelmisches Lächeln an ihrem Unterkiefer, während er ihre linke Brust liebkoste. »Deine Brüste sind größer«, flüsterte er und glitt mit seinen Lippen über ihre Wangenknochen. Sein Mund fand ihre Halsbeuge. Sie wünschte sich, sein Mund wäre da, wo seine Hand war. »Auch empfindlicher - nein«, sie hielt sein Handgelenk fest. »Hör nicht auf. Ich liebe deine Hände auf mir. « Sie schaute sich unbestimmt in der ersten Klasse um, aber sie waren völlig allein. Natürlich hätte jederzeit jemand durch den Vorhang treten können. Außer Atem und erregt bemühte sie sich, vernünftig zu bleiben, aber nicht besonders eifrig. »Du kannst nicht -« Scheinbar konnte er es doch. Blind fand ihr Mund wieder den seinen, während er mit seiner Hand über ihren Brustkorb strich, an ihrem Bäuchlein kurz zögerte und dann unter das winzige Dreieck ihres Tangas tauchte und mit einem seiner langen Finger tief in ihre feuchte Hitze eindrang. Sie unterdrückte ein Stöhnen. Seine geschickten Finger bewegten sich in ihr, wussten ganz genau, wo sie streicheln, wo sie berühren mussten. Messerscharfe Begierde durchschnitt ihren Bauch. Ihre Hüfte hob sich von ihrem Sitz, ohne dass ihr Gehirn den Befehl dazu gab. Sie musste sich räuspern, um überhaupt etwas sagen zu können. »Die Flugbegleiterin …” »Wird uns nicht stören, ich verspreche es. « Er schob einen weiteren Finger in ihre schlüpfrige Hitze hinein. Pfeile der Lust durchzuckten ihre Nervenenden. Heather schob sich seiner Hand entgegen und nahm gleichzeitig ihre eigene zur Hilfe, um seine noch tiefer, mit noch mehr Druck eindringen zu lassen. Sie biss ihm in die Schulter, und es gelang ihr einen Aufschrei zu ersticken, während er ihr einen Höhepunkt entlockte, der in einem fort andauerte. Als ihr Körper schließlich wieder ihr selbst gehörte, lag Heather schlaff an ihn gelehnt, ihr Atem ging stoßweise und ihr Herz raste. »Schließ die Augen, Liebling. « Wie die Luftblasen im Champagnerglas, prickelte und tanzte ihr Vergnügen in ihr. Wenn sie bei ihm war, schien die Zeit stillzustehen. Er liebte sie, dieser Mann mit den heißen aquamarinblauen Augen und dem unglaublichen Mund, und sie liebte ihn ebenfalls. Da gab es nur eine leise, nervige kleine stimme in ihrem Hinterkopf, die flüsterte, dass ihr neuer Ehemann sie zwar schier besinnungslos geküsst, über den Siedepunkt hinaus erhitzt und zum Orgasmus gebracht hatte, dass er jedoch die Kontrolle dabei nicht einen Augenblick lang verloren hatte. Siebzehn Heather kuschelte sich in Calebs Schoß, den Kopf an seine Schulter gelehnt, ihr Körper war gelöst, ihr Atem langsam und gleichmäßig. Caleb küsste sie auf die Stirn und atmete den Duft ihres Haares ein. Die Kabine war in ein entspannendes Dämmerlicht getaucht. Sie war zu aufgedreht zum Schlafen gewesen, deshalb hatte er einen leichten Schlafzauber über sie geworfen. Sie brauchte Ruhe wegen der Schwangerschaft. Die nächsten Tage würden sehr anstrengend für sie werden. Ja, das war nur einer der Gründe, weshalb er sie im Augenblick lieber schlafend hatte. Der andere war, dass es immer schwieriger und schwieriger für ihn wurde, sich in Erinnerung zu rufen, dass all der Unsinn, den er ihr erzählte, eben genau das war ... nämlich Unsinn. Er musste hundertprozentig überzeugend sein, wenn er ihr in ihre bernsteinfarbenen Augen blickte und ihr mit äußerster Aufrichtigkeit sagte, dass er sie liebte. Er war nicht überrascht herauszufinden, dass er ein verdammt guter Schauspieler war. Natürlich konnte er sie nicht lieben. Das sah sein Schicksal nicht vor, aber es war ein interessantes und extrem gefährliches Spiel, das er da spielte, um herauszufinden, wie tief er sich in das Haifischgewässer wagen konnte, bevor er zurückweichen musste. War es gut oder schlecht, dass allein ihr Anblick in ihm den Wunsch auslöste, sie zu verschlingen? Dass allein ihr Anblick seinen Körper zucken und pulsieren ließ und den wahnsinnigen Wunsch weckte, seinen Schwanz tief in sie zu vergraben? Rund um die Uhr. Er beobachtete sie im Schlaf. Gott, sie war wunderschön. Dichte, dunkle Wimpern ruhten auf ihren leicht geröteten Wangen. Behutsam strich er eine dicke Strähne des honigbraunen Haars aus ihrem Gesicht. Sie haftete an seiner Hand, und anstatt sie loszulassen, rieb er die seidigen Fäden zwischen seinen Fingerspitzen. Sie roch nach Wärme und Licht. Sie rührte sich kurz, murmelte und strich im Schlaf seine Hand von ihrem Gesicht, wachte aber nicht auf. Sein Herz schlug einen Purzelbaum, als er an ihre Reaktion auf ihn vorher dachte. Neues Verlangen erwachte. Er hatte nicht gewusst, dass es so sein konnte. Caleb lehnte den Kopf gegen die hohe Lehne seines Ledersitzes und beobachtete das gleichmäßige Ansteigen und Fallen ihrer Brüste, während sie atmete. Vor vier Monaten hatte er nicht einmal gewusst, dass sie existierte. Jetzt fragte er sich, wie er sie gehen lassen würde. Plötzlich kam die Erinnerung an einen Sommer vor langer Zeit zurück. Das Bild war kristallklar. Er kauerte neben seinem Bruder Gabriel an dem kleinen, von Menschenhand erschaffenen See vor der Sonnenterrasse auf Schloss Edrige. Sie waren damals sieben und acht Jahre alt gewesen. Prächtige orangefarbene und goldene Koi-Karpfen schwammen trage unter der schimmernden Oberfläche des Wassers. Die Sonne brannte auf ihre Köpfe nieder, so als ob der Sommer nie enden wurde. »Glaubst du, er wird dieses Mal länger dableiben? «, hatte Caleb geflüstert, und seine dreckigen Finger kräuselten die Oberfläche des Sees, um die hungrigen Fische anzulocken. Gabriel hatte letzte Woche einen mit bloßen Händen gefangen, und Caleb wollte herausfinden wie sich ein Fisch anfühlte. Schleimig, wette ich, dachte er lustvoll. Gabriel kratzte an einer Kruste auf seinem Knie. »Er fährt übermorgen. « Er klang, als wäre es ihm egal, ob ihr Vater noch länger bliebe oder nicht. Caleb wünschte sich, es würde ihn nicht so sehr kümmern. »Ich werde dir diese Schnittwunde nicht wieder heilen, wenn du weiter daran herumkratzt. « Die Enttäuschung ließ seine Stimme verärgert klingen. »Das ist eine gute Übung für dich. « Er war ziemlich stolz darauf, dass er fürs »Heilen« all der Verletzungen rund um das Schloss zuständig war, aber sein Bruder ging ihm heute auf die Nerven. Beim nächsten Mal, wenn er von seinem Fahrrad runterfiel, würde er ihn einfach eine Weile bluten lassen. »Ja, was auch immer.« Ein gelber Fisch von schier unglaublicher Größe stupste seinen Daumen an, und er erstarrte, die Augen auf den sich öffnenden und schließenden Mund des Kois fixiert. »Bäh, wie eklig. Der Fisch küsst mich. Igitt.« Er ließ seine Hand, wo sie war. »Bist du sicher? « »Sind schon fünf Tage. « Seine Brüder und er hatten ihren Vater zweimal gesehen. Einmal an dem Abend, als er ankam, und gestern zum Frühstück. »Ich schätze mal. « Caleb schob seine Hand unter den Bauch des Fisches. »Wie mache ich das noch mal? « »Schließ deine Hand vorsichtig 一 nicht zu fest 一 und zieh sie schnell raus. He! Du hast es geschafft. « Sein Bruder klopfte ihm auf den Rücken, als Caleb den sich windenden Fisch aus dem Wasser hob. »Gut gemacht.« Seine Brust schwoll an vor Stolz. »Ich werde ihn in meinem Zimmer halten. « Er fühlte sich überhaupt nicht schlüpfrig und schleimig an. Er war so hübsch und fühlte sich glatt und seidig an wie die Decke auf dem Bett seiner Mutter. Meiner, dachte er. Gabriel verwuschelte seine Haare, was ihn ärgerte. »Lass ihn zurück ins Wasser, Caleb. Er ist kein Haustier Du kannst ihn nicht behalten. « Caleb zog sich zurück. »Sagt wer? Ich habe ihn gefangen. Ich werde ihn behalten. Ich bringe ihm ein paar Tricks bei. « »Er wird sterben. « Seine Brust tat weh. »Nein, wird er nicht. « »Doch«, sagte Gabriel und klang irgendwie älter als acht. »Das wird er. Wirf ihn wieder rein, Dreckspatz. « Verdammt merkwürdige Sache, sich daran zu erinnern, dachte Caleb und tätschelte Heathers Wange. Er fühlte ihren feuchten, warmen Atem auf seiner Handfläche. Er hatte seit Jahren nicht mehr an diese Koi-Karpfen gedacht. Wenn er das nächste Mal nach Hause fuhr, musste er mal nach ihnen sehen. »Schläft sie? «, fragte Lark, die plötzlich ohne Vorwarnung auftauchte und sich mit dem Hintern auf die Armlehne des Sitzplatzes auf der anderen Seite des Gangs hockte. »Ja, das tut sie. « Das war es dann wohl mit dem Genießen des Augenblicks, dachte Caleb kläglich. »Das ist interessant. « Er deutete auf das schwarzlederne, stachelbesetzte Hundehalsband um Larks Hals, welches sie zu einem hautengen LockOut-Anzug trug. »Beißt du? « Sie wackelte mit den Augenbrauen, die beide von Reihen kleiner silberner Kugeln durchbohrt waren. »Häufig und gut«, versicherte sie ihm in ihrem singenden, heiseren Tonfall amüsiert. »Aber nicht dich, Edge zwei.« Caleb grinste erleichtert. »Was gibt's, Schöne? « Eigentlich war sie unter all dem Grufti-Make-up und den vielen Piercings ziemlich hübsch. Nicht dass er je interessiert gewesen wäre. Da war kein Funke. Sie stand einen Moment auf, bevor sie sich neben seinem Sitz niederkauerte und ihm einen netten Blick gewährte auf ein schönes Paar - »Hier oben.« Lark deutete mit zwei Fingern auf ihre Augen. »Das Auswahlverfahren für Zaubermeister beginnt nächste Woche. Glaubst du, Duncan nimmt daran teil? « »Frag ihn. « »Habe ich, er wollte es mir nicht sagen. « »Da hast du deine Antwort. « Er zeigte auf den Haufen kleiner Plastikbeutel mit Cashewnüssen auf dem Klapptisch gegenüber von ihm. »Würdest du mir die bitte reichen? Danke. « Er riss ein paar Beutel mit den Zähnen auf. Belustigung glitzerte in ihren Augen. »Du weißt, was es damit auf sich hat, nicht wahr? « »Was es womit auf sich hat? « »Deine Gier auf Nüsse und der ganze Rest.« Er runzelte die Stirn. Wovon zur Hölle redete sie? »Du hast das Couvade-Syndrom.« »Ich werde mich dafür hassen, gefragt zu haben«, antwortete er und schüttete sich eine Kleine Handvoll Nüsse in den Mund. »Was zur Hölle ist das Couvade-Syndrom? « Ihr Lippen verzogen sich. »Kommt von dem französischen Wort couvee, was >ausbrüten< bedeutet. Mit anderen Worten, Edge zwei, du hast eine Sympathieschwangerschaft mit deiner Heather. « »Blödsinn.« »Es wurde bereits erforscht und ist ziemlich real, glaub mir. « Er war sich nicht sicher, ob sie nur an seiner Kette zog oder die Wahrheit sagte. »Wie kann ich mich davon befreien? « Es wäre nett, die Übelkeit loszuwerden. »Das einzige Heilmittel, von dem ich gehört habe ist - die Geburt. « »Mein Gott! Muss ich auch durch die Wehen? « Der Gedanke war zu schrecklich, um ihn sich vorzustellen. »Nö, das wird sie allein durchstehen müssen. « Gott sei Dank. »Irgendwelche Informationen über Shaws Kundenliste?« Er aß ein paar Nüsse, was zwar seinen Magen beruhigte, ihn aber gleichzeitig nervös machte. Sympathie Schwangerschaft. O Mann, das war zu komisch. »Der Flammende Pfad kommt noch zu der Liste von denen wir wissen hinzu, was auch deren geringe Aktivität im vergangenen Jahr erklärt«, antwortete sie trocken und legte ihren Arm auf seine Lehne, um Heather zu betrachten. »Es ist schwierig, Waffen zu kaufen, wenn dein Bankier mit deinem ganzen Geld abhaut. Wir verfolgen zurück, wer im letzten Jahr sonst noch ruhig war. Shaw hatte einen ausgezeichneten Ruf. seine Kunden trauten ihm zu, sich um ihr Geld zu kümmern, es zu investieren und anzuhäufen, und waren ziemlich überrascht, nach zwanzig, fünfundzwanzig Jahren des Vertrauens herauszufinden, dass er habgierig war. Schließlich könnten sie kaum eine Beschwerde an die Bankenaufsicht richten. Sie wussten nicht, dass er ihre Offshore- Konten in seiner eigenen Offshore-Aktiengesellschaft angelegt hatte. Ein Wahnsinnsbatzen Geld. Noch ein Transfer auf eine Schweizer Konto und voila. Der Mann hat anscheinend Todessehnsucht. Es gibt da draußen eine Menge wütender Parteien, die Blut sehen wollen. Sie ist wirklich hübsch, nicht wahr? « Caleb verdaute die Besonderheiten der Situation, dann schaute er auf seine schlafende Braut herab. Lark hatte den Nagel auf den Kopf getroffen. Heather war bildschön. »Ich will ihr nicht wehtun, Lark, egal, was passiert « »Solange dein Schutzzauber wirkt. « »Weshalb sollte er nicht? « »Kein besonderer Grund. Du hast ihn verstärkt, richtig? « BARI, ITALIEN SAMSTAG, I5. APRIL 08 UHR 50 Auf Roms Flughafen Leonardo da Vinci / Fiumicino waren sie an Bord eines Inlandsflugs nach Bari gegangen, eine der größten Städte Süditaliens und nur etwa hundertsechzig Kilometer von ihrem Ziel Matera entfernt. Caleb spürte, wie sein Adrenalinspiegel stieg. Noch hundertfünfzig Kilometer bis zu Shaw. Heather schlief tief, den Kopf an seine Schulter gelehnt. Bevor alle anderen auszusteigen begannen, hob Caleb sie hoch und teleportierte sich raus aus dem kleinen Terminal. Vorbei am Sicherheitscheck und den Menschenmassen, die das stets überfüllte Gebäude verstopften, da es der Knotenpunkt für den Flug-, Bahn- und Busverkehr in der Region war. Die Luft draußen war sehr warm und stank nach Dieselkraftstoff, abgestandenem Schweiß und starken Zigaretten. Bei dem Geruch wurde ihm übel, und er musste heftig schlucken, um seinen flauen Magen zu kontrollieren. Großartig, einfach verdammt großartig. Tony Rook und ein schwarzer Wagen warteten draußen, um sie nach Matera zu fahren. Rook blickte kurz von Heather zu Caleb. »Ich sehe, dein legendärer Charme hat dich im Stich gelassen. Du hast die arme Frau mit deinem geistreichen Gerede zum Schlafen gebracht. « Er grinste, während er sie unter die Lupe nahm, und öffnete dann die Hintertür, damit Caleb sie in das klimatisierte Fahrzeug legen konnte. »Mann, die ist ja sogar noch heißer als auf den Fotos. « Caleb legte sie der Länge nach auf den Rücksitz, rollte seine Jacke zu einem Bündel und schob es unter ihren Kopf. Rooks Beobachtung veranlasste ihn, selbst noch einmal genau hinzuschauen. Zur Hölle, Heather war nicht bloß heiß, sie war hinreißend. Er berührte ihr Haar. Die seidigen Strähnen glitten flüssig durch seine Fingerspitzen. Er zog die Hand weg und umklammerte stattdessen die Tür. »Schlaf«, flüsterte er. »Hm. « Sie drehte sich um, ohne die Augen zu öffnen. Ihre Finger breiteten sich über ihrem leicht gerundeten Bauch unter dem dünnen Baumwollkleid aus. Sie nuschelte: »Liebe di-« und schlief schon wieder. Selbst wenn sie tief und fest schlief, vergewisserte sie sich, dass ihr Sohn in Sicherheit war. Mit zugeschnürtem Hals hielt Caleb der Versuchung stand, sie noch einmal zu berühren, schloss vorsichtig die Tür und sperrte so die Vielzahl von Gesprächen aus, die lautstark um sie herum geführt wurden. Rook und er nahmen auf den Vordersitzen des Wagens Platz. Caleb prüfte, ob die Trennscheibe zwischen dem Fahrer und dem Rücksitz fest geschlossen war, bevor er zum eigentlichen Grund seines Aufenthalts kam. »Irgendwelche Aktivitäten? «, wollte er wissen, während sie langsam ihren Weg aus dem Gewirr von Autos, Taxis und Bussen suchten, die die Straße vor dem Kleinen Flughafengebäude verstopften. »Nix«, teilte ihm Rook mit, als sie durch die Innenstadt fuhren, um zur Straße nach Matera zu gelangen. Der jüngere Mann lenkte den Wagen fachmännisch durch die schmalen, verstopften Straßen, wo die Studenten ihre Autos in zweiter und dritter Reihe geparkt hatten, ohne Rücksicht auf die anderen Fahrer zu nehmen. »Keiner rein oder raus.« »Irgendwelche Anzeichen von Terroristen?« Obwohl ihn bislang keiner von Shaws Kunden aufgespürt hatte, wuchs diese Möglichkeit mit jeder Stunde. Und obwohl er und sein Team mehr als froh wären, sich mit ein paar Bösen zu beschäftigen, nachdem sie Shaw geschnappt hatten, wollte Caleb dennoch kein weiteres Gefahrenelement in dieser Mischung haben. Nicht, bevor er sichergestellt hatte, dass Heather in sicherer Entfernung war. »Noch nicht.« »Hast du meine Paranüsse? «, fragte Caleb, drehte die Klimaanlage hoch und richtete die Lüftung auf die bestmögliche Kälteverteilung aus. Er griff nach einer, wie er hoffte, saubere Serviette vom Stapel auf dem Armaturenbrett und wischte sich die Stirn damit ab, wobei er bemerkte, dass sein gesamter Körper in kaltem Schweiß gebadet war. Sein Magen verkrampfte sich. Die Übelkeit war mit voller Wucht wieder da. Merkwürdig, sehr merkwürdig. Das Teleportieren hatte ihn bisher nie so belastet. Konnten sich seine Fähigkeiten verändern? Konnte Lark Recht haben? Er wusste nicht, welche Antwort ihn mehr ausflippen ließ. »Handschuhfach.« In Rooks Stimme schwang ein Hauch von Zweifel mit, aber Caleb scherte sich nicht darum, öffnete die Klappe und empfand ein eindringliches Gefühl der Erleichterung beim Anblick einer nagelneuen Dose Paranüsse. Er riss den Deckel auf und schüttete sich eine Handvoll direkt in den Mund. Gott sei Dank verschwand die Übelkeit sofort, als ihm die Energie ins Blut schoss. »Mann, du wirst noch selber zur Nuss, wenn du weiter so viele von den Dingern isst. « »Hast du nur eine Dose mitgebracht? « »In deinem Hotelzimmer steht ’ne ganze Kiste”, erklärte ihm Rook mit einem verblüfften Seitenblick. Er deutete auf den Rücksitz. »Wie hast du sie breitgeschlagen hierherzukommen? « »Ich hab sie geheiratet«, erwiderte Caleb trocken. »Im Ernst?« »Im Ernst.« Sie verfielen in Schweigen und fuhren durch die Stadt, bevor Caleb wieder etwas sagte. »Heather ist schwanger«, teilte er dem anderen Mann schlicht mit, nahm sich zwei der dicksten Nüsse aus der Dose und zermalmte diese mit einem befriedigenden Knirschen. Rooks Augen glänzten im Scheinwerferlicht eines entgegenkommenden Fahrzeugs auf. »Also, wie jetzt?« Er deutete auf die Dose Paranüsse, die Caleb umklammert hielt, als könnte sie ihm das Leben retten. »Teilst du dir jetzt auch die Gelüste mit ihr? « »Wie bitte?« Caleb starrte Rook an, als würde dieser Aramäisch sprechen. Das gleiche Aramäisch, das Lark offensichtlich von sich gab. Zur Hölle. »Gelüste, du weißt schon. Diese seltsame Phase, die schwangere Frauen durchlaufen, wenn du nie genau weißt, worauf sie Hunger haben? Meine Schwester Lisa war verrückt nach schwarzen Oliven und Marshmallow-Creme. « Er schüttelte sich. »Zusammen, total eklig. Mir war schon zum Kotzen zumute, wenn ich nur zuschaute, wie sie die Oliven einzeln in eine Schüssel Marshmallow-Creme dippte. « Caleb schluckte heftig und setzte den Deckel wieder auf die Dose. »Sie hat das die ersten drei, vier Monate während ihrer Schwangerschaft gemacht. Ich liebe meine Schwester, aber Mann, sie konnte von Glück sagen, dass sie keine Olive mit flauschigem weißem Haar bekommen hat. « Rook lachte über seinen lahmen Witz, beugte sich dann rüber, um Caleb in den Arm zu boxen. »Aber, was soll's! Glückwunsch. Wir müssen das anständig begießen und feiern, wenn hier alles vorbei ist. « »Ich erzähl dir das nicht, damit wir ’ne Zigarre rauchen und 'nen Augenblick der Nähe haben«, antwortete Caleb. Dann wünschte er sich, er hätte das Wort Zigarre nicht erwähnt, da ihm nun die Galle im Hals brannte. Dies ist die Letzte, sagte er sich, nahm noch eine Nuss aus der Dose und kaute wütend darauf herum, bis die Übelkeit nachließ. Morgenübelkeit - um die Wahrheit zu sagen, handelte es sich wohl eher um eine verdammte Rund-um-die-Uhr-Übel- keit. Eine Sympathieschwangerschaft ? Mein Gott, was für ein schlechter Witz war das denn? Er brauchte noch eine Nuss. Um nicht über seine Gefühle nachdenken zu müssen, konzentrierte er sich lieber wieder auf die Arbeit. »Ich werde es den anderen auch sagen 一 wir müssen besonders gut Acht geben, denn wir haben nicht nur eine unschuldige Zivilistin in einer extrem gefährlichen Situation, die zudem auch noch schwanger ist. Und bevor du fragst, du neugieriger kleiner Scheißer, nein, es war nicht meine Absicht, sie zu schwängern. Obwohl es geholfen hat, dass sie so schnell bereit war, mich zu heiraten. Shaw und sie haben sich ernsthaft zerstritten. Das Einzige was mich davor bewahrt, mich wie ein totales Arschloch zu fühlen, ist, dass ich glaube, es wird sie glücklich machen, sich mit ihrem Vater auszusöhnen.« Als er die Worte aussprach, beschlich ihn das Gefühl, dass dies so nicht stimmte. Sie hatte keinen Hehl daraus gemacht, wie sehr sie ihren Vater ablehnte. Er hatte den ganzen Flug damit verbracht, sie im Arm zu halten und sich einzureden, dass das, was er tat, absolut gerechtfertigt und richtig war. Shaw musste gestoppt werden. Shaws Kunden mussten gestoppt werden. Der einzige Weg, um Shaw herauszulocken, war, seine Tochter als Köder zu benutzen und sich so Zugang zur Festung des Mannes zu verschaffen. Es gab keinen anderen Weg. Er würde sie und das Baby beschützen, aber es war ein zum Scheitern verurteilter Vorsatz. Sie würde ihn dafür hassen, eine Zusammenkunft mit ihrem Vater zu erzwingen. Ehe oder nicht, nach einer solchen Täuschung gab es keinen Weg mehr zurück, was letztlich auch egal war, denn sie hätten sowieso keine traditionelle Beziehung führen können, da sie wegen des alten Familienfluches ohnehin sterben würde, wenn er bei ihr bliebe. Manchmal konnte das Leben echt beschissen sein. Caleb hatte in San Francisco einen Schutzzauber über Heather gelegt und ihn vor Antritt der Reise noch verstärkt. Das hieß aber nicht, nur weil es diesen Zauber gab, könnte keiner versuchen, ihr Böses anzutun. Dank des Zaubers konnte sie niemand körperlich treffen, aber er wollte sie nicht verängstigen, und ganz bestimmt wollte er nichts tun, was Klein-Böhnchen aufregen würde. »Sie wird in Shaws Haus sicher sein«, versicherte er Rook und auch sich selbst. Er wusste, dass das stimmte. Trotzdem hatte er Larks letzte Bemerkung über das Verschärfen des Schutzzaubers immer noch in seinem Hinterkopf, aber er war sich nicht ganz sicher, weshalb. Er wusste, dass der Bannkreis solide war. Wahrscheinlich hatte ihn Lark nur provozieren wollen. Shaws Bude war die reinste Festung, und sie war schließlich seine Tochter. Sie hatten nicht den geringsten Anhaltspunkt, dass er Heather in der Vergangenheit jemals etwas angetan hatte, daher war es eine vernünftige Annahme, dass er auch jetzt keine Bedrohung darstellte. Caleb erinnerte sich kurz an die Narben auf ihrem wohlgeformten Hintern. Vermutete ihr Vater, dass seine Kunden hinter Heather her waren? Caleb nahm an, dass mehr als eine Gruppe versuchte, sie in die Finger zu bekommen. Um ihr Angst einzujagen? Oder um Shaw zu beweisen, dass sie durch seine Tochter an ihn herankämen? Noch eine Möglichkeit wäre es, so grübelte er, dass man versuchen würde, sie zu kidnappen, um genau das zu tun, was er selbst getan hatte: nämlich ihren Vater aufzuscheuchen. Es war letztlich egal, ob Shaw wusste, dass die Leibwächter, die er mit seiner Tochter weggeschickt hatte, tot waren oder nicht. Sie war ein Jahr lang alleine dort draußen gewesen, ganz auf sich gestellt, während ihr Vater sicher, und von zweihundert bewaffneten Männer umringt in seiner Festung hockte. Sie hatte verdammtes Glück gehabt, dass Caleb sie als Erster gefunden hatte. Ja, verdammtes Glück. Möglicherweise hatte es ein Zerwürfnis gegeben, aber Caleb vermutete, dass er Zeuge eines tränenreichen Wiedersehens werden würde. Es würde zwar nur von kurzer Dauer sein, aber er konnte ihr wenigstens das geben, bevor er Shaw mitnahm und ihn wie ein Käsesandwich grillen würde. Und bevor er Heather mit nichts außer dem pünktlichen monatlichen Scheck über den Kindesunterhalt verließ. Gott verdammt, er hasste es, sich wie ein Arschloch zu fühlen. Sich nicht nur wie eines zu fühlen, sondern eines zu sein. Er hatte ihr den wichtigsten Teil vorenthalten, als er ihr während des Fluges von Nairnes Fluch erzählt hatte. Zur Erinnerung an mich dir meine Kräfte ich gebe. Er war ein Zauberer, was für eine Ehefrau auf Zeit eine schwer erklärbare und überflüssige Information war. Für die Mutter seines Kindes, eine Frau, die ihm ihre eigenen Flüche auferlegen würde, wenn sie herausfand, was er getan hatte. Die Freude der Liebe kein Sohn je erlebe. Eine Gefährtin des Lebens, von eines Sohnes Herz erwählt, ihr Schutz ist vergebens, die Tage zu meinem Sieg sind gezählt. Er wäre verdammt, wenn er etwas tun würde, was diesen Schutzzauber von ihr nehmen würde. Heather Shaw - Heather Edge - war sicher vor jedem, außer vor ihrem Ehemann. Er gab vor, sie zu lieben. Gab es nur vor, ermahnte er sich zum x-ten Male, als er geistesabwesend drei große Nüsse gleichzeitig zerkaute, während er den mittlerweile vertrauten hohlen Schmerz in seiner Brust verspürte. Tief wird sein Schmerz sein, schnell ihr Tod - Wird nicht passieren. Sein Herz zerrissen in ewig währender Not. Ja, da war diese geistreiche Bemerkung. Nichts davon würde passieren. Er war hier, um das sicherzustellen. Es würde nicht passieren. Er würde mit seiner Schuld weiterleben und es in Kauf nehmen, ein Arschloch zu sein, so lange Heather sicher wäre und sein Sohn mit ihr. Es war ein faires Geschäft. »Ich habe einen mächtigen Schutzzauber über Heather und meinen Sohn gelegt, aber dennoch sollten alle ihre Augen offen halten, bis das hier vorbei ist«, sagte Caleb zu Rook. Abgesehen von seinem ersten Einsatz, hatte Caleb nie den Hauch von Angst während einer Mission verspürt. Er war stolz auf seine absolute Konzentration, wenn er im Einsatz war und auch wenn er es nicht war. Er hatte den halben Flug gebraucht - Herrgott, was für eine langsame Art zu Reisen 一, um festzustellen, dass er seit nunmehr drei Monaten irgendwie kribbelig und verdammt reizbar war. Dazu kamen noch seine merkwürdigen und manchmal grotesken neuen Essgewohnheiten, mal ganz abgesehen von dem komischen, leeren Gefühl in seiner Brust. Wenn er ein eher sensibler Typ wäre, was er ganz sicher nicht war, wurde er sagen, er wurde langsam weich. Angst? Vor, während oder nach einem Einsatz? Als er noch ein Anfänger war, ja. Aber seither? Nein. Er liebte seinen Job, blühte darin auf. Nein, offenbar hatte er letzten Monat in der saudischen Wüste irgendeinen blöden Bazillus aufgeschnappt. Das war der Grund, zusammen mit irgendeinem verbliebenen medizinischen Mist, den er Dank seines Reha-Aufenthalts hatte. Deshalb fühlte er sich die eine Hälfte der Zeit so elend und die andere Hälfte, als ob ihm jemand mit 'nem Vorschlaghammer gegen die Brust gehauen hätte. Doch das würde vorübergehen. Dem Bein ging es gut. Ihm ging es gut. Es war ihm nie besser gegangen. Exzellent. Achtzehn »Was wirst du machen? «, fragte Rook, als die Lichter von Bari hinter ihnen verschwanden. »An die Eingangstür klopfen? « »Ja.« Caleb schaute über seine Schulter. Heather hatte sich seit zwanzig Minuten nicht bewegt. Sie schlief immer noch tief und fest. Das Mondlicht warf einen kalten weißen Lichtstrahl durch die Fenster des Fahrzeugs und erhellte ihr Profil. Er hatte das Für und Wider abgewogen, zu dem Zeitpunkt zurückzukehren, bevor sie miteinander geschlafen hatten. Lösche einfach die vergangenen drei Monate. Aber Erstens: Er war sich nicht sicher, ob er Heather überhaupt dorthin zurückbringen konnte, bevor das Baby gezeugt wurde. Er hatte keine Ahnung, wie sich der Zeitsprung sowohl auf Heather als auch das Baby auswirken würde. Er hatte das noch nie mit einer Schwangeren ausprobiert, und er würde ganz gewiss nicht bei Heather und Böhnchen damit anfangen. Und zweitens, drittens und viertens verdammt: Er würde weder die Mutter noch das Kind, noch den Einsatz bei dem Versuch riskieren, besonders ritterlich zu sein. Nein, nichts hiervon war zufällig geschehen, erinnerte er sich. Er tat nur seinen Job, seine Pflicht. Verdammt, er hatte es total vermasselt. »Ich will, dass sie sich ausruht. Dann werden wir einfach frech wie Oskar da reinspazieren, damit uns Shaw gratulieren kann. « »Und dann?« »Dann teleportiere ich sie in unseren Unterschlupf. Ohne großen Schnickschnack.« Rook warf ihm einen Seitenblick zu. »Hast du ihr gesagt, dass du ein Zauberer bist? « »Zur Hölle, ich habe ihr noch nicht mal gesagt, dass ich zu T-FLAC gehöre. « »Mann, bei dem Gespräch würde ich gern Mäuschen spielen. « Rook war noch jung genug, dass das Trauma, der Zweifel, der Horror einer völligen Aufklärung für ihn nicht mehr als ein entfernter Gedanke war. Jeder Zauberer musste selbst entscheiden, ob und wann und wem gegenüber er sich zu erkennen geben wollte. »Fahr rechts ran«, sagte er geistesabwesend zu dem jungen Mann. Caleb war sich nicht sicher, ob es Heathers Hass mildern würde, wenn er ihr etwas über sich erzählte. Und Hass würde sie empfinden, wenn sie kapierte, wie er sie benutzt hatte. Rook fuhr auf den Seitenstreifen und stellte den Motor ab. »Was machen wir nun? « Der Motor pfiff und summte für einige Minuten, während er abkühlte. Caleb starrte blind auf die in Mondlicht getauchte Straße vor ihnen. Würde Böhnchen ein Zauberer sein? Ja, natürlich würde er das. Das Wissen traf ihn mit voller Kraft, und seine Hand schoss nach vorne, um sich am Armaturenbrett abzustützen. Er würde es Heather erzählen müssen. Sein Sohn würde ein Zauberer sein. Selbst wenn er wollte, konnte er sich nicht von dem Kind lösen. Was bedeutete, dass Caleb, genau wie sein eigener Vater, Kontakt zu Böhnchens Mutter haben würde. Da gab es Dinge, die nur ein anderer Zauberer ihm beibringen konnte ... Seine Brüder? dachte Caleb ein wenig verzweifelt. Gabriel hatte praktisch sich selbst und Caleb und Duncan großgezogen ... Er wäre ein großartiger Vater ... Er könnte und würde Klein-Böhnchen alles beibringen, was dieser wissen musste. Böhnchen würde ganz gewiss einiges mehr von Gabriel und vielleicht auch von Duncan sehen, als sie alle drei zusammen von ihrem eigenen Vater gesehen hatten. Seine Mutter hatte sie einmal im Jahr nach Schottland mitgenommen, um Magnus zu besuchen, oder dieser war nach Montana gekommen. Sechzehn elende Jahre lang waren sie zwischen den Staaten und Schottland hin und her gependelt. Natürlich hatten die Jungs nicht besonders viele Mußestunden mit ihrem Vater verbracht, weil sich ihre Eltern den Großteil dieser Woche oben in ihrem Schlafzimmer aufgehalten hatten. Seine Eltern waren völlig mit sich selbst beschäftigt gewesen. Besessen. Wahnsinnig vor Lust und Liebe. Sie konnten es nicht ertragen, dass sie voneinander getrennt bleiben mussten. Sie verbrachten ihre Tage damit, am Telefon miteinander zu flüstern, und lebten nur für diese gemeinsame Woche. Seine Mutter, die schon immer schwach und melancholisch gewesen war, wurde immer blasser und blasser und noch zerbrechlicher in dieser Woche, als ob das Leben aus ihr herausgesaugt würde, wenn sie mit ihrem Ehemann zusammen war. Die drei Jungs waren auch ohne eine Mutter, die sie ins Bett brachte, oder einen Vater, der den Superbowl mit ihnen anschaute, ganz prima aufgewachsen. Für Caleb war es erstaunlich, dass ein Mann, der eigentlich ein Fremder war, eine solch gewaltige Präsenz im Leben seiner Kinder hatte. Es war ihr Vater gewesen, der sie im Schwertkampf unterrichtet hatte und der seinen Diener MacBain nach Montana geschickt hatte, um auf sie aufzupassen. Ihr Vater hatte sie alle drei ermutigt, sich bei T-FLAC zu bewerben. Das Hauptquartier der Antiterrororganisation lag nicht weit von Schloss Edridge in Montana entfernt. Magnus hatte über die T-FLAC/PSI-Abteilung Bescheid gewusst und seine Söhne darauf angesetzt, als diese Teenager waren. Es war die perfekte Verbindung gewesen. Baldige Disziplin, hartes Training und die Liebe zu ihrem Land hatten Caleb und seinen Brüdern etwas geboten, für das sie kämpfen wollten, etwas, an das sie glauben konnten, etwas, was sie lieben konnten. Zum Glück hatten sie bereits früh gelernt, keinen Dank dafür zu erwarten. Terroristen zu vernichten war ein oftmals undankbarer, unbeachteter und extrem brutaler Job. Calebs Lächeln war grimmig, als er sich noch eine Paranuss nahm und diese zerkaute. Mann, er liebte, was er tat. Und das war das Ende dieser mentalen Selbstbefriedigung. Gabriel, Duncan und er waren auch ohne die Anleitung ihres Vaters ganz ordentlich geraten. Böhnchen würde dasselbe machen. Und was dann? Caleb konnte seinen Sohn durch eine Ritze in der Hecke aufwachsen sehen? Ein gefühlsmäßiges Wrack. Gott, er würde wie sein Vater werden und im Leben seines Sohnes aufkreuzen wie ein flüchtiger Gast. Er würde Böhnchens Ausbildung und den Ausbau seiner Fähigkeiten anderen überlassen, damit Heather nichts zustieße, und sie würde wohl eher zum Mond fliegen, als ihm das Sorgerecht für seinen Sohn zu überlassen. Er fluchte leise. Rook warf Caleb einen Seitenblick zu. Sein Gesicht leuchtete dämonisch im Licht des Armaturenbretts, als er fragte: »Geht es dir gut? « Absolut nicht, sein Leben war kaputt, und es würde noch verdammt viel schlimmer werden. Er fragte sich, ob dieser tiefe, unerbittliche Schmerz in seiner Brust jemals weggehen würde. »Ich werde uns reinteleportieren, damit Heather heute Nacht anständig schlafen kann. Sie braucht es. « Er hatte, was? Vierundzwanzig Stunden, um auf Heather aufzupassen, dann würde er den dünnen Faden des Vertrauens, den sie geknüpft hatten, zerreißen und sie vernichten. DIE SASSI, MATERA SONNTAG, l6. APRIL 10 UHR 00 Heather lag eng an ihn geschmiegt, ihr Po war gegen seine Erektion gepresst. Caleb vergrub seine Nase in ihrem Haar und zog seinen Arm enger um sie. Er spreizte die Finger über der sanften Wölbung ihres Bauches und fühlte, wie sich diese eigenartige, schmerzvolle Leere in der Mitte seiner Brust öffnete. Morgen um diese Zeit würden sie und Böhnchen auf dem Flug zurück nach San Francisco sein. Er würde den Schutzzauber über ihr lassen, Gabriel anrufen und ihn fragen ob - Mist verdammter. Er wollte nicht, dass ein anderer Mann seinen Sohn großzog, selbst wenn dieser Mann sein Bruder war. Geteiltes Sorgerecht? Möglicherweise würde sie sich darauf einlassen. Wenigstens hätte er dann eine Ausrede, um sie zu sehen, von Zeit zu Zeit. Wie oft? Einmal pro Jahr? Einmal pro Monat? Er könnte näher nach San Francisco ziehen. Zur Hölle, ihm war es egal, wo er wohnte... Sie bewegte sich nicht, aber Caleb spürte, wie sich ihr Atemrhythmus fast unmerklich veränderte. »Buona mattina il mio cuore«, sagte er sanft. Sie kuschelte sich an seinen Körper, nahm seine Hand und führte diese von ihrem Bauch zu ihren Brüsten. Ihre Nippel waren hart und ihr Körper weich, als sie sich auf ihn rollte. Sie warf ihm ein schläfrig-verführerisches Lächeln zu und schlang die Arme um seinen Hals. »Hm. Frei übersetzt heißt das: Das ist ein großartiger Tag, wir sind auf der Hochzeitsreise, willst du ein bisschen herumalbern? « Er drehte sie um und schob seine Beine zwischen ihre. »Mein Gott, du sprichst fließend Italienisch? « »Hm, tue ich tatsächlich, aber sollten Schotten nicht eigentlich Gälisch sprechen? « »Andere Länder, andere Sitten . . . « * * * »Du siehst zum Anbeißen aus«, sagte Caleb zu Heather und warf ihr einen heißen Blick zu, als sie eine orangefarbene Baumwolljacke auszog, die genau zu den Blumen auf ihrem leichten Sommerkleid passte. Bevor sie in eine der vielen kleinen Kirchen ging, die die sassi-Nachbarschaft gegenüber ihrem Hotel auf der anderen Seite der Schlucht sprenkelten, zog sie die Jacke wieder an. Die Sonne am späten Vormittag brannte auf die cremefarbenen Tuffsteingebäude herab und ließ die Temperatur schnell ansteigen. Beide trugen Sonnenbrillen, um die Augen vor dem gleißenden Licht zu schützen, obwohl Heather ihre immer auf den Kopf schob, sobald sie im Schatten einiger Häuser spazierten. Sein Atem stockte, als sie ihm einen heißblutigen Blick unter ihren langen Wimpern hervor zuwarf. Beim Flirten war sie ein Naturtalent, süß und verführerisch und noch für ein wenig länger - sein. »Ein süßer reifer Pfirsich«, sagte er mit belegter Stimme und strich mit seiner Hand über die Wölbung ihrer Schulter. Ihre Haut war warm und seidig glatt. Das Sommerkleid ließ ihre hellen Arme und den Brustansatz frei, aber es bedeckte ihre hinreißenden Beine und flatterte um ihre wohlgeformten Knöchel. Sie trug Sandalen und eine Wegwerfkamera, die sie im Geschenkartikelladen des Hotels gekauft hatte. »Ja, nun, Hochzeitsreise oder nicht, ich möchte etwas besichtigen, also musst du dich für ein paar Stündchen mit Händchenhalten begnügen, Romeo«, hatte ihm Heather trocken mitgeteilt und nach vorne geschaut. Dort führte der gepflasterte Weg zunächst flach an einigen Häusern vorbei, bevor er sich stufenförmig den Hügel hinaufwand, wo sich noch Hunderte weiterer Häuser befanden, die scheinbar immer eines auf dem anderen standen. Caleb interessierte sich nur für eines dieser Häuser. Hinter der nächsten Kurve würde sich ihr Leben unwiderruflich ändern. Er wusste, sein Team war vor Ort, obwohl die Männer unsichtbar waren. Er war entschlossen, jetzt mehr als je zuvor, Heather und sein Kind zu beschützen. In einer Stunde, vielleicht noch weniger, würden sie Shaw in ihrem Gewahrsam haben, und ziemlich bald danach würde er der Tochter des Mannes so einiges erklären müssen. Und sich dann von ihr verabschieden müssen. »Mein Gott«, sagte Heather lachend. »Schau doch nicht so grimmig. Ich könnte dir hier und jetzt die Kleider vom Leib reißen und dich vernaschen, wenn du möchtest. « Caleb versuchte, sich zu entspannen, weil er nicht wollte, dass sie ihm seine Furcht vor dem ansah, was kommen würde. »Nur ein paar Schritte von einer Kirche entfernt, Mrs. Edge? Ich hatte ja keine Ahnung, dass schwangere Frauen so heiß werden können! « »Tatsächlich? Wie unaufmerksam von dir. Ich dachte, ich hätte heute Morgen deine volle Aufmerksamkeit genossen. « Sie grinste und hakte sich bei ihm unter, während sie weitergingen. Sie hob ihr Gesicht gen Himmel und atmete tief ein. »Dieser Tag ist absolut perfekt, und du hast den idealsten, herrlichsten Ort für eine Hochzeitsreise ausgesucht. « Er hielt an und zog sie in eine Türnische, direkt gegenüber von Shaws Haus. »Du bist perfekt. Ich liebe dich, Liebling. Bitte denk daran. « Er streifte ihre Lippen mit seinen. Auf Zehenspitzen stehend, erwiderte sie seinen Kuss. Mit Absicht küsste er sie nur flüchtig. Dies war das letzte Mal, dass er sich selbst gestatten würde, ihr so nahe zu kommen. Am Morgen hatte er versucht, Erinnerungen zu speichern, als sie sich langsam und genüsslich geliebt hatten. Dennoch sehnte er sich nach ihr und wollte sie immer noch. Überzeug sie, dass du sie liebst, ermahnte er sich. Überzeug dich selbst, dass du es nicht tust. »Ich werde nie zulassen, dass dir etwas geschieht«, versprach er und wollte, nein wünschte sich, er könnte ihr auch für die Zukunft weitere perfekte Tage versprechen. Er legte seine Hand auf die sanfte Wölbung ihres Bauches. »Oder Böhnchen. Jemals.« Sie griff nach oben, um sein Gesicht zu streicheln. »Ich weiß. Ich glaube, dies ist das erste Mal, seit ich mich erinnern kann, dass ich mich so ganz und gar zufrieden gefühlt habe. « Sie grinste. »Und der Sex ist auch nicht zu verachten. « Mein Gott. Das Glühen der Liebe auf ihrem Gesicht, das uneingeschränkte Vertrauen, das er in ihren schönen, großen, haselnussbraunen Augen las, schnürte ihm die Eingeweide zusammen. Das Beste, was er tun konnte, war, ihr zu versichern, dass man sich gut um sie kümmern würde und dass sie in verschiedenen Staaten leben und sich selten sehen würden. Und dass es seinem Sohn und ihr an nichts mangeln würde. Er würde den Rest seines Lebens damit verbringen, sie zu begehren. Was für ein verdammtes Pech. Aber so war es halt. Die Geschichte wiederholt sich, dachte er grimmig. Seine Eltern hatten der Liebe eine Chance gegeben. Sie hatten versagt, und der Fluch war immer noch in Kraft. Egal, wie sehr sie auch versucht hatten, voneinander getrennt zu bleiben, letztlich konnten sie es nicht durchhalten und seine Mutter war gestorben. Er musste Heather gehen lassen, aber zunächst musste er den Job beenden, deshalb war er schließlich hergekommen. Er ließ ihre Hände sinken und trat einen Schritt zurück. Sobald dies hier vorbei war, würde er sie nicht wiedersehen. Das wäre das Beste. Sauber und schnell. Aus den Augen, aus dem Sinn. »Bleib bitte einen Augenblick hier, okay? Ich habe eine Überraschung für dich. « »Wirklich? Was für eine Überraschung? Kann ich es aus dir herausküssen? Oder herauskitzeln?« »Gib mir ein paar Minuten. Ich werde kommen und dich holen, wenn ich fertig bin. « »Das klingt aber sehr mysteriös. Ich will mit dir gehen. « Er lächelte und schüttelte den Kopf. »Bleib hier, ich werde dich rufen, wenn es ... fertig ist. « »Hm, in Ordnung. Gib mir erst einen Abschiedskuss. « Er zwang sich zum Lachen. »Ich bin nur eine Minute 一” Sie zog seinen Kopf für einen schnellen Kuss zu sich herab. Ihr Lippen fühlten sich weich an. »Beeil dich«, sagte sie mit heiserer Stimme. »Ich vermisse dien jetzt schon. « Caleb berührte kurz eine honigfarbene Haarsträhne auf ihrer sonnenwarmen Schulter, bevor er sich umdrehte und quer über den gepflasterten Weg ging. Die paar Meter kamen ihm endlos vor. »Wie geht's, Boss? «, fragte Farris leise neben ihm. »Du gehst so verdammt langsam, als ob dir 'ne Ratte den Hintern hochkriecht. Was gibt's? « Caleb ging weiter. Er wusste, dass ihn die Männer in Shaws Haus beobachteten. Sie würden einen einzelnen Typen sehen. Nichts Bedrohliches an einem Touristen in einem grellen rotgelben Hawaii-Hemd, Jeans und Turnschuhen. »Es fühlt sich nicht richtig an«, antwortete er beinahe ebenso leise wie sein unsichtbarer Freund, und strebte weiter auf Shaws Eingangstür zu. Sobald er die letzte Phase dieser Operation startete, gäbe es kein Zurück mehr. »Dekker und Rook sind bei ihr«, betonte Keir. Ja, das wusste Caleb, und er vertraute seinen Männern. Dennoch verspürte er dieses hartnäckige Kribbeln zwischen den Schulterblättern. Keir legte seine Hand sacht auf Calebs Schulter. »Es wird kurz und schmerzlos werden. « »Ja, ich weiß«, antwortete Caleb gedämpft. Heather bewunderte Calebs lockeren Schritt, mit dem er über die »Straße« schlenderte, wenn man den breiten Pfad, auf dem keine motorisierten Fahrzeuge erlaubt waren, überhaupt so nennen konnte. Er sollte eigentlich unpassend aussehen mit diesem grellbunten Hemd an einem historischen Ort wie den sassi, doch stattdessen sah er selbstbewusst und herrlich sexy aus. Sie spürte den Blick von jemandem auf ihrem Rücken und wirbelte herum, aber da war niemand. Natürlich war dort keiner. Diese landschaftlich reizvolle, historische Gegend war so überhaupt nicht der Fall ihres Vaters oder seiner anspruchsvollen Bankkunden. »Entspann dich«, sagte sie laut. Herrgott, es war heiß. Sie sammelte ihre Haare im Nacken, hob sie zum Pferdeschwanz hoch und hoffte auf einen leichten Luftzug. Es gab keinen. Sie wünschte sich, sie hätte sich einen Hut mitgebracht, und ließ ihr Haar wieder auf die Schultern fallen. Sie legte die Hand auf ihr Bäuchlein. Trotz der Hitze fühlte sie sich merkwürdig erregt und lächerlich glücklich. Und weshalb sollte sie es auch nicht sein? Sie war in den Flitterwochen, meine Güte. Wenn eine Frau nicht mal auf ihrer Hochzeitsreise lächerlich glücklich sein konnte, wann dann? Sie rieb sich ihr Bäuchlein. »Dein Daddy sieht toll aus, weißt du das, süßes Baby? Er behauptet, du bist ein Junge, und ich glaube, du wirst genauso werden wie er, nicht wahr? Süß und nett und lustig. Ich nehme mal an, wir müssen die nächsten einundzwanzig Jahre deine Therapie bezahlen, weil ich das Gefühl habe, dass du für uns immer >Böhnchen< sein wirst. « Sie lächelte. »Ich hoffe, er beeilt sich da drüben. Ich hätte nichts dagegen, irgendwo reinzugehen, wo es kühler ist, und etwas zu trinken. « Wieder rieb sie sich ihren Bauch. »Ich liebe dich, mein Schatz. Wir haben solch ein Glück, du und ich, deinen Vater zu haben. « Sie strich sich das leicht feuchte Haar aus dem Gesicht und bewunderte Calebs Po, der eben im Begriff war, bei jemandem an die Haustür zu klopfen. Bei wem? Er hatte nicht erwähnt, dass er hier irgendjemanden kannte. Vielleicht war das ein Restaurant oder ein Schmuckgeschäft oder - sie grinste und erinnerte sich an die Höhen der Lust, zu denen er sie zuvor getrieben hatte. »Wen kümmert es. Überall, wohin uns dein Papa bringen will, ist prima für mich. « Nach einigen Minuten öffnete sich die Tür. Calebs Körper versperrte den Blick auf denjenigen, der sie geöffnet hatte. Er sprach ein paar Minuten und drehte sich dann in ihre Richtung gestikulierend um. Die Tür schloss sich und ließ ihn draußen im gleißenden Sonnenlicht stehen. Hm. Faszinierend. Ihre Hand ballte sich über ihrem Bauch, und die Zeit schien still zu stehen. »Heather? Liebling? Komm bitte rüber. « Er verließ die Türöffnung nicht, sondern streckte ihr die Hand mit einem Lächeln entgegen, das ihr Herz schmelzen ließ. Es vertrieb, was auch immer sie erschreckt hatte. Die Sonne brannte ihr erbarmungslos auf den Kopf, als sie die Straße überquerte. Sie ergriff seine ausgestreckte Hand in dem Augenblick, als sich die Tür wieder öffnete. »Schließ deine Augen«, murmelte er und zog sie neben sich. »Ich will die Überraschung nicht verderben. « Sie lächelte und schloss die Augen. Wie süß und romantisch. Er zog sie nach vorne, hinein, wo die Temperatur drastisch abfiel. Heather zitterte und ahnte kurz, dass irgendetwas nicht stimmte. »Kalt? «, fragte er sanft. »Möchtest du deine Jacke anziehen? « Sie schüttelte den Kopf. Caleb zog sie unter seinen linken Arm, seine Hand lag warm auf ihrer Taille, während er sie über einen etwas unebenen Fußboden führte. Es kostete sie erstaunlich viel Energie, um ihre Stimme weiterhin fröhlich klingen zu lassen. »Kann ich meine Augen nun öffnen? « »Ja, öffne sie. « Heather blinzelte, um wieder klar sehen zu können. Das Blut wich aus ihrem Gesicht. »O Gott, Caleb«, flüsterte sie. »Was hast du getan? « Neunzehn DIE SASSI, MATERA SONNTAG, 16. APRIL 12 UHR 19 »Hallo, Papa.« »Um Gottes willen, Heather«, antwortete ihr Vater eindeutig wütend anstelle eines Grußes. Er klang erschreckend amerikanisch und erschien in dieser mittelalterlichen Umgebung völlig aus dem Zusammenhang gerissen. »Hast du jetzt völlig den Verstand verloren hierherzukommen ? Und das am helllichten Tag?« Seine barschen Worte und die Wut in seinem Gesicht, die gegen sie, seine Prinzessin, gerichtet war, schockierten sie so sehr, dass sie unwillkürlich einen Schritt zurücktrat. Doch das hatte sie sich sparen können. Ihr Vater machte keine Anstalten auf sie zuzugehen, sondern blieb, wo er war. Verärgert und distanziert. Das hatte sie wissen müssen, dachte Heather bitter. Er war entweder der aufmerksame Vater, der sie verhätschelte, oder er nahm nicht einmal ihre bloße Existenz wahr. Das war schon immer so gewesen. Im Augenblick jedenfalls freute er sich nicht im Geringsten, sie zu sehen. Sie hatte ihn bis dahin nur einmal wirklich wütend erlebt. An dem lag, an dem ihre Mutter starb. Ihm nun gegenüberzustehen, ohne Vorwarnung, ließ die unschöne Mischung zwischen Liebe und Hass, die sie für ihn empfand, unbehaglich in ihrem Magen rumoren. Sie hielt seinem Blick stand. Geht es dir gut? Ich vermisse dich. Wird das hier je vorbei sein? Ihr Hals tat weh. Hast du meine Mutter umgebracht? Seine blauen Augen hinter den Kontaktlinsen blickten sie missbilligend an. Ihr Vater war von dem, was er sah, nicht sehr beeindruckt, gab aber keinen Kommentar ab. Während er die Lippen zusammenpresste, sah sie, wie er ihren Ehemann und ihre Kleiderauswahl gedanklich in die Mülltonne warf. Oh, Papa, selbst unter diesen extremen Umständen bist du noch so ein verdammter Snob. »Geht es dir gut? «, fragte er nach einem Moment. Stets der Gentleman, dachte Heather trocken bei dieser höflichen Nachfrage. Sie wusste, dass die Frage rein rhetorisch gemeint war. »Gut, vielen Dank«, antwortete sie automatisch. Wusste er überhaupt, dass ihre beiden Leibwächter innerhalb eines Monats, nachdem sie Paris verlassen hatte, gestorben waren? Wahrscheinlich nicht, da ja ihre einzige Kommunikation erst dann erfolgen sollte, wenn er herausgefunden hatte, wer das Geld seiner Kunden gestohlen hatte. Er nickte leicht. »Hervorragend.« Sie lächelte trotz der Anspannung in der Luft. Sie hatte Jahre gebraucht, um herauszufinden, dass er in der Öffentlichkeit weitaus überzeugender wirkte. Offensichtlich betrachtete er Caleb und seine Mitarbeiter nicht als »Öffentlichkeit«. Sie hätte eine Umarmung gut gebrauchen können, aber da es die anscheinend nicht geben würde, sagte sie bloß: »Du siehst wie immer großartig aus, Daddy. « Und das tat er. Heather hatte keinerlei Illusionen über ihren Vater. Unglaublich eitel, wie er war, genoss er es, mit Sean Connery in seinen späten Bond-Filmen verglichen zu werden, und zog sich dementsprechend an. Er sah ganz genauso aus, wie das, was er war, nämlich ein obszön reicher Mann, der sehr genau auf sein Äußeres achtete. Er war besessen von seiner makrobiotischen Ernährungsweise und unerbittlich diszipliniert bezüglich seines strengen Fitnessprogramms und des Krafttrainings. Seine Haut blieb dank der zweimal wöchentlichen Gesichtsbehandlungen straff, und seine persönliche Sonnenbank verschaffte ihm das ganze Jahr über eine leichte Bräune. Mit dreiundsechzig Jahren war er fit, attraktiv, anspruchsvoll und gut in Form. Und immer die Nummer eins. Die Erinnerungen an einen zärtlichen und fürsorglichen Vater als sie noch ein kleines Kind war, hielten die Liebe, die sie für ihn empfand, weiter lebendig. Manchmal aber fragte sie sich, ob er noch der gleiche Mann war, der ihr damals auf der Schaukel Anschwung gegeben und sie auf seinen Schultern getragen hatte. Es war lange her, seit sie eine solche Verbindung zueinander gehabt hatten. Sie war sich vage bewusst, dass dieses kühle, raue Steinfoyer, das anscheinend zu einer riesigen Katakombe gehörte, mit etlichen seiner Kompetenzträger und einer Phalanx Leibwächter proppenvoll war. Ein Schwärm Arbeitsbienen, ausdruckslose Maschinen, bewaffnet mit den besten High-Tech- Waffen, die man nur mit zu viel Geld kaufen konnte. Seine Leibwächter beobachteten Caleb, als erwarteten sie, dass er ein Maschinengewehr zücken und sie niedermähen würde, und im Augenblick war sie sich gar nicht sicher, ob sie nicht dasselbe erwartete. Sie war verwirrt, wie es überhaupt zu diesem Treffen gekommen war, und als sie sich umdrehte, warf sie ihrem neuen Ehemann einen verwunderten Blick zu. Irgendwann innerhalb der letzten Sekunden war es ihm gelungen, sich von ihr zu lösen, sodass sie nunmehr allein dastand. Ein kalter Verdacht lief ihr den Rücken runter Woher hatte Caleb gewusst, wo er ihren Vater finden konnte? Selbst sie hatte keine Ahnung gehabt, wo er war. »Weshalb hast du mich hergebracht? « Dieses Treffen ergab überhaupt keinen Sinn. Plötzlich ergab auch Caleb keinen Sinn mehr Ihr wurde klar, vielleicht verdammt spät, dass sie nur sehr wenig über den Mann wusste, den sie geheiratet hatte. Sie liebte ihn, aber sie kannte ihn überhaupt nicht richtig. Sie schien in Liebesdingen eine Nullnummer gezogen zu haben. »Um dich mit deinem Vater auszusöhnen, Liebling. « »Das erklärt aber nicht, woher du wusstest, wo du ihn finden konntest. « Ihre Lippen fühlten sich taub an. O Gott, ihr ganzer Körper fühlte sich taub an. War Caleb der »Kunde«, dessen Geld verschwunden war? Nein, das konnte nicht sein, oder doch? Er zuckte die Schultern. »Genieß einfach den Augenblick. « Heather zog die Augenbrauen zusammen. Genießen war nicht eben das Wort, welches sie benutzen würde, dachte sie bitter. Sie wandte sich von ihm ab. Die Luft im Raum schien vor Feindseligkeit zu knistern. Ihr Vater war offensichtlich nicht froh, sie zu sehen, und ihn wiederzusehen, machte ihr klar, dass sie heute immer noch ebenso wütend, traurig und verwirrt war wie vor einem Jahr. »Wir werden gehen«, erklärte sie ihrem Vater tonlos. »Ihr bleibt, bis sich die Sache aufgeklärt hat«, teilte Brian Shaw ihr ebenso tonlos mit. »Wer ist dieser Mann? «, wollte er in seiner selbstherrlichsten Stimme wissen. »Und was in Gottes Namen hast du dir dabei gedacht, ihn hierherzubringen?« Heather atmete zur Beruhigung erst mal tief ein, bevor sie sanft antwortete: »Dieser Mann« - sie hob ihr Kinn ein Stückchen, nicht sicher, ob sie ebenso wütend war wie er oder total verwirrt oder einen Albtraum durchlebte - »ist mein Ehemann, Caleb Edge, und wir sind auf der Hochzeitsreise.« Wie konnte sich etwas so Richtiges in etwas so Falsches verwandeln? Wie hatte Caleb ihren Vater gefunden? Weshalb hatte er ihren Vater gefunden? Und welche Rolle hatte sie unabsichtlich bei diesem Treffen gespielt? In ihrem Kopf purzelten Fragen und Zweifel durcheinander wie Steine in einem Wäschetrockner. Ihr Vater zog spöttisch eine Braue hoch. »Zufällig in Matera? « Ausgezeichneter Punkt. »Ich -« Darauf hatte sie keine Antwort. Sie warf ihm einen kühlen Blick zu. »Du könntest uns gratulieren. « Sie wollte einfach glauben, dass Caleb ihren Vater um ihretwillen aufgespürt hatte. Dass er ihr geglaubt hatte, als sie ihm gesagt hatte, sie und ihr Vater hätten sich entfremdet, und dass er ihr hatte helfen wollen. Aber das erklärte nicht, wie es einem Verkäufer für Traktorenersatzteile aus Portland gelungen war, das zu tun, was kein anderer geschafft hatte, und erst recht nicht, weshalb er dies getan hatte. Caleb hob seine Hände auf Schulterhöhe, während ihn einer der Männer ihres Vaters nicht gerade behutsam durchsuchte. »Papa, mach das nicht! «, sagte Heather und klammerte sich noch für ein paar Sekunden an Calebs Unschuld. Caleb sah nicht sonderlich besorgt aus. Wenn überhaupt, wirkte er eher leicht amüsiert und ein wenig gelangweilt. Sie kannte ihn in der Tat nicht. Sie hatte ihre Sicherheit und die ihres ungeborenen Kindes in die Hände eines Mannes gelegt, der ebenso gut den Tod für ihren Vater und sie selbst bedeuten konnte. Selbst wenn sie sich verdammte Mühe gab, konnte Heather unmöglich glauben, dass er bei dieser Sache völlig unschuldig war. Was dachte er gerade? Hatte er Angst? Versuchte er zu bluffen? Oder hatte er erwartet, durchsucht zu werden? Er fing ihren Blick auf und zwinkerte. »Begrüßt man sich so in Matera? Etwas merkwürdig, aber ich werde mich dem fügen. « Er ignorierte den Mann, der ihn durchsuchte. »Rede mit deinem Vater, Liebling«, erklärte Caleb ohne Umstände. »Wir können nicht lange bleiben. « Wir können nicht lange bleiben? wiederholte Heather in Gedanken. Wir können nicht lange bleiben? Was machen wir überhaupt hier? Caleb wirkte jetzt genauso entspannt und ungezwungen, als wäre er auf einer Cocktailparty. Weder die Tatsache, dass ihm gerade die Jeansbeine abgeklopft wurden, noch der Umstand, dass ein Dutzend Waffen auf seine Brust gerichtet waren, schienen ihn auch nur im Geringsten zu beunruhigen. Sie dagegen war zu Tode erschrocken. Ihr Verstand raste, während sie sich bemühte, das Tableau vivant vor ihren Augen zu verarbeiten, sodass es wenigstens ein Minimum an Sinn ergab. Sie konnte die Reaktion ihres Vaters auf ihren Anblick durchaus nachvollziehen. Er hatte darauf bestanden, jedweden Kontakt zu vermeiden, bis er herausgefunden hatte, wer ihre Mutter umgebracht hatte und was diese Person mit den Geldern gemacht hatte, die von dem Bankkonto eines seiner Kunden entwendet worden waren. Er hatte sie aus Angst um ihre Sicherheit weggeschickt und war sich sicher, dass der Tod ihrer Mutter im Zusammenhang mit seinem Job stand. Er hatte befürchtet, der Killer würde als Nächstes seine Tochter oder ihn selbst aufs Korn nehmen. Was sie nicht verstand, war Calebs Motivation, sie hierherzubringen, um ihren Vater zu treffen. Und das war absichtlich geschehen, daran hatte sie keinen Zweifel. Sie glaubte nicht an Zufälle. Sie warf ihrem gut aussehenden Ehemann einen weiteren Blick zu. Er lächelte, zupfte seine Kleider zurecht und deutete mit dem Kopf in Richtung ihres Vaters. Sie legte die Hand auf ihren Bauch und konnte nicht mal ein Lächeln auf ihren angespannten Mund zwingen. War er in San Francisco über sie gestolpert und hatte sie sofort als die Tochter des reichen Brian Shaw erkannt und beschlossen ... was? Ihrem Vater Geld abzunötigen? Ihn zu bedrohen? Ihn zu erpressen oder etwa sie? Oder noch Schlimmeres. Das Blut stockte ihr in den Adern. Sie fröstelte. Hatte er sie irgendwie benutzt um ihren Vater ausfindig zu machen, damit er ihn umbringen konnte? Sie rieb die Gänsehaut auf ihren nackten Armen. Wem konnte sie noch trauen? Sie stand auf halbem Weg zwischen den beiden Männern, im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. »Kennt ihr euch? « »Nein.« Die Antwort kam gleichzeitig von ihrem Vater und von Caleb. Damit war eine von den Dutzenden Fragen beantwortet, die im Augenblick durch ihren Kopf schössen. Wenn sie sich nicht kannten, wie hatte Caleb ihn dann aufspüren können? O Gott, noch viel wichtiger - warum, warum, warum? Sie warf ihrem Ehemann wieder einen Seitenblick zu. Sein Gesicht war rätselhaft. »Wie habt ihr zwei euch kennengelernt? «, wollte ihr Vater wissen und nahm ein Glas Wasser von seinem Helfer entgegen, ohne jedoch seinen Gästen etwas anzubieten. »In San Francisco. Ich möchte bitte auch ein Wasser. « Nach einem kurzen Nicken ihres Vaters entfernte sich der Mann, um ein Glas für sie zu holen. Ihre Knie fühlten sich an, als wären sie aus Gummi, und sie hätte sich liebend gerne hingesetzt. Ihr war jetzt so kalt, dass ihre Zähne klapperten. Oder waren das die Nerven? »Wir haben uns zufällig im Lebensmittelladen getroffen …” Caleb blendete ihr Gespräch aus und beobachtete mit einem leichten Stirnrunzeln die Körpersprache zwischen Vater und Tochter. Heather wusste es nicht, aber er hatte fünf Minuten für das Wiedersehen angesetzt. Er würde diesen Zeitrahmen einhalten. Und dann wäre sprichwörtlich die größte Kacke aller weiten am Dampfen. Er freute sich ganz gewiss nicht darauf. Während Heather und ihr Vater sprachen, verschwanden Shaws Schlüsselkräfte einer nach dem anderen unbemerkt hinter ihm, als Dekker sie ohne Muhe zu einem sicheren Ort jenseits der Stadt teleportierte. Nicht zu dem sicheren Haus, in dem sie wohnten und wohin sie Shaw sofort bringen würden, nachdem er teleportiert worden war Dort würde Caleb Heather etwas mehr von der Wahrheit erzählen müssen, bevor er ihren Vater einem anderen Team zum Verhör übergab. Wenn sie ihm überhaupt zuhören würde. Dann wurde er fort sein. Hoffentlich fort auf einer Mission voller Gewalt und Aggression, auf der er alles und jeden zur Hölle jagen konnte. Er brauchte etwas, das er kurz und klein schlagen konnte, und zwar bald. Wider besseres Wissen und dem überzeugenden Rat seines Teams hatte Caleb gewollt, dass Heather ihr Wiedersehen mit ihrem Vater hier bekam. Hier, wo er lebte, in seiner eigenen Umgebung anstatt auf der anderen Seite der Stadt. Nicht weil es ein so toller Ort war, sondern weil hier nicht so viele Leute waren, wie sie dort sein würden. Er schämte sich beinahe, wie feige diese Entscheidung war. Er wusste, was diese Mission betraf, wäre es die sinnvollste Vorgehensweise gewesen, die Shaws direkt zur sicheren Zone zu bringen. Weniger Getue, weniger Durcheinander. Wenn sie jetzt verwirrt war, sollte er zehn Minuten warten. Caleb wollte diese Konfrontation so lange wie möglich aufschieben. Es würde sie nicht umbringen, ihr diese fünf Minuten zu geben. Sie war in der Zwingburg ihres Vaters nicht in Gefahr. Zur Hölle, sie war überhaupt nicht in Gefahr, Punkt, weil er den Schutzzauber über sie gelegt hatte. Er wusste, dass Rook dahinten war und Shaws Fußsoldaten mit einem einfachen Halte-Zauberspruch in ihren Quartieren einschloss. Das Entsorgungsteam würde sich später um sie kümmern. Ihr Plan sah vor, dass Farris hinter Shaw sein würde. Falls Shaw oder die Männer, die im Halbkreis um ihn herumstanden, auch nur ein Haar in Heathers Richtung rührten, hatte das Team die Anweisung, das Wiedersehen drastisch zu verkürzen. Mit kodierter Zeichensprache, so subtil, dass niemand außer einem anderen T-FLAC Agenten sie bemerken würde, veranlasste er Farris, seine Position zwischen Heather und ihrem Vater zu beziehen. Dann ging er gemächlich rüber, lehnte sich mit der Schulter an eine Wand und beobachtete Vater und Tochter aus dem Halbschatten. In Gedanken zählte er den Fünf-Minuten-Countdown weiter rückwärts. Noch eine Minute. Während er sie zusammen beobachtete, überlegte er, ob selbst diese kurze Zeit beisammen nicht schon zu lange war. Sofern sie nicht telepathisch kommunizierten, hatten sie einander nichts mitzuteilen. Es war schmerzhaft. Zeit abzuhauen. Seine Lippen verzogen sich leicht, als ein Mann auf der anderen Seite des Raumes hinter Shaw plötzlich bemerkte, dass der Typ neben ihm sich mitten in einem geflüsterten Gespräch einfach in Luft aufgelöst hatte. Seine Augen verdrehten sich, und er fiel in tiefer Ohnmacht auf den Steinfußboden, nur um dann ebenfalls zu verschwinden, als Dekker sich seinen Kumpel und ihn schnappte und beide teleportierte. Angeber. Brian griff nach Heathers Arm und überraschte sie dadurch. Sie riss die Augen auf. Caleb schob sich mit einem Stirnrunzeln von der Wand weg, als Shaw seine Tochter zu sich zog. »Du kannst es nicht behalten, Heather. Du musst wissen, es wäre dein Todesurteil. « Calebs Radar stellte sich darauf ein. »Was?« Heather schnaubte und riss an ihrem Arm. »Du meine Güte, Daddy. Wovon zum Teufel redest du überhaupt? « »Herrgott noch mal! Ich hätte es wissen müssen. « Er war sogar noch wütender als zuvor. »Ich habe meine Leute auf der ganzen Welt nach ihrem Komplizen suchen lassen, und die ganze Zeit warst du es! « Heather entzog sich seinem Griff und rieb ihren Arm. »Bist du jetzt völlig verrückt geworden? Komplize wofür? Und wer ist >siePlan<,aber es ist trotzdem passiert. Hast du absichtlich keine Verhütung benutzt? Wolltest du mich schwängern? « »Mein Gott, Heather!« Zum Glück ließ das Schwindelgefühl von dem Zeitsprung endlich nach. Es gelang Caleb, sich in eine sitzende Position zu ziehen und gegen das Kopfbrett zu lehnen. »Nein, natürlich nicht.« »Da gibt es kein >natürlich< dabei. Es ist passiert, und du hast es wegen der Macht getan - nein. Nicht wegen der Macht, die hast du bereits. Nein. Du hast es getan, um mich zu manipulieren, genau das zu tun, was du wolltest. Und wie konntest du annehmen, ich würde mich nicht mehr daran erinnern, was gestern passiert ist? « Das war jetzt der knifflige Teil. Caleb wusste, dass er das richtig hinbekommen musste. »Es ist heute passiert. « Sie schaute auf die Uhr auf dem Nachtkästchen. »Gestern. Es ist erst acht Uhr morgens. Du hast mich so um zehn Uhr gestern Morgen zu ihm gebracht wie ein Lamm zum Schlachter. « »Glaub mir. « Weshalb sollte sie? Er schüttelte den Kopf und fuhr fort. »Es war an diesem Morgen. Dies ist unser zweiter Versuch mit dem heutigen Tag. « Er betrachtete ihr ungläubiges Gesicht. »Du willst etwas von mir wissen, was nur wenige Leute wissen, Leute wie ich. « »Wie du? Wen meinst du? Andere lügende und betrügende Opportunisten?« »Ich habe die Fähigkeit, die Zeit zu manipulieren. « Er wappnete sich für ihre Reaktion. Sie sah aus, als wollte sie ihm ihre Handtasche um die Ohren schlagen. »Du meinst, Leute zu manipulieren. « »Das auch. Ich bin ein Zauberer. « Heather warf ihren Kopf zurück, ein ungläubiger Ausdruck huschte über ihr Gesicht. »Beep! Falsche Antwort.« Zweiundzwanzig »Niemand hat es jemals bemerkt, wenn ich die Zeit manipuliert habe. Keiner, der dabei war, als wir deinen Vater aufgesucht haben, wird sich daran erinnern. Für sie wird es sein, als ob es nie passiert wäre. « »Ein Zauberer, der die Zeit zurückdrehen kann? Sehe ich aus, als hätte ich dämlich auf die Stirn tätowiert? « »Es ist die Wahrheit. « Sie richtete ihren Blick auf ihn. »Das ist die lahmste Fuhre Müll, die ich je gehört habe. « Er schaute sie lediglich an. »Wenn es so ist, dann beweis es. Wenn das, was heute Morgen passiert ist, nicht stattgefunden hat, dann wurde mein Vater nicht erschossen. « »Das wäre nur zum Teil richtig. Einiges, was heute Morgen passiert ist, wird bei der zweiten Wiederholung nicht passieren. Meine Sorge waren Böhnchen und du. Der Einsatz ging schief, ich musste dich da herausbringen. « Sie senkte langsam den Arm. »Lebt mein Vater noch? « »Nein, es tut mir leid. « Ihr Kinn zitterte, und Caleb schluckte einen Schwall Übelkeit herunter. »Einer von meinem Team hat ihn teleportiert, als ich dich mitgenommen habe. Er war bereits tot. Er ist es immer noch. « »Teleportiert?! « Heather schüttelte den Kopf. »Verdammt bequem für dich. « Caleb konnte die Rädchen rattern sehen, bevor sie hervorstieß: »Aber wenn er dort geblieben wäre, würde er noch leben? « »Ja, aber er war 一” »Mach es noch einmal. Mach, was auch immer du getan hast.« Sie wedelte mit der Hand. Ihr Ring, der Ehering, den er an ihren Finger gesteckt hatte, schoss im Sonnenlicht Funken von reflektiertem Licht gegen die Wände und ließ die Tränen glitzern, die in ihren Augen aufstiegen. »Mach alles rückgängig. « »So funktioniert es nicht. « Sein Darm verkrampfte sich. »Wirklich.« Sie kniete sich auf die Bank am Fuß des Bettes und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Sie sah nicht wie eine Frau aus, die bereit war, ihr Herz auszuschütten, aber sie lief auch nicht zur Tun »Wie funktioniert es denn dann? Ist mein toter Vater auf einem anderen Astralplaneten? Müssen wir ein Hexenbrett nehmen? Eine Kristallkugel?« Caleb beschloss, ihre Fragen ernst zu nehmen. Er kaute auf einer Nuss herum und dankte Gott, dass seine Kraft langsam zurückkehrte. »Wenn ich die Zeit gehabt hätte« - er fügte nicht und die verdammte Absicht hinzu 一 »und schnell genug zu deinem Vater gelangt wäre, dann wäre es mir vielleicht möglich gewesen, den Wiederbelebungszauber anzuwenden. « »Wiederbelebungszauber -« nahm ihr Knie von der Bank und stand auf. »Soso.« »Offen gesagt, ich bin nicht sicher, ob ich ihn bei etwas anderem als bei Tieren anwenden kann. Das hier ist keine exakte Wissenschaft. Der einzige Erfolg, den ich hatte, war bei fieren, als ich ein Kind war. Es hat nicht immer geklappt. « »Soso.« »Etwa zu zwanzig Prozent. Es gibt ohnehin nur ein begrenztes Zeitfenster dafür. « Er musste sich mehr Zeit erkaufen. »Wenn zu viel Zeit nach dem Tod verstreicht, ist es zu spät. « Er blickte auf seine Uhr. »Es ist jetzt mehr als eine halbe Stunde her, seit dein Vater erschossen wurde. Zu lange. In meinen Experimenten war der längste Zeitraum, der zwischen Tod und Wiederbelebung verstrichen ist, etwas mehr als eine Minute, und das war bei einem Hund von etwa zwanzig Pfund. « Duncans Dixie. Calebs kleiner Bruder war monatelang dankbar gewesen. »Ich sag dir was«, erklärte ihm Heather. »Fass das alles in einem Memo zusammen, und schick es mir per E-Mail, okay? « O Mist. Sie würde verschwinden. »Warte. Hast du keine anderen Fragen? «, fragte Caleb verzweifelt und warf die Dose Nüsse aufs Bett. »Ja, die habe ich. Etwa eine Million, aber anscheinend denkst du, was du mir angetan hast, sei nur ein einziger großer Witz. Also bemüh dich nicht. Ich bin sicher, ich würde deine Antworten sowieso nicht glauben! « »Ich schwöre bei Gott, dass ich die Wahrheit sagen werde. « »Glauben Zauberer an Gott? « Er biss die Zähne zusammen. »Ja.« »Du hast in San Francisco Kontakt zu mir aufgenommen, um meinen Vater zu finden? « »Richtig, aber du wusstest nicht, wo er war. Wir haben ihn auf andere Art gefunden. « »Hast du die Frau auch geschwängert? « »Keine andere Frau, und ich schwöre bei Böhnchen Leben, ich hatte nicht die Absicht, dich zu schwängern. « »Verdammt, lass Böhnchen aus dem Spiel. « »Okay, okay. Ich gebe zu, ich war ein Mistkerl, als ich mit dir geschlafen habe, aber verdammt noch mal, Heather, es tut mir nicht leid. Wir hatten 一” »Und wenn ich nicht schwanger gewesen wäre, wärst du dann zurückgekommen? Hättest du mich geheiratet? « Mist. »Es war der einzige Weg, um an deinen Vater heranzukommen. Ich muss in Sehweite sein, um jemanden teleportieren zu können. Aber ganz gleich, wie der Auftrag lautete, in der Minute, als ich von dem Baby erfahren habe, hatte ich dich überzeugt, mich zu heiraten. « »Lass mich mal sehen, ob ich das alles richtig verstehe. Du hast mich geheiratet, um Zugang zu meinem Vater zu bekommen. Dann wolltest du ihn irgendwohin teleportieren. Danach wäre er - was? Ins Gefängnis gegangen? Wegen Verrats oder so was Ähnlichen umgebracht worden? Ist es dir überhaupt in den Sinn gekommen, dass das für eine glückliche Ehe wohl kaum förderlich gewesen wäre? Oder sollte diese Ehe gar nicht weiterbestehen, nachdem du zu meinem Vater gelangt bist? « Die Haut über ihren Wangenknochen spannte sich, und ihre trockenen Augen glitzerten. »Es war keine Liebe auf den ersten Blick, nicht wahr? « Sein Magen schlingerte. »Nein.« »Nun denn, das ist wenigstens ehrlich - mal angenommen, ich kaufe dir die ganze Zauberer Sache ab. Ich schätze, ich sollte dir für deine Aufrichtigkeit danken. Nun, viel Erfolg bei deiner Jagd. Ich nehme an, mein Anwalt kann die Scheidungspapiere an dein Büro schicken? Oder war Preda ebenso gefälscht wie du? « Caleb wünschte sich, er wäre verdammt noch mal angezogen, aber er hatte noch immer nicht die Kraft, es zu tun. »Was hat deine Mutter dir gegeben, Heather? « »Gar nichts, verdammt. « »Dein Vater hatte Angst, und er hatte allen Grund dazu. Wenn er das Geld seines Kunden nicht unterschlagen hat, dann war es jemand anders. Da dein Vater tot ist, wird diese Person hinter dir her sein. Es ist der nächste logische Schritt. Sie haben bereits ein paar halbherzige Versuche unternommen, dich zu schnappen. Jetzt werden sie wohl ernst machen. « Sie hielt an der Tür inne, die Hand auf dem Türknauf. »Nun, ich kann dir nicht helfen. « »Die Gelder wurden um drei Uhr morgens vom Konto deines Vaters transferiert, und zwar an dem Tag, an dem deine Mutter starb. Der Transfer wurde von einem Computer auf dem Grundstück deiner Familie in Paris aus getätigt. Wer hatte diese Art von Zugang? « Er sah, dass er ins Schwarze getroffen hatte, als sie sich auf die Unterlippe biss. »Mein Vater«, sagte sie schließlich. »Meine Mutter und ich.« »Du warst es nicht, und anscheinend war es auch dein Vater nicht. Also bleibt nur noch deine Mutter. « »Die tot ist. « Caleb strich sich übers Kinn, während er sich den Vorgang durch den Kopf gehen ließ. »Zwischen drei Uhr morgens und dem Zeitpunkt, wo ihr beide von eurem Ausflug zurückgekehrt seid und sie getötet wurde, muss sie diese Information an irgendjemanden weitergegeben haben. Wer könnte das gewesen sein? « Heather war offensichtlich verunsichert, doch sie bereitete sich darauf vor abzuhauen. »Ich habe keinen Anhaltspunkt, aber viel Glück bei der Suche«, antwortete sie und drehte den Türgriff. Verzweifelt rief Caleb: »Du kannst nicht fortgehen! « Die Tür schlug hinter ihr zu. Blind vor Tränen rannte Heather los, stolperte den unebenen Weg draußen vor ihrem Zimmer herab. Sie wurde ein wenig langsamer, weil das Kopfsteinpflaster unter den Füßen tückisch war, aber sie lief immer noch schnell. So, als ob die Höllenhunde hinter ihr her wären. »Mistkerl!« Sie stolperte. »Verdammt noch mal! « Heather unterdrückte das Schluchzen vor Wut, Verwirrung und Zweifeln und konnte sich gerade noch rechtzeitig fangen. Sie musste weiterlaufen. Die Sonne brannte auf ihren Kopf und die nackten Schultern herab. Passend zu ihrer Laune sollte eigentlich Regen aus einem schwarzen Himmel herabstürzen. Sie hörte hinter sich Frauen in raschem Italienisch sprechen und ging schneller, damit niemand mitbekam, wie sie mit sich selbst sprach. Sie hatte keine Sonnenbrille, deshalb wechselte sie in den Schatten auf der anderen Seite des Weges. »Scheißkerl. Zauberer, sonst noch etwas.« Verdammt. Sie brauchte ihren Koffer, der in ihrem Hotelzimmer stand, wahrscheinlich mit ihrer Sonnenbrille. Sie hatte nur ein paar Hundert Dollar, eine Bürste und ein Lipgloss in ihrer Handtasche und halleluja! Sie schniefte und brachte ihre rasenden Gefühle unter Kontrolle. Ihren Reisepass. Sie war nicht mittellos. Etliche Freunde würden ihr Geld schicken, wenn sie diese anrief... Und sie in diesen Schlamassel hineinzog? Nachdem sie für ein Jahr untergetaucht war, um genau diese Situation zu vermeiden? Sie würde sich auf ihren gesunden Menschenverstand verlassen. Sie hatte ja bereits bewiesen, dass sie das konnte. Bis Caleb in ihr Leben getreten war dachte sie, und neue Tränen schössen ihr in die Augen. Was für eine leichtgläubige, dumme Närrin sie gewesen war. Liebe auf den ersten Blick? Im wirklichen Leben? In ihrem wahren Leben? Sie war unzählige Male von Männern begehrt worden. Wegen ihres Reichtums, ihres Aussehens, ihrer gesellschaftlichen Verbindungen. Aus Hunderten von Gründen. Weil es Spaß machte. Weil es das war, was Männer und Frauen taten. Sie hatte einige der Männer in ihrem Leben gemocht, und diese hatten echte Zuneigung für sie empfunden. Einige hatten versucht, sie zu benutzen, aber sie war noch nie so zum Narren gehalten worden. Sie war noch nie so ausgenutzt worden. Und was ihren Vater betraf - Heathers Magen rebellierte. Sie presste die Faust beim Gehen auf ihren Bauch. »Entschuldige, Böhnchen. Vor einem Jahr das Wort Terrorist von meinem Vater zu hören, kommt nicht mal annähernd daran heran, ihnen von Angesicht zu Angesicht zu begegnen. « Wahrscheinlich, weil er ihr absichtlich bloß über die Spitze des Eisberges seiner Geschäftsbeziehungen berichtet hatte. Gerade genug, um sie so zu verängstigen, dass sie fortrannte und sich versteckt hielt, während er versuchte, das Geld zu finden. Sie dachte an ihre Mutter. Kummer schnürte ihr den Hals zu. Nachdem sie nun wusste, was sie wusste, ging Heather davon aus, dass ihr Vater ihre Mutter in einem Wutanfall umgebracht hatte. Wut, hervorgerufen von der echten angst vor dem, was sein Kunde mit ihm machen würde, wenn er herausfand, dass sein Geld verschwunden war. Ihr gesamtes Leben war auf Treibsand gebaut gewesen. War es nicht nur gewesen 一 sondern war es immer noch. Sie hatte sich noch nie so heftig, so schnell in einen Mann verknallt. Sie war auch noch nie zuvor so verwundbar gewesen, dachte Heather bitter und wischte sich ärgerlich die feuchten Striemen von den Wangen. War nie so offen gewesen, so verdammt bedürftig. Die Tränen trockneten auf ihren Wangen, als sie fortfuhr, den kurvenreichen Weg zum Fuß der steilen Schlucht hinabzugehen. Sie wurde jetzt vom Zorn angetrieben und murmelte wütend vor sich hin: »Du hast mich benutzt, du Mistkerl. « Sie ging schneller. Schlimmer 一 »Ich hab zugelassen, dass Sie schrie auf, drängte zurück und stieß mit dem Rücken gegen eine Wand runter sich, als Caleb plötzlich aus heiterem Himmel direkt vor ihr auftauchte. Er bot einen gloriosen Anblick - und war unverfrorenerweise splitternackt. Mit der Hand über ihrem hüpfenden Herzen starrte sie ihn an, den Mund aufgerissen vor Schreck. Ihr Blut kochte, und ihr Puls pochte unter ihrer Haut. Sie war überrascht. Wütend. Völlig verwirrt. Ihr Mund war staubtrocken. »Wie »Du kannst nicht allein sein hier draußen, Heather«, erklärte er grimmig und trat so ungezwungen wie ein Krieger nach vorne, offensichtlich ohne seine Nacktheit zu bemerken. »AI-Adel kannte offenbar den Aufenthaltsort deines Vaters. Ich will diesen kranken Scheißkerl nicht in deiner Nähe haben. Komm zurück zum Hotel. Bitte.« Er streckte ihr die Hand entgegen, die Handfläche nach oben. Zwei ältere, schwarz gekleidete Frauen mit Einkaufskörben an den Armen gingen hinter Caleb vorbei. Ihre Augen wurden groß, als sie ihn sahen, dann kicherten sie, die Kopfe wie Teenager zusammengesteckt, während sie weiter den Hügel hinabgingen und beim Gehen immer wieder Blicke zurückwarfen. Heather schluckte heftig. »Ich werde dort rübergehen und nachsehen, ob mein Vater tatsächlich dort ist oder ...« »Er ist es nicht.« Er umfasste ihre Oberarme, was sie aus dem Gleichgewicht brachte. »Wenn du seinen Leichnam sehen willst, bringe ich dich um, das schwöre ich, aber du musst reingehen. Jetzt.« Und dann waren sie in ihrem Zimmer. Heather blinzelte desorientiert ins Dämmerlicht. Ihr war schwindelig. Caleb hielt sie einen Augenblick lang fest, seine Augen, seine verlogenen, hinterlistigen Augen blickten voller Sorge. »Okay?« »Toll.« Sie wand sich. »Lass los.« »Du wirst dich jetzt etwas schwindelig fühlen ".«Er ließ sie los, ging aber nicht weg. »Teleportieren«, erklärte er nur. Das Schwindelgefühl ließ nach. Gott sei Dank. Sie bemühte sich, Sinn in das Unmögliche zu bringen. »Um Sir Arthur Conan Doyle zu zitieren: >Wenn du das Unmögliche ausgeschlossen hast<«, erklärte ihr Caleb leise, als sie auf das Bett plumpste und nur dasaß und ihn anstarrte, »>dann muss, was auch immer übrig bleibt, egal, wie unwahrscheinlich, die Wahrheit sein.<« Nach ein paar Minuten stand sie auf. Ihre Knie waren immer noch ein wenig wackelig. »Hat Doyle über Zauberer gesprochen? « Es war beides, sowohl unmöglich als auch unwahrscheinlich. Sie ging rüber zu ihrem immer noch gepackten Koffer. Im Futterstoff waren drei weitere Reisepässe. Zehn Riesen in losen Diamanten, die sie aufgefädelt hatte, um eine billig aussehende Kette zu machen, und eine Handvoll Kreditkarten auf verschiedene Namen. Derselbe kleine Koffer war um die ganze Welt mit ihr gereist. Im Augenblick war alles, was sie besaß, genau hier, abgesehen von ihren Werkzeugen und ihrem Schmuck, den sie in einem Schließfach außerhalb von San Francisco versteckt hatte. Sie konnte überallhin auf der Welt gehen und verschwinden. Noch einmal. Caleb kam ihr nach, als sie den Deckel zuschlug und den Koffer verschloss. »Vielleicht.« Er legte ihr die Hände auf die Schultern. Sein Atem bewegte das Haar, das über ihre Schultern strich. Er war so nahe. Sie spürte die Hitze seiner Haut, seiner nackten Haut den ganzen Rücken hinunter durch den dünnen Baumwollstoff ihres Kleides hindurch. Sie schloss die Augen und wünschte sich verzweifelt, sich in seinen Arm schmiegen und ihm ihr Gesicht zum Kuss entgegenstrecken zu können 一 Ihr Wunsch zerplatzte wie eine giftige Blase in einem Schauer splittrigen schwarzen Scherbenregens. »Du kannst mich nicht zum Hierbleiben zwingen. « Sie wirbelte herum, den Koffer mit beiden Händen umklammert, und warf ihm einen wütenden Blick zu. »Und um Himmels willen, zieh dir etwas a ... Oh, Gott. « Er war komplett angezogen. Schwarze Jeans, ein dunkelblaues T-Shirt und schwarze Laufschuhe. Er roch, als käme er gerade aus der Dusche. Selbst sein Haar war nass. »Du -« Sie beobachtete einen Wassertropfen, der seine Schläfe hinabrann, und vergaß, was sie hatte sagen wollen. Seine Augen waren ernst. Er sah überhaupt nicht wie der Mann aus, den sie zu heiraten geglaubt hatte. Da war nichts Süßes oder Freundliches an diesem Fremden, der keine Miene verzog. »Was soll ich deiner Meinung nach tun? « »Reiz mich nicht. « Sie war schockiert, wie gewalttätig sie sich fühlte. »Ich werde da herübergehen. « Sie deutete auf die Aussicht aus dem offenen Fenster. Auf das leuchtend weiße Tuffsteinhaus auf dem Hang ihnen gegenüber. »Wenn mein Vater dort ist - oder dort war wird mir sein Sicherheitsteam sagen, was passiert ist. Weiter kann ich derzeit nicht denken. « »Mir wäre es lieber, du würdest nicht wieder da rüber- gehen. « Calebs Stimme klang unerfreulich vernünftig. »Al- Adel weiß nicht, dass dein Vater nicht mehr dort ist. Aber«, er warf einen Blick auf seine Armbanduhr, »in etwa einer halben Stunde wird er dort auftauchen und rumballern. « »Wenn dieser ganze Mist tatsächlich der Wahrheit entspricht, dann musst du dir keine Sorgen machen. Wenn mein Vater wirklich tot ist, dann werde ich den nächsten Flug zurück nach San Francisco nehmen. « Um mir den Schmuck zu schnappen und anschließend in Mexiko unterzutauchen. Aber erst werde ich diese Schlucht überqueren und das Haus aufzusuchen, in das wir gegangen sind... »Mir wäre es lieber, du würdest bei meinem Bruder Gabriel bleiben, bis diese Situation endgültig geklärt wird. Ich kann dich im Nu nach Montana bringen. « Nicht bloß nein, dachte Heather und schüttelte sich. Zur Hölle, nein. »Ich glaube nicht. Nicht zu deinem Bruder und auch nicht auf diesem Transportweg. Ich werde einen kommerziellen Flug nehmen. « »Erlaubst du wenigstens, dass einige meiner Männer dich begleiten? Um sicherzugehen, dass alles in Ordnung ist? « »Sind das auch ... Zauberer? « »Ja.« »Ich will jetzt gehen. « Wenn das Ganze hier wahr war, dann würde das Sicherheitsteam ihres Vaters 一 o mein Gott. Sie hatte gesehen, wie die Männer ihres Vaters einer nach dem anderen ohne einen Laut verschwunden waren. Die rieb ihre Schläfen. »Ich werde hier nicht rumhängen und darauf warten, dass ein paar fremde Kerle auftauchen. « »Heather«, sagte Caleb trocken. Sie zuckte zusammen, und das Blut wich aus ihrem Gesicht, als zwei Männer zwischen ihr und der Tür auftauchten. »Darf ich dir Anthony Rook und Keir Farris vorstellen. « Dreiundzwanzig Rook teleportierte sich zurück zu ihrem sicheren Haus, um das Auto zu holen und dieses zum Rand der Schlucht zu bringen. Caleb, Rook und Farris würden Heather den Hügel hinauf und zum Fahrzeug eskortieren. Sie gab bei der Sache mit Gabriel nicht nach, deshalb war er dankbar, dass sie wenigstens bereit war, zwei seiner Männer als Leibwächter zu akzeptieren. So lange, bis die Situation aufgeklärt war. Sie hatte eine kurze Dusche genommen, während sie auf Rooks Rückkehr gewartet hatten. Natürlich hatte Rook weniger Zeit benötigt, zum Auto zu teleportieren und dieses dahin zu bringen, wohin sie es haben wollten, als Heather brauchte, um die Stufen zum Badezimmer hinunterzugehen. Aber es war das Mindeste, was er tun konnte, ihr zu erlauben, eine Dusche zu nehmen, bevor sie mit der langen Rückreise begann. Caleb konnte das Wasser laufen hören und versuchte, seine Gedanken von der nackten und feuchten Heather unter der Dusche abzulenken und sich auf seine Kollegen zu konzentrieren. »Die Gruppe Sechster März ist vor fünfzehn Minuten auf einem kleinen privaten Flugfeld aufgetaucht«, teilte Farris Caleb mit. T-FLAC ließ alle Transportwege in das Gebiet herein und heraus beobachten. AI-Adel und seine Gruppe waren nicht die einzigen Terroristen mit einem wohlbegründeten Interesse an Shaw und/oder dem Geld. Sobald ein Wort davon nach außen drang - was offensichtlich geschehen war 一, würden die Terroristen hier auftauchen wie Schmeißfliegen auf einem Kadaver Natürlich wussten sie noch nicht, dass Shaw fortgeschafft worden war. Nicht unerwartet. Die Geier begannen zu kreisen. Wer auch immer Zugang zu den verschwundenen Geldern hätte, würde den ganzen Finanzkuchen der Terroristen kontrollieren. Mit achtundvierzig Milliarden Dollar konnte man sich verdammt noch mal alles kaufen, was man für jede Art ruchlosen, maximalen Zerstörungsplan benötigte. »Wo sind sie jetzt? « »Matera«, teilte ihm Farris mit und nahm sich eine Paranuss, während er sich gegen den Tisch beim Fenster lehnte. »Dekker ist bei ihnen. « »Hör zu, ich weiß, es ist beschissen, dass ich dich von der Aktion abziehe, aber es ist wichtig, Heather in Sicherheit zu bringen«, ermahnte Caleb seinen Teamkollegen und Freund. Caleb leitete diesen Einsatz, und er wusste seine Männer würden seine Anweisungen befolgen, selbst wenn ihre Aufgabe nur mäßig interessant war. Er rieb sich den tiefer und wünschte sich beinahe, er konnte Shaws Tod ungeschehen machen. Um Heathers willen, wenn ihm sonst nichts übrig blieb. Wie würde sie sich fühlen, wenn sie herausfand, dass ihr eigenes Fleisch und Blut einer von den Bösen war? Caleb hatte keine Ahnung, wie und selbst warum Babette Shaw es geschafft hatte, das Geld von diesem Konto zu entwenden. Er würde aber sein letztes Zehn-Cent-Stück darauf verwetten, dass ihr die Konsequenzen nicht klar gewesen waren. Indem sie das Konto eines Kunden ihres Mannes gepiundert und das Geld an einen unbestimmten Ort gebracht hatte, war all diese Macht plötzlich wieder zu haben gewesen. Jetzt bat Caleb sogar zwei hochqualifizierte T-FLAC- Agenten, im Grunde genommen als Leibwächter zu agieren. Schlimmer noch, eine Reise zu machen, die sie mittels Teleportieren bloß Minuten gekostet hätte. Jetzt mussten sie es fünfzehn Stunden lang aushalten. Sein Freund stahl noch eine Nuss und nickte, behielt seine Meinung aber für sich. »Ich würde es schätzen, wenn du in meinem Namen gehen würdest. Sie wird nicht 一 sie ist dickköpfig. « Lachend zog Farris die Augenbraue hoch. Caleb schob eine Hana in die Hosentasche. Kurz gefasst hatte Heather den ursprünglichen Plan abgelehnt, sie zurück nach San Francisco zu Teleportieren. Sie hatte Probleme mit den möglichen Auswirkungen der Teleportieren auf Böhnchen 一 nicht dass es diese gab, aber seine Proteste waren auf taube Ohren gestoßen. »Schau mal, ob du ihre Meinung auf der Fahrt zum Flughafen vielleicht noch ändern kannst«, riet er und lauschte mit halbem Ohr dem immer noch laufenden Wasser im Badezimmer. »Falls nicht, mochte ich, dass Rook und du an ihr kleben bleibt, bis das vorbei ist. Ich will nicht, dass sie von irgendjemandem bedroht oder eingeschüchtert wird. « Er erinnerte sich an ihre Wut, mit der sie ihm schon vorher begegnet war und nahm an, es würde schon einiges benötigen, um sie zu erschrecken. »Keiner dieser Arschlöcher kommt auch nur in ihre Nähe, comprende?. »Verstanden, und wo wirst du währenddessen sein? « »Ich bin mir sicher, dass ihre Mutter ihr am Tag ihres Todes etwas gegeben hat. Falls Heather weiß, was das war, dann ist sie nicht wirklich bereit, diese Information mit mir zu teilen. Ich muss dir sagen, Farris, ich könnte es aus ihr herausbringen, aber nach allem, was ich ihr bislang zugemutet habe, habe ich einfach nicht mehr den Nerv dazu. Sie sollte sich auch nicht mehr daran erinnern können, wie ihr Vater erschossen wurde. « Caleb stolzierte zum Fenster und sah hinaus. »Vielleicht weiß sie gar nicht genau, was ihre Mutter ihr geben hat. Zur Hölle, es wäre schneller, einfach zum vergangenen März und dem Basar in Paris zurückzuspringen und noch mal selbst zu sehen, was es war. Wenn ihr Jungs landet, werde ich in San Francisco warten. Hoffentlich mit der Information die wir brauchen, um dieses Geld zu kriegen. « »Sie scheint im Augenblick ein wenig, äh, verärgert über dich zu sein«, sagte Farris mit einem leichten Lächeln. »Sie hasst mich zutiefst. Was insgesamt gesehen wohl auch das Beste ist. « Sein Magen krümmte sich. »Also gibst du ihr den Laufpass? « »Heather?« Caleb fragte, als ob er noch andere Frauen im Sinn hatte. »Sie war Teil der Operation. « Er musste nicht mehr lügen. »Der Auftrag ist beinahe vorbei. « »Und ich nehme mal an, es ist nur ein unbedeutendes Detail für den legendären Caleb Edge, dass die Frau nicht nur seine Ehefrau, sondern auch noch schwanger ist? « »Es wird Heather und Böhnchen gut gehen. « »Böhnchen?« »Das Baby. Verdammt! Was zur Hölle dauert da so lange da unten bei ihr? Sie wird keine Haut mehr übrig haben. « »Gibt es ein Fenster? «,fragte Farris. »Ja, gibt es. Ungefähr so groß.« Caleb deutete mit den Händen ein Viereck an. »Sie ist nicht dumm, Keir. Sie weiß, dass sich da draußen böse Jungs rumtreiben, selbst wenn sie nicht alles glaubt, was ich ihr erzählt habe. Sie wird nichts unternehmen, was sie selbst oder Böhnchen in Gefahr bringt. Sie mag es zwar nicht, wenn ich ihr Anweisungen gebe, aber sie wird tun, was nötig ist, um das Baby zu beschützen. « Er hoffte, dass er Recht hatte. DIE SASSI, MATERA SONNTAG, l6. APRIL 10 UHR 20 Heather warf einen kurzen Blick auf die Uhr im Auto. Laut Caleb war sie vor zwanzig Minuten ins Haus ihres Vaters gegangen und hatte zugeschaut, wie er erschossen wurde. An diesem Tag, ungefähr zu der Zeit. Das Ganze ergab absolut keinen Sinn für sie. Sie saß auf der Rückbank des Autos, Calebs Männer saßen vorne, und sie waren auf dem Weg zum Flughafen Bari. Ähnlich wie Caleb hatten auch diese versucht, sie dann zu überzeugen, dass es sicherer wäre, ganz zu schweigen davon auch viel sinnvoller, sie zurück nach San Francisco zu teleportieren. Sie hatte höflich, aber bestimmt abgelehnt. Sie konnte nicht bestreiten, was sie mit eigenen Augen gesehen hatte, aber das hieß nicht, dass sie bereit war, Böhnchen irgendetwas auszusetzen, von dem sie nicht wusste, ob es hundertprozentig sicher war. In keinem der Bücher, die sie über das Kinderkriegen gelesen hatte, gab es ein Kapitel über »Zauberei während der Schwangerschaft«. Gleich wenn sie zurück war, würde sie ihren Arzt aufsuchen, nur um sicherzugehen, dass mit Böhnchen alles in Ordnung war. Sie rieb ihr Bäuchlein und wusste, dass er dort warm und sicher zusammengerollt war, völlig unberührt von dem, was in der Welt seiner Mutter passierte - »O mein Gott! « Der Typ auf dem Beifahrersitz - Keir? - drehte den Kopf. »Was ist los? « »Äh - nichts. Ich dachte, ich hätte etwas vergessen«, sagte Heather atemlos. Er runzelte kurz die Stirn und drehte sich wieder um. Nehmen wir nur mal an, dachte sie und ihre Gedanken rasten. Nehmen wir an, Caleb ist wirklich das, was er behauptet. Bedeutet das etwa, sein Sohn wird auch ein Zauberer sein? Mein Gott. Sie konnte nichts davon völlig fassen. Konnte ein Nicht-Zauberer einen Zauberer großziehen? Sie ächzte beinahe beim Gedanken an die Konsequenzen von all dem, was Caleb ihr offenbart hatte. Es war ja nicht so, als könnte sie sich umdrehen und wieder zu ihm zurückgehen. Als könnte sie vorgeben, dass seine Lügen ihr nichts bedeuteten und sie ihm dem Baby zuliebe verzeihen könnte. Nein, Heather war weder so naiv noch so dumm. Je schneller sie von Caleb wegkam, desto besser würde es ihr gehen. Hoffentlich konnte sie auch ihr Herz davon überzeugen. Es sehnte sich immer noch nach ihm, wollte ihn 一 oder die Illusion von ihm. Das nämlich war alles bloß gewesen, eine Illusion. Nichts davon war real. Nun, bis auf das Baby. Nachdem sie ihren Gynäkologen aufgesucht hatte, würde sie als Nächstes zu ihrem Schließfach gehen und nach dem Schmuck ihrer Mutter schauen. Mit vor Trauer schwerem Herzen rief Heather sich ins Gedächtnis, wie ihre Mutter ihr die kleine Tasche nach dem Mittagessen gegeben hatte. »Ein verfrühtes Geburtstagsgeschenk. Öffne es später. « Heather hatte das beschenk in ihre Tasche gesteckt und es bei all dem Chaos in den folgenden Wochen dort vergessen. Sie war zu beschäftigt gewesen, am Leben zu bleiben. War es ihrer Mutter irgendwie gelungen, die antiken 5tucke als Weg zu benutzen, Zugang zu dem Geld zu bekommen, das sie von dem Geschäftskonto ihres Mannes gestohlen hatte? Wenn es so war, wäre es clever gewesen. Keiner würde daran denken, dort nachzusehen. Heather runzelte die Stirn. Ihr Vater hatte Kontonummern erwähnt. Diskret auf eines der Stücke gemalt oder eingraviert? Oder vielleicht gab es einen Schlüssel zu einem Schließfach unter all den Ohrringen, Armreifen und Ketten? Sie würde die Teile holen und nach Anhaltspunkten für das verschwundene Geld suchen. Es würde ihr gefallen, Caleb achtundvierzig Milliarden Dollar 一 in bar 一 in den Schoß zu schmeißen. Als sie den Flughafen erreicht hatten, musste Heather dringend aufs Klo. Böhnchen hatte zielstrebig eine Position direkt auf ihrer Blase eingenommen. Die beiden Männer, die sie begleiteten, waren äußerst geduldig, als sie sie zu zwei Toiletten begleiteten. Bedauerlicherweise blockierten bei beiden gelben Kegeln die Eingänge, um darauf hinzuweisen, dass sie wegen Reinigung geschlossen waren. war beinahe verzweifelt genug, die Typen zu bitten, sie so schnell wie möglich zum nächstgelegenen Badezimmer zu teleportieren. »Diese hier sieht vielversprechend aus«, meinte Keir Farris mit einem Lächeln und stellte ihren Kiemen Koffer neben sich ab. »Wir werden hier draußen warten«, versicherte ihr Tony Rook und lehnte eine Schulter gegen die Wand neben der Tür zu einer Damentoilette, die dankenswerterweise offen war. »Es wäre aber besser, sich zu beeilen. « »Ach, verflixt.« Heather sah eine Reinigungsfrau, die mit ihrem Putzwagen näher kam. Sie nahm den nunmehr schon bekannten gelben Kegel und gab Heather mit einem Lächeln den Wink, vor ihr hineinzugehen. Heather lächelte zurück. Wow, gutes Timing. Sie glaubte nicht, sie würde es noch zu einer anderen Toilette zu schaffen. »Ich beeile mich«, versprach sie mit einem Lächeln. Die Frau folgte ihr hinein, mit Wagen und allem, und begann bereits, Reinigungsmittel auf ein Waschbecken zu sprühen, als Heather in eine Kabine hineinrannte. Sehr erleichtert kam sie ein paar Minuten später wieder heraus. Sie ging zu einem der sauberen Spültische hinüber und warf einen Blick in den Spiegel, während sie sich die Hände abtrocknete. »Du meine Güte! Ich sehe wie eine Wilde in Borneo aus! « Sie schüttelte den Kopf und öffnete ihre Handtasche. Caleb hatte sich so verdammt beeilt, sie aus dem Hotel zu schaffen, dass sie ihre Haare nicht getrocknet hatte. Sie nahm ihre Bürste heraus und ließ die Tasche offen, da sie noch ihren Lippenstift benutzen wollte. Als sie die Hand hob, um sich mit der Bürste durchs Haar zu fahren, wurde sie von der Seite angestoßen. Sie drehte sich halb um und sah die Putzfrau und eine Nonne hinter sich stehen. Heather lächelte. »Mi scusi 一” Sie spürte einen Stich am Oberarm, ähnlich einem besonders fiesen Bienenstich, und dann wurde alles schwarz. Vierundzwanzig LES PUCES DE SAINT-QUEN PARIS EIN JAHR ZUVOR 12 UHR 07 Weil es an jedem beliebigen Wochenende Dutzende von Flohmärkten in und außerhalb von Paris gab, sparte sich Caleb die Zeit und begann mit seiner Verfolgung von Heather und ihrer Mutter direkt vor deren Haus bis zu jenem bestimmten Flohmarkt an der Rue Jules Valles. Für Caleb war es faszinierend, Heather so zu sehen, wie sie war, bis jene Ereignisse sie in eine Richtung geführt hatten, die ihr Schicksal mit seinem vereinte. Sie war wesentlich dünner, beinahe abgemagert. Selbst als er diese Heather sah, konnte er sich nicht vorstellen, dass seine Heather solch eine hautenge Jeans, hochhackige Stiefel und ein kurzes Nerzjäckchen tragen würde. Diamanten funkelten an ihren Ohren, am Hals und an den Handgelenken. Ihre Fingernägel waren gefährlich lang und in einem dunklen burgunderrot lackiert. Er bevorzugte die Art, wie sie sie jetzt trug, kurz und nicht bemalt. Ihr Haar hatte einen teuren, cremigen Blondton und war in einem verwirrenden Stil geschnitten, der vermutlich modisch war, auf Caleb aber unnahbar wirkte. Seine Finger riefen die fühlbare Erinnerung an die Beschaffenheit von Heathers Haaren in der Gegenwart ab. An die Art, wie sich die seidigen honigbraunen Flechten angefühlt hatten, als sie einige Strähnen über seine Brust streichen ließ, während sie sich geliebt hatten. Er musste die Erinnerungen an ihre körperliche Liebe und an alles, was sie geteilt hatten, wegsperren. Endgültig. Es war Zeit, nach vorne zu schauen. Unsichtbar folgte er den beiden Frauen den größten Teil des Vormittags von Stand zu Stand. Er beobachtete das meiste auf dem Flohmarkt mit doppelter Geschwindigkeit, manchmal sogar dreifacher. Er wollte lediglich sehen, was Babette Shaw ihrer Tochter gab, wenn sie ihr überhaupt etwas gab. Es war ein schöner Tag, um draußen zu sein und die beiden Frauen genossen die ersten Sonnenstrahlen seit etlichen Tagen. Sie waren aber dennoch nicht allein, wie Caleb bemerkte. Ein Dutzend Männer begleiteten sie, alle bewaffnet. Das war bei der Frau und der Tochter eines so reichen Mann wie Brian Shaw zu erwarten. Die Leibwächter waren unauffällig, in Jeans gekleidet wie die meisten der anderen Einkäufer, aber sie vergaßen ihre Aufgabe nicht. Ihre Augen waren überall. Caleb war froh, unsichtbar zu sein, denn sie waren äußerst gut in ihrem Job. Heather und ihre Mutter gingen Arm in Arm. Von Zeit zu Zeit kommentierte Heather etwas auf Englisch, aber meistens sprachen die Frauen Französisch. Ihr Fahrer, ein alter Mann, kümmerte sich um ihre zahlreichen Päckchen und war an diesem Morgen bereits ein halbes Dutzend Mal zum Wagen zurückgekehrt, um ihre Einkäufe zu verstauen. Caleb hatte alles überprüft, was sie gekauft hatten, während es ausgesucht und eingepackt wurde. Meistens hatten sie kleine Antiquitäten erstanden: ein Schreibpult, eine bronzene Urne, eine Garnitur Füller, etliche Vasen, ein ^tuck alter Spitze. Sie hatten Blumen gekauft, etwas Obst und Gemüse. Nichts von Bedeutung. Noch immer hatte die Mutter der Tochter nichts gegeben, und Caleb hatte sie genau beobachtet. Sie legten eine Pause zum Mittagessen ein, die Leibwächter nahmen ihre Positionen an den umliegenden Tischen ein. Der Fahrer war davongetrottet, um weitere Päckchen zum Wagen zu bringen, und war noch nicht zurückgekehrt. Zwei Frauen in Heathers Alter traten an ihren Tisch heran und wurden zum Mittagessen eingeladen. Caleb lehnte sich an eine Wand in der Nähe und behielt Heather und ihre Mutter im Auge. Er hörte zu, wie die vier Frauen über eine Party sprachen, auf der sie alle eine Woche zuvor gewesen waren, aber seine Gedanken schweiften zur heutigen Heather ab. Sie, Rook und Farris würden inzwischen auf dem Flughafen sein. Trotz des starken Schutzzaubers den er über sie gelegt hatte, war Caleb dennoch dankbar, dass die beiden Männer sie begleiteten. Er rieb seinen Nacken und fühlte ein Kribbeln von ... Was zur Hölle war das? Sorge? Er wusste doch, dass er sich um Heathers und Böhnchens Sicherheit keine Sorgen machen musste. Rook und Farris waren bei ihr, und sie würden bei ihr bleiben, bis er nach San Francisco käme. Er würde sich dennoch besser fühlen, wenn Heather zugestimmt hätte, zu Gabriel zu gehen. Aber sobald diese Sache mit dem Geld geklärt wäre, würde er versuchen, sie zu überreden, dass es die beste Lösung wäre, wenn sie bei seinem Bruder bliebe. Böhnchen und ihr würde es an nichts mangeln. Und er könnte sie beide sehen ... ab und zu. Gedankenverloren rieb er sich die Enge in seiner Brust. Wie lange würde sie sich darauf einlassen? fragte er sich und blickte auf den eleganten Schwung ihres Nackens, als sie über etwas lachte, das eine ihrer Freundinnen sagte. Das gleiche Lachen. Natürlich war es das. Das gleiche Funkeln in ihren haselnussbraunen Augen. Dies ist das Leben, du Idiot, zu dem Heather zurückkehren wird, wenn das alles vorbei ist. Dieses Leben. Er konnte sich nicht vorstellen, dass sie lange glücklich wäre, in einem winzigen Einzimmerapartment in San Francisco zu leben, besonders nicht mit einem Baby. Sie kam aus einem Elternhaus mit ungeheurem Reichtum. Der Art von Reichtum, den sich die meisten Leute nicht einmal vorstellen konnten. Sie würde nach Frankreich zurückkommen wollen, wenn alles vorbei wäre. Zurück hierher, nach Paris. Zu ihrem alten Leben. Heather und Böhnchen. Sein Sohn würde Französisch sprechen, bevor er Englisch lernte. Mein Gott. Er würde wahrscheinlich 一 Caleb schüttelte sich 一 Schnecken essen. Okay, eine schlechte Idee, jetzt an einen Teller escargots zu denken, die in Knoblauchbutter schwammen. Er wartete darauf, dass sein Magen protestierte. Nada. Nun, zur Hölle. Glückliche Tage. Die Gruppe stand vom Tisch auf, um sich zu verabschieden, und ging dann weiter, Caleb neben Heather. Sie drehte ihren Kopf, ein kleines Runzeln zwischen den Augenbrauen und schaute ihn direkt an. Verdammt! Konnte sie ihn sehen} Unmöglich ... Sie schüttelte den Kopf und drehte sich wieder um, um mit dem Fahrer zu sprechen, der zurückgekehrt war und sie auf dem Weg zum Wagen getroffen hatte. Caleb atmete hörbar auf. Sie hatte ihn nicht gesehen, da war er sich ziemlich sicher, aber irgendwie hatte sie gespürt, dass er dort war. Wie, da hatte er keine Ahnung. Die Vorstellung, dass Heather so auf ihn eingestimmt war, dass sie seine Anwesenheit auf irgendeiner Ebene spüren konnte, selbst ein Jahr, bevor sie sich tatsächlich begegnen würden, beunruhigte ihn ziemlich. Okay, mehr als ziemlich. Zumal er wusste, dass sie die Erste und Einzige war, die sich an einen Zeitsprung erinnern konnte. Der Fahrer reichte Heathers Mutter diskret eine kleine Papiertasche. Nichts, was eine der Frauen zuvor eingekauft hatte. »Hier ist das Geschenk für dich, mein Liebling«, sagte Babette Shaw in trällerndem Englisch und gab Heather beim Gehen die kleine Tasche. Heather lächelte. »Was soll das? Ich habe erst in zwei Wochen Geburtstag, Mutti, « »Steck es weg, Liebling. Heb es dir für deinen Geburtstag auf. Es ist ziemlich wertvoll, also pass gut darauf auf, ja? Versteck es irgendwo sehr, sehr sicher. « Bingo. Welche Frau würde nicht neugierig sein und darauf bestehen, das mysteriöse Geschenk sofort zu öffnen? Heather. Sie schob die kleine Papiertasche tief in ihre Tasche, die sie über ihrer Schulter trug. »Du tust ja sehr geheimnisvoll. « »Es ist etwas ziemlich Altes, das ich speziell für dich aufarbeiten lassen habe. Falls es größer gemacht oder poliert werden soll, musst du« 一 Babette legte eindringlich eine Hand auf dem Arm ihrer Tochter - »musst du es persönlich in die Schweiz bringen, um es reparieren zu lassen. Ich habe die Adresse des Geschäftes in die Tüte gesteckt. Du verstehst das, ja? « Caleb verstand es zweifellos. Heather offensichtlich nicht. »Ich werde sehr gut auf mein Geschenk aufpassen«, antwortete sie lächelnd und hakte sich bei ihrer Mutter unter, während sie weiterschlenderten. »Ich bin mir sicher, egal, was es ist, es wird mir gefallen. « Mit der Information, die er brauchte, schaute sich Caleb den Rest des Einkaufsbummels im Schnelldurchlauf an. Obwohl er wirklich sicher sein wollte, dass Heather das Päckchen erhalten hatte, nach dem alle suchten, spürte er ein schier überwältigendes Bedürfnis, in die Echtzeit zurückzukehren. Jetzt. Caleb legte einen Verfolgungszauber auf was zum Teufel auch immer in dem Päckchen war, und glitt wieder in die Echtzeit zurück. Weiterhin unsichtbar, teleportierte er sich in den Flieger, in dem Heather und seine Männer saßen. Sie brauchte ihn nicht zu sehen, aber er musste sie sehen. Drastisch geschwächt durch den Zeitsprung, musste sich Caleb an einer Rückenlehne festklammern, um nicht in den Gang zu stürzen. In letzter Zeit hatte es ihn jedes Mal mehr Kraft gekostet, wenn er in der Zeit zurücksprang. Er stabilisierte seine Knie und durchsuchte die erste Klasse nach ihr. Er musste nur kurz ihr liebes Gesicht sehen und sich vergewissern, dass es ihr gut ging, dann würde er abhauen. Ein Blick. Nur einer. Überraschenderweise waren die Treppen noch nicht vom Flugzeug weggezogen worden, und die Tür stand offen. Wieder überprüfte er den Erste-Klasse-Bereich. Dort waren im hinteren Teil drei leere Sitze. Keiner sah glücklich aus. Ihm waren die verärgerten Passagiere völlig scheißegal, die angeschnallt auf ihren Sitzen saßen und ungeduldig murmelnd auf ihr Uhren schauten. Was zum Teufel wurde hier gespielt? Er ging kurz durch den Rest des Flugzeuges. Keine Heather, kein Rook, kein Farris. Mit trockenem Mund und pochendem Herzen ging Caleb ins Cockpit. »... noch zehn Minuten«, sagte der Kapitän zu seiner Crew. »Wenn sie die vermissten Passagiere bis dahin nicht gefunden haben, haben wir die Erlaubnis erhalten zu starten. « »Es ist merkwürdig, nicht wahr? « Ein männlicher Flugbegleiter drehte seinen Ehering um den Finger, während er zwischen Pilot und Copilot hin und her schaute. »Wie kann eine Frau aus einer Toilette in einem überfüllten Terminal verschwinden, ohne dass sie jemand sieht? « »Die Polizei fragt sich, weshalb sie und die beiden Männer, mit denen sie reiste nicht -« Genug. Caleb war fort. Er materialisierte sich neben einem Zeitungsstand innerhalb des Terminals und ging dann auf die Suche nach seinen Männern. Wie zur Hölle hatte das passieren können? Geschützt durch einen solch starken Schutzzauber, hätte niemand fähig sein sollen, in ihre Nähe zu gelangen. Sie war abgehauen. Die kleine Närrin war abgehauen. Fünfundzwanzig »Schlag sie noch einmal«, sagte die Stimme eines Mannes tonlos. Heather kam in einer Welle reinster Panik wieder zu sich. Ihr Herz raste, eisiger Schweiß badete ihren Körper, als sie ins Gesicht geschlagen wurde. Sie hatte kaum Zeit um zu registrieren, was passierte, als sie ein weiterer Schlag traf. Dieses Mal schrie sie. Ihr Hinterkopf schlug gegen etwas Hartes, und sie biss sich auf die Zunge. Salziges, metallisch schmeckendes Blut füllte ihren Mund, und ein Schrei des Entsetzens blieb ihr im Halse stecken. Was war hier los? Ihr benommener Verstand versuchte, sich zusammenzureimen, wo, wann und wer sie war. Ihr Magen verkrampfte sich, als sie wieder geschlagen wurde. Sie versuchte, die Augen zu öffnen, aber sie füllten sich vor Schmerzen sofort mit Tränen und trübten ihr die Sicht. Bam! Sie hörte ein lautes Knacken, und ihr wurde klar, dass es ihr Kopf war, der die Rückenlehne des Stuhles zerbrach, auf dem sie saß. Die Gewalt war aus dem Nichts gekommen. »Was zur 一? «Ihre geschwollene Zunge weigerte sich, die Worte zu artikulieren. Die Schläge kamen methodisch, ohne ihr eine Chance zu geben zu denken oder zu protestieren. Schwindelig und verwirrt, versuchte sie herauszubekommen, was passierte. Nichts ergab einen Sinn. Ihre gesamte Welt drehte sich nur um ihre Schmerzen. Feuer brannte quer über ihre rechte Gesichtshälfte. Ihre Ohren klingelten, die Arme waren nach hinten gebogen, die Beine taub. Heather sortierte die Empfindungen und malte sich aus, wie sie mit Armen und Fußgelenken an einen Lehnstuhl gefesselt war. Wie lange hatten die sie schon geschlagen? Wie groß war die menschliche Leidensfähigkeit? Sie hatte in ihrem ganzen Leben noch nie solche Höllenqualen gelitten. Sie schrie wieder, als ein besonders harter Schlag sie umwarf. Ihr Gehirn begann bruchstuckhafte Erinnerungssplitter zusammenzusetzen. Der Flughafen, die Flucht vor den Bösen und Caleb, die Toilette, die Nonne und die Putzfrau 一 wie war sie hierhergeraten? »Warte«, befahl die tonlose stimme. Bis ins Mark verängstigt, drehte sie vorsichtig den Kopf. Wer wurde einer solch frostigen Stimme nicht gehorchen? Heather linste in seine Richtung. Sie war bereits völlig verschreckt. Nun verstärkte sich ihre Angst noch mehr, als sie den Mann wiedererkannte, der ihren Vater erschossen hatte. Sie versuchte, ihre Tränen wegzublinzeln. Es war schwierig, einen Gedanken zu fassen, schwer, sich zu konzentrieren, dennoch musste sie es versuchen. Sie berührte ihre aufgeplatzte, geschwollene Lippe mit der Lungenspitze und spürte die Kanten eines empfindlichen Schnittes. Ihr Kopf fühlte sich an, als würde er fünfzig Pfund wiegen. »Warum? «, gelang es ihr herauszuwürgen. Die Bilder ihres Vaters, der tot in seinem eigenen Blut lag, weckten plötzlich Mut in ihr. Der Mann hob ihren Kopf an, seine Faust unter ihrem Kinn. »Wo ist Ihr Vater, Miss Shaw? « »Er ist ...« Sie blinzelte schnell und wiederholte die Szene vom Mord an ihrem Vater in ihrem Kopf. Er war tot. Dieser Mann hatte ihn getötet. Richtig? Gott, dies war ein Albtraum. Der Mann zog seine Faust fort, und ihr Kopf fiel nach vorne, aber nur um wieder nach hinten zu fliegen, als sie erneut geschlagen wurde. »Stopp! «, schrie sie und würgte. Sie sank in ihre Fesseln und mobilisierte Reserven, von denen sie nicht einmal wusste, dass sie darüber verfügte, um bei Bewusstsein zu bleiben. Es wäre leichter, der Dunkelheit nachzugeben, die hinter den Schmerzen lag, aber sie konnte es nicht. Sie war die einzige Hoffnung für ihr Baby. »Wer sind Sie? « »Fazuk AI-Adel. Ich bin ein Kunde deines Vaters. « Er warf dem bulligen Schatten eines Mannes, der neben ihrem Stuhl stand, einen verstohlenen Blick zu. »Wenn Sie uns freundlicherweise sagen würden, wo er ist, Miss Shaw, wären wir fertig mit Ihnen. « Das klang nicht vielversprechend. »Fertig« im Sinne von sie würde aufhören, sie zusammenzuschlagen und sie ihrer Wege gehen lassen? Oder »fertig« im Sinne von sie würden sie erschießen und wären dann fertig mit ihr? Sie konnte nur auf einem Auge sehen, und als sie den Kopf drehte, um AI- Adel anzusehen, musste sie sich beinahe übergeben. Das hier war so irreal. »Sie - Sie h-haben ihn erschossen. « AI-Adels Gesichtsausdruck versteinerte sich. »Ihr Vater wurde erschossen? Wollen Sie mir erzählen, er sei tot?« Der Raum wurde langsam deutlicher, obwohl Heather immer noch das Gefühl hatte, alles wie unter Wasser zu sehen. Sie blinzelte weiter mit ihrem unverletzten Auge und versuchte, die beiden Männer klarer sehen zu können. Mühsam stieß sie hervor: »Natürlich ist er tot. Sie haben ihn umgebracht. « »Das war ich nicht«, versicherte ihr Al-Adel ziemlich hitzig- Sie wiederholte die Worte in ihrem Kopf. Arrangierte sie neu, bis sie irgendeinen Sinn ergaben. »Doch, das waren Sie. « Sie nickte, oder zumindest versuchte sie es. »Ich habe gesehen, wie Sie ihn erschossen haben. « Heather schloss erschöpft die Augen. Sie erinnerte sich schwach an einen Stich in den Arm auf dem Flughafen, was bedeutete, dass die Putzfrau sie betäubt haben musste. Schwer schluckend dachte sie an ihr Baby. Armes Baby. Armer Caleb. Er hatte versucht, sie und Böhnchen wegzuschicken, damit sie in Sicherheit waren, doch sie waren genau in den Armen des Feindes gelandet. Al-Adels Augen verengten sich zu wütenden Schlitzen. »Das ergibt keinen Sinn! «, knurrte er, dann drehte er sich zu einem der anderen Männer um. »So ist sie nutzlos für mich. Ich habe ausdrücklich gesagt, sie soll wach und bei Bewusstsein sein. Weck sie auf. « Heather stöhnte auf und wünschte sich von Herzen, dass Caleb auftauchen würde und irgendeine Zaubernummer abziehen würde. Irgendetwas, das sie und Böhnchen aus dieser Hölle retten würde. Die Zeit einfrieren, sie teleportieren, egal, was, damit sie und ihr Baby von diesen schrecklichen Männern wegkamen. Gott, was nützte es, einen Zauberer zu lieben, wenn er sie nicht aus dieser Art Notlage befreien konnte? Ihr Herz schmerzte, als ihr klar wurde, dass sie ihn immer noch aufrichtig liebte, trotz allem, was sie durchgemacht hatten. Es hatte etwas Ironisches an sich, dass Caleb ein meisterhafter Manipulator der Zeit war, die Zeit für seine Familie jedoch ablief. »Wach auf«, ordnete die frostige, tonlose Stimme an. Da sie keinen weiteren Schlag in ihrer pochendes Gesicht riskieren wollte, versuchte Heather, ihr Kinn von der Brust anheben. Langsam öffnete sie die Augen und warf Al-Adel einen absichtlich leeren Blick zu. Sie blickte sich um und versuchte, eine schnelle Bestandsaufnahme ihrer Umgebung zu machen, während sie den Anschein von Drogen ausgelöster Betäubung aufrechterhielt. Der Raum war riesengroß, und das einzige Licht kam von einem gewaltigen Aquarium an der hinteren Wand. Außer Al-Adel zählte sie sechs oder sieben schattenhafte Figuren, von denen sie annahm, es wären seine Männer. Ihr Schrecken verstärkte sich. Ihre Entschlossenheit ebenfalls. Sie richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf die mühelosen Bewegungen der leuchtend bunten Salzwasserfische im Aquarium gegenüber und betete um einen Plan. Schnell. Falls Al-Adel dachte, er habe sie völlig zugedröhnt, konnte ihr das ein wenig Zeit verschaffen. Hoffentlich. Vom Vor und Zurück, Vor und Zurück der herumschwimmenden Fische beinahe hypnotisiert, schwankte Heather von einer Seite zur anderen, als hätte sie ein paar Gläser Champagner zu viel gehabt. So wie sich ihr Magen vor Übelkeit zusammenzog, war das auch nicht besonders weit hergeholt. Die kalte Stimme des Mannes hatte einen ärgerlichen Unterton. »Wie viel Phenobarbital haben die Frauen ihr gegeben? « »Sophia sagte, die doppelte Dosis, vierhundert Milligramm. « Phenobarbital? Ihre Gedanken überschlugen sich und sprangen wieder zur Sicherheit ihres Babys zurück. Welche Auswirkungen würde das haben? Sie unterdrückte ein Schluchzen und fragte sich, ob es überhaupt noch etwas ausmachen würde. Falls Caleb nicht bald kam, würden sie und Böhnchen beide tot sein. Sie zerrte an ihren Fesseln. Es war gleichgültig, wie verzweifelt sie aus dem Stuhl springen und um ihr Leben rennen wollte, sie konnte die engen Stricke nicht zerreißen, die ihr in die Hand- und Fußgelenke schnitten. Für ihre Anstrengungen erhielt sie einen Schlag auf den Hinterkopf. »Sie wacht wieder auf«, hörte Heather einen Mann sagen. »Nicht schnell genug«, blaffte Al-Adel. »Die Zeit spielte eine große Rolle«, sagte der andere Mann verteidigend. »Sie hatte zwei Leibwächter direkt vor der Tür. Sie musste im Putzwagen herausgeschoben werden. Jedes Geräusch 一” »Ja, ja«, blaffte Al-Adel. Heather zuckte zusammen, als er seine Hand unter ihr Kinn schob und ihr Gesicht hochhob. Heather leckte ihre aufgesprungenen, blutigen Lippen. »Mein Ehemann wird mich holen. Sie werden damit nicht davonkommen. « Ich liebe dich, Liebling. Denk daran. Versprich mir, wenn irgendetwas passiert 一 Versprich es mir. Wenn er ein Magier war, dann konnte er vielleicht ihre Gedanken hören. begann, in ihrem Kopf zu schreien: Etwas ist passiert! Spul mich zurück oder was auch immer das ist, was du machst! »Wo ist denn dieser Ehemann? « Als sie nicht antwortete, ließ er etwas eisig Spitzes gegen ihre Wangen schnalzen. »Arbeitet er für deinen Vater? « »Nein, und hören Sie auf, mich herumzustoßen, verdammt noch mal!« Würde es ihr helfen, wenn er glaubte, sie sei verrückt? Die Wahrheit könnte ihr vielleicht helfen. »Caleb ist ein Zauberer. Er hat spezielle Kräfte, aber selbst die konnten meinen Vater nicht wieder zum Leben erwecken. « AI-Adel fluchte und trat zurück. »Sie ist zu weggetreten, um etwas Sinnvolles von sich zu geben. Nein, keine Drogen mehr fürs Erste. Letzte Chance, Miss Shaw, bevor ich das Spiel einfach beende. Wo ist Ihr Vater? « Sie blinzelte verängstigt. »Tot.« Seine Lippen waren nur mehr eine schmale wütende Linie. »Und wo ist mein Geld? « »Ihr Geld? Oh, richtig.« Plötzlich schien sich alles in ihrem Leben nur noch um dieses verdammte Geld zu drehen. Es war der Grund, weshalb Caleb sie benutzt hatte, weshalb ihre Mutter tot war und weshalb AI-Adel ihren Vater umgebracht hatte. Heather ließ ihren Tonfall besonders oberflächlich klingen. Zur Hölle mit dem Geld, wo war Caleb? »Papa hat das Geld nicht gestohlen. Soweit ich gehört habe, war es sehr, sehr viel Geld. Jedoch nicht alles Ihres, oder doch?« Sie stellte sich achtundvierzig Milliarden Dollar in Zehndollarscheinen vor. So viel Geld würde ein ganzes Zimmer füllen 一 ihre ganze verdammte Welt füllen. »Wer hat es? «, fragte sie und redete absichtlich undeutlich. Das war eine hervorragende Frage. Zu blöd, dass sie die Antwort nicht kannte. war verrückt, versuchte, vernünftig zu werden, und gab vor, übergeschnappt zu sein. Noch übergeschnappter? Sie musste würgen, als er ihren Hals zwischen seinen Fingern in einem Griff zusammenquetschte, der so schmerzhaft war, dass sie für etliche Sekunden weder hören noch sehen konnte. »— du weißt, wer das Geld bewegt hat? « Wenn sie ihm etwas gab, konnte sie vielleicht noch einen Tag am Leben bleiben und Caleb eine bessere Chance verschaffen, sie und Böhnchen zu finden. »Mein Geburtstagsgeschenk. Ich glaube«, sagte sie mit der Genauigkeit eines Betrunkenen. »Ich glaube, es ist ein Hinweis. Ich denke, meine Mutter hat das Geld geklaut. Können Sie sich das vorstellen? Meine Mutter? Wer hätte das gedacht? Sie etwa? Haben Sie meine Mutter je getroffen? Grace Kelly. Das war sie. Grace …«Heather lauschte ihrem undeutlichen Gebrabbel und versuchte, sich zu zügeln. Gott. Übertrieb sie es? Wie leicht es war, sich vorzustellen, dass dies alles jemand anderem passierte. Aber sie war nicht mehr die reiche, verwöhnte Erbin. Sie war Böhnchens Mutter und die einzige Hoffnung ihres Babys, solange Caleb nicht auftauchte. Fokussiere. Konzentrier dich darauf, was du sagst, und pass auf, ermahnte sie sich streng. Konzentrier dich. Das hier ist wirklich, wirklich übel und wird wohl auch nicht besser. Sie zitterte und riss sich zusammen. Al-Adel ließ ein Klappmesser aufspringen, die Klinge glänzte gefährlich nahe an ihrem Gesicht. Heather wurde beinahe ohnmächtig, als sie sich ausmalte, wie diese sanft durch ihren Hals schnitt. Sie biss die Zähne zusammen, hob ihr Kinn ein Stückchen an und forderte ihn wortlos auf, sie schnell zu töten. Dann wappnete sie sich und wartete auf seinen nächsten Zug. Al-Adel schnitt die Fesseln von ihren Armen und Beinen und packte mit harter Faust die Vorderseite ihres Kleides. Der Stoff zerriss, als er sie auf die ruße zerrte. »He! «, murmelte sie und taumelte. Eine eiskalte Hand ergriff ihren Oberarm und riss sie hoch, als ihre Knie einknickten und ihr Kopf vorplumpste. »Kannst du gehen? « Sie versuchte es gar nicht erst. Die Stiche, die ihr durch Arme und Beine fuhren, als das Blut wieder zurückkehrte, waren nichts, verglichen mit dem schneidenden Krampf in ihrem Bauch. Durchhalten, Baby, durchhalten. Eine Hand hielt ihren Arm, Finger krallten sich in ihr Haar, um ihren Kopf oben zu halten. »Wie alt sind Sie, Miss Shaw? « Er begann, sich mit ihr in Bewegung zu setzen. »Dreißig?« Sie stöhnte. »Wann ist Ihr Geburtstag? « Heather runzelte die Stirn und versuchte herauszubekommen, was er eigentlich wollte. »Am neunundzwanzigsten März ...« Der Raum, in dem sie sich aufhielten, war irgendeine Art Praxis mit Zertifikaten an den Wänden und menschlichen Organmodellen und einer Wirbelsäule, die auf schwarzen Sockeln auf einer Anrichte aufgereiht standen. Selbst ohne helles Licht konnte sie sehen, dass der Raum vornehm eingerichtet war, mit grauen, stoffbezogenen Wänden und einem dicken, schwarzen Teppich am Boden. Geschmackvolle Gemälde wurden durch das surreale Auf- und Abebben der quer über die Wände plätschernden Lichter des Aquariums erleuchtet. »Und was hat deine Mutter dir zu deinem letzten Geburtstag gegeben, Heather? Sag mir, was sie dir geschenkt hat. « Ihre Knie knickten wieder ein, dieses Mal zum Teil, weil sich ihre Beine wirklich wie Wackelpudding anfühlten, und teilweise, weil sie diesen Mann glauben lassen wollte, dass sie immer noch weggetreten war. Er hatte den Köder geschnappt 一 würde es ausreichen, um sie am Leben zu erhalten? Er wurde sie brauchen, damit sie ihm zeigte, wo der Schmuck war, und um an ihr Schließfach zu gelangen. Es könnte ihr die Möglichkeit zu Flucht geben. Sie brauchte jeden Vorteil, den sie kriegen konnte. Ihre Zähne klapperten aufeinander, als er sie wieder hoch- zerrte. »Mir ist schlecht«, stieß sie hervor. Ihre Augen füllten sich mit Tränen, und es gelang ihr, eine Hand über ihren Bauch zu legen, »Tun Sie mir nicht weh. Bitte.« »Dann sag mir, was deine Mutter dir gegeben hat. Sag mir, wie ich das Geld zurückkriege, das angeblich sie gestohlen hat. « »Ich kann nicht. Ich erinnere mich nicht, ich 一” Knurrend schleifte er sie hinter sich her in Richtung Aquarium. Das Entsetzen ließ sie verstummen. War sie zu weit gegangen? Heather wehrte sich wie ein Wurm am Haken und dachte rasend schnell nach. Keir und Tony würden im Augenblick nach ihr suchen, das wusste sie ohne jeden Zweifel. Gewiss würden sie Caleb in dem Moment kontaktieren, in dem ihnen klar wurde, dass sie nicht mehr auf der Toilette am Flughafen war. Caleb wurde ganz bestimmt nach ihr suchen. Aber weshalb war er dann nicht hier? fragte sie sich unter Schmerzen, während Al-Adel sie gegen die Wand des riesigen Aquariums schleuderte. Ihr Gesicht bekam das meiste ab, als sie gegen die solide Glaswand prallte. Sie sah buchstäblich Sterne und vernahm ein widerliches Knirschen, das von ihrer Nase stammen musste. Sie glitt zu Boden. Heather blendete alles aus, außer Caleb. Caleb würde kommen. Nicht bloß ihretwegen. Wegen Böhnchen. Caleb würde wegen seines Sohnes kommen. Oder würde er das etwa nicht? Und wenn er käme, würde er rechtzeitig genug sein, um sie beide zu retten? »Wenn Sie weiterleben wollen, Miss Shaw, beantworten sie diese beiden einfachen Fragen. « AI-Adel zerrte sie auf die Füße. Heather war kaum noch bei Bewusstsein und konnte nicht stehen. Seine Worte vermischten sich und verschmolzen, pulsierten im gleichen Takt wie ihr panischer Herzschlag, der ohrenbetäubend in ihren Ohren pochte und qualvoll durch ihre gebrochene Nase klopfte. Calebcalebcaleb. Er schüttelte sie brutal. Ihr Kopf flog vor und zurück wie bei einer Stoffpuppe. Von den Schwellungen in ihrem Gesicht halb blind, wurde Heather durch das Blut in ihrem Mund beinahe erstickt. Calebcalebcaleb. »Was hat deine Mutter dir gegeben? «, schrie er. Schüttle, schüttle, Faustschlag. O Gott. Höllenqual. Heather ließ ihr Gesicht ungeschützt, um ihren Bauch vor den Schlägen zu bewahren. »Und wo ist es? « Sie fühlte, wie sie vom Boden gehoben wurde, seltsam leicht, dennoch war da diese furchtbare Schwere in ihr. Metall kratzte gegen Glas. Der Deckel des Aquariums? Etwas Schweres fiel mit einem lauten metallischen Krachen auf den Boden. Sie spürte, wie sie hochgehoben und über eine harte Kante geschoben wurde. Das verschwommene Licht schmerzte in ihren Augen. Was ...? Wasser. Nahe. So nahe. Es ergab keinen Sinn. Irgendetwas Hartes schnitt ihr in den Bauch. Böhnchen ... Kaltes Wasser strömte über ihr Gesicht, durchdrang ihr halb weggetretenes Bewusstsein. Sie riss die Augen auf. Blut und ihre langen Haare trieben vor ihrem Gesicht. Sie wehrte sich und strampelte schwach mit den Beinen. Ihre Lungen brannten, als atmete sie Feuer. Ab Adel drückte ihren Kopf mit eisernem Griff unter Wasser. Ein aquamarin-gelber Fisch schwamm direkt vor ihrer Nase. Ogottogottogottogott. Sie versuchte, sich über den Rand des Beckens zu hieven, aber er drängte gegen ihre Beine und hielt sich an der Wand des Aquariums fest. Wasser stieg ihr in die Nase und füllte ihren Mund. Sie kämpfte darum, ihren Atem anzuhalten, während alle Geräusche verschwanden 一 mit Ausnahme des unregelmäßig dröhnenden Pulsschlags ihres eigenen Herzens in den Ohren. Rotes Blut vermischte sich mit herumwirbelndem Schwarz und trübte ihre Sicht, als sie das Bewusstsein zu verlieren begann. Böhnchen. Neeeiinn. Je starker sie sich wehrte, desto schwächer wurde sie. Al-Adel zerrte ihren Kopf hoch. Raus aus dem Wasser. »Beantworte die Fragen. « Sie hing schlaff, würgte, hustete und versuchte verzweifelt, Luft in ihre brennenden Lungen hineinzuziehen. »Armreife.« Wieder zwang er ihren Kopf unter Wasser. Sechsundzwanzig FLUGHAFEN BARI SONNTAG, l6. APRIL 14 UHR I5 »Hallo, Edge Nummer zwei. Deine Anwesenheit wird erforderlich-« »Sofern dieser Anruf nicht wegen Heather ist, bin ich nicht interessiert. « Caleb unterbrach Lark mit tonloser Stimme. Grimmig 一 in Panik. Er war auf der Damentoilette, wo Heather zum letzten Mal gesehen worden war. Zuletzt gesehen. Mein Gott. Es fühlte sich an, als hatte er in der letzten halben Stunde nicht geatmet. ist verschwunden. « Caleb war beinahe außer sich vor Sorge um Heather und Böhnchen, und sein Magen verkrampfte sich vor Angst um die Sicherheit der beiden. Sie konnte nicht verschwunden sein, dachte er zum vielleicht tausendsten Mal während der letzten dreißig Minuten grimmig. Unmöglich. Er hatte einen Schutzzauber über sie gelegt. Einen mächtigen Zauber, den er zudem noch verstärkt hatte. Sofern Heather sich nicht selbst entschlossen hatte, auf ihren zwei Beinen aus der Toilette heraus zu stoizieren, hätte niemand, absolut niemand in der Lage sein sollen, in ihre Nähe zu gelangen und ihr zu schaden. Dennoch wusste Caleb mit jeder Faser seines Körpers, dass Heather nicht nur vor der Nase von zwei hochqualifizierten Agenten verschleppt worden war, sondern dass sie in Gefahr schwebte, in ernsthafter Gefahr. Sein verdammter Schutzzauber hatte überhaupt nichts genützt. Wie war das möglich? Er fuhr sich mit den Fingern durchs Haar und fühlte, wie sich seine Brust vor Frustration zusammenzog. Ein anderer Zauberer? fragte er sich. Er schüttelte den Kopf, verwarf den Gedanken. Er hatte während dieser Operation zu keiner Zeit einen anderen Zauberer wahrgenommen. Also kein anderer Magier, aber warum hatte sein Zauberspruch dann nicht funktioniert, Gott verdammt? Vielleicht waren seine Kräfte durcheinandergeraten. Er drehte sich zum Spiegel um, damit er diese Möglichkeit überprüfen konnte, schnipste kurz mit dem Finger und zersplitterte das Glas in Millionen kleiner Bruchstücke. Danach führte er die Splitter ebenso leicht wieder zusammen, indem er den Impuls wieder umkehrte. Der Spiegel war wieder vollständig an seinem Platz, inklusive der Wasserflecken und der verschmierten Fingerabdrücke. Wie? Weshalb? Was zum Teufel passierte gerade mit seiner Magie, dass ein relativ einfacher Schutzzauber versagt hatte? Und warum um Gottes willen, war er von seinem letzten Zeitsprung so lächerlich geschwächt und würde für Stunden nicht in der Lage sein, so etwas zu wiederholen? Heather blieben vielleicht keine Stunden mehr. Er musste sie in Echtzeit finden. Echtzeit. Echt schnell. Gott sei Dank schien seine Morgenübelkeit vorbei zu sein. Er musste jetzt in Bestform sein. Er ignorierte sein eigenes körperliches Unwohlsein - es würde vorübergehen 一 und begann, die Toilettenkabine ganz rechts zu durchsuchen. Ein weiteres Mal. Er suchte nach irgendetwas, irgendeinem Anhaltspunkt. Er hatte beinahe vergessen, dass er immer noch mit Lark telefonierte. »Was meinst du mit >verschwundenFrauenproblem<.« Lark schüttelte den Kopf, die pinkfarbenen Streifen in ihrem Haar reflektierten das fluoreszierende Licht. »Die bösen Jungs - bösen Mädchen in diesem Fall-hatten also mehr als fünfzehn Minuten Vorsprung? « »Siebzehn verdammte Minuten. Sie können sie überall hin gebracht haben. Wir sind auf einem Flughafen, um Himmels willen. Sie können sie ...« »Sie ist immer noch hier in Bari«, versicherte ihm Lark und legte eine Hand auf seinen Arm, was sofort einen beruhigenden Effekt hatte, den er aber trotzdem abschüttelte. »Wo? Ist das nicht deine besondere Fähigkeit? Hellseherei?« »Glaub nicht alles, was du hörst, Edge Nummer zwei. Wenn ich dir deine Zukunft vorhersagen würde, würdest du ausflippen. Außerdem, jemandem zu erzählen, was vermutlich passieren wird, könnte dessen Verhalten beeinflussen, folglich das verändern, was passieren soll. Es ist ein totales Karma-Ding. « »Scheiß-Karma. Das hier ist alles meine verdammte Schuld. « Er schlug mit der Faust auf den Handtuchspender. »Herrgott noch mal! Niemand hätte in der Lage sein sollen, in ihre Nähe zu gelangen! Der Zauberspruch hat einfach nicht funktioniert«, presste er durch seine zusammengebissenen Zähne. Sie beobachtete ihn, ihre grauen Augen waren klar. »Warum glaubst du, ist das so? « »Lass es, Lark. Nicht jetzt.« Ah, Mist - »Ich verliere gerade meine Kräfte, nicht wahr? «, fragte er heiser. »Mein Gott.« Er schlug wieder den Handtuchspender, der mit einem Klappern von der Wand fiel. Beim Anblick der Zurschaustellung seiner Betroffenheit hob sie ihre mehrfach gepiercte Augenbraue. »Vielleicht deine Beherrschung, aber du verlierst nicht deine Kräfte, Edge Nummer zwei, das kann ich dir versichern. Ich würde vorschlagen, du versuchst rauszukriegen, weshalb sie bei Heather nicht funktionieren. Bevor es zu spät ist. « Zu spät? Die Worte trafen ihn wie ein Fausthieb. Eine düstere Vorahnung ließ Caleb in eiskalten Schweiß ausbrechen, und er rieb die Faust über den vertrauten Schmerz in seiner Brust. Sie war nicht tot. Das wüsste er. Wo bist du, Heather? Wo in Gottes Namen bist du? »Sag Gabriel, er kann mir später die Kurzfassung über das Treffen geben. Im Augenblick ist mir, mit Ausnahme von Heather und Böhnchen, alles völlig egal. « Dank Lark hatten Caleb und Rook eine Ortsangabe. Obwohl die talentierte Empathin den Männern eine skizzenhafte Beschreibung des Gebäudeinnern geben konnte, konnte sie nicht definitiv sagen, wo genau Heather in dem fünfzigtausend Quadratmeter großen medizinischen Zentrum festgehalten wurde. Es war nach Geschäftsschluss, und auf dem Parkplatz hinter dem zweigeschossigen Gebäude standen lediglich etwa ein Dutzend Fahrzeuge. In dem Augenblick, als er sich im Gebäude materialisierte, roch Caleb den vertrauten Gestank des Todes. »Bericht? «, fragte er leise in sein Lippenmikrofon. Rook hatte sich auf die andere Seite des Gebäudes teleportiert. Laut Plan sollten die beiden Männer jeden Raum überprüfen, bis sie sich in der Mitte trafen. Oder bis sie Heather gefunden hatten. Sein Verstand raste ebenso wie sein Puls. Er stellte sich seine Frau vor, seine Ehefrau verdammt noch mal, und entsandte einen verzweifelten, aber nutzlosen Gedanken. Wo bist du? Er hätte im Augenblick alles dafür gegeben, telepathische Kräfte zu besitzen. Eine einfache Verschmelzung der Gedanken und sie wäre gerettet und bei ihm. Er ignorierte die Schwäche, die dafür sorgte, dass sich seine Beine wie Götterspeise anfühlten. Es würde vorbeigehen, aber in der Zwischenzeit war es eine deutliche Ermahnung, dass er bis zum Ende des Rettungsversuches keine Magie benutzen konnte. Nicht Versuch, verflucht, sondern Rettung. Er konnte es sich nicht leisten, Energie zu verschwenden, um unsichtbar zu bleiben. Er hatte seine Kraftreserven aufgebraucht, um in der Zeit zu springen, unverzüglich gefolgt von dieser kurzen Teleportieren. Er war so ziemlich ohne Saft und Kraft. Und offen gesagt, dachte er wütend, als er mit gezogener Waffe einen Gang hinunterrannte, war es ihm scheißegal, ob ihn jemand sah oder nicht. Seine Reserven waren so erschöpft, dass dieser Einsatz ohne irgendeine seiner magischen Fähigkeiten stattfinden musste, sofern er nicht direkt mit Heather zu tun hatte. Er musste das Verlorene wiederauffüllen, damit er sich mit Heather, wenn nötig, hier herausteleportieren konnte. Und der einzige Weg, das zu tun, war abzuwarten. »Eine Frau tot in ihrem Auto. Seitlicher Parkplatz«, flüsterte ihm Rook mit düsterer Stimme ins Ohr. »Kehle durchgeschnitten. O Scheiße. Da ist ein Kind auf dem Rücksitz angeschnallt - Mann, ich hasse es verdammt noch mal wenn Kinder - verfluchter Mist. Es schläft! Ich bring das Kleine zu Lark. « Böhnchen, Herrgott, Böhnchen. Calebs Herz verkrampfte sich. Er hatte noch nie so viel zu verlieren gehabt. Als er vor ein paar Jahren in das zerbombte Gebäude in Beirut gegangen war, um die Tochter eines Diplomaten aus den Fängen eines Terroristen zu retten, hatte er dem Mädchen keinen weiteren Gedanken geschenkt. Sie war nichts weiter als ein Job. Das hier war nichts anderes, ermahnte er sich. Er musste seine Gefühle gemeinsam mit der persönlichen Verbindung beiseitelegen. Er musste es tun, damit er voll einsatzbereit war. Er schaute den langen, türlosen Gang hinunter, während er mit erhobener Waffe auf die Eingangstür des Gebäudes zurannte. Das Klingeln einer sich öffnenden und schließenden Aufzugtür ertönte. Caleb rannte noch schneller, dann hielt er kurz an, um einen schnellen Blick um die Ecke zu werfen. Eiskalte Ruhe überkam ihn, als er die Leichen beim Aufzug neben einer Apotheke entdeckte 一 ein weiteres Werk der Terroristen. Drei verstümmelte Körper lagen auf dem Boden ausgestreckt, halb im Aufzug drin, halb draußen. Die Tür klingelte und öffnete sich, dann versuchte sie sich zu schließen, wurde aber von den Leichen blockiert und öffnete sich mit einem erneuten Klingeln. Caleb erfasste die Situation blitzschnell und versuchte seine professionelle Distanz beizubehalten. »Drei Frauen. Mein Gott -«,flüsterte er ins Mikrofon. »Wie schlimm?« Professionelle Distanz war unmöglich, denn bei dieser Art von Beweisen wusste er mit grausiger Gewissheit, wer Heather als Geisel hielt, Gott steh ihr bei. »Schlimm wie Fazuk Al-Adel«, erklärte Caleb Rook mit heiserer Stimme und trat über das Gewirr von Armen, Beinen und anderen abgetrennten, nicht zu unterscheidenden Teilen. Er umging die versickernde Lache von geronnenem Blut, das den Teppich verdunkelte, und ging weiter. Sein einziger Gedanke war Heather zu finden. Bitte, Gott, lass mich nicht zu spät kommen. »Al-Adel? «, fragte ihn Rook ins Ohr. »O verdammt. Der Dr. Mengele dieses Jahrhunderts.« Caleb verstärkte den Griff um die Waffe und rief sich ins Gedächtnis, dass Al-Adel perverses Vergnügen daraus zog, seine Gräueltaten auszuführen. Er erinnerte sich an einige der Fotos, die T-FLAC veröffentlicht hatte, und zuckte zusammen. Der kranke Mistkerl hatte offensichtlich eine Zeitlang an den Mitarbeitern und Patienten des Zentrums seinen grausigen Vorlieben gefrönt. »Er hatte Zeit, sich mit diesen Morden zu amüsieren. « Weitere waren zu erwarten. Das Innere des Gebäudes war so kalt wie ein verdammtes Kühlhaus. Die Klimaanlage lief auf Hochtouren, auch so eine Eigenart des berüchtigten Al- Adel. »Als er auf Heather gewartet hat? « Calebs Mund wurde trocken. »Mein Gott, es riecht wie in einem Schlachthaus. « Zu jedem anderen Zeitpunkt hätte er zumindest kurz angehalten, um festzustellen, ob eines von AI-Adels Opfern noch lebte, heute rannte er in blinder Eile den Gang hinunter. Sie wussten bereits von Lark, dass jede Etage des zweistöckigen Gebäudes aus zwei parallelen Korridoren bestand. Caleb war durch die Hintertür gekommen. Dieser Korridor wurde offensichtlich dazu benutzt, Patienten in Rollstühlen oder auf fahrbaren Krankentragen herauszuschieben. Er konnte geradeaus die Eingangshalle sehen. Von dort ging noch ein Gang ab, der laut Lark zu einer Reihe von Untersuchungsräumen und diversen Arztbüros führte. Sie irrte sich selten. »Geh nach oben zum Aufwachraum«, wies Caleb Rook an. »Ich werde hier unten bleiben. « In Echtzeit hatte AI-Adel annähernd zwei Stunden allein mit Heather gehabt. Caleb schnürte sich die Kehle zu. Er konnte nicht dorthin gehen. Nicht jetzt. Konzentrier dich. Caleb rannte durch den feudalen Empfangsbereich, wo die Telefone unbeantwortet klingelten, auf einigen Computerbildschirmen die Bildschirmschoner herumwirbelten und ein Faxgerät Papier auf die Körper der beiden jungen Frauen ausspuckte, die ausgeweidet auf dem Fußboden hinter ihren Schreibtischen liegen gelassen worden waren. Zwei weitere Frauen lagen mitten im Empfangsbereich, wo ein zerschlagenes Aquarium Wasser, Pflanzen und tote Fische ausgespuckt hatte. Die Blutspur führte von den Eingangstüren durch die Warteräume und den Korridor zu den Untersuchungsräumen hinunter. »Drei Krankenschwestern sind tot«, berichtete Rook. »Dafür ist mehr als ein Täter verantwortlich. Was für ein Haufen kranker Scheißkerle, du solltest mal sehen - Entschuldigung«, unterbrach er sich schnell. Währenddessen stieß Caleb die Tür zu einem Untersuchungsraum auf. Leer Er entsandte ein schnelles Stoßgebet, dass seine Kräfte schnell zu voller Stärke zurückkehrten. Augenblicklich wäre sogar noch besser. Er öffnete jede Tür, während er den Korridor hinunterrannte. Herrgott, wo zum Teufel bist du, Liebling? Er wartete lediglich lange genug, um einen flüchtigen Blick in jeden Untersuchungsraum zu werfen, dann rannte er zum nächsten und zum übernächsten. So ziemlich jeder Raum trug die brutalen Spuren der Terroristen, was durch dunkle, blutrote Lachen oder blutverspritzte Wände bewiesen wurde. Grauenvolle Ermahnungen an die vergeblichen Bemühungen seiner Opfer zu entkommen. Sein Magen drehte sich um, nicht wegen des Blutes vor ihm, sondern einfach, weil er wusste, dass seine - dass Heather ebenso gut zu den Opfern des sadistischen Fazuk Al-Adel gezählt werden könnte. Kalter Schweiß trat auf seine Stirn, und er rannte schneller. Heather? Sag mir, wo zum Teufel du bist! Ich schwöre bei Gott, wenn das alles vorbei ist, lasse ich dich alles tun, was du tun möchtest. Ich werde dich nie mehr wiedersehen. Ich werde nicht 一 Er wusste nicht, was zur Hölle sie von ihm erwarten würde. Von einer Brücke zu springen höchstwahrscheinlich - besonders nach der Konfrontation in ihrer Flitterwochen-Suite an ebendiesem Morgen. Er spürte den Kloß in seinem Hals. Was auch immer sie wollte, er würde es ihr auf dem Silbertablett servieren. Sei bloß am Leben, das ist alles, was ich will. Bitte sei am Leben. Caleb konnte sich seine Welt ohne Heather nicht vorstellen. Eine Frau stöhnte, als er eine der Türen öffnete. Kaum bei Bewusstsein und in schlechter Verfassung, aber lebendig. Caleb zögerte. Mein Gott. Er hasste dies, ^ein erster Impuls war, die Frau sofort zu teleportieren. Lark war in ihrer privaten medizinischen Anlage in der Schweiz und wartete. Aber er konnte nicht, konnte diese Frau einfach nicht teleportieren und dann herausfinden, dass er dasselbe für Heather nicht tun konnte, sollte er die Kraft brauchen. »Raum 121 B zum Teleportieren.« »Jetzt?« »Jetzt 一” Rook materialisierte sich, um die Frau zu teleportieren. Er musste sie nicht begleiten, aber er musste in Sichtweite zu ihr sein, »Geh«, sagte er zu Caleb, als die Frau verschwand und den Umriss ihres Oberkörpers auf den Laken hinterließ, auf denen sie gelegen hatte. Caleb ging. Siebenundzwanzig Die Schuld lastete schwer auf den Calebs Schultern, und trotz der frostigen Luft überzog ein Schweißfilm seinen ganzen Körper, während er methodisch hinter jeder Tür nachsah. Chaos, Brutalität, Mord. Noch mehr der abscheulichen Markenzeichen des Mannes. Keine weiteren lebenden Opfer. Er schluckte heftig und sprach ins Mikrofon: »Ich verlasse mich auf dein Versprechen, Tony. « Das Versprechen lautete, ganz egal, was mit ihm passierte, Rook würde Heather herausbringen. »Verdammt, du bist ein fauler Hund. Bring deine Frau selbst hier raus, je schneller, desto besser, Mann. « Natürlich beabsichtigte Caleb, sie selbst hier herauszuschaffen, aber er hatte immer einen Notfallplan oder auch drei. Ein Richtungspfeil wies zum Büro des Personalchefs und zum Operationszentrum am Ende des Korridors. Fifty-fifty. Das waren hier unten die letzten Orte, an denen er noch nicht nachgesehen hatte. Calebs Blut gefror, weil er wusste, welchen Bereich Al- Adel aussuchen würde. Das Operationszentrum. Dort gab es eine Unmenge an tödlich scharfen Instrumenten. Al-Adel hatte ein Vorstrafenregister, weil er seine verwerflichen Handlungen in einem Operationssaal ausgeführt hat - etwas an der keimfreien Umgebung und den kalten, alles enthüllenden Lichtern machte den kranken Hurensohn an. Ohne Magie hatte sich Caleb noch nie so schnell bewegt. Er war höchst motiviert und hatte eine solche Angst, dass er nicht mehr rational denken konnte. Er flog förmlich die hundertfünfzig Meter zu den Doppeltüren am Ende des kohlrabenschwarzen Teppichs, der schier unendlich zu sein schien. Die Türen öffneten sich mit einem Knall, als er dagegen donnerte. Sie schwangen in den Gang auf, dann schlössen sie sich mit einem sanften Rauschen hinter ihm. Eine Gruppe Männer stand im Kreis um einen Operationstisch in der Mitte des Raumes. Sie drehten sich alle auf einmal nach dem Lärm um. Selbst als er seinen ersten Schuss abgab, nahm Caleb unterbewusst die blassen, nackten Beine der Frau wahr, die zwischen den Körpern der Männer zu sehen war. Sie lag weit gespreizt auf dem Tisch. Jedes bisschen Feuchtigkeit in seinem Körper wurde zu Staub, und sein Herz hörte auf, in seiner Brust zu schlagen. War sie ... Nicht Heather. Dank dir, Gott. Es half, dass der Kerl am Ende des Tisches, derjenige, der im Begriff war, sich in Stellung zu bringen, seine Hose um die Knie hängen hatte. Sein Schwanz baumelte in der Luft. Der zweite Typ war offensichtlich überrascht, ein Loch zwischen seinen zusammengewachsenen Augenbrauen zu tragen. »Brauchst du Hilfe? «, fragte Rook voller Hoffnung in seinem Ohr. »Nö. Zwei erledigt, nur noch fünf übrig. Die blöden Scheißkerle haben ihre Waffen auf einen Wagen zehn Meter entfernt geschmissen. « Was nicht bedeutete, dass sie nicht trotzdem bewaffnet waren. Caleb hoffte, sie wären es nicht. Obwohl er eine enge Begegnung der brutalen Art genossen hätte, hatte er doch verdammt noch mal keine Zeit dafür. Er knallte bereits Nummer drei ab, bevor Nummer zwei den Boden berührte. Und als vier, fünf, sechs und sieben gemeinsam auf ihn zukamen, nahm er noch sein Messer zur Hand, um die Sache zu beschleunigen. Er hasste es, seine Arbeit so hastig zu erledigen, besonders weil es ihn juckte, sich die Kerle zu schnappen und richtig ins Schwitzen zu geraten. Doch irgendwo in diesem Gebäude brauchte ihn Heather. Er musste gehen. Sie waren nicht nur unbewaffnet, sondern auch noch völlig berechenbar, dachte Caleb beinahe enttäuscht. Sie vergeudeten all ihre Energie, um sich auf ihn zu stürzen. Viel zu enthusiastisch. Er drehte sich nach rechts, weil er wusste, dass jemand hinter ihm war, und ließ den Ellenbogen zurückschnellen. Der Mann drehte sich weg, kurz bevor der Stoß landete, und machte Calebs Verteidigung unwirksam. Dann umschlang er ihn und druckte ihm die Arme lange genug an die Seiten, dass Calebs Waffe aus seinen gefühllosen Fingern glitt. Verdammt. Caleb senkte den Kopf, dann riss er ihn schnell wieder hoch, schlug mit dem Hinterkopf gegen die Nase des Mannes und schnellte im selben Augenblick von ihm fort. Waffen waren praktisch, doch auf diese kurze Entfernung waren Beweglichkeit und Balance beinahe ebenso gut. Und schnell zu sein, war noch besser. Und er war schnell. Er beugte leicht die Knie, um seinen Schwerpunkt zu verlagern, und fragte dann im Plauderton: »Wer möchte denn als Erster sterben? « Rook schnaubte ihm ins Ohr. Nummer fünf ging buchstäblich mit Blut in den Augen auf ihn los. Blut strömte aus seiner Nase, und seine Augen schwollen bereits zu. Caleb wartete, bis der Kerl einen Meter entfernt war, dann verpasste er ihm einen Tritt gegen die Schläfe, der ihn ausknockte. Ein Tritt oberhalb der Taille war nicht immer der klügste Schachzug. Ein peitschender Schlag in die Eier von einem der Bösen konnte den Guten für fünf Minuten auf die Matte werfen und sich vor Schmerzen krümmen lassen. Aber diese Typen hatten keine Drehen-und-Treten-Mentalität. Caleb war nicht bloß schneller, er wusste auch, wie und wo man hintreten musste, und er hatte vor, sie alle umzubringen 一 vorzugsweise langsam. Er würde einen am Leben lassen, um den Mistkerl zu zwingen, ihn zu Heather zu bringen. Nummer sieben versuchte, an Calebs Waffe zu gelangen. Sofern er nicht zufällig für T-FLAC arbeitete, würde es dem Terroristen nicht gelingen, mehr als einen Schuss abzufeuern. Es war die Art, wie er die Waffe hielt, die in verriet. Mit zitternden Händen und auf Arabisch vor sich hin brabbelnd, schoss er, aber er traf bloß Nummer fünf, als dieser zu Boden fiel. In Windeseile widmete sich Caleb den anderen. »Sag mir, du hast mir jemanden übrig gelassen«, hörte er Rocks Stimme an seinem Ohr. Caleb warf einen schnellen Blick auf seine verstreut herumliegenden Gegner. »Tut mir leid. Jeder, der letztlich überhaupt noch in der Lage ist, sich zu bewegen, wird für mindestens zehn Minuten nirgendwo- hin gehen«, sagte er leise in sein Mikro. »Bestell das Entsorgungsteam, da du ja anscheinend genügend Zeit dafür hast. « Er warf einen Blick auf seine Uhr und fluchte, Eine Minute fünf. Das Privatbüro des Bosses lag direkt neben dem Operationsraum. Ein heftiges Gefühl der Furcht überkam Caleb, während er leise die Tür öffnete. Dank seines Trainings passten sich seine Augen sofort dem Dämmerlicht an, das dem hellen Licht im äußeren Korridor folgte. Er hörte einen Doppelklick im Ohr, der ihm anzeigte, dass Rook direkt hinter ihm war, unsichtbar, aber tödlich, während er Calebs Rücken deckte. Der Raum war in ein wellenförmiges Licht getaucht. Caleb schaute nach links, um seine Quelle ausfindig zu machen. Es kam von einem riesigen Aquarium auf der anderen Seite des Raumes. Das Aquarium stand auf einem schwarzen Steinsockel, der den Eindruck erweckte, als ob die riesige, leuchtende Wassermasse einen Meter über dem Boden schwebte. Heather und der Terrorist waren hinter dem Becken, ihre schattenhaften Umrisse wogten in dem reflektierenden Wasser hin und her. Galle stieg in Calebs Hals hoch. Mein Gott 一 Al-Adel hatte Heather an den Haaren gepackt und drückte ihren Kopf unter Wasser. Caleb schnappte nach Luft. Hielt diese an. Mein Gott. Wie lange konnte sie unten bleiben? Wie lange war sie bereits unter Wasser? Kein Zeichen von Luftblasen. Keine Bewegung außer der ihres Haares, das wie Meeresalgen um ihr Gesicht schwebte. »Al-Adel!« Lebte sie noch? Caleb schob seine Gefühle beiseite und richtete seine Aufmerksamkeit völlig auf seine Beute. Von rechts kam das Flattern einer Bewegung. Ohne seine Aufmerksamkeit von dem grauenvollen Spektakel abzuwenden, schoss er auf den Kerl, der aus dem Dunklen auf ihn zukam. Rook knallte den Typen ebenfalls ab. Sie trafen ihn zur gleichen Zeit. »Lass meine Frau los«, sagte Caleb in klarem Arabisch, während er näher kam, die Waffe fest in der Hand. Er hatte kein hundertprozentig freies Schussfeld. Heathers gekrümmte Gestalt war zwischen der Rückseite des Beckens und AI-Adels Körper eingequetscht. Caleb, der während seiner gesamten Karriere noch nie sein Ziel verfehlt hatte, zögerte nun. Mein Gott. Al-Adel benutzte sie als Schutzschild. Heather stand auf irgendetwas hinter dem Aquarium - einem Hocker oder einem Stuhl. Er war hinter ihr und stand auf dem Fußboden. Der einzige Teil, den man sehen konnte, war der kleine Bereich des Armes, mit dem der Mann Heathers Kopf unter Wasser hielt und das oberste Stückchen von seinem Kopf. »Deine Frau? «, fragte der Terrorist gelangweilt und machte sich nicht mal die Mühe hochzuschauen. Er tauchte ihren Oberkörper noch tiefer ins Becken. »Sie ist gerade sehr unkooperativ und äußerst widerspenstig. Ich bin gezwungen, sie zu bestrafen. Nein. Bleib, wo du bist, wenn du sie lebend wiederhaben willst«, warnte Al-Adel Caleb, als dieser in raumgreifenden Schritten näher kam. Calebs Augen waren auf Heathers schlaffen und leblosen Körper fixiert. All seine inneren Organe schienen gelähmt zu sein, und seine Augen brannten, als er nach einem Anzeichen dafür suchte, dass sie am Leben war. »Das Weibstück weigerte sich, mir zu sagen, was ich wissen will«, erklärte Al-Adel im Plauderton. Vielleicht könnten Sie sie überreden. « Caleb zögerte nicht und drückte ab. Die Kugel durchschnitt die Oberkante von AI-Adels Kopf so ordentlich, wie ein Messer ein hart gekochtes Ei. Gehirnmasse spritzte auf die Wand, und blutige Stückchen plumpsten ins Becken und zogen rote Wirbel durch das Wasser. »Geh, geh, geh«, brüllte Rook unnötigerweise hinter ihm. Caleb hatte bereits die Distanz zwischen sich und Heather überbrückt. O mein Gott... Sie lag mit der Hüfte über den Rand des Aquariums gekrümmt, ihr gesamter Oberkörper war unter Wasser. Ohne AI-Adels Hand, die sie herunterdrückte, schwebte ihr Torso nur knapp unter der Oberfläche. Die Unterwasser Beleuchtung saugte jegliche Spur von Farbe aus ihrem Gesicht. Caleb trat den toten Mann aus dem Weg und schwang sich auf den Sockel, auf dem sie gestanden hatte. Ihre Füße baumelten in der Luft. So schnell er konnte, zog er ihren schlaffen Körper aus dem Wasser und schickte ein formloses Gebet zum Himmel. Wasser und Blut durchnässten seine Kleidung, als er ihren leblosen Körper in seinen Armen wiegte. Mit halb geöffneten Augen und völlig leblos plumpste ihr Kopf zurück und entblößte die bleiche, unbewegte Linie ihres Halses. Kein Puls. Kein verdammter Puls. Schmerz raubte ihm den Atem und machte ihn in seiner Intensität schier bewegungslos. Sein Gehirn wusste, was sein Herz sich weigerte zuzugeben. Heather war tot. Er teleportierte sie auf schnellstem Wege dort raus. Als er ins sichere Haus hineinglitt, war er dankbar, seine Männer dort zu sehen. Mit einem Blick bemerkte er das medizinische Zubehör, das ordentlich neben dem Bett ausgebreitet war. Lark hatte seine Männer vorgewarnt, und sie waren auf alles vorbereitet. »Die Stoppuhr.« Er hatte keine Ahnung, wie lange sie schon tot war. »Beginn bei einer Minute und zehn«, wies er Farris ruhig an. Bereits während er sie aufs Bett legte, sandte er Energie durch Heather hindurch. Ihr Haar knisterte und trocknete sofort, dann umgab es ihr Antlitz mit statischer Elektrizität, während er seine Hände mit nur wenigen Zentimetern Abstand über ihr Gesicht gleiten ließ. Sanft schloss er die Lider über ihren blicklosen Augen. Seine Hände zitterten. Mein Gott, mein Gott. Ihr schönes Gesicht ... Die Nase und der linke Wangenknochen waren gebrochen. Am Hals hatte sie Quetschungen. Der linke Arm war vierfach gebrochen, zwei Rippen ... Böhnchen 一 Caleb blendete alles aus, um nichts als die heilende Energie durch ihren zerstörten Körper strömen zu lassen. »Eins zweiundzwanzig«, teilte ihm Farris mit. Die Vorderseite ihres zarten, blumigen Sommerkleides war zerrissen. Da war so viel Blut ... Böhnchen, dachte er wieder, und sein Hals schmerzte. Er riss mit beiden Händen den Stoff auf der Vorderseite des Kleides auseinander und entblößte ihren blutdurchtränkten BH, ihr Höschen und ihre kalte, marmorweiße Haut. Dekker fühlte an ihrem Hals nach dem Puls. Als er sich aufrichtete, schüttelte er den Kopf. »Sie ist tot«, sagte er vorsichtig und bestätigte damit nur das Offensichtliche. Caleb streckte beide Handflächen aus, nur Zentimeter über der Wölbung ihrer Brüste, direkt über dem Herzen und der Lunge, und zwang jeden Funken Magie, der ihm zur Verfügung stand, durch ihren Körper zu strömen. Sein eigener Körper vibrierte, aber Heather blieb reglos. Ihre Haut war so bleich wie die Bettlaken, auf denen sie lag. Ihre Lippen waren leicht geöffnet und blutleer. Sie war böse zugerichtet worden. Verprügelt. Es gab keinen Grund für Al-Adels teuflische Behandlung, bevor er sie ertränkt hatte. Caleb bezweifelte, ob sich der Mistkerl überhaupt die Mühe gemacht hatte, Heather bezüglich seines gottverdammten verschwundenen Geldes zu befragen. Sie war zum Vergnügen misshandelt worden, genauso wie alle anderen, die der Terrorist und seine Männer im medizinischen Zentrum gequält hatten. Zum Vergnügen, nichts weiter. Bei dem Gedanken an die entsetzlichen Schmerzen, die sie ertragen hatte wurde ihm speiübel, und er konzentrierte sich wieder auf das, was er tun musste. Dek legte eine Hand auf Calebs Schulter. »Es tut mir leid, Edge. Du bist nicht rechtzeitig gekommen. Sie hat nicht 一” »Mach schon«, riet Tony Rook eindringlich. »Dreh schnell die Zeit zurück! « »Eins-dreiundfünfzig«, warf Farris ein. »Ich kann nicht«, antwortete Caleb mit heiserer Stimme. »Nicht solange 一 es klappt nicht, wenn sie tot ist. Mein Gott...« Beinahe hätte er sich die Zeit genommen und das Blut verschwinden lassen, das sie bedeckte, weil er es nicht ertragen konnte, sie so zu sehen. Er wollte ihr aber nicht einmal das geringste bisschen Kraft für die Heilung rauben. Langsam bewegte er seine Handflächen über ihren Brustkorb. Gott helfe ihm, er war sich nicht sicher, ob er es richtig machte. Was, wenn nicht? Benutzte er die richtige Kraft? Die korrekte Intensität? Es gab niemanden, den er hätte fragen können. Er war allein. »Zwei neunzehn. Du kannst sie zurückbringen, richtig? «, fragte ihn Farris leise, der ihn seit zwölf Jahren kannte. Ich weiß es nicht, Herrgott. Ich weiß es nicht. »Ja«, antwortete er tonlos. Ja war die einzige mögliche Antwort. Ja, verdammt noch mal Ja. Er zwang seine Hände zur Ruhe und seinen Verstand zur Klarheit. Er musste alles hineinlegen, was er hatte. »Tony, schaff das Blut auf ihr weg, damit ich sehen kann, was sie 一” Er bemerkte flüchtig, dass die roten Streifen sofort verschwanden und nur die scheußlichen Blutergüsse und Quetschungen zurückblieben, die ihre Haut marmorierten. Tief in seinem Rückenmark summte eine leise Schwingung wie ein herannahender elektrischer Sturm, die schnell von seinen Schultern durch die Muskeln der Unterarme in die Handgelenke wanderte und dann durch seine Fingerspitzen hindurchfunkte, die nur wenige Zentimeter von Heathers Haut entfernt waren. Jedes seiner Atome war beteiligt, seine gesamte Konzentration, seine ganze Aufmerksamkeit lag auf der zerstörten Frau unter seinen Händen. Sein Körper brannte nun vor innerer Hitze, die immer heißer und intensiver wurde. Aus jedem Finger strömte ein durchscheinender lila-metallic-farbener Energiestrahl und verband sich mit Heathers Brustkorb zu einem gleißenden Strom der Magie. Sosehr er die offensichtlichen Verletzungen in ihrem Gesicht auch heilen wollte, konzentrierte er sich dennoch auf ihren Kern. »Komm zurück zu mir, Liebling. Hör meine Stimme. Konzentrier dich. Bitte 一 Heather - bitte -« Calebs einzige Erfahrung war das »Wiederbeleben« von Haustieren. Seine Bruder und er waren von seiner Fähigkeit fasziniert gewesen. Er hatte versucht, in der Zeit zurückzuspringen, bevor Gabriels Wüstenrennmaus von einer Katze angegriffen worden war. Es hatte nicht funktioniert. Er hatte herausgefunden, dass er die Zeit nicht manipulieren konnte, um einen Tod zu verhindern, der bereits passiert war, nicht einmal die paar Sekunden, die sie benötigt hätten, um das Tier vom Fußboden aufzuheben und außer Gefahr zu bringen. »Zwei achtunddreißig.« »Können wir etwas tun? «, fragte Rook mit erstickter Stimme. »Irgendetwas?« »Es sind so viele Faktoren beteiligt - ich habe nur eine bestimmte Menge an Zeit, um sie zurückzubringen. « »Er muss sie wiederbeleben, bevor er in die Zeit vor der Schießerei zurückspringen kann«, erklärte Farris den anderen leise. »Drei.« »Mist«, flüsterte Rook. »Und wenn er es nicht kann?« »Wenn ich es nicht kann«, sagte Caleb grimmig, »bleibt Heather tot. « Als die Katze seiner Mutter gestorben war, nachdem sie Gift gefressen hatte, hatte der zwölfjährige Caleb sie binnen weniger Sekunden zurückgeholt und war dann zu dem Zeitpunkt zurückgesprungen, bevor die dämliche Katze auf Futtersuche gegangen war. Es hatte funktioniert. Versuch und Irrtum hatten ihm die Frist nach Eintreten des Todes gezeigt, in der er die Wiederbelebung durchführen musste. Er hatte Dixie zurückgebracht, Duncans Hund. Es waren ihm weniger als vier Minuten geblieben. Für ein Tier. War es dasselbe beim Menschen? Einem schwangeren Menschen? Die Frau, die er ... Die Frau, die es nicht verdient hatte, zur richtigen Zeit am falschen Ort zu sein. Seinetwegen? Würde der Umstand, dass sie ein Mensch war, ihm möglicherweise mehr Zeit verschaffen? Weniger Zeit? Funktionierte es überhaupt beim Menschen? Farris lehnte sich gegen die Wand, die Augen auf der Stoppuhr, nicht auf Heather. »Du hast mehr als eine persönliche Verbindung zu ihr. Das ist ein wichtiger Aspekt, damit es funktioniert, nicht wahr? « »Meine verdammte persönliche Beziehung zu ihr hat sie umgebracht«, stieß er hart hervor Seine Hände brannten wie Feuer. Er biss die Zähne zusammen, während sein Körper heftig vibrierte und der Strom aus seinen Fingerspitzen von lila zur Farbe wässrigen Weins wechselte. »Heiliger Bimbam. So was hab ich noch nie gesehen. Schaut, ihre Wangen fangen an zu heilen«, sagte Dekker offensichtlich überrascht. Gut zu wissen, dachte Caleb mit grimmiger Entschlossenheit, aber es war nicht ihr besieht, um das er sich Sorgen machte. Bring sie zurück, feilschte er mit Gott, und ich werde dir alles geben, was du willst. Nur bitte, bring sie zu mir zurück. Er weigerte sich, sich seine Welt ohne Heather darin vorzustellen. Bitte, Gott... Der helle, lilafarbene Strom, der aus seinen Fingerspitzen herausstrahlte, wurde immer dunkler. Was bedeutete die Farbänderung? fragte er sich und weigerte sich, der Panik, der Wut und dem Kummer nachzugeben, die an seiner Entschlossenheit nagten. »Drei-null-neun.« Caleb war entweder zu spät gekommen, um seine Mutter zurückzubringen, oder er war schlicht und einfach nicht in der Lage, die Wiederbelebung bei einem Menschen durchzuführen. Aber er hatte es zumindest versucht, verdammt noch mal. Er hatte es versucht und war gescheitert. Vielleicht war er zu jung gewesen? Vielleicht konnte nur er es nicht bei einem Menschen - »Komm zurück zu mir, Liebling. « Er ignorierte die Schmerzen in seinen Händen, Armen und Schultern und bemerkte, wie die Farbe des Stroms zu einem tiefen Blau wechselte. Verblassten noch weitere ihrer Quetschungen? Oder bildete er sich das nur ein? O mein Gott. Sein Sohn. Was war mit seinem Sohn? »Drei dreiunddreißig.« Farris Stimme war kaum zu hören. »Verdammt. Ich fühle mich so nutzlos. Was kann ich machen, um zu helfen? « »Bete«, erklärte Caleb dem Freund mit grimmiger Stimme. Tief wird sein Schmerz sein, schnell ihr Tod. Sein Herz zerrissen in ewig währender Not. Welche Chance hatte er, zum Teufel, gegen solch einen mächtigen Fluch? Nein, sagte er sich mit brutaler Ehrlichkeit, Heathers Tod hatte nichts mit Nairnes Fluch zu tun gehabt. Er hatte von Anfang an gewusst, dass der Preis für sie enorm sein würde. Er hatte es gewusst und nach einigem Abwägen entschieden, dass sie das Opfer wert war, um mehrere einflussreiche Terrorgruppen aus dem Geschäft zu drängen. Nun war Heather tot, nicht wegen eines verdammten uralten Fluches, sondern weil er sie in Gefahr gebracht und ihr Leben geopfert hatte. »Drei achtundfünfzig.« Statische Elektrizität bewegte sich über ihre Haut und stellte ihr Haar auf, während das schimmernde, pulsierende, dunkelblaue Licht knapp über ihrem Körper vibrierte und tanzte. Der ähnlich wie Elektrizität aussehende Strom veränderte sich zu Grün, dann zu Senfgelb, dann zu einem leuchtenden Orange 一 Er hatte absolut keine Ahnung, was die Farbveränderungen bedeuteten. Nichts schien auch nur den kleinsten Unterschied zu machen. Wie lange würde er noch durchhalten? Noch Sekunden? Minuten? Würde sein Können ausreichen, um sie zurückzubringen? Er befürchtete, er wusste die Antwort. Nein. Achtundzwanzig Keine-Luft-keine-Luft-keine-Luft. K e i n e L u f t Bekämpf. Ihn. Böhnchen. Caleb 一 O Gott. Nimm einen Atemzug und halte ihn fest. Halte ihn. Halte ihn. Halte ihn - Lungen brennen. Panisch, erfüllt von beklemmender Furcht, konnte Heather nicht anders, als tief einzuatmen, bevor sie wieder unter Wasser gedrückt würde. »Gütiger Gott! «, sagte ein Mann ungläubig. »Du hast es geschafft. Du hast sie zurückgeholt. « Ihre Lungen brannten vom langen Luftanhalten. Sie versuchte ihre bleischweren Augen zu öffnen. Sie wollte sehen, was als Nächstes passieren würde, anstatt es nur zu erahnen. Der Raum erschien in ihrem Blickfeld, sanft blau und trübe. Das Dröhnen ihres Herzens klang in ihren Ohren. Verwirrt blinzelte sie und versuchte, sich hoch zu kämpfen. »Schsch. Ist schon in Ordnung ...« Eine sanfte Hand berührte ihre Schulter. Caleb, o Gott, Caleb. Sie würde diese Berührung überall wiedererkennen. »Leg dich hin, Liebling 一leg dich einfach hin, und atme noch einmal tief ein. Du bist in Sicherheit. « Sie fühlte sich nicht sicher. war in Panik, und ihr war eiskalt. Alles wurde noch schlimmer, als Caleb seine Hand wegzog. Eine grausame Halluzination? Heather runzelte die Stirn. Sie lag auf einem Bett? Was war das für eine neue Folter? Ein Zittern durchlief ihren Körper, als sie ihre Augen zwang, sich zu öffnen und offen zu bleiben. Keine Terroristen. Kein Aquarium. Das Zimmer war ihr fremd, aber ein schneller Blick aus dem Fenster sagte ihr, dass sie wieder in Matera waren. Der Abend dämmerte, und auf der anderen Seite der Schlucht gingen bereits die Lichter an. Warme, milde Luft wehte durch die offenen Fensterflügel herein und ließ die kurzen Vorhänge flattern. Obwohl die Brise den Geruch von Tomatensauce und fertigem Abendessen mit sich brachte, bildete sich Heather den Gestank des fischigen Wassers ein, und ein Schauer lief ihr den Rücken herunter. Sie drehte ihren Kopf und sah Caleb neben sich auf der Matratze sitzen, die Ellenbogen auf die Knie gestutzt. Er sah zum Fürchten aus. ^ein Kinn war dunkel vor Bartstoppeln, als er sie aus eingefallenen Augen beobachtete. Als sie zitterte, streckte er gebieterisch die Hand aus. »Noch eine Decke 一«Eine rote Decke materialisierte sich in seiner ausgestreckten Hand. Er legte sie auf die anderen, die sie bereits bedeckten, ohne den Augenkontakt mit ihr zu unterbrechen. »Wie fühlst du dich? « Seine Stimme klang, als hätte er sie eine Zeit lang nicht benutzt. Oder als hätte er geschrien. Sehr viel. Sie fühlte keine ... Schmerzen, dachte sie mit gerunzelter Stirn, und das ergab überhaupt keinen Sinn. Sofort war die Erinnerung zurück, und ihre Hand flog zu ihrem Bauch. Ihr Herz hämmerte vor grausiger Furcht, und sie leckte sich die trockenen Lippen. »Böhnchen?« All ihre Angst lag in diesem einzigen geflüsterten Wort. Er ballte die Ecke der Decke in seiner Faust zusammen. »Er ist 一«Sein Hals funktionierte und seine Augen verdunkelten sich wegen der heftigen Gefühle. Der Atem entwich aus Heathers Körper und sie wurde völlig taub. »Neiiin! «, heulte sie, niedergeschmettert von unsäglichem Kummer. Tränen überschwemmten ihre Augen. »Caleb, nein.« »Sie denkt, er ist tot«, sagte jemand außer Sichtweite schnell. »Sag ihr -« »Es geht ihm gut. « Caleb hob die Hand und unterbrach den anderen Mann. »Heather. Es tut mir leid, ich wollte nicht -verdammt. « Er streichelte ihre feuchte Wange, als ob er Angst hätte sie zu berühren, während die Schluchzer aus ihrem wunden Hals hervorbrachen. »Hör mir zu. Böhnchen geht es gut. Ich schwöre es bei Gott, mit ihm ist alles okay. « Eine überwältigende Erleichterung wallte durch sie hindurch. Schluchzend setzte sie sich aufrecht. Ungeduldig wischte sie sich mit beiden Händen über die Wangen, während sie verzweifelt versuchte, ihren unregelmäßigen Atem unter Kontrolle zu bringen. Caleb war vielerlei und hatte ihr wahrscheinlich Lügen aufgetischt, von denen sie nie etwas erfahren würde, aber sie war sich sicher, dass er, was das Wohlergehen ihres Sohnes betraf, die Wahrheit sagen würde. »Bist du s-sicher?« »Hundertprozentig sicher.« Knapp nach ihrer Erleichterung folgte eine reine, unverfälschte Wut. »Verdammt noch mal, du hast mich zu Tode erschreckt. « »Es tut mir leid. « »Es t-tut dir leid? « Heathers Emotionen wandelten sich binnen drei Herzschlägen von leer zu erleichtert zu verärgert zu mörderisch. »Leid? « Alles, was er ihr in den vergangenen Monaten angetan hatte, verwandelte sich in glühenden Zorn. Das »zufällige« Treffen im Lebensmittelladen. Die raffinierte Verführung. Ihre Schwangerschaft. Sein Heiratsantrag. Sie nach Italien zu bringen, um ihren Vater aus seinem Versteck zu locken. AI-Adel, der sie ertränkte ... Über jedem Ereignis stand Calebs Name. Schlimmer, viel viel schlimmer, dachte sie und ballte die Fäuste: Er hatte sie nie geliebt. Er hatte sie benutzt. Ihr Zorn brach sich Bahn, und völlig aus der Fassung ging sie mit neu gefundener Energie auf ihn los und prügelte mit den Fäusten auf ihn ein. Sie zielte nicht, konnte vor Tränen ohnehin kaum etwas sehen. Sie wollte ihm nur ebenso wehtun, wie er ihr weh getan hatte. Unmöglich. Seine Lügen und der Betrug hatten ihr Herz zerschmettert. »Soll ich sie festhalten? «, fragte einer seiner Lakaien. Caleb zuckte zusammen, als ihr Trauring seine Schläfe traf, aber er hielt sie nicht zurück. »Ich habe es verdient«, sagte er, begegnete ihren Augen und zuckte leicht zusammen, als sie ihn in den Bauch boxte. Seine steinharte Bauchdecke fühlte sich wie Eisen gegen ihre Fingerknöchel an und ließ sie in Tränen ausbrechen. Heftige, abgehackte Schluchzer erschütterten Heathers Körper, machten sie blind, selbst als ihre wahnsinnige, wütende Kraft abebbte. »Ich hasse d-dich«, stieß sie erstickt hervor. »Ich werde dich ewig hassen. Und Böhnchen ebenfalls.« »Ich weiß«, flüsterte Caleb mit einer vor Gefühlen rauen Stimme. Sie fühlte seinen warmen Atem auf ihrer Wange. »Du h-hast uns in Ge-Gefahr gebracht. « Ihre Stimme wurde lauter. »Du hast uns in eine Situation gebracht, in der uns dieser Irre u-umbringen konnte. Absichtlich! O Gott. Das hier ist wahnsinnig. V-verrückt. Ich kann nicht aufhören zu weinen! « Das Letzte kam mit einem heulenden Wehklagen heraus. »Ich weiß, Liebling. Ich weiß«, antwortete er sanft, zog sie schließlich in seinen Schoß und schob ihren Kopf unter sein Kinn. Er schlang die Decke um sie herum und hielt sie fest an sich gepresst. »Lass alles raus. Ich weiß, du warst außer dir vor Angst, Liebling. Jeder wäre das gewesen. Er war ein entsetzlicher, kranker Mistkerl. Aber er ist jetzt tot, und wir haben die meisten seiner Gefolgsleute verhaftet. « Heathers Kopf fühlte sich an wie eine fünfzig Pfund schwere Bowlingkugel, und sie ließ die Augenlider geschlossen, als sie seine Worte auf sich wirken ließ. Sie atmete aus, legte ihre Wange gegen Calebs felsenfeste Brust und beruhigte sich langsam. Calebs Arme zogen sich schützend um sie zusammen, und er flüsterte weiter fremde Worte, die wenig Sinn ergaben, die aber jeden Teil ihres Daseins mit einer Traurigkeit berührten, die größer war, als sie es verarbeiten konnte. Er wiegte sie, während ihre Schluchzer, die unkontrolliert aus den Tiefen ihrer Seele drangen, sie zerrissen. Sie schlang die Arme um seine Taille, packte die Rückseite seines T-Shirts mit den Fäusten und vergrub ihr Gesicht an seinem Hals. Alles, was passiert war, alles, was Caleb war, war so völlig unmöglich, um es mit ihrem erschöpften Gehirn zu erfassen. Es lief alles darauf hinaus, dass sie einen Mann liebte, der sie nicht lieben konnte oder wollte. Müder, als man es mit Worten ausdrücken konnte, ausgelaugt und schwach hörte Heather endlich auf zu weinen. Caleb wiegte sie weiter, rieb ihr mit der Hand den Rücken auf und ab. »Liebling«, sagte er mit belegter Stimme. »Es tut mir leid. So verdammt leid. « »Es tut dir leid? «, wiederholte sie. Ihre Stimme wurde von seiner Brust gedämpft. »Tut es dir leid, dass ich von diesem Wahnsinnige fast umgebracht worden bin? Oder tut es dir leid, dass ein Haufen Irrer mit geladenen Waffen auf mich gezielt hat, während ich zu einem Stuhl gezerrt und dort festgebunden wurde? Hast du geglaubt, du könntest alles ungeschehen machen, und ich würde mich an die verdammte Sache nicht mehr erinnern? Er hat mich beinahe zu Tode geprügelt, du Mistkerl. Immer wieder und wieder. Er hat mich ins Gesicht geboxt. Hat meine Nase g-gebrochen. Es tat weh. Meine Lippe ist geplatzt. Ich habe mein eigenes Blut geschmeckt. In meinem ganzen Leben hat mich noch nie jemand geschlagen. Und du hast es zugelassen. « »Liebling, ich 一” »Sag kein Wort«, warnte sie und hob den Kopf, um ihn anzustarren. hatte noch nie einen so hilflosen Zorn verspürt wie in diesem Augenblick, doch so wütend sie auch auf Caleb war, bewegte sie sich dennoch nicht aus seinen Armen heraus. Aufgewühlt wie sie war, tröstete es sie trotz allem, zu bleiben, wo sie war. »Er hat mich so hart geschlagen und so oft, dass ich wusste, ich würde unser Baby verlieren. « Sie presste die Augen fest zu. »Ich war hilflos. Ich konnte Böhnchen nicht mehr beschützen, als ich mich selbst schützen konnte. « Sie krümmte den Arm um die Wölbung ihres Bäuchleins. Dank eines Wunders und der Magie war ihr Sohn am Leben, gesund und sicher Aber das hatte sie zuvor nicht gewusst. Calebs Haut war über seinen Wangenknochen straff gespannt und seine Augen glitzerten fiebrig, als er wortlos der Schilderung des Albtraums lauschte, die aus ihrem Mund drang. Er sah schmerzgeplagt aus. Was er auch sollte. Sie würde ihm die Einzelheiten verdammt noch mal nicht ersparen. »Heather, ich 一« Sie brachte ihn mit einem einzigen Blick zum Schweigen. »Böhnchen und ich haben dich gebraucht, Caleb. Stattdessen warst du mit deinem Zaubertrupp irgendwo unterwegs, um Gott weiß was zu machen. Wir sind gestorben. Hast du das kapiert? « Ihr Kiefer verkrampfte sich. »Also, trotz der Tatsache, dass du ... mich irgendwie repariert hast, verstehst du, wie verdammt komisch es klingt, wenn du sagst, es tut dir leiar« Er machte keine Ausflüchte. Stattdessen strichen seine Lippen über ihren Kopf. »Ich bin der größte Arsch auf dem Planeten. « »Ja, d-das bist du. « Gedanken kreisten wild durcheinander in ihrem Kopf. Sie hob den Blick. »Woher weißt du so bestimmt, dass es Böhnchen gutgeht? Ich nehme mal an, du hast uns, äh, eingedampft, um herzukommen ?« »Teleportiert«, korrigierte er sie sanft und steckte ihr Haar mit den Fingern hinter ihrem Ohr fest. »Gesteh mir das zu, Liebling. Du warst tot. Sofortiges Teleportieren war die einzige Hoffnung, die ich hatte, um dich erfolgreich wiederzubeleben. « Du warst tot. Tot. Seine Worte ratterten einige betäubende Momente lang in ihrem Gehirn herum. »Du hast uns zurückgebracht. « Keine Frage; die Antwort war offensichtlich. Irgendwie schien es unangebracht, ihm zu danken. »Ich habe geschworen, dich und Böhnchen zu beschützen«, antwortete er tonlos mit belegter Stimme. »Der Schutzzauber, den ich gesponnen habe, hat nicht funktioniert. Die Gründe hierfür sind im Augenblick irrelevant. Der Zauberspruch hat verdam-, hat nicht funktioniert, und ich muss für den Rest meines Lebens damit leben. Du hättest nie in echter Gefahr sein sollen. Tut dir irgendetwas weh? « Er hob ihr Kinn mit dem Finger und zwang sie, ihn anzuschauen. Ihr Hals verschloss sich schmerzhaft beim Anblick der Zärtlichkeit, die sie in seinen Augen zu sehen glaubte. Sie waren am Leben. Böhnchen war in Sicherheit. Ihr Herz war gebrochen. Ja, sie war gesund und munter. »Es tut mir leid, Heather. Mehr leid, als ich dir sagen kann. Es tut mir leid, dass Böhnchen und du in diese ganze Sache hineingeraten seid. Männer wie Faruk Al-Adel und andere seines Schlages sind verantwortlich für Hunderte, wenn nicht Tausende von loten pro Jahr, aber du hättest niemals irgendwo in deren Nähe sein sollen. Ich schwöre es bei Gott. Wenn ich gewusst hätte, dass du der Schlüssel zu dem verschwundenen Geld warst und nicht dein Vater, hätte ich alles ganz anders gemacht. Aber ich kann das, was dir passiert ist, nicht ändern. Und deshalb tut es mir auch ganz ehrlich leid. Und sosehr ich das alles bedauere, brauche ich doch immer noch Zugang zu diesen Geldern. Es hat die Terroristen zwar gebremst, dass das Geld fehlgeleitet wurde, sie aber nicht gestoppt. Wenn T-FLAC die Kontrolle über deren Milliarden bekommt, wird das die Bösen noch länger bremsen und uns mehr Zeit verschaffen, sie. aufzustöbern und zu eliminieren. « Sie zwang sich, von ihm abzulassen. Seine Stimme klang völlig sachlich, als er erklärte, »was getan werden musste«. Sie wand sich aus der Sicherheit seiner Arme, sauste auf die andere Seite des Bettes und schwang ihre Beine heraus. Einen Augenblick blieb sie dort sitzen, sammelte sich und fasste ihre Gedanken in Worte. »Du hast deinen Job gemacht«, antwortete sie ruhig und drehte sich nicht zu ihm um. »Ja.« War es ihre Einbildung, oder klang seine Stimme dabei verbittert? »Das habe ich. « Dankbar, dass der Weinkrampf endlich vorüber war, fuhr sie sich mit beiden Händen über ihr erhitztes Gesicht. Ihre Augen waren geschwollen und ihre Nase verstopft. »Ich brauche ein Taschentuch 一 Oh. « Eine Packung Papiertaschentücher erschien in ihrer Hand. Mit einem Gesicht, das heißer war als je zuvor, bemerkte sie entsetzt, dass Keir Farris an der Wand lehnte und sie beobachtete. Nicht gerade attraktiv, aber das wollte sie ja auch gar nicht sein. »Wie lange warst du 一 vergiss es. « Sie putzte sich die Nase. »Ich sollte dir wahrscheinlich dafür danken, was auch immer du getan hast, um mich und das Baby zu retten, aber ich Din immer noch stinksauer wegen dieser ganzen T-FLAC Sache, also könntest du, äh, einfach abhauen? « Seine Mundwinkel zuckten, aber die Augen blieben ernst. »Das war allein Calebs Verdienst. Ich bin bloß dageblieben, um sicherzugehen, dass du ihn nicht umbringst. « Er verschwand. Würde sie sich je daran gewöhnen? Würde Böhnchen ... sie hielt sich davon ab, weiter darüber nachzudenken. »Meine Lieblingszauberkraft.« Sie deutete mit dem Kinn in die Richtung, in die Calebs Freund an der Wand gelehnt hatte. Sie rieb sich die Stirn, hinter der gewaltige Kopfschmerzen pochten. »Welcher Tag ist heute? Ist mein Vater immer noch tot? « Sie hatte keine Ahnung, ob sie in der Vergangenheit, der Gegenwart oder in der verdammten Zukunft war. »Immer noch Sonntag, ja.« »Bevor ich gekidnappt wurde? Bevor all diese armen Frauen in der Klinik abgeschlachtet wurden? « Bitte, Gott, lass all diese Frauen am Leben sein. Er schüttelte den Kopf. Ihr Herz verkrampfte sich. »Caleb! Um Himmels willen. Wieso nicht?« »Du warst meine Priorität. « Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. »Beame mich nach San Francisco, und beame dich direkt dorthin, wohin du musst - nur bleib verdammt noch mal von Böhnchen und mir weg. « Ihr Baby musste ihre allererste Priorität sein. »Wir haben noch eine unerledigte Aufgabe -« »Oh, das glaube ich nicht. « »Wenn du möchtest, dass die Bösen nicht mehr versuchen, dich umzubringen, dann musst du mir das verfrühte Geburtstagsgeschenk überlassen, das deine Mutter dir an jenem Tag auf dem Flohmarkt gegeben hat. « Gott. Jener strahlend sonnige Tag schien ewig her zu sein. »Woher weißt du, dass sie mir etwas gegeben hat? Du bist zurückgegangen, nicht wahr? « Erneut wurde Heather von dem vertrauten Gefühl des Verlusts getroffen. Was würde sie nicht dafür geben, noch einen weiteren Tag mit ihrer Mutter zu verbringen, um ihr alles zu erzählen - einfach alles. Caleb dagegen konnte in der Zeit herumhüpfen, als ob er bloß einen Fahrstuhl benutzte. »Was hat sie dir gegeben? « Die Zeit für Ausflüchte war lange vorbei. Sie wollte nur noch raus. Sie wollte ihre Wohnung, ihr Leben. Wähle ein Leben, irgendein Leben, so lange es ein ... ein normales Leben ist. »Ein paar uralte Schmuckstücke.« »Können wir nach San Francisco teleportieren und sie uns anschauen«, fragte er höflich, »oder würdest du die herkömmliche Route bevorzugen? « »Schwörst du, dass es Böhnchen nicht schaden wird? « »Wird es nicht. « Ihre Augen verengten sich. »Wer hat das gesagt? Die Vereinigung der Zauberer Hebammen?« Seine Mundwinkel zuckten bei dem Versuch, nicht zu lächeln. »Etwas in der Art. Glaub mir, ich würde nichts tun, was dich oder das Baby in Gefahr bringt. « »Das Schiff ist abgefahren, aber ich will die Sache so schnell wie möglich hinter mich bringen. Beam me off. « Sie schloss die Augen. »Warte mal. Ich geh vorher besser noch auf die Toil-oh. « Sie schaute sich um. »Wir sind hier! « Ihr Apartment sah ganz genauso aus wie an jenem verhängnisvollen Tag, als er ihr den Antrag gemacht hatte. Vor einem ganzen Leben. Caleb streckte die Hand aus, um Heather zu stützen, als diese beim Wiedereintritt schwankte. Unter der hektischen Röte auf ihren Wangen von dem Weinkrampf war ihr Gesicht bleich und ihre hübschen Augen ein wenig glasig. Sie hatte einen höllischen Tag hinter sich. »Setz dich. « Er legte sie in ihr eigenes Bett, dann zog er den Stuhl mit der geraden Lehne vom Tisch heran. Er fühlte sich ebenfalls nicht sonderlich stabil. Er wäre beinahe gestorben, als er sie von den Toten zurückgeholt hatte. Es hatte jeden Überrest seiner Kraft aufgebraucht, und selbst als diese erschöpft war, hatte er noch mehr gegeben. Sie schaute sich mit roten, verquollenen Augen in ihrer Wohnung um, offensichtlich völlig erschöpft. »Merkwürdig«, sinnierte sie. »Alles sieht ganz genauso aus wie bei unsere Abreise. « Ihr Haar war zerzaust, und sie sah so wunderschön aus, dass Calebs Herz weh tat. Sie war alles, was er wollte, und alles, was er nicht haben konnte. »Ist dieser Schmuck hier? « Er wollte dies beenden, ein für alle Mal. »Nein.« Sie strich sich mit den Fingern durchs Haar, als ob sie seine Gedanken mitbekommen hätte, und setzte sich schnell ans Kopfende des Bettes. »Ich bewahre das meiste davon im Schließfach einer Bank in Concord auf. « »Erlaubst du einem meiner Leute, es herzubringen, damit ich es anschauen kann? « »Nein. Du holst es. « Sie hob ihr Kinn in einer Art, die er als ihren »Nein, zur Hölle«-Blick wiedererkannte. »Leider muss ich woanders bleiben«, teilte er ihr kühl mit. Vor seinen Augen tanzten Sternchen. Um nicht umzukippen, klammerte er sich mit einer Hand an die Sitzfläche des Stuhles, auf dem er saß. Er musste hier raus, bevor er ohnmächtig wurde. »Ja, das musst du in der Tat. Na schön, soll eben jemand anderes gehen und den Schmuck holen. Ich brauche selbst einige Stücke. « Sie schwangen die Beine aus dem Bett und hielt kurz inne, um ihn anzublicken. »Ich werde Tee machen. « Caleb knirschte mit den Zähnen und zerrte sein Telefon aus der Hosentasche, während Heather in die Küche ging. Wasser lief in die Spüle, Töpfe knallten auf den Keramiktresen. Eine sehr weibliche Form der nonverbalen Kommunikation. Sie war immer noch stinksauer. Und zwar mit Fug und Recht. Er schloss die Augen und sprach ins Telefon. »Ich brauche dich, plus zwei Männer sofort hier in Heathers Wohnung. « Caleb klappte das Gerät zu. Selbst das war mühsam. Er war körperlich angezapft, ohne Saft, und lief Gefahr, jederzeit das Bewusstsein zu verlieren. Es war ein verdammtes Wunder, dass es ihm in Matera so lange gelungen war, bei Bewusstsein zu bleiben. Es könnte ihn tatsächlich umbringen, wenn er seine bereits gefährlich ausgelaugten magischen Energiereserven weiter entleerte, schließlich bestand immer noch die Aussicht, dass Heather ihren Willen bekam. Gott sei Dank war die Kavallerie auf dem Weg. Lark materialisierte sich mit einem Fläschchen Nagellack in der Hand und einem finsteren Ausdruck auf dem Gesicht. Unter einem langen, schwingenden schwarzen Rock schauten ihre nackten Füße mit den kleinen gelben Schaum Dingern zwischen den Zehen hervor »Du siehst beschissen aus«,erklärte sie ihm wenig mitfühlend. »Dies hier sollte besser wichtig sein. Ich habe mir gerade eine Pediküre gemacht, Edge Nummer zwei. Was willst du? « Bevor er antworten konnte, kam Dekker, gefolgt von Rook. Beide schauten sich interessiert um. »Lange nicht gesehen«, sagte Tony Rook grinsend. »Die «Truppe ist vollständig hier«, erklärte Lark Caleb und hob fragend eine gepiercte Augenbraue. Keiner hatte Lark herbeigerufen. Sie war für gewöhnlich diejenige, die solche »Schwing sofort deinen Hintern her«-Kommandos ausgab. Caleb war es egal, ob er später dafür bezahlen würde. Im Augenblick blieben ihm noch, oh, allenfalls ein paar Minuten, bis er ohnmächtig würde. »Heathers Mutter hat ihr an dem Tag, an dem sie umgebracht wurde, mehrere antike Schmuckstücke gegeben. Sie bewahrt sie in einem Schließfach etwa eine Stunde von hier entfernt auf. Rook 一 finde heraus, wo, und hol sie her. Lark, ich möchte, dass du mit Dekker bei Heather bleibst bis-« Die Hölle zufriert, was erst dann sein wird, wenn sie mich wiedersehen möchte. »Bis?« Lark warf ihm einen finsteren Blick zu. »Ich bin kein Babysitten« Der Kessel in der Küche pfiff. »Bis diese Sache mit dem Geld geklärt ist. « Caleb stand auf und packte den Stuhl mit der Faust. Seine Fingerknöchel traten weiß hervor. »Versprich mir Er presste die Worte hervor und suchte die grauen Augen der Empathin. »Versprich mir, sollte mir irgendetwas passieren ... Du wirst Heather zu Gabriel bringen. Er und Duncan werden sie beschützen-« Dann brach eine Welle der Dunkelheit über ihn herein. Neunundzwanzig Heather verbrachte fünf Minuten in der Küche und versuchte, sich wieder in den Griff zu bekommen. Ihre Hormone kooperierten nicht, und sie wollte ganz gewiss nicht weiter weinen. Insbesondere nicht, wenn sie sich endgültig von Caleb verabschiedete. Sie wusste, dass sie genau dies tun würde, sobald er diesen verdammten Schmuck hatte. Schön. Sie würde damit fertig werden. Was für ein Pech, dass sie nicht Calebs Fähigkeit besaß, die Zeit zurückzudrehen. Alles wäre viel leichter, wenn sie ihn nicht geheiratet hätte. Wenn sie ihn nicht lieben würde. Wenn sie nicht schwanger wäre? Nein. Sie wollte ihren Sohn, jetzt mehr als je zuvor. Sie hatte sich das Gesicht in der Küche gewaschen und sich dann ein mit Eis gefülltes Handtuch auf die Augen gepresst, während der Kessel zum Kochen kam. Schade, dass es hier drinnen kein Make-up gab. Sie sah zum Fürchten aus. Es wäre schön gewesen, ihm >Auf Wiedersehen< zu sagen und dabei stark und schön auszusehen, ein wenig wie Charlize Theron in einem ihrer guten Filme, nicht wie in Monster. Einige Leute hatten früher mal ihre Ähnlichkeit mit der Schauspielerin erwähnt, aber im Augenblick war das, was Heather wirklich brauchte, etwas von dem Schauspieltalent dieser Frau. Es kostete sie eine Unmenge Anstrengung, mit einem Becher Tee in der Hand aus der Küche zu spazieren, als hätte sie keinerlei Sorgen. Sie blickte auf, um Caleb eine Tasse Tee anzubieten, und musste zweimal hinschauen. Da war eine fremde Frau, die den Fuß auf ihren Arbeitstisch aufgestützt hatte und sich die Fußnägel anmalte. Die Frau hatte rot-schwarz gestreiftes Haar, silberne Kügelchen in den Augenbrauen und rote Lippen. Sie trug einen langen, schwarzen Taftrock mit Volants und ein langärmeliges, enges schwarzes T-Shirt. Ihre Füße waren nackt, abgesehen von gelben Zehentrennern. Heather musste sich gar nicht umschauen, um zu wissen, dass Caleb fort war. Ihr gesamter Körper spürte seine Abwesenheit. Die Fremde machte sich nicht die Mühe zu grüßen, aber Heather würde ihre liebste Smaragd-Anstecknadel darauf verwetten, dass die Frau genau wusste, wo sie gerade stand. Heather lehnte sich gegen den Türpfosten und tauchte den Teebeutel in die Tasse. Wo zur Hölle war Caleb? Und weshalb konnte er nicht wenigstens Abschied nehmen? Ihre Augen brannten. Wenn ich wieder heule, werde ich mir das nie verzeihen. »Kann ich Ihnen helfen? «, fragte sie sanft. »Nein, es sei denn, sie haben Creme für die Nagelhaut. « Die Frau blickte nicht einmal hoch, während sie fortfuhr ihre Fußnägel knallrot anzumalen. »Ich bin hier, um sie im Auge zu behalten. « »Mich wobei im Auge zu behalten?« Heather trank ein Schlückchen Tee und betrachtete ihre Besucherin über den Becherrand. Wenn man all die Ereignisse in jüngster Zeit in Betracht zog, war es das am wenigsten Schockierende, diese fremde junge Frau in ihrer Wohnung zu haben. Ihre Besucherin nahm den Fuß vom Tisch und setzte den Deckel auf den Nagellack, bevor sie Heather freundlich zulächelte. »Hallo, ich bin Lark Orela. « Das sagte Heather gar nichts. »Okay.« »Ist das Kräutertee? « »Schwarze Johannisbeere. Möchten Sie 一 ah. « Lark Orela hielt bereits eine in der Hand. »Ich nehme an, Sie sind eine Zauberin? « »Das ist lustig«, sagte Lark vergnügt, und ihre Augen funkelten. »Ich bin Empathin, und theoretisch bin ich Calebs Boss. « Sie runzelte die Nase. »Soweit das möglich ist. Bett oder Stuhl?« »Nehmen Sie den Stuhl. « Heather setzte sich im Schneidersitz auf ihr Bett und fühlte sich, als ob sie wieder und wieder durch ein Kaninchenloch gefallen wäre. Ihr Gast sank in einem Wirbel aus Taft anmutig auf den Stuhl nieder. »Ich muss sagen« - Lark blies auf ihren Tee und beobachtete Heather mit durchdringenden Augen über den Rand - »Sie sind mehr, als ich erwartet habe. « »Mehr was?« »Mehr Inhalt, mehr Tiefe, einfach ... mehr.« »Wow, das ist schön zu wissen«, antwortete Heather sarkastisch. »Er ist verflucht, wissen Sie. « »Böhnchen?« fragte Heather entsetzt und legte ihre Hand in einer instinktiven Schutzgeste über ihren Bauch. »Caleb. Er hat es ihnen gesagt, richtig? « Sie zögerte und erwog die Geschichte, die er ihr im Flugzeug erzählt hatte. »Ehrlich gesagt, ich dachte, es wäre ein nettes Märchen. Ich habe es nicht geglaubt. Nicht zu der Zeit.« »Und jetzt tun Sie es? « »Jetzt weiß ich, dass es Dinge gibt auf dieser Welt, die keiner glauben würde. Aber seit ich diese Dinge mit eigenen Augen gesehen habe, habe ich keine Wahl. Es heißt entweder, sei flexibel, bei dem, was du zu wissen glaubst, oder sei verrückt. « »Das ist ein Anfang. « Lark lächelte. »Er hat Ihnen nicht den ganzen Fluch erzählt, wissen Sie. Er hat die wichtigen Teile ausgelassen. « »Und Sie brennen allem Anschein nach darauf, mir diese mitzuteilen. « Heather beugte sich nach vorne, um ihren leeren Becher neben die Schale mit Muscheln auf ihren Nachttisch zu stellen. Sie richtete sich auf, stützte sich nach hinten auf ihre Handflächen und legte den Kopf schräg. »Dann mal los. « »Sie wissen, dass seine Eltern versucht haben, eine Ehe zu führen? «, fragte Lark und hielt Heathers Blick stand. »Mann, die zwei waren wahnsinnige verrückt vor Liebe zueinander. « Sie nippte an ihrem Tee. »Aber natürlich hat es nicht funktioniert, Nairnes Fluch und alles. Sie haben sich die allergrößte Mühe gegeben, und es hat doch nicht geklappt. Die Hölle für die drei Jungen. Die Hölle für sie selbst. Ende der Geschichte. « »Caleb hat mich nicht aus Liebe geheiratet«, meinte Heather kühl. »Er hat mich geheiratet, um an meinen Vater heranzukommen. Wir werden uns scheiden lassen, sobald er wieder zurückkehrt, da bin ich mir sicher. « »Sind Sie sicher? « Heather zuckte die Schultern. »Er hat keinen Hinweis gegeben, dass er es auf eine andere Art möchte. Ich habe keinen Wunsch danach, mit einem Mann verheiratet zu sein, dem ich nicht trauen kann. « Und der mich nicht ebenso liebt wie ich ihn, fügte sie stumm hinzu. Das hier war ein verdammt seltsames Gespräch. Wie konnte diese junge Frau bloß Calebs Boss sein? Sie sah wie ein hübsches Model aus, das sich verirrt hatte. Heather zwang sich, nicht mit den Händen durch ihre Haare zu fahren, aber sie konnte nichts dafür, dass sie sich wünschte, sie wäre für eine halbe Stunde in ihrem Schlafzimmer in Paris, mit all ihrem Make-up und einem riesigen Schrank voller Designer- Klamotten. »Und was möchten Sie?« »Ich möchte nicht -« »Schon gut«, unterbrach die Frau. »Was Sie wollen, ist unwichtig. « Ha! Vielleicht nicht für sie, aber es war verdammt wichtig für Heather. »Der Fluch? «, fragte sie mit einem Gefühl der Furcht in ihrem Herzen. »Pflicht über Liebe, so wähltest du«, zitierte Lark mit singender Stimme. »Von dir verschmäht, fand mein Herz keine Ruh. Das hat Nairne zu Magnus Eldrige gesagt, als er ihr mitteilte, er würde die Tochter des Gutsherren heiraten. Bestraft sollst du sein, kein Stolz dir gewährt. Drei Söhne auf drei Söhne nur Schmerz sich vermehrt. Seit fünfhundert Jahren hatte jede Frau drei ^ohne«, erklärte Lark. »Caleb hat Ihnen das alles erzählt. Hier kommt der Teil, den er ausgelassen hat: Zur Erinnerung an mich dir meine Kräfte ich gebe. Sie machte Zauberer aus ihnen. Nichts falsch an dem Teil.« Die Empathin lächelte. »Nun, jetzt kommt das ^tuck, das diese Jungs ziemlich ernst nehmen. Also hören Sie zu: Die Freude der -« »Ich habe das bereits gehört, und offen gesagt, es ist mir egal. « Heather wollte plötzlich von Lark wegkommen. Sie glitt vom Bett und mied die durchdringenden grauen Augen der Frau. Doch dann fiel ihr ein, dass das verdammte Apartment zu klein war, um wirklich darin auf und ab zu gehen, und so lehnte sie sich an die Wand neben dem Bett und verschränkte die Arme. »Die Freude der Liebe kein Sohn je erlebe, fuhr Lark fort und ihre Röcke raschelten. »Eine Gefährtin des Lebens, von eines Sohnes Herz gewählt,ihr Schutz ist vergebens, die Tage zu meinem Sieg sind gezählt. « Sie warf einen bleichen Blick in Heathers Richtung. »Haben Sie es verstanden? Ihr Schutz ist vergebens. Das ist der Grund, weshalb Calebs Schutzzauber bei Ihnen nicht funktioniert hat, so stark er auch war. « Heather richtete sich auf, weg von der Wand. »Ich bin nicht die Gefährtin seines Lebens. « »Tief wird sein Schmerz sein, schnell ihr Tod. Sein Herz zerrissen in ewig währender Not. Sie sind gestorben. « »Oh, für 一 weil Al-Adel mich gekidnappt und gefoltert hat. Es hatte nichts mit dem verdammten Fluch zu tun! « Heather zitterte nunmehr, als wäre sie soeben dabei, einer weiteren schrecklichen Wahrheit ins Auge zu schauen, und biss sich auf die Unterlippe, um nicht zu schreien. »Nur aus freien Stücken gegeben, wird dieser Fluch enden. Drei müssen eins werden, und das Blatt wird sich wenden. »Was muss aus freien stucken gegeben werden? «, fragte Heather zugeknöpft. »Weil irgendjemand etwas machen sollte, was auch 一« Tony Rook materialisierte sich ohne Vorwarnung hinter Larks Stuhl, und Heather sprang erschreckt zurück. »Herrgott noch mal, könnt ihr Typen nicht anklopfen oder klingeln, wenn ihr das macht! « Ehrlich gesagt, sollte sie mittlerweile daran gewöhnt sein, dass Leute auftauchten oder verschwanden, was nur bewies, wie sehr ihr Leben in letzter Zeit aus dem Gleichgewicht geraten war. »Entschuldigung.« Er schaute rüber zu Lark. »Wie geht's dem Paket?«, wollte sie wissen. Die schwarzen Brauen, inklusive silberner Kugeln und allem anderen, zogen sich zu einem finsteren Blick zusammen, als sie zu ihm aufschaute. Sie klang um einiges älter, als sie aussah. Tony zuckte die Schultern. »Völlig am Ende.« »Kann es in Ordnung gebracht werden? « »In vierundzwanzig Stunden.« Heather fragte sich zunehmend verärgert, ob die glaubten, sie sei dämlich. Caleb hatte Schwierigkeiten. Sie hatte gleich bemerkt, wie schwach er aussah. »Heather?« Tony klang, als hätte er ihren Namen schon vorher gerufen. »Kannst du mir die Adresse der Bank geben, damit ich das Zeug holen kann? Caleb hat zwar einen Verfolgungszauber darübergelegt, aber der - äh - Code ist ihm einfach irgendwie entfallen. « Nichts entfiel Caleb einfach, dachte Heather alarmiert. Nicht eine verdammte Sache. Ein kleiner Notizblock und ein Stift erschienen in ihrer Hand. Sie war nicht einmal überrascht. »Nur wenn du versprichst, die Sachen zuerst zu mir zu bringen«, erklärte sie und schrieb den Namen der Bank, den Ort und ihre PIN-Nummer auf. »Ich werde wissen, welches Muck das Gesuchte ist. « Sie schaute gerade rechtzeitig auf, um zu bemerken, wie Tony Rook zu Lark herüberblickte. Die Frau nickte. Heather reichte ihm den Zettel in der Hoffnung, dass sie das Richtige tat. »Vielleicht sollte ich 一” Lark schüttelte den Kopf. »Ruhen Sie sich aus, es geht in Ordnung.« Tony Rook klopfte zweimal auf die Lehne von Larks Stuhl, dann verschwand er. »Nett«, sagte Heather und lächelte beinahe, bevor sie sich daran erinnerte, was sie gehört hatte. »Was ist mit Caleb?« »Er hat keine Kraft mehr.« Lark deutete auf Heathers Becher. »Mehr Tee?« »In einer Minute 一 Okay. Danke.« Heather beugte sich nach vorn, nahm den vollen, dampfenden Becher und trank ein Schlückchen. Die Hitze war beruhigend. »Warum und weshalb nicht?« »Seine spezielle Fähigkeit ist es, die Zeit manipulieren zu können - aber das wissen bereits. Wenn er dies tut, verliert er Kraft, sobald er in die Echtzeit zurückkehrt. Er ist zurückgegangen, um ihre Mutter zu sehen. Er war rur vier Stunden fort. Normalerweise wurde er weniger als eine Stunde benötigen, um sich zu erholen. So war es immer gewesen. Er kompensiert das, aber ihre Schwangerschaft hat das verändert. Dieses Mal brauchte er vier Stunden, um seine vollständige Kraft zuruckzuerlangen.« »Meine Schwangerschaft? Was hat die den mit Calebs Kräften zu tun?« »Couvade-Syndrom. Von dem Moment an, als Sie schwanger wurden, hat er die meisten der körperlichen Beschwerden einer Schwangerschaft durchlebt. Die Übelkeit, die Müdigkeit die Gelüste.« Lark grinste. »Die Reizbarkeit.« »Ich sehe immer noch nicht Larks Lachein verschwand. »Jeder Zeitsprung verbraucht mehr ... Saft ... mir fehlt ein besseres Wort. Wenn er zurückspringen muss, teleportiert oder eine seiner anderen Fähigkeiten nutzt, laugt ihn das jedes Mal noch mehr aus.« Sie nippte an ihrem Tee, dann sagte sie sachlich: »Sie waren tot. Er hat Sie zurückgebracht. Ihr Gesicht war Matsch. Er hat es repariert. Jeder von uns hielt das, was er tat, für unmöglich. Er ist der einzige bekannte sauberer, der je eine Wiederbelebung an einem Menschen durchgeführt hat. Er hat fünf Stunden dafür gebraucht.« Lark stand auf und marschierte durch das Zimmer, als wäre sie auf der Suche nach Antworten. Habe ich alles auch schon mal gemacht, dachte Heather, während sie sie dabei beobachtete. »Weshalb hat er keine Pause gemacht? Hat er keinen Lehrling oder einen Assistenten?« Die Frau rümpfte die Nase und antwortete mit heiserer Stimme: »So funktioniert das nicht. Sicher teilen alle verschiedene Talente 一 teleportieren, so was in der Art, aber jeder Zauberer hat eine einzigartige Fähigkeit. Einige, wie Duncan, haben sogar eine ganze Menge besonderer Fertigkeiten.« »Okay, also hat sich Caleb ausgelaugt, um mich und das Baby zu retten.« Was aber nicht die Tatsache auslöschte, dass er sie zunächst überhaupt in Gefahr gebracht hatte. Aber es half. »War ihm der ... Saft ausgegangen, bevor er sich selbst heilen konnte?« »Er kann sich nicht selbst heilen, niemals, aber es ist mehr als das«, antwortete Lark. »Selbst wenn er es nicht zugegeben hat, Caleb weiß, dass Sie seine Gefährtin des Lebens sind.« Heather rollte die Augen. »Er hat eine seltsame Art, das zu zeigen.« »Er kam von diesem vierstündigen Zeitsprung nach Paris zurück. Teleportierte sofort, um Sie zu finden, ohne Zeit zum Regenerieren zu haben. Teleportierte Sie zurück ins sichere Haus. Da war bereits genug von seinem Saft aufgebraucht, um ihn platt wie einen Pfannkuchen zu machen. Dann vollzog er die unglaubliche Heldentat der Wiederbelebung an Ihnen und Ihrem Sohn, z/wei Leute.トunf Stunden.トur mich klingt das nach einer Menge, um etwas zu zeigen.« Heather hörte die kontrollierte Verärgerung in Larks Mim- me, was das, was sie gerade gesagt hatte, nur noch realer werden ließ. Ihr Hals zog sich vor Angst zusammen. »Wird er sterben?« »Ich habe keine Ahnung.« Heathers Herz setzte mehrere Schläge lang aus. »Das klingt verdammt kalt.« Lark zuckte ihre elegant geschwungenen Schultern. »Er kannte die Risiken. Er nahm sie in Kauf. Er musste das Baby beschützen.« Heather schlang den Arm schützend um ihre Mitte. Ihr Mund wurde staubtrocken. Bitte sag, es war, weil er sie liebte. »Warum?« »Weil Ihr Kind aufwachsen wird, um unvorstellbare Kräfte zu haben. Glauben Sie mir, ich weiß es.« »O Gott«, flüsterte Heather schwach. »Nicht ganz, aber nahe dran.« Sie nahm Heathers klingelndes Telefon ab und sagte: »Hallo, hier spricht Heather.« Heather spürte ein Frösteln ihren Rücken herunterlaufen. Lark klang nicht nur so ähnlich wie sie, sie klang ganz genau wie sie. »Werde ich«, erklärte Lark, wieder mit Heathers Stimme. »Ich werde mindestens eine Stunde brauchen, um dorthin zu gelangen.« Sie legte das Telefon auf und nahm einen tiefen Atemzug. »Wie haben Sie das gemacht? Nein. Schon gut. Ich will Caleb sehen. Jetzt.« »Können Sie nicht.« Larks lebhaftes Gesicht hatte die Farbe verloren. »Die El-Hoorie-Brüder haben ihn. Sie halten ihn als Geisel.« Das Blut wich aus Heathers Kopf, und ihr Herz schlug wie verrückt. »Das ist unmöglich. Er ist ...« Unbesiegbar. Ein Zauberer. Ein T-FLAC-Agent. »Gerade noch am Leben«, beendete Lark grimmig. Keine Panik, beruhigte sich Heather, als sie fühlte, wie eine Welle blanker Angst durch sie hindurchströmte. Ihre Erfahrung mit Al-Adel war noch so frisch, sie konnte es nicht verhindern, sich sofort an das zu erinnern, was er ihr angetan hatte. Wie verängstigt sie gewesen war. Welche Qualen sie ertragen musste. Und an das Ergebnis ihrer Folter durch den Terroristen. Caleb hatte sie zurückgebracht, unter schweren eigenen Verlusten. Wer würde ihn zurückbringen, wenn 一 Niemand. Er hatte ihr erklärt, dass er nach seinem Wissen der einzige Zauberer war, der eine Person wiederbeleben konnte, und Lark hatte dies soeben bestätigt. »Meine Nummer ist nicht registriert. Wie haben sie 一” »Die haben Calebs Handy benutzt.« Heather zwang sich, ruhig und besonnen zu bleiben. Es war nicht leicht. Ihr Gehirn sauste wie das Laufrand eines Hamsters. Sie öffnete die Tür zu ihrem fast leeren Kleiderschrank. »Sie wissen allerdings nicht, dass er ein ... ein 乙au- berkämpfer/ Agent/ Superspion ist, richtig."« Das gab ihm einen gewaltigen Vorteil. »Sie wissen, dass er zu T-FLAC gehört. Sie haben ihn im Krankenhaus geschnappt, und die Tatsache, dass er ein mächtiger Zauberer ist, ist im AugenblicK irrelevant. Deine magischen Fähigkeiten sind völlig hin.« »Die fordern die achtunavierzig Milliarden als Losegeld, oder sie wollen Caleb umbringen?« Heather schluckte ihre Übelkeit runter, durchlebte wieder ihre kurze, aber grenzenlose Erfahrung mit den Terroristen. Sie konnte es nicht ertragen, sich Caleb in einer ähnlichen Situation vorzustellen. Sie zog eine Jeans, ein T-Shirt und Turnschuhe aus ihrem Koffer. »Sie werden sich nicht damit zufriedengeben, den Aufbewahrungsort und den Zugang zum Geld zu bekommen. Sie beharren darauf, beliefert zu werden.« Heather ging ins Badezimmer, um aus ihrem zerrissenen Sommerkleid zu steigen, und ließ dabei die Tür angelehnt, um Lark hören zu können. »Natürlich tun sie das.« Ihr wurde allein beim Gedanken daran übel, sich irgendwo in die Nähe der Leute zu begeben, mit denen sich Caleb und Lark beruflich abgaben. Der andere leil von ihr war völlig auf Calebs Misere gerichtet. Die Vorstellung was sie ihm in diesem Augenblick antaten, war entsetzlich, die Erinnerung an ihren eigenen Tod schrecklich real. Die Schläge und das Ertrinken, das sie nicht überlebt hatte, waren in ihrem Gedächtnis noch glasklar und lähmend frisch. »Sie gehen natürlich nicht mit«, erklärte ihr Lark. »Ich schicke eine weibliche T-FLAC-Agen-« »Ich werde gehen.« Heather trat in Jeans und ein schwarzes T-Shirt geKleidet, aus dem Badezimmer. »Meine Mutter hat dieses Geld gestohlen. Mein Vater hat mit diesen Leuten Geschäfte getrieben.« Ihr Mund verzog sich zu einer, wie sie wusste, halsstarrigen Linie. »Es ist ein Shaw-Problem, und eine Shaw wird es in Ordnung bringen.« Caleb war dort. Auf irgendeine verdrehte, verrückte Art musste sie diejenige sein, die dies zum Ausgangspunkt zurückbrachte. »Sie mögen zwar eine Shaw sein«, rief ihr Lark in unnachgiebigem Ton in Erinnerung, »aber Sie tragen ein Edge-Kind in sich.« »Dann sollte besser ein unsichtbarer Jemand, mehrere un sichtbare Jemande, bei mir sein, um unsere Sicherheit zu gewährleisten.« Heather saß auf dem Stuhl, um ihre Schuhe anzuziehen. »In welchem Zustand ist Caleb?« »Wenn sie fähig waren, sich ihn zu schnappen? Ziemlich mies.« Heather band die Schnürsenkel, ihr Herz raste dank des steigenden Adrenalins. »Kommt seine Kraft mit einem Schlag zurück oder eher schrittweise?« »Schrittweise.« Sie war mit dem einen Schuh fertig und begann mit dem anderen. »Okay. Also hat sie sich während der letzten Stunde oder so bereits wieder aufgebaut. Richtig?« »Was soll die Frage?« »Ich versuche herauszubekommen, wie stark er ist und ob er etwas von seiner Kraft 一” Es klopfte zweimal fest auf dem Tisch neben ihr, bevor sich Rook materialisierte. Sie stand auf, rieb sich die feuchten Handflächen an der Jeans. »Vielen Dank, Tony. Caleb wurde von irgendwelchen Brüdern gekidnappt.« »Ach, Scheiße.« Er schaute zu seinem Boss hinüber. »Sait und Mushin El-Hoorie haben ihn? Wieso? Ist er plötzlich verhext oder so was?« Larks hübsches Besicht spiegelte Besorgnis. »Er ist nicht verhext, er ist dickköpfig. Und die Antwort auf die erste Frage ist: im Krankenhaus. Er lag im ivoma.« Heather wirbelte herum, um sie anzustarren. haben mir nicht gesagt, dass er im Koma lag.« »Glauben Sie, irgendjemand hatte ihn sonst schnappen können?« Heather blickte finster. »Aber war das kein ... so eine Art T-FLAC-Krankenhaus? Wie zum Teufel konnten diese Kerle da so einfach reinspazieren und ihn mitnehmen? Was für verdammt unzuverlässige Sicherheitskräfte habt ihr Typen dort?« Genau wie Heather warf auch Tony Rook Lark einen ungläubigen Blick zu. »Oh, ich werde herausfinden, wie, da könnt ihr sicher sein«, erklärte ihnen Lark rundheraus. »Köpfe werden rollen. Im wahrsten Sinne des Wortes. Doch, lasst uns uns fürs Erste auf das konzentrieren, was wir tatsächlich wissen. Fangen wir hiermit an.« Sie deutete auf die Aktentasche, die Tony in der Hand hielt. »Kipp sie auf den Tisch«, wies Heather an und stopfte ihr T-Shirt in den Bund ihrer Jeans. »Lasst uns mal sehen, was meine Mutter mir gegeben hat.« Er leerte den Inhalt des schlanken Lederkoffers auf den Tisch. »Wo und wann soll die Übergabe stattfinden?« Rooks Aufmerksamkeit war auf Lark gerichtet, als Heather begann, die verschiedenen Beutel auszusortieren. Sie wusste ziemlich genau, was in jeder der Taschen aus Seide oder Gamsleder auf dem Tisch war. Ungefähr drei Millionen in Preziosen. Diamanten, verschiedene Halbedelsteine und Perlen. Aber sie interessierte sich nicht für irgendwelche dieser Stücke. Sie durchsuchte den farbigen Haufen nach dem kleinen grauen Seidenbeutel, den ihre Mutter ihr an dem Tag, an dem sie ermordet wurde, auf dem Flohmarkt gegeben hatte. »Monterey Bay Aquarium.« Heathers Kopf schoss hoch, als sich ihr Hirn sofort mit dem Bild platzender Lungen und blankem, reinem Schrecken füllte. »Noch mehr Aquarien?! Nie im Leben!« »Keine Sorge. Sie werden nicht hingehen.« Heather fand und öffnete die vertraute Tasche. Lark und Tony waren verrückt, wenn sie glaubten, sie würde untätig herumsitzen, während der Vater ihres Kindes in Gefahr war. »Hier ist es. Schauen wir mal, was beinahe fünfzig Milliarden wert ist.« Lark und Tony kamen näher. »Das ist es?«, fragte Tony, offenkundig enttäuscht. Das war Heather ebenfalls. Ein paar Ohrringe, eine Brosche und ein halbes Dutzend alt aussehender Armreifen klapperten auf die hölzerne Oberfläche des Tisches. Jeder Armreif war zwischen fünf und zehn Zentimetern breit. Heather nahm an, ihre Mutter hatte die ähnlich aussehenden Mucke zusammen gekauft, wahrscheinlich mit einem Band zusammengebunden oder in einer hübschen Dose. Ihre Mutter hatte die Jagd auf Schätze geliebt; ihr Wert war unerheblich. Soweit Heather wusste, hatte ihre Mutter keines der Stücke je getragen. Sie waren vom Alter und dem uralten Schmutz völlig verfärbt und angelaufen. Und dann bemerkte sie den Zettel, der auf den Tisch geglitten war, mit einer Adresse in der Handschrift ihrer Mutter darauf. »Nun?«, wollte Lark wissen. Heather nahm ihre Goldschmiedelupe und den nächstgelegenen Armreif. »Wonach suchen wir?« »Vielleicht nach einem Mikrochip?«, schlug Rook vor. »Zahlen«, sagte Lark ungeduldig. »Vermutlich ein Schweizer Konto, und diese Adresse ist höchstwahrscheinlich die Lage der Bank.« Was auch immer es war, Heather wollte es schnell finden. Der Gedanke an Caleb, machtlos und als Geisel gehalten, machte sie wahnsinnig. Hatte er sich so gefühlt, als er herausgefunden hatte, dass sie entführt worden war? »Dies scheint eine Metalllegierung zu sein. Vermutlich eine Imitation von etwas viel Wertvollerem.« Sie drehte den Armreif langsam zwischen den Fingern, begutachtete die äußere Oberfläche. Sie war so schwarz angelaufen, dass es schwierig war, das eingeprägte Reliefmuster zu sehen. Sie drehte es um, damit sie hineinsehen konnte. Ihre Neugier war geweckt. »Ziemlich dreckig, und offen gesagt, ich habe keine Ahnung, wie ein Mikrochip aussieht.« »Es ist kein Mikrochip«, betonte Lark ungeduldig. »Es werden Zahlen sein. Irgendein Überseekonto. Vertraut mir.« Heather bekämpfte das Aufbrausen ihrer eigenen Ungeduld und antwortete: »Ich kann unter all der Schmiere gar nichts erkennen. Das ganze Zeug muss geputzt werden, und das dauert ewig -« Die Stücke verwandelten sich vor ihren Augen, und sie lachte. In weniger als einer Sekunde hatte Lark den jahrelangen Schmutz beseitigt, wofür Heather Stunden mühsamer, sorgfältiger Arbeit benotigt hätte. Je schneller sie die Information bekommen konnten, desto schneller konnten sie Caleb retten. Heather drehte sich um und lächelte beiden zu. »Es ist immer gut, Leute mit Fähigkeiten zu kennen.« Alle Stücke waren makellos, mit Ausnahme von einem. »Ich frage mich, weshalb das bei diesem Muck nicht funktioniert hat?« Sie nahm den geschwärzten Armreifen und drehte ihn zum Licht. »Mein Gott -« Sie begegnete Larks Augen. »Die Zahlen sina hier.« Eine lange Reihe Zahlen zog sich über die Innenseite des Armreifs. Hätte sie nicht speziell danach gesucht, hätte sie sie niemals entdeckt. Das Muck war schwarz und dreckig, die Gravur der Zahlen beinahe aufgefüllt mit dem Schmutz und dem Belag von Jahren, Jahrzehnten, zur Hölle 一 Jahrhunderten. »Das ist so merkwürdig. Merkwürdig und ausgeschlossen. Meine Mutter muss das vor einem Jahr eingraviert haben lassen. In diesem Fall wäre der schwarze Dreck von dem Gravurgerät gesäubert und entfernt worden.« Sie drehte das Schmuckstück und versuchte, die Zahlen zu lesen. Beinahe unmöglich. Wenn sie nicht so genau hingeschaut hätte, wären sie ihr völlig entgangen. Sie hätte das Wenige, was sie erkennen konnte,als eine Art Muster auf der Innenseite des Metallreifens abgetan. Sie nahm ein Blatt des hellrosa Seidenpapiers, welches sie benutzte, um ihre eigenen Entwürfe zu verpacken und platzierte es auf der Innenseite des Schmuckstücks. Danach fuhr sie mit einem weichen Bleistift sacht über die Zahlen und hoffte, diese so besser lesen zu können. »Funktioniert das?«, fragte Lark und beobachtete sie aufmerksam. »Erstaunlicherweise, ja.« Heather entfernte das dünne Blatt Papier aus dem Kreis und legte es auf den Tisch. Alle Nummern schienen da zu sein. »Wir haben, was wir brauchen.« Sie schob den schweren Metallreifen auf ihr linkes Handgelenk und stand auf. »Gehen wir.« »Ich möchte, dass Sie bleiben«, widersprach Lark in einem neutralen Tonfall. »Wir haben professionelle Agenten, die darauf trainiert sind, eine Rettung durchzuführen.« »Hervorragend. Dann schicken Sie eben einen Haufen von denen mit mir mit. Der Gedanke, in die Nähe von Terroristen oder großen Aquarien zu gelangen, jagt mir nämlich eine höllische Angst ein.« Lark warf ihr einen kühlen Blick zu. »Und was haben Sie vor zu tun?« »Ich werde genau das machen, was die mir sagen.« Heather erwiderte Larks Blick. »Ich werde den verdammten Armreif übergeben. Dann erwarte ich von Ihren »professionellen Agenten« dass sie Caleb und mich in Sicherheit bringen. Wie lange muss ich warten, und wie viele werden kommen?« »Sie haben völlig den Verstand verloren, wissen Sie das?« »Für den Fall, dass Sie nicht so empathisch sind, wie sie behaupten: Ich liebe diesen verdammten Mann, und das lässt mich durchaus den Verstand verlieren. Ist das Grund genug?« »Nicht, wenn Ihre Verrücktheit sie umbringt.« »Ist Caleb der Einzige, der einen Schutzzauber über mich legen kann?« »Wenn Sie sich recht erinnern wollen, hat das in Ihrem Fall rein gar nichts genützt.« »Weil er es getan hat.« Die Tatsache, dass Calebs Zauberspruch nicht funktioniert hatte, gab ihr ein merkwürdiges Gefühl der Befriedigung. Vielleicht gefiel es ihm nicht, aber wenn das, was Lark ihr über den Fluch und die Gefährtin des Lebens gesagt hatte, wahr war, dann liebte Caleb sie. Trotz seiner Handlungen und seiner Einstellung. Das blieb abzuwarten. Aber eins nach dem anderen. »Kannst du mich beschützen?« »Ich kann«, antwortete Keir Farris grimmig und tauchte im Nu schemenhaft beim Fenster auf. »Sie möchte, dass wir anklopfen«, teilte ihm Rook mit. Vier Schläge ertönten in schneller Aufeinanderfolge. Zwei auf dem Tisch in der Mitte des Zimmers, einer an der Tür des Kleiderschrankes und einer an der Wand neben der Küche. »Hervorragend«, bemerkte Heather trocken. »Erfreulich zu wissen, dass man Zauberer abrichten kann.« Dreißig Die El-Hoorie-Brüder sahen eher ihrer griechischen Mutter ähnlich als ihrem arabischen Vater, dachte Caleb. Sein Gehirn war begriffsstutzig und trüb wegen der Drogen, die sie in ihn hineingepumpt hatten. Offensichtlich waren schon ihre Eltern bereits unglaublich hässlich gewesen, und diese hatten diesen Umstand noch verschlimmert, indem sie ein Paar ausgebrütet hatten, das noch hässlicher war als sie selbst. Beide Brüder waren große, zu braun gebrannte Fleischberge mit lockigem schwarzem Haar und den breiten Gesichtszügen eines identischen Wüstenrennmauspaars. Es könnte nicht schaden, ihnen kräftig in den Hintern zu treten. Zur Hölle, es wäre im Augenblick schon nett, sich bewegen zu können. Bedauerlicherweise war er gerade schwächer als ein Baby. Sie hatten ihn auf einer Bank aufgerichtet und dort vor einer halben Stunde verlassen, wohl wissend, dass er nirgendwo- hin gehen würde. Erst vor fünf Minuten hatte er zwinkern können, und selbst das hatte ihn schwindelig und erschöpft gemacht. Zwei Paar schlammfarbene Augen hatten sich warnend in seine hineingebohrt, er solle es nicht wagen, ihre Pläne zu durchkreuzen. Dann waren ihm flexible Handschellen um die Handgelenke und Knöchel gelegt worden, die eng genug waren, um ihm augenblicklich das Blut abzuschnüren. Wenn man in Betracht zog, dass er zu dem Zeitpunkt kaum bei Bewusstsein war, sie waren wohl doch so dämlich, wie sie aussahen. Er würde nicht ewig weggetreten bleiben. Es fühlte sich nur leider im Augenblick verdammt noch mal so an. Er versuchte, die Handschellen mithilfe von Magie zu öffnen. Nach dem Versuch war er schlapp und schwitzte, und die Fesseln waren noch dran. Verflucht. Durch das dreistöckige Wasserbecken mit einem Wald aus Seetang hindurch, erblickte er das verschwommene Abbild der El-Hoories, während diese ihre Männer zu verschiedenen Positionen innerhalb des halbdunklen Aquariums hinter ihm dirigierten. Das Aquarium war offenbar geschlossen und das riesige Gebäude war leer, mit Ausnahme von ihm selbst, den El-Hoorie-Brüdern und ihren Männern. Zusammen etwa zwanzig Mann. Mit Ausnahme des gelegentlichen Quietschens einer Gummisohle auf dem Boden und dem Geflüster der Stimmen, war alles unheimlich still. Die Brüder waren eigentlich überhaupt nicht dämlich. Sie wären auch kaum dorthin gelangt, wo sie in der Welt des Terrors waren - Nummer vier auf der Terrorbeobachtungsliste von T-FLAC -,wenn sie die Dinge nicht bis zum Schluss durchdachten. Die Tatsache, dass sie es geschafft hatten, schnell zu reagieren und sich Caleb zu schnappen, war ein Anzeichen für den Grad ihrer Intelligenz. Selbst hier zu sein, dachte Caleb angeschlagen und versuchte sein Gehirn in die Gänge zu bekommen, bewies dagegen den Grad seiner Intelligenz. Sumpfschlamm war im Moment schlauer als er. Es war verdammt unglaublich, dass er direkt in deren Hände spaziert war. Blöderweise war es seine eigene Schuld, den besten Platz bei dieser Veranstaltung zu haben. Er war ins Krankenhaus gekommen - offenbar war es sehr knapp gewesen 一 und war ins Koma gefallen. Er war wieder in derselben Hinrichtung in San Jose aufgewacht, wo er schon diese endlosen Monate nach dem Austausch seines Knies verbracht hatte. Selbst bevor er die Augen geöffnet hatte, noch bevor er wieder zu Bewusstsein kam, galt sein erster Gedanke Heather. In seinem mehr toten als lebendigen, verwirrten Gehirn hatte er die verrückte Idee gehabt, mit ihr zu reden. Dafür zu sorgen, dass sie ihn nicht... hasste. In dem geistigen Nebel hatte er sogar an das »L«-Wort gedacht. Dumm. Es war bloß so, dass er das Gefühl nicht abscnutteln konnte, sie beide hätten noch etwas zu erledigen. Er hatte sich aus dem Bett gehievt und seine Kleider gefunden. Er wollte dort raus. Er wollte Heather. Es war nur ein unwesentliches Detail, dass er gerade erst wieder gehfähig und sein Gehirn nicht kooperativ war. Er war auf Autopilot gewesen. Heatherpilot. Die erste Person, die ihm den Hintern aufreißen würde, wenn er in einem Stück da rauskame, würde sein Arzt sein. Kaum fähig zu stehen, ganz sicher nicht fähig, gerade zu denken, schlich er raus. Gegen arztlichen Rat. Die zweite Person wurde Lark sein. Die Liste ließe sich fortsetzen. Heather würde wegen der Art, wie er sie ohne ein Wort des Abschieds verlassen hatte, wahrscheinlich glauben, er wäre aus ihrem Leben verschwunden. Und sie würde vermutlich wollen, er würde das auch bleiben. Sie musste nicht wissen, wie kurz davor er in ihrer Wohnung gestanden hatte, sich für immer zu verabschieden. Er war in der Dunkelheit nah an einer Hecke geblieben, ohne vom Sicherheitspersonal gesehen zu werden, das nach Leuten Ausschau hielt, die versuchten hereinzukommen, nicht auszubrechen. Die Jungs waren gut, aber selbst in dem Zustand, in dem er sich befand, war er besser. Zu dem Zeitpunkt, als er durch die Tore geschlüpft und auf der Suche nach einem Taxi drei Blocks weit gegangen war, hielt er sich schon an den Wänden fest, um aufrecht stehen zu bleiben. Er war schweißgebadet, kaum bei Bewusstsein und ihm war klar, dass er etwas unglaublich Dämliches getan hatte. Ein weiterer Punkt auf der Liste mit den Dingen, die er in der letzten Zeit vermasselt hatte. Vielleicht hatte dieses ganze Couvade-Syndrom irgendwie die Mehrheit seiner Gehirnzellen zerstört. Er hatte keine Ahnung, wie, aber er sollte besser rasch ein wenig Köpfchen auftreiben. Die El-Hoories mussten gewartet haben und waren ihm vom Krankenhaus aus gefolgt. Später würde er herausbekommen, wie zur Hölle sie ihn aufgestöbert hatten. Er war nicht ganz in der Lage gewesen, sein Handy vom Gürtel zu ziehen, und sie hatten ihn sich geschnappt, als er seine Taschen nach dem Wechselgeld durchwühlte, das er fürs Münztelefon brauchte. Die Injektion in seinen Hals war schnell verabreicht. Er war hier aufgewacht. Bei den Fischen. Welche Droge auch immer sie ihm gegeben hatten, sie strömte immer noch träge durch seinen Kreislauf. Das, zusammen mit seinem bereits drastisch geschwächten Zustand, machte ihn zu einer verdammt leichten Zielscheibe. Notiz für mich selbst: Wiederbelebung saugt einem Mann den Saft aus. Hab's kapiert. Sie hatten irgendeine Art Lähmungsmittel benutzt, das extrem effektiv gewesen war. Und hier war er, gekettet an eine Bank. Verdammt ungemütlich, aber nicht lebensbedrohlich. Er versuchte, sich zu bewegen. Seine Augenlider waren immer noch alles, was er kontrollieren konnte. Es war ziemlich schwierig, einen Kerl mit einem zuckenden Augenlid umzubringen, dachte er und war zu vollgedröhnt, um so viel Angst zu empfinden,wie er eigentlich haben sollte. Er war es nicht gewohnt, sich hilflos zu fühlen oder es zu sein. Er war es ebenfalls nicht gewohnt, so lange ohne seine Kräfte auszukommen. Das erschreckte ihn zu Tode und ließ eine ordentliche Portion Adrenalin durch seine Adern strömen. Er war von Magie abhängig gewesen, hatte sich darauf verlassen, dass sie einfach da war, sein ganzes Leben lang. Er hatte seine Kräfte als selbstverständlich erachtet. Ja, er war ein guter Schütze, sicher konnte er den Nahkampf nutzen, um seine Feinde zu erledigen. Letztlich aber waren es immer seine Fähigkeiten gewesen, die die Lage retteten. Hier jedoch war er - machtlos. Für wie lange, verflucht noch mal? Das war die Eine-Million-Dollar-Frage. Caleb weinte beinahe, als er herausfand, dass er nunmehr mit den Daumen wackeln konnte. Ja! Er konzentrierte sich darauf, abwechselnd jeden Finger zu bewegen, die Erleichterung rauschte durch ihn hindurch, als alle zu funktionieren schienen. Träge, aber beweglich. Es erforderte seine gesamte Konzentration, aber er ließ die Fesseln an seinen Knöcheln und den Handgelenken mit Magie aufspringen. Da das Lähmungsmittel zu allem anderen hinzukam, was sein Körper zu bekämpfen versuchte, musste er seinen Kreislauf ausschwemmen. Schnell. Caleb behielt ein Auge auf der Aktivität und zauberte ein pechschwarzes Glas, mit einem hochkonzentrierten Vitamin-Energiegetränk herbei. Er stürzte es runter, füllte es mit Wasser und trank so lange weiter, bis er nicht mehr konnte. Obwohl es ihm mit großer Anstrengung gelungen war, es herbeizuzaubern, war er immer noch unfähig, es in der Hand zu halten. Er hatte nicht genügend Kraft, das Glas lange vor seinem Mund schweben zu lassen. Es fiel mit einem leisen Klappern auf den Fußboden. Niemand schien das Geräusch zu bemerken. Das Wasser sickerte in seine ausgetrockneten Zellen und belebte ihn, während er darauf wartete, dass die Vitamine wirkten. Er öffnete und schloss die Finger. Ballte die Fäuste. Ja, das kam der Sache schon näher. Der Hauptbesonderheit der Brüder war die Vorliebe, Dinge in die Luft zu jagen, und sie waren erschreckend gut darin. Sie bevorzugten Orte, wo die menschlichen Verluste in die Hunderte, wenn nicht Tausende gingen. Wie die Londoner U-Bahn-Station, die sie letztes Frühjahr gesprengt hatten. Oder das Baseball-Stadion in Tokio, aus dem sie vor sechs Monaten ein großes hässliches Loch gemacht hatten. Siebentausend Leute waren gestorben. Man brauchte keine Zauberkräfte, um zu wissen, dass dieses Aquarium ihr nächstes Ziel war. Seitdem sie angekommen waren, hatte er deren Männer beobachtet, wie sie genügend C4-Sprengstoff aufgestellt hatten, um den Deckel von dem Gebäude wegzublasen. Zu welchem Zweck, wusste Caleb nicht. Wen zur Hölle planten diese Kerle umzubringen? Eine Handvoll Schulkinder morgen auf einem Ausflug? Das ergab keinen Sinn. Am anderen Ende des Raumes, stand eine Tafel mit einem Hinweis darauf, aber er konnte nicht lesen, was das Schild ankündigte. Was auch immer es war, die Brüder planten, die Veranstaltung auf ihre übliche spektakuläre Art zu beenden. Wahrend Caleb darauf wartete, dass das Blut in seine Hände zurückkehrte, achtete er auf die Rückkehr der El-Hoorie- Brüder. Es war ihm klar, dass sie heute Abend auf irgendje- manden warteten. Doch auf wen? Die Bösen hatten keine gebührenfreie Nummer zu T- FLAC, also war er neugierig zu sehen, wen genau sie angerufen hatten. Wer, glaubten sie, würde ihnen sagen können, wo ihr Geld war? Es konnte nicht Heather sein. Sie wussten nicht, wo sie war, und selbst wenn sie es wussten, hatte sie Lark und sein Team bei sich. Niemand würde auch nur in ihre Nähe kommen. Ein Leopardenhai machte eine träge Hundertachtzig- Grad-Drehung durch den sanft wiegenden Seetang. Das Glas des riesigen Aquariums war gut fünfzehn, vielleicht zwanzig Zentimeter dick und die Luftfilter und die Mechanik summten leise in der Stille. Das Becken war zum Raum hin offen, und das bleiche Mondlicht filterte durch die sanft wogenden, bernsteinfarbenen Wedel und hob die silbernen Schuppen eines Sardinenschwarms hervor, als dieser plötzlich losschoss. Unauffällig testete Caleb seine Bewegungsfähigkeit um herauszufinden, wie lange er noch eine zugedröhnte Faszination für Flora und Fauna der Bucht von Monterey vortäuschen musste. Und wann er für seinen Schachzug bereit wäre. Bald. Mit Sicherheit, bevor irgendein übler Mist passierte. Seine Gedanken wanderten direkt zu Heather. Sobald er hier herauskäme, würde er sowohl mit Gabriel als auch mit Duncan sprechen und den Stein ins Rollen bringen, was Heathers und Böhnchens Sicherheit betraf. Ihre Zukunft. Die letzten paar Tage waren eine unerbittliche Mahnung daran gewesen, was die Zukunft rur ihn bereithielt. Jahre der unerfüllten Sehnsucht und quälenden Sorge, während er sich für die Arbeit entschied anstatt für die Familie, die er geschaffen hatte. Wenigstens wusste er, dass er sich auf MacBain verlassen konnte, der ihm Fotos schicken und ihn täglich auf den neuesten Stand bringen würde. Die Wüstenrennmausbrüder und ihr Gefolge waren hinter ihm verteilt, aber er konnte sie ziemlich gut im Spiegelbild des Seetangbeckens erkennen. Er beobachtete, wie sie munter wurden und miteinander flüsterten. Die Bruaer grinsten, was ihre ohnehin hässlichen, beinahe identischen Mopsgesichter, noch hässlicher aussehen ließ. Er konzentrierte sich darauf, ihre Lippen zu lesen, aber sein Griechisch war bestenfalls bruchstückhaft und das Lippenlesen war bei einem Spiegelbild schier unmöglich. Das Quietschen eines Tennisschuhs auf dem polierten Zementboden machte ihn auf einen neuen Spieler aufmerksam. Caleb glaubte, er würde halluzinieren, als er Heathers Spiegelbild über die Oberfläche des Glases schwimmen sah. Halluzination oder nicht, sein Herz stoppte. »Sie ist allein«, erklärte einer der Handlanger der Brüder auf Griechisch. Er klang ebenso ungläubig,wie Caleb sich fühlte. »Ich habe die Zahlen für ein Schweizer Bankkonto, meine Herren.« Heathers Stimme. Hier. Es war nicht bloß absolut inakzeptabel, es war verrückt. Was hatten sich Lark und die anderen dabei gedacht? Sie, eine Zivilistin, in die Höhle des Löwen zu schicken? Calebs Herz stolperte, als der Klang ihrer Tennisschuhe näher kam. Gummisohlen auf Zement wie Fingernägel an der Tafel. Mein Gott. Hatte sie sich fortgestohlen? Woher wusste sie, wohin sie gehen musste? Hatte er ihren Aufenthaltsort bei seinem Versuch, sie zurückzugewinnen, überhaupt erst an den Feind verraten? Einer der hässlichen Brüder streckte seine fleischige Hand aus. »Übergib es mir.« »Du lässt meinen Ehemann gehen, und ich werde dir die Zahlen geben.« »Du gibst mir Zahlen, und wir töten nicht.« Er warf ihr ein groteskes Lächeln zu. »Ihn. Dich. Wo ist die Nummer?« Endlich war sich Caleb sicher, dass sein Körper wieder funktionierte. Er machte eine innerliche Bestandsaufnahme und entschied, dass er wieder stark genug war, jemanden in den Hintern zu treten. Wenigstens körperlich, wenn auch noch nicht mit Magie. Heather war zehn Meter entfernt. Seine Hauptsorge galt ihrer Sicherheit. Er würde sie nicht einmal heilen können, sollte sie verletzt werden. Nicht für noch mindestens weitere sechs Stunden, wenn er seine Fähigkeiten richtig einschätzte. Ein leises Doppelklicken ertönte direkt hinter ihm. Irgendjemand improvisierte. Schön zu wissen, nicht allein zu sein. Er spürte einen willkommenen Stoß Adrenalin, da er nun wusste, dass Heather nicht schutzlos war. Das war der Zeitpunkt, an dem Keir sie und Caleb nach Hause und außer Gefahr teleportieren sollte. Sie riss sich zusammen. Nichts passierte. Sie biss sich auf die Unterlippe. Feste. Auf geht's,Keir. Mach's einfach. Nichts. Neben ihr zischte Keir: »Scheiße.« Oje. Was hatte das zu bedeuten? O Gott. Das klang nicht gut. »Probleme?«, fragte sie, ohne die Lippen zu bewegen. Sie konnte nicht fragen, was gerade passierte, aber sie konnte hier auch nicht nur stumm herumstehen. Sie erwarteten von ihr zu verhandeln, und das sollte sie verdammt noch mal auch tun. Sie warf jedem der beiden Brüder einen kühlen Blick zu, als würde sie täglich Terroristen gegenüberstehen. »Tötet ihn und ich werde es euch nicht sagen. Macht schon. Ihr seid Geschäftsmänner. Caleb und ich gegen wie viele von euch? Fünfzehn? Zwanzig? Wir marschieren hier raus, und ihr bekommt eure Kontonummer. Wir beide wissen, dass ihr achtundvierzig Milliarden Gründe habt,diesen Deal zu machen.« »Achtundvierzig? « »Milliarden Dollar«, erklärte sie mit fester Mimme. Warum zum Teufel brauchte Keir so lange? Weshalb hatte sie sich überhaupt eingebildet, sie könnte die Rolle eines Geiselun- terhandlers spielen? Sie hatte vor Angst die Hosen voll. Und trotz ihrer gespielten Tapferkeit gegenüber Lark und Calebs Männern in ihrer Wohnung, entstammte die Hälfte, zur Hölle, mehr als die Hälfte ihres Mutes dem Wissen, dass Calebs Leute sie in dieser Situation beschützen wurden. Sie konnte das Fragezeichen hinter ihr beinahe hören. »Verdammt, wenn ich es nur wüsste«, flüsterte Keir fony oder Dekker zu. Versuch?,wiederholte Heather in ihrem Kopf. Versuch? »Ja. Das ist alles«, erklärte sie den hässlichen El-Hoories. »Ich werde euch alles aus Fazuk Al-Adels Konto geben.« Macht schon, Jungs! Ein Frösteln lief ihr die Wirbelsäule hinauf, als sie genau dort blieb, wo sie war, im Aquarium, nur wenige Schritte von zwei Terroristen entfernt, die aussahen, als wären sie bereit, sie jederzeit in Stücke zu reißen. »Ihr könnt alles haben, im Austausch für meinen Ehemann. Wo ist er?«, fügte sie verzweifelt hinzu. Obwohl sie wusste, dass sie nicht allein war, fühlte sich Heather so. Ihre T-FLAC/Psi Beschützer waren unsichtbar und hatten offensichtlich technische Schwierigkeiten. Das blasse, künstliche Leuchten des überlebensgroßen Salzwasseraquariums füllte den gesamten Raum und umgab sie mit leuchtend farbigen Fischen, Meeresalgen und wirklich üblen Erinnerungen. Einen noch furchteinflößenderen Ort konnte sie sich im Augenblick kaum vorstellen. Ihr Magen drehte sich um, als sie sich lebhaft an den salzigen, widerlichen Geschmack des Wassers im Becken erinnerte und das lähmende Gefühl, nicht atmen zu können. Denk jetzt nicht daran, ermahnte sie sich streng. Sie war bereits verängstigt genug, ohne dass sich das, was passieren konnte, mit dem überlagerte, was passiert war. Dann sah und erkannte sie Calebs Hinterkopf. Er war auf einer Bank zusammengesackt, dem zehn Meter hohen Wald aus Seetang zugewandt. Er bewegte sich nicht. War er be- wusstlos? Gott... bitte lass ihn nicht tot sein. Der Gedanke daran, was sie ihm angetan haben könnten, machte ihr Angst. Sie nahm sich zusammen und konzentrierte sich auf die Männer vor ihr. »Ich habe getan, was ihr wolltet«, erklärte sie den beiden. Ihr war klar, dass das Aquarium von bewaffneten Männern nur so wimmelte. Andere Terroristen, Männer genauso fürchterlich wie Al-Adel, wie diese El-Hoorie-Typen. Sie mussten etwa zwanzig Mann haben, während sie bloß sechs, offensichtlich gestörte Zauberer hatte. Die Chancen standen in ihren Augen ziemlich unausgeglichen, obwohl ihr Lark und das Team nicht beunruhigt erschienen waren. Heather war besorgt und hatte genügend Angst für die ganze T-FLAC-Organisation und all deren Freunde und Familien zusammen. Warum waren sie und Caleb immer noch hier? Ihr Instinkt und ihr Gefühl rieten ihr, zu Caleb zu gehen, aber sie würde nichts tun, um einen dieser Typen sauer zu machen. Es half ihr in dieser Situation wenig, dass sie die gesellschaftliche Fähigkeit besaß, sich angemessen, aber charmant in vier Sprachen auf einer Cocktailparty unterhalten zu können. »Ich habe euch gerade gesagt, ich kann euch geben, was ihr wollt. Bringt Caleb zu mir. Lasst uns hier rausgehen, und alle sind glücklich.« Einer der Brüder wies die beiden Männer neben ihr an: »Durchsucht sie.« »Ich bin direkt bei dir, Süße«, sagte Keir Farris leise. So leise, dass Heather dachte, es wäre in ihrem Kopf. War das überhaupt möglich? »Geh langsam rückwärts. Gerade. Braves Mädchen. Geh weiter.« Warum konnte niemand sonst ihn hören? Das Problem war, dass da noch der »Verflucht«- Tonfall in seiner Stimme war. Einer der Brüder war offensichtlich fasziniert von den Meerestieren, die durch die dicken Algenstränge schwammen. Der andere blickte sie finster an, als er bemerkte, dass sie einen Schritt rückwärts machte. »Was soll das?« Sie hielt inne und hob das Kinn mit vorgespielter Tapferkeit. »Ich will nicht von euren Schlägern begrapscht werden. Ihr wolltet, dass ich herkomme. Ich bin hier. Ihr habt gesagt, ihr würdet meinen Ehemann mit mir hier rauslassen. Also« - sie streckte die Arme aus - »verschwindet.« Sie schob ihre Füße langsam, Muckchen für Stückchen, zurück. »Schaut.« Sie drehte ihre Taschen nach außen, der Armreif hing lächerlich schwer an ihrem Handgelenk. »Keine Waffen, keine Mikrofone, nichts.« »Und keine Kontonummer«, knurrte einer der Brüder. »Glaubst du, wir sind Dummköpfe?« Heather nahm nicht an, dass sie eine ehrliche Antwort wollten. Sie warf ihnen ihr Cocktail-Lächeln zu. »Ich glaube, ihr seid Geschäftsmänner. Die Zahlen sind in meinem Kopf. Wusstet ihr das nicht bereits, als ihr verlangt habt, dass ich sie überbringe? Natürlich wusstet ihr das«, sagte sie und schmeichelte ihrer Intelligenz. »Ich bin bereit, das Geschäft wie abgemacht abzuschließen.« Die Situation war surreal, und ihr Magen verknotete sich vor Anspannung und Nervosität. Vorher, in ihrer Wohnung, hatte Lark gesagt, sie solle den Brüdern lediglich den Armreif übergeben. Sie solle ihnen nur geben, was sie wollten, und ihre unsichtbaren Leibwächter würden den Rest erledigen. Jeder ihrer Instinkte riet Heather, genau das zu tun. Sie wollte so dringend hier heraus, dass sie kaum an etwas anderes denken konnte. Aber eine vorsichtige kleine Stimme in ihrem Kopf erinnerte sie daran, dass Caleb angenommen hatte, er hätte einen Schutzzauber über sie gelegt, und es hatte nicht funktioniert. Woher sollte sie wissen, ob Keirs Zauberspruch funktionieren würde? Um Himmels willen 一 er hatte gerade Schwierigkeiten damit, sie zu teleportieren! »Verflucht!«, war ganz richtig. Wenn sie diesen Typen den Armreif gab, hatten die keinen Grund mehr, Caleb oder sie am Leben zu lassen. Wenn der Schutzzauber nicht funktionierte, wären sie beide am Ende sehr, sehr tot. Auf eine sehr, sehr endgültige Art und Weise. Ihre Anspannung ließ ein wenig nach, als die Männer der El-Hoorie-Brüder zu verschwinden begannen. Einer nach dem anderen wurden sie abgeschossen und aus dem Raum teleportiert. Also konnten Calebs Männer die Bösen teleportieren, aber sie steckte hier fest? Das ergab keinerlei doch es war trotzdem ziemlich lustig zu beobachten, wie sich die Leute in Luft auflösten. Zum Giuck hatte sie das schon mal gesehen, sonst würde sie noch glauben, sie begänne völlig uberzuschnappen. »Geh weiter«, erklärte Keir Heather leise. »Halt nicht an, bis du zur Wand kommst.« Einer der Brüder bedeutete seinen beiden Männern dort zu Dleiben,wo sie waren. »Unser Geld ist wo?« Heathers Rücken traf die Wand. »Schwei 一” Calebs Leute hatten die Männer mit atemberaubender Geschwindigkeit teleportiert. Plötzlich bemerkten die Brüder, dass ihre Anzanl dramatisch gesunken war. Möglicherweise wussten sie nicht, warum und wie, aber sie konnten offensichtlich zählen. Überraschung. Ein Bruder raste rüber zu der Bank, an die Caleb gefesselt gewesen war. Gewesen war? Heather blinzelte. Wo war er? Hatte Lark ihn schon teleportiert? Sie scnrie beinahe seinen Namen, als der andere Bruder eine große, schwarze Waffe auf sie richtete. O verdammt. Schon wieder. Alles ging so schnell, dass sie nur gelähmt dastand. Einen Sekundenbruchteil später hörte sie ein Klicken, als etwas Metallisches -die Kugel} 一 nur ein paar Schritte vor ihr zu Boden fiel, als ware sie gegen ein Kraftfeld geprallt. Ohne ihren Verdacht zu bestätigen, rannte Heather so schnell sie konnte zum Ausgang. Okay. Gut zu wissen. Der Schutzzauber funktionierte tatsächlich. Laut Plan hatte sie den Armreif übergeben und anschließend von Keir Farris so schnell wie möglich zurück zum Apartment teleportiert werden sollen. Wenn das aus irgendeinem Grund nicht möglich war, sollte sie zum Ausgang rennen, wo entweder Tony Rook oder Dekker sie teleportieren wurden. Theoretisch wäre sie so keinerlei körperlicher Gefahr ausgesetzt. Während sie mit ganzer Kraft rannte, betete sie darum, nicht von einer Kugel in den Rücken oder von einem abgesprungenen 5tuck Zement getroffen zu werden. Hinter ihr entbrannte die Hölle, als Calebs Leute die Terroristen in einen tödlichen Kampf ohne Regeln verwickelten. Geschützfeuer durchsiebte das Aquarium. Der Klang prallte von den Betonwanden ab und wurde vom dicken Glas der Becken zu einer ohrenbetäubenden Kakophonie zurückgeworfen. Der Lärm löste die Alarmsysteme aus, was nicht nur die Lautstarke steigerte, sondern auch die Beleuchtung über den Ausstellungsstücken einschaltete. Betonstückchen wurden zu Projektilen und genauso gefährlich wie Kugeln. Heather schaute sich nicht um. hob einen Arm, um sicherheitshalber ihren Kopf abzuschirmen, benutzte den anderen, um ihren Bauch zu schützen, und rannte. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals, und der Schweiß strömte ihr die Schläfen hinab, als sie auf das nächste AusGANG-Schild zuhielt. Vielleicht hätte sie den Armreif einfach übergeben sollen. Wo war Caleb? Noch wichtiger, war er in Sicherheit? Sie wollte schreien. Schreien, damit die Schießerei aufhörte. Den Namen ihres Ehemannes herausschreien. Zur Hölle, einfach nur schreien, bis die Panik nicht länger durch ihren Körper zu wallte. Sie sah,wie Dekker mit einer Waffe in jeder Hand auf sie zurannte, um sie am Ausgang abzufangen. Sie hielt inne und erwartete, teleportiert zu werden. Nichts passierte. Er schaute finster, gab einen Schuss auf einen Mann ab, der sie von hinten angriff, und rannte weiter. Kurz vor ihr blieb er stehen, und wollte ihren Arm ergreifen, aber er konnte sie nicht berühren. Seine Hand wurde dreißig Zentimeter vor ihrem Körper gestoppt - blockiert. Das war offensichtlich so nahe, wie er an sie herankommen konnte. »Rook«, brüllte der Agent in sein Lippenmikro. »Zu Heather. Jetzt« Rook materialisierte sich grinsend neben ihn »Hallo,Schöne. Bereit heimzugehen?« Er warf dem Mann neben ihr einen verstohlenen Seitenblick zu. »Er kann mich ebenfalls nicht teleportieren. « Sie versuchte erst gar nicht, die Panik und Nervosität aus ihrer Stimme zu verbannen. »Wo ist Caleb? Was geht hier vor? « »Wir kümmern uns darum«, beharrte Rook. »Lasst uns hier abhauen. Fertig? « »Ja 一” Sie wurde auch nicht teleportiert, als Tony es noch einmal versuchte. Plötzlich hatte sie große Angst. Farris blickte zu Rook rüber. »Bring sie raus. Ich werde Caleb holen. « Im Nu war er fort. Sie und Rook rannten Seite an Seite. Der erste Notausgang war abgeschlossen, und Heather spürte das Brennen der Panik. »Hier lang. « Rook deutete mit seinem Gewehrlauf nach links. Okay. Dies hätte nicht passieren sollen. Sie war hier, um Caleb zu retten, und sie hatte nichts von ihm gesehen außer seinem Hinterkopf. Heather Herz stoppte, und sie rutschte auf etwas auf dem Fußboden aus. Sie riss die Hände hoch, als ihre Füße unter ihr wegrutschten. Tony versuchte, sie zu packen. Drei Dinge passierten gleichzeitig. Erstens konnte Tony sie nicht berühren, zweitens wurde sie irgendwie umgedreht und wieder sanft auf die Füße gestellt, und drittens tauchte Caleb mit finsterer Miene auf. »Was zur Hölle denkst du dir eigentlich, Rook? Warum ist sie immer noch hier? « »Ich kann sie nicht teleportieren. Weder Dek noch Farris können es. « »Blödsinn.« Calebs Augen zogen sich zusammen, als sie nirgend wohin ging. »Wer zum Teufel hat sie beschützt? « »Farris, aber ich sage dir doch, er kann sie auch nicht teleportieren. « »Unmöglich. Vermutlich«, berichtigte sich Caleb. »Was vermutlich? schoss Heather zurück und packte sein T-Shirt. »Mach irgendetwas. Beschwör irgendein Molchauge oder was auch immer du brauchst, aber »Böhnchen« sagte Caleb voller Verwunderung. »Was? «, schienen alle einstimmig zu fragen. Heather krümmte die Hand über ihrem Bäuchlein. »Oh, Gott. Fehlt dem Baby irgendetwas? « »Versuch«, begann Caleb und hielt dann kurz inne, um ein paar Runden zum Schutz durch den Korridor zu feuern, bevor er über die Schulter rief, »mit ihm zu reden. « Sie atmete tief ein und fragte sich, ob sie bereits so verrückt war, dass jede Hilfe zu spät kam, dann sagte sie so vernünftig wie möglich: »Böhnchen, wir müssen hier weg, also Daddy und ich würden es sehr schätzen, wenn du - Heiliger Strohsack! « Sie war zurück in ihrer Wohnung. Lark lag ausgesteckt auf ihrem Bett, las ein italienisches Modemagazin und schmiss sich gekühlte Weintrauben in den Mund. Sie blickte auf, als Heather geräuschvoll am Tisch in den Stuhl mit der hohen Rückenlehne sank. »Sie sehen verschwitzt aus. Alles in Ordnung?« Verblüfft gelang es Heather zu nicken. »Ja, also, ich glaube ja. « Sie rieb bewundernd ihren Bauch. »Mir geht's gut. Offensichtlich kümmert sich mein Sohn bereits um seine Mutter. Er hat mich nach Hause teleportiert. « Sie schluckte und grinste dann, als sie das sachte Flattern in ihrem Mutterleib als Antwort spürte. Lark setzte sich in den Schneidersitz und grinste. »Ich hab Ihnen doch gesagt, er wird mächtig werden. « Heather hielt sich so lange am Stuhl fest, bis das Schwindelgefühl beim Wiedereintritt nachließ. »Wussten Sie, dass das passieren konnte? « »Ich bin eine Empathin, erinnern Sie sich? « Heather runzelte die Stirn, als sie sich umschaute und erwartete, Caleb zu sehen. Sie wollte Caleb sehen. »Böhnchen hat nur mich herteleportiert? « Lark lächelte. »Caleb ist ein starker Mann und ein Zauberer, Heather. Caleb kann sich um sich selbst kümmern. « Wenn sie es sagt, dachte sie und stand auf. »Schwer zu vergessen«, murmelte sie und ging in die Küche, um sich ein Glas Wasser zu holen. Wein wäre zwar besser gewesen, aber nicht, wenn sie ein Baby an Bord hatte. »Wie kommt es, dass Böhnchen mich in Matera nicht beschützt hat? «, rief sie und füllte ein Glas. Sie ging zurück ins andere Zimmer und setzte sich an den Tisch. Sie stellte ihr halb leeres Glas neben sich und begann, den kleinen Berg Schmuck zu sortieren, der dort immer noch in einem durcheinandergewürfelten Haufen aufgetürmt lag. Alles, was von ihrem alten Leben noch übrig war. »Nun?« »Der Zeitpunkt ist entscheidend«, erklärte Lark, und ihr Gesichtsausdruck zeigte eine Mischung zwischen amüsiert und triumphierend. »Ein angehender Zauberer muss die Fünfzehn-Wochen-Marke erreichen, bevor sich seine Kräfte zu entwickeln beginnen, und Sie sind um drei Uhr heute Nachmittag vor fünfzehn Wochen schwanger geworden.« »Habe ich jetzt also auch Zauberkräfte? «, wollte Heather halb entsetzt, halb fasziniert wissen. Und sie fragte sich absolut nicht, woher Lark die genaue Uhrzeit von Böhnchens Empfängnis wusste. »Nicht Sie. Ihr Kind. Doch durch Böhnchen können Ihre eigenen natürlichen Fähigkeiten hervortreten. « »Glauben Sie mir, ich habe keine natürlichen oder ««natürlichen Fähigkeiten«, versicherte ihr Heather. »Kommt Zeit, kommt Rat«, sagte Lark rätselhaft. So gerne sie Lark auch fragen wollte, was sie damit meinte, biss sich Heather dennoch auf die Zunge. Lark würde es ihr nicht sagen, und offen gesagt, hatte sie im Augenblick auch genügend andere Dinge, über die sie nachdenken konnte. Während sich Lark zurück aufs Bett legte, um die Zeitschrift durchzublättern, sprang Heather wieder auf und begann durch die Wohnung zu gehen. »Wo auch immer dein Vater ist, ich wünschte, er und die anderen würden sich beeilen und nach Hause kommen«, flüsterte sie. Innerhalb weniger Sekunden knäuelten sich vier Männer auf einem Haufen zu ihren Füßen. Blut sickerte aus einer Schnittwunde über Keirs rechtem Auge. Dekker hatte eine aufgeplatzte Lippe und etwas, das wie der Beginn eines hässlichen Blutergusses auf der Wange aussah. Tony Rooks Hand schwoll an und war bereits blau und schwarz. Caleb rollte sich zur Seite und zuckte zusammen, als er auf die Füße kam. »Weshalb wollt ihr Typen es immer auf die harte Tour erledigen? «, fragte Lark kopfschüttelnd. »Was nützt euch euer Dasein als Zauberer, wenn ihr in dieser Situation nicht eure Kräfte benützt? « Tony Rook grinste. »Sonderzulage beim Job.« »Was zum Teu - Was war das? «, fragte Keir, rieb sich den Unterkiefer und schaute die anderen an. »Warp-Geschwindigkeit mit freundlicher Genehmigung von Mini-Edge«, stellte Lark fest, und konnte ihre Begeisterung kaum im Zaum halten. Calebs blaue Augen saugten sich an Heather fest. Sie konnte sehen, dass er seine linke Seite bevorzugte. Seine Rippen? »Wie ist das passiert? Was hast du getan? « Mich um dich gesorgt. Dich geliebt. »Ich habe mir bloß gewünscht, dass ihr euch beeilt. Ich nehme an, Böhnchen hat den Rest erledigt. « »Toll«, erklärte Rook. »Wir sind mit Warp-Geschwindigkeit durch diese Typen geflogen. Heather, Süße, du kannst mich durch jeden Einsatz hindurchwünschen, den du möchtest. He, danke«, sagte er zu Caleb, als er bemerkte, dass seine Hand geheilt war. Er ließ die Finger spielen und grinste. »Das ist so cool. « Noch während er sie beobachtete, heilte Caleb die in Mitleidenschaft gezogenen Körper seiner Freunde. »Schick ein Team zurück zum Aquarium. Die haben das Gebäude präpariert, um es in die Luft zu jagen«, sagte er zu Lark. » »Morgen früh um zehn Uhr ist der Besuch einer bedeutenden umweltpolitischen Gruppe angesetzt. Ich kümmere mich darum. « Sie verschwand und nahm ihre Weintrauben und die Zeitschrift mit. »Heather, gib mir was auch immer die Kontonummer trägt, damit wir dies hier abschließen können. « »Hast du verdammt noch mal auch nur die geringste Ahnung, wie verdammt ... nervig das ist? >Damit wir dies abschließen können? <«, wiederholte sie durch die Zähne. »Als ob du nicht einfach reinspaziert wärst und mein ganzes Leben auf den Kopf gestellt hättest? « Caleb schaute zu dem auf dem Tisch verstreuten Schmuck rüber. »Welches Teil ist es? « »Böhnchen, Mami muss allein mit Papa reden. Könntest du bitte alle anderen dahin schicken, wo sie hin möchten, so lange es nicht hier ist? « »He, wa -« Die drei Männer verschwanden auf der Stelle. Gütiger Himmel. Tony hatte Recht. Das war toll. »Nun, bitte setz Daddy auf den Stuhl. Behutsam.« Caleb flog durch die Luft, landete aber sanft auf dem Stuhl. »Vorsichtig«, warnte er und sah ein wenig verstört aus. »Macht korrumpiert. « »Sie ist aber auch praktisch«, konterte sie und kam näher zu ihm. »Ich kann dich nicht einfach in den Sonnenuntergang teleportieren lassen, wenn du noch so viel zu erklären hast. « »Es ist ohne Bedeutung. « »Für mich hat es eine Bedeutung«, antwortete sie, verschränkte die Arme über der Brust und nagelte ihn mit einem Blick an seinem Stuhl fest. »Ich will wissen, weshalb du mich benutzt hast. Warum du geglaubt hast, es wäre in Ordnung, mich zu einem Pfand in dem Spiel zu machen, das du mit meinem Vater gespielt hast? « »So war es gar nicht. « »Ach nein. Wie war es dann? « Caleb rieb sich die Handflächen über das Gesicht. »Zunächst war es gar nicht mein Auftrag, Heather. Ich habe zugestimmt, herzukommen und mit dir zu reden, bloß um aus diesem verdammten Krankenhaus zu kommen. Ich sollte dich eigentlich an einen anderen Agenten weiterleiten. « »Um was zu tun? « »Deinen Vater zu finden. Ihn zu finden, hieß, das Geld zu finden. Das Geld zu finden, hieß, einem Dutzend Terrorgruppen die finanziellen Beine unter dem Leib wegzuziehen. « »Warum bist du nicht einfach nach Matera gegangen und hast ihn dahin teleportiert, wo du ihn haben wolltest? « »Teleportieren setzt Blickkontakt voraus. « »Oh - du konntest dich unsichtbar machen, dort jederzeit hineinspazieren und ihn sehen. « »Habe ich versucht. Das Problem war, dass der Ort ein Labyrinth war. Wir konnten ihn nicht finden. Wir wussten, er war drinnen. Damals. Aber wir konnten nicht sicher sein, dass er dort bliebe, während wir weitersuchten. Ich habe alles versucht, bevor ich zu dir kam. « Für einen Moment lang waren ihre Augen klar und bodenlos. »Da war eine Sache, die du nicht versucht hast. « »Und das war? « »Du hast mir nicht die Wahrheit gesagt und um meine Hilfe gebeten. « »Hinterher ist man immer schlauer«, meinte er grimmig. »Aber bei aller Ehrlichkeit, der Gedanke kam mir nie in den Sinn. « »Was für ein Pech. Es hätte dir viel Zeit ersparen können. « »Und eine Menge Mühen.« »Ja. Mich zu heiraten war ein wenig drastisch, wenn man bedenkt, dass du mich höchstens für ein paar Stunden brauchtest. « Sie nagelte ihn mit ihrem Blick fest. »Ich verstehe, dass es wichtiger ist den Terrorismus zu bekämpfen, als, sagen wir mal, zu versuchen, einen Weg zu finden, um diesen Fluch null und nichtig zu machen. « Sie sah, wie er zusammenzuckte und ergänzte: »Du nimmst diese Sache mit der Pflicht bestimmt ziemlich ernst, nicht wahr? « »Nairnes Fluch wirkt seit fünfhundert Jahren. Es ist, wie es ist, und in diesem Fall völlig unerheblich. « »Oh, ich denke, es ist momentan sehr erheblich. Ich bin deine Gefährtin des Lebens. « Calebs Blut gefror, als die Worte so leicht von ihren Lippen kamen. »Nein«, antwortete er tonlos. »Bist du nicht. « Er hatte sie einmal beinahe verloren, weil er sich geweigert hatte, seine Gefühle zuzugeben. Er hatte geglaubt, wenn er sich nicht eingestand, wer und was sie für ihn war, würde sie geschützt sein. Falsch. Er hatte eine Gnadenfrist erhalten, das war alles. Es war, als hätte Nairne ihm eine Warnung zukommen lassen. Verlieb dich nicht. Pflicht. Pflicht oder Tod. Er zitterte vor Qual. Er wäre verdammt, wenn er sie noch einmal so in Gefahr bringen würde. Lieber sollte man ihm sein Herz herausreißen und es den Hunden zum Fraß vorwerfen, bevor er zuließe, dass sie wieder verletzt wurde. Sie kaute auf ihrer Lippe herum und runzelte die Stirn. »Sagst du gerade, dass du mich nicht liebst? « Der Duft ihrer Haut verwandelte sein Gehirn zu Brei. Verdammt noch mal. Er sollte Abstand halten. »Das habe ich nicht gesagt. « »Also liebst du mich. « »Es ist unerheblich. « Sein Herz war ein Eisblock unter ihrer Hand, die immer noch auf seiner Brust ruhte. »Ich kann dir nichts bieten. Nicht eine verdammte Sache. Ich kann dir keine herkömmliche Ehe bieten. Ich werde nicht mit dir zusammenleben können. Man wird sich gut um dich und Böhnchen kümmern. Aber ich kann nicht, werde nicht Teil eures Lebens sein. Das wird nicht passieren. « »Wegen des Fluchs?« Wenn er Ja sagte, würde sie versuchen, ihm den schwarzen Peter zuzuschieben. Sagte er Nein, würde sie versuchen, ein Zugeständnis aus ihm herauszuquetschen. »Nairnes Fluch ist so real wie Tod und Steuern«, erwiderte Caleb vorsichtig. »Unzählige Ahnen haben ihr Bestes gegeben, ihn zu brechen. Sosehr sie sich auch ins Zeug legten, es hat nicht funktioniert. Generationen von Edges haben es versucht und sind gescheitert. Glücklicherweise spielt das hier keine Rolle. « Er hielt seinen Tonfall gelangweilt und leicht ungeduldig. »Um brutal aufrichtig zu sein, du warst nichts weiter als ein Mittel zum Zweck. Das war alles. « Sie blinzelte bei dem Treffer, dann zog sie ihre Hand von ihm zurück. Caleb spürte die fehlende Wärme sofort. »Das lässt keinen Raum für Interpretationen, nicht wahr? Ich - mein Leben lief lange genug auf Sparflamme«, erklärte sie mit einem Schwanken in der Stimme. »Ich möchte mich niedergelassen haben, mich niedergelassen fühlen, bevor unser Sohn geboren wird. Mir war nicht klar gewesen, dass mein Leben in Paris nicht zu mir passte, bis ich es nicht mehr führte. Aber es passt ebenso wenig zu mir, in einem Einzimmerapartment hier in San Francisco zu wohnen. Ich möchte weniger als das, was ich früher hatte, aber mehr als dies. « Sie neigte den Kopf zur Seite, als fragte sie ihn um Rat, aber er wusste es besser. »Ich muss eine Art Mittelweg finden. Mit dir oder ohne dich. Ich war auf >Pause<, jetzt möchte ich auf >Play< drücken und mein Leben wieder auf den richtigen Weg bringen. « »Das ist dein Vorrecht. « Er fühlte Wut in sich aufsteigen. Warum versuchte sie nicht, ihn zum Bleiben zu bewegen? Warum verstand sie nicht, wie elend er sich fühlte, ebenso elend, wie er sich ohne sie jeden einzelnen Tag für den Rest seines Lebens fühlen würde? Es ärgerte ihn wirklich, dass sie so ruhig und gefasst war. Und dass sie ihn an seinen Entscheidungen zweifeln ließ. Entscheidungen, die er vor Jahren getroffen hatte. Alle drei Brüder hatten sie getroffen, um Himmels willen! Sachliche Entschlüsse, die immer, immer vollkommen Sinn ergeben hatten. Heirat und Liebe entsprachen dem Tod für die Gefährtin des Lebens 一 deshalb keine Gefährtin. So einfach war das. Er nahm diese Sache nicht auf die leichte Schulter. Fünfhundert Jahre lang waren die Edridges und Edges töricht genug gewesen zu glauben, sie könnten den Fluch brechen. Er musste sich selbst außer Acht lassen, seine Wünsche. Sein Sohn würde seine Mutter brauchen. Die Entscheidungen, die er treffen musste, betrafen ihre Sicherheit und ihr Glück. Er würde an seinem Märtyrertum verdammt noch mal ersticken. »Ich denke, du solltest genau das machen«, antwortete er durch seine Zähne hindurch. »Vielen Dank, aber ich brauche deinen Segen nicht, Caleb. Ich werde eine Mutter sein. Das ist, als ob du ein Pferd beim Schwanz aufzäumst, aber wenn du mich nicht möchtest, dann ist es Zeit, dass ich mich draußen umschaue, ob da nicht jemand anderer ist, der dies tut. « »Was?« Er wollte sie. Er wollte sie jetzt so sehr wie 一 zur Hölle - mehr noch als in der ersten Sekunde, als er sie gesehen hatte. Aber sie dachte bereits an einen anderen Mann? Er schluckte, fühlte den Schweiß auf seiner Augenbraue, während sie darauf wartete, dass er etwas Zusammenhängendes sagte. Warum sollten sie beide verletzt werden? Nicht Heather war verflucht, sondern er. Sein Problem, nicht ihres. Er wollte nur nicht, dass sie wusste, wie schwer das alles für ihn war. Sie musste, ermahnte er sich rigoros, schließlich nicht alles wissen. Sie würde über ihn hinwegkommen, war es ohnehin schon so gut wie. Caleb befürchtete, er würde nicht so viel Glück haben. Sein Leben war genau so gewesen, wie er es mochte: vH 一 vor Heather. Es konnte wieder so sein. Es würde gebührende Sorgfalt erfordern, aber sein Leben könnte und würde wieder normal werden. Bald. Möglicherweise. »Ich werde natürlich die volle finanzielle Verantwortung für euch beide übernehmen. « Ihre Schultern versteiften sich, und sie wurde sehr ruhig. »Wir brauchen deine finanzielle Verantwortung nicht. Ich bin stinkreich, erinnerst du dich? « »Nichtsdestotrotz- « Sie hob ihr Kinn und trat zurück, ihre Augen glänzten unnatürlich. Caleb wünschte, er wäre nicht so vertraut mit ihr, um klar zu erkennen, dass sie verzweifelt versuchte, ihre Gefühle im Griff zu halten. »Natürlich werde ich mich sofort mit einem Anwalt in Verbindung setzen. « »Du wirst keinen Anwalt brauchen, um meine Pflichten zu erzwingen, Heather. Ich habe dir bereits gesagt Ihre Augen trafen seine. »Um die Scheidung einzureichen. « »Schei -? Nicht nur Nein, sondern zur Hölle Nein!« Er rieb sich die schmerzende Stelle in seiner Brust neben dem Herzen. »Keine Scheidung.« »Das ist extrem unfair von dir«, antwortete sie hitzig. »Du willst mich nicht, aber auch sonst darf mich niemand bekommen? « Unfair oder nicht: »Ja.« Ganz genau das war es. »Wir werden uns das überlegen. Böhnchen, lass Daddy bitte aus dem verdammten Stuhl.« Er fühlte die unsichtbaren Fesseln brechen. »Du wirst Böhnchen sehen können, wann immer du möchtest. « Schmerz und Bedauern schimmerten durch ihre Verärgerung hindurch, ihre Augen wurden dunkel wie Bernstein. »Vielen Dank, das ist sehr großzügig von dir. Ich würde es dennoch vorziehen, wenn du in Betracht ziehen würdest, nach Montana zu ziehen und auf Schloss Edridge zu leben, bis wir sicher sind, dass wir alle Bösen verhaftet haben. Es würde mir eine Menge bedeuten zu wissen, dass du und unser Kind in Sicherheit seid und gut für euch gesorgt wird. « Er klang so förmlich wie MacBain. »Bei dir wären wir in Sicherheit, und es würde gut für uns gesorgt«, wies sie mit schmerzhaft sanfter Stimme hin. Ohne zu bitten, einfach nur die ungeschminkte Tatsache. Sie ging auf ihn zu, lief in seine Arme und sorgte so dafür, dass sich jeder Nerv und jeder Muskel in seinem Körper verkrampfte. »Halt mich noch ein letztes Mal fest, okay? « Sie schlang ihre Arme eng um seine Taille und vergrub ihr Gesicht an seiner Brust, dann stand sie bloß da. Ihr Körper war gegen seinen gepresst, ihr Atem drang heiß durch sein T-Shirt. Heather. Der schmerzhafte Verlust, den er empfand, warf ihn beinahe auf die Knie. Er hielt sie noch ein letztes Mal fest. Speichere die Erinnerung. Er presste seine Lippen auf ihren Kopf. Atmete Heathers Sommerduft ein. Seine Brust tat so weh, dass er beinahe laut stöhnte. Noch eine Minute. Okay. Solange, wie sie die Umarmung erlauben würde. Dann würde er gehen ... Er spürte ihren Körper in seinen Armen zittern, dann sah sie zu ihm auf und berührte sein Kinn mit kühlen Fingern. »Kannst du mir in die Augen schauen und mir ehrlich sagen, dass du mich nicht liebst? Ich habe gemeint, was ich sagte. Ich kann und werde mich um Böhnchen und mich kümmern. Wenn du nur diese Worte sagst, dann werde ich dich ohne Kampf gehen lassen.« »Kampf ist mein Beruf. « »Ich habe kein Training, und ich habe keine besonderen Fähigkeiten, aber ich liebe dich, Caleb. « Sie handhabte das L-Wort ebenso meisterhaft, wie sein Bruder Gabriel sein Schwert handhabte. Und mit ebenso viel Präzision. Es durchbohrte Caleb tief und schnitt genauso scharf wie jenes Breitschwert. Sie hatte Waffen und Fertigkeiten, um die er sie beneidete. Sie stand auf den Zehenspitzen und streichelte sein Kinn, während sie ihren Mund zu seinem anhob. »Küss mich nun zum Abschied. « Er glitt mit der Hand zunächst zu ihrem Hals, dann um den Nacken und hinauf in ihre Haare. »Versuch nicht, mich umzustimmen«, murmelte er gegen ihren feuchten Mund. »Ich werde meine Meinung nie ändern. « Nie war eine verdammt lange trostlose Zeit. Er war sich nicht sicher, ob er sie überleben konnte. Sie strich mit den Händen seine Brust hinab, dann schlang sie die Arme um seine Taille. Sie drückte mit beiden Handflächen gegen seine Wirbelsäule und drängte ihn näher heran. »Niemals ist eine sehr lange Zeit. « Sie wiederholte eben jenen Gedanken. Ein Schauer roher Lust durchströmte ihn, pulsierte durch seine Adern wie ein primitiver Dschungelrhythmus. Er wusste ohne die Spur eines Zweifels, dass er niemals wieder eine Frau so begehren würde wie diese. Wusste eindeutig, dass er nie mehr eine Frau so sehr lieben würde wie Heather. Ja, all das. Und er würde sie dennoch glauben machen, dass sie ihm nichts bedeutete. Dass Wegzugehen eines der einfachsten Dinge war, die er je getan hatte. Seine Finger ballten sich in ihrem Haar zur Faust, als sie den Mund öffnete, um ihn willkommen zu heißen und ihn mit ihrer Zunge zu necken und zu verspotten. Verdammt noch mal. Mit einem läppischen Kuss hätte er umgehen können. Zähne und Zunge und Lippen. Aber Heather - eben weil sie Heather war - musste ihm einen Streich spielen. Sie führte ihn mit unterschwelligen Versprechungen in Versuchung, quälte ihn mit ihrem schönen, liebenden Herzen. Ließ ihn beinahe an ein Happy-End glauben. Er riss seinen Mund von ihrem los und fühlte sich schon beraubt und einsam. Es würde in nächster Zeit noch viel schlimmer werden. Aber es war nicht der richtige Weg, ihr zu zeigen, kein Interesse zu haben, wenn er sie küsste und ihre Arme packte, um sie festzuhalten. Das würde ihm jeglichen Handlungsspielraum rauben. Er kannte sie. Wenn sie auch nur den kleinsten Riss in seiner Rüstung entdeckte, dann würde sie einen Weg finden, um hineinzukrabbeln und nach ihm zu greifen. Dann würde er nie weggehen können. Sanft schob Caleb sie von sich fort. Er warf ihr einen kühlen, ironischen Blick zu. »Gott sei Dank müssen wir nicht verliebt sein, um im Bett zueinander zu passen. Wie wär’s noch einmal als Wegzehrung? « Anstatt verärgert zu sein, lächelte sie. »Ich würde wirklich gerne noch ein letztes Mal mit dir schlafen, aber leider glaube ich nicht, dass du damit umgehen könntest. « O ja. Sie hatte Waffen. Er begehrte sie mit einem leidenschaftlichen, schmerzhaften Bedürfnis, das ihn auf die Knie zu zwingen drohte. Ja, zum Liebesakt, aber verdammt noch mal, er wollte sie. Alles an ihr. Er wusste, dass sie es ebenfalls wusste. »Du solltest jetzt besser gehen. Ich werde mir ein Taxi raus zum Flughafen schnappen und versuchen, den nächsten Flug nach Paris zu erwischen. Falls ich es nicht schaffe, kann ich ja immer noch Böhnchen bitten, uns dorthin zu teleportieren. « Sie fuhr sich mit beiden Händen durchs Haar, während sie zum Kleiderschrank und ihrem Koffer ging. »Auf jeden Fall muss ich mich um den Besitz meiner Eltern kümmern und entscheiden, was ich machen möchte, wo ich leben möchte«, erklärte sie ihm im Plauderton. »Ich würde gerne ein Zuhause haben, bevor Böhnchen geboren wird. « Sie trennte sich schon von ihm. Caleb konnte nicht verstehen, weshalb etwas, was er brauchte, etwas, was er wollte - Heather sollte kein Problem damit haben, getrennte Wege zu gehen -,ihm das Gefühl gab, als würde sie ihm das Herz herausreißen. Sei vorsichtig bei dem, was du dir wünschst. »Das dauert doch noch fünf Monate«, versuchte er, ihre Entscheidung aufzuschieben. »Ich werde genug zu tun haben. « Sie warf ihm ein strahlendes, sorgloses Lächeln zu, aber ihre haselnussbraunen Augen waren starr. »Möchtest du dir ein Taxi rufen? «, fragte sie höflich. »Nein.« Er streckte die Hand aus und strich eine Haarsträhne hinter ihr Ohr. Ihr Haar fühlte sich an wie Seide, ihre Haut war weich und warm. Seine Finger krümmten sich um ihre Ohrmuschel, streichelten die Stelle an ihrem Hals, die sie immer erzittern ließ. Sie entzog sich ihm. »Mach das nicht. « Sein Hals war unerträglich eng, und er wusste, er hatte sie noch nicht genug berührt. Hatte noch nicht ausreichend Erinnerungen gespeichert, die ihm die nächsten fünfzig Jahre genügen würden. Verdammt noch mal. Er hatte sie noch gar nicht verlassen und vermisste sie bereits. Wie zum Teufel, dachte Caleb und blutete innerlich, wie zum Teufel konnte jemand, von dessen Existenz er vor drei Monaten noch nicht mal was geahnt hatte, zu seiner gesamten Welt werden? »Ich habe Gabriels Adresse und Telefonnummer«, sagte sie zu fröhlich. »Und Duncans und Larks 一” »Und meine, falls du mich brauchst. « »Werde ich nicht. Wirklich, wenn du das möchtest, dann hör auf, mir widersprüchliche Signale zu senden. Je weniger Kontakt wir miteinander haben, desto besser. « Ihre Stimme zitterte ein wenig. »Ich liebe dich zu sehr, um mich mit den Brosamen abzugeben, wenn ich nach dem Festmahl hungere«, erklärte sie ihm aufrichtig. »Dein Job bei T-FLAC ist wichtig. Die Welt ist sicherer, weil du deine Pflicht so ernst nimmt. Ich werde dafür sorgen, dass Böhnchen das weiß, und ich werde ihm sagen, dass du uns geliebt hast. Uns beide. Ich werde versuchen, ihm zu erklären, weshalb du geglaubt hast, es sei besser, uns mit einer Luge fortzuschicken. Denn es ist eine Lüge, wenn du dich weigerst zuzugeben, wie sehr es dich zerreißt zu leugnen, was wir füreinander empfinden. »Mein Gott,Heather 一” »Ich stecke fest. Was soll ich tun, Caleb? Ich liebe dich, aber wegen eines uralten Fluches weigerst du dich zuzugeben, dass du mich ebenfalls liebst. « Sie hob ihre Augen zu seinen. »Ich habe mein ganzes Leben in einer Hassliebe zu meinem Vater verbracht. Ich habe immer geglaubt, selbst wenn er es nicht zeigte, würde er mich dennoch aufrichtig lieben. Jetzt bin ich mir dagegen nicht mal sicher, ob ich ihm nicht völlig egal war. Ich werde es nie herausfinden. Ich bin mir ziemlich sicher, dass er meine Mutter umgebracht hat, den einzigen Menschen, der mich je um meiner selbst willen geliebt hat. Und du 一” sie schaute ihn wie tot an - »willst dir selbst nicht erlauben, mich zu lieben. Also wiederhole ich: Was soll ich tun? Sosehr mein Herz auch weint und darauf besteht, dass ich dich anbetteln soll, uns eine Chance zu geben, werde ich das nicht tun. Du weißt, wie ich empfinde, und es ist offensichtlich zwecklos, dich zu bitten, wenigstens einmal zuzugeben, was du tatsächlich empfindest, Fluch hin oder her. « Ihre Augen, nun mehr grün als braun und so klar wie ein Gebirgsbach, waren auf ihn gerichtet. »Ich möchte Frieden, Caleb. Ich möchte Liebe und Stabilität und verdammt noch mal, ich verdiene es auch, all diese Dinge zu haben. Mit dir oder ohne dich.« Es kostete ihn alles, sie ohne Blinzeln anzuschauen. Man konnte ihre ganzen Empfindungen in ihren schonen Augen erkennen. Liebe, Traurigkeit, Hoffnung und Entschlossenheit. Caleb war sich ihrer Person äußerst bewusst, des berauschenden Duftes ihrer Haut; der Art, wie ihr das Haar auf die Schultern fiel; der sanften Wölbung ihrer Brüste, die gegen ihr schwarzes T-Shirt drängten. Jedes Stückchen seines Körpers kannte das Gefühl ihrer weichen Haut unter seinen Fingerspitzen und ihres Atems an seinem Hals. Und jede seiner Zellen beklagte den Verlust. »Ja«, antwortete er, gefühlsmäßig bis auf die Knochen entblößt. »Das tust du. « Er würde alles für sie machen. Alles, außer zuzugeben, was er fühlte. »Wie kannst du tagein, tagaus deinen Job machen und immer noch so ein verdammter ... Feigling sein? « Er zuckte mit den Schultern. Verglichen hiermit war es ein Kinderspiel, sich mit Terroristen abzugeben. Dies war die tapferste, selbstloseste Tat, die er in seinem ganzen Leben vollbracht hatte. Er verdiente einen Oscar und eine verdammte Ehrenmedaille. Sie zog sich das Armband ihrer Mutter vom Handgelenk und streckte es ihm entgegen. »Hier. Das gehört jetzt dir. Die Nummern für das Konto sind auf der Innenseite eingraviert. Wir werden wohl nie wissen, weshalb meine Mutter das Geld entwendet hat. Ich nehme an, es ist egal, ob es Gier war oder ihre Art zu versuchen, das Spiel für die Seite der Guten auszugleichen. « Ihre Stimme verlor sich. »Wenn du möchtest«, erklärte er schroff, »bringe ich dich zurück, nachdem Böhnchen geboren ist. Du kannst sie fragen, warum sie es getan hat. « Ihr Lächeln brach ihm das Herz. »Das würde mir gefallen. Vielen Dank.« Er streckte die Hand aus, um den Armreif zu nehmen. »Sobald wir die Gelder gesichert haben, werde ich veranlassen, dass es wieder zu di-« In dem Augenblick, in dem seine Finger die von Heather auf dem kühlen Metall trafen, sprang eine Flamme glühender Funken heraus und hüllte sie beide in einen Nebel strahlend weißer Flammen. »Lass los! «, versuchte er ihr mitzuteilen und sich damit loszureißen von dem, was zur Hölle auch immer gerade passierte. Magie war nicht immer etwas Gutes, obwohl sich dies nicht bedrohlich anfühlte. Er konnte das verdammte Ding nicht loslassen. Seine Finger schienen mit dem nach wie vor kühlen Metall des Armreifs zu verschmelzen, während weiße Flammen mit einem blauen Kern ihre Arme emporzüngelten und ihre Körper einhüllten. Die Haare auf seinem Körper knisterten vor statischer Elektrizität, und er beobachtete, wie Heathers Haar wie ein Heiligenschein um ihren Kopf tanzte. Ihre Augen waren weit geöffnet, aber sie sah nicht ängstlich aus. Er fühlte seinen Körper zu ihrem hingezogen, als ob ihn ein Magnet anzog. Zwischen ihnen wurde der Armreif immer wärmer und wärmer. Es verbrannte seine Haut nicht, sondern erhitzte sich lediglich zu einem glänzenden, geschmolzenen Silber. In einem plötzlichen blendenden Lichtschein verschwand der Armreif und tauchte dann, schneller als mit bloßem Auge erkennbar, wieder auf. Dieses Mal umschlang er Heathers Handgelenk. Er glühte und pulsierte an ihrer Haut, als würde er von innen erleuchtet. »Mein Gott.« Caleb stolperte rückwärts, fühlte die Funken und den Schwung der Elektrizität durch seinen Körper strömen. »Geht es dir gut? « Heather sah benommen aus und nickte. Ihr langes Haar war immer noch voller statischer Elektrizität. »War das Böhnchen? « »Ich weiß nicht. Ich glaube nicht. « »Bist du sicher, Böhnchen hat nicht »Ich finde zwar gerade erst heraus, dass das Baby Kräfte hat, aber ich bin mir ziemlich sicher, das hier zählte nicht dazu. Ich glaube, ich muss mich hinsetzen. « »Ja.« Er warf ihr einen besorgten Blick zu, als er sie zu ihrem Bett begleitete. »Guter Plan. Brauchst du etwas zu trinken? « Sie schüttelte den Kopf und setzte sich auf den Rand der Matratze. Caleb ließ sich neben sie fallen und hielt dabei einen Meter Abstand. Vielleicht musste sie sich hinlegen. Gehalten werden. Getröstet werden. Das war ziemlich angsteinflößend gewesen, verdammt. Und er war mit Magie vertraut. »Ich denke 一 nein. Schon gut. Das ist verrückt. « »Du hast eine Theorie? « Nach dem, was gerade passiert war, was zum Teufel auch immer es gewesen war, wollte er nicht über Magie reden. Nicht jetzt. Aber die Alternative war, sich zu verabschieden und fortzugehen. »Lass hören. « »Es ist ziemlich abgefahren«, warnte sie. Das Glühen des Armreifs erhellte ihre Wange, als sie ihr herumfliegendes Haar im Nacken zusammenschob und es zu einem Knoten drehte. Er liebte ihren Nacken, besonders die empfindliche Stelle unter ihrem Ohr. Er wollte sie dort küssen. Wollte sich vorbeugen und seinen Mund auf den weichen, duftenden Punkt genau dort abrücken. Sie sah so süß aus, so anbetungswürdig süß und ernsthaft, dass Calebs Herz sich zusammenzog. Er stellte sich vor, er würde die beiden Linien zwischen ihren Brauen einfach wegküssen. Verdammt noch mal, er wollte so viele Dinge tun, und dann würde das ganze Gespräch, das bereits im Eimer war, von Neuem beginnen. »Probier es aus. « »Du hast mir erzählt, dass Magnus Nairne drei Schmuckstücke als Verlobungsgeschenke gab, richtig? « Was hatte der Fluch mit dem zu tun, was gerade passiert war? Mit der Ausnahme, dass jede Edge-Ehefrau seit fünfhundert Jahren krepiert war, um zu beweisen, dass der Fluch mächtig und gültig war, hatte es, soweit er wusste, keine magischen Ansatzpunkte gegeben, wie man ihn brechen konnte. Er bezweifelte, dass die grelle Vorstellung vorhin etwas in der Art war. »Nun, ja, aber, Liebling - das hatte nichts mit dem Fluch zu tun. « Ganz gleich, wie sehr wir beide uns auch wünschen, es könnte so sein. Der Gedanke jedoch war verblüffend. O verflixt, das »Liebling« war ihm herausgerutscht. Sie schien es nicht bemerkt zu haben. Sie beugte die Knie auf dem Bett, um ihn ganz anzusehen. Er konnte fühlen, wie die Hitze ihrer in Jeans steckenden Beine beinahe seine Hüfte berührte. Mit hochroten Wangen vibrierte sie praktisch vor Aufregung. Sie legte ihre Fingerspitzen auf den glänzenden Ring. »Ich bin mir sicher, das Baby hatte nichts mit dem zu tun, was gerade passiert ist. Du etwa nicht?« Er war sich überhaupt nicht sicher. Er hatte keine Ahnung, über welche Fähigkeiten sein Sohn bereits verfügte. »Ich vermute es. « »Ich weiß es. Du warst es nicht, richtig? Ich war es nicht. Wer sonst ist hier? >Wenn du das Unmögliche ausgeschlossen hast, dann muss, was auch immer übrig bleibt, egal, wie unwahrscheinlich, die Wahrheit sein. <« Ihre Worte gewannen an Geschwindigkeit, während sie sprach, und er konnte seine Aufmerksamkeit nicht von ihrem Mund abwenden. »Ich glaube, das Armband, der Armreif, den meine Mutter auf dem Flohmarkt in Paris fand und welches sie gravieren ließ, war eines der drei Schmuckstücke, die Nairne 一 Caleb? Hörst du mir überhaupt zu? « Nicht wirklich. Er brauchte nur ein wenig das Gewicht zu verlagern und könnte sie dann umwerfen. Flach auf den Rücken. Er wäre genau da, wo er sein wollte. Ein kleiner Kuss würde nichts ausmachen ... Sie schlug ihn auf den Arm. »Hier wird gesprochen. « »Ich hänge an deinen Lippen«, versicherte er ihr. »Dein Gott-weiß-wievielter Urururgroßvater gab ihr drei Schmuckstücke als Verlobungsgeschenk, richtig? Und als er sich von ihr getrennt hat, warf sie ihm diese hinterher und verfluchte ihn. Ich glaube ganz ehrlich, dieser Armreif war eines jener Mucke. « War er näher gekommen? Sie streckte ihre Hand aus und fuhr mit ihren Fingern seine Wange entlang, ihre schönen Augen glänzten vor Liebe und Erwartung. Sie glaubte, der Fluch wäre soeben gebrochen worden. »Nur aus freien Stücken gegeben, wird dieser Fluch enden? « Es war praktisch in seine Synapsen tätowiert. Sein Herz begann zu klopfen, als sich langsam Hoffnung ausbreitete. »Und?« »Die Sache, die aus freien Stücken gegeben werden muss«, antwortete sie sanft, »war der Armreif. Die anderen beiden Stücke, die sie Magnus zurückgeworfen hatte, sollen wohl Gabriel und Duncan erhalten, um den Fluch für immer zu brechen. « Sein Herz machte einen Satz. War es möglich? War es auch nur im Entferntesten möglich, nach fünfhundert verdammten Jahren, dass sie Recht hatte? »Weshalb diese Generation? Warum wir?« So skeptisch er auch war, wollte er doch glauben, dass sie Recht hatte. Dass schließlich, letztendlich Nairnes Fluch gebrochen war... Sie zuckte die Schultern. »Ich weiß nicht. « Sie war zu nahe. Ihre Nähe trübte sein Denkvermögen und weckte seine Begierde. Das Verlangen wallte in Caleb auf wie eine Flutwelle. Mit einem Stöhnen drehte er sich zu ihr. »Ich hoffe zum Teufel noch mal, du hast recht«, flüsterte er gegen ihren Mund, bevor er sie küsste. Und er küsste sie, denn Heather jetzt nicht zu küssen, hätte ihn mausetot umfallen lassen. Sie berührte seine Zunge mit ihrer und seufzte, dann schlang sie die Arme fest um seinen Nacken. Caleb konnte es nicht verhindern, dass er sein Herz und seine Seele in diesen Kuss legte. Es war, als ob er nach Hause käme. Aber das hatte er vorher schon gewusst. Er liebkoste ihren Hinterkopf, sein Daumen streichelte die weiche, empfindliche Haut unter ihrem Ohr, als er sich von ihr löste. Dies erforderte einen Vertrauensvorschuss. Er hielt ihrem Blick stand. »Ich liebe dich auch«, erklärte er ihr mit belegter Stimme und übersprang damit die dunkle Kluft, die der Fluch zwischen ihnen geschaffen hatte. »Ich liebe dich mit jeder Faser meines Herzens. Mehr, als ich mir jemals vorstellen konnte, jemanden zu lieben. Mehr, als ich es mir hätte erträumen können, wenn ich mir je erlaubt hätte zu träumen.« Er schloss die wenigen Zentimeter zwischen ihnen und küsste sie noch einmal, lange, langsam und intensiv. Als Heather die Augen wieder öffnete, lag sie nackt auf einem Bett von der Größe einer kleinen Insel, das mit burgunderroten Samtvorhängen verhüllt war. Das Sonnenlicht strömte durch ein hohes, bogenförmiges Fenster und flutete den üppigen Raum mit einem buttrigen Licht und vergoldete Calebs nackte Schulter zu einem schimmernden Bronzeton. Er lag, den Kopf auf die Hand aufgestützt, und beobachtete sie. Heather lächelte, randvoll vor Glück. »Ich nehme an, wir sind nicht mehr im Lande Oz? « »Schloss Edridge«, gab er zu und glitt mit der Hand über die sanfte Wölbung ihres Bauches. »Ich möchte, dass meine Brüder dich kennenlernen. Wenn wir es schaffen, aus dem Bett zu kommen. In einer Woche oder in dreien.« »Hm. « Sie schlang ihre Arme um seinen Hals, schob ihn zurück auf den Rücken und glitt mit ihrem Körper auf seinen. »Es wird nicht einfach werden, weißt du. « »Sich mit zwei Zauberern abzugeben? «, fragte er mitfühlend und strich ihr mit den Händen den Rücken hinab. Ihr Lächeln fühlte sich an, als ob es bei ihren Zehenspitzen begann und sich durch ihren ganzen Körper hindurcharbeitete, bis es ihren Mund erreichte. »Zwei Zauberer zu erziehen•妖 Er knabberte an ihrem Hals. »Wie lange, denkst du, wird das dauern? « »Böhnchen und ich handeln bereits die Bedingungen aus. Du bist ein schwieriger Fall. Mindestens fünfzig Jahre.« Er lächelte, als er sich seinen Weg von ihrem Nacken bis zum Kinn hinaufküsste. »Mit zusätzlicher Zeit wegen guter Führung?« »Und mit Verlängerung bei sehr, sehr schlechter Führung«, flüsterte sie ihm zu. »Wir sollten lieber beginnen - Böhnchen? Es ist Zeit für ein Nickerchen, Liebling. « Über Cherry Adair New York Times Bestseller-Autor Cherry Adair Das innovative Aktion-Abenteuer-Romane wurden auf zahlreiche Bestseller-Listen erschienen, gewann Dutzende von Auszeichnungen und erhielt Lob von Kritikern und Fans gleichermaßen. Mit der Schaffung von ihr kick butt Antiterror-Gruppe, T-FLAC, Jahre vor dem Aktion-Abenteuer-Romanzen waren beliebt. Cherry hat eine Nische für sich selbst geschnitzt mit ihren sexy, freche, rasante Romane. Sie liebt es, von Lesern zu hören. Besuchen Sie Cherry auf Facebook, Twitter oder cherryadair.com. RAND DER ANGST Cherry Adair Author Cherry Adair Publisher Adair Digital Copyright Rand Der Angst aus dem Englischen übersetzen Urheberrecht © 2012 von Cherry Adair Dieses Buch ist ein Werk der Fiktion. Namen, Charaktere, Orte und Ereignisse entweder sind Produkte der Phantasie des Autors oder sind fiktiv verwendet. Jede Ähnlichkeit mit tatsächlichen Ereignisse oder Schauplätze oder Personen, lebend oder tot, sind rein zufällig. Alle Rechte vorbehalten, einschließlich des Rechts auf diesem eBook oder Teile davon zu reproduzieren in welcher Form auch immer. ISBN 9781937774349